K-Pop, Vintage-Klamotten und Comedy: Diese jungen Menschen tragen 2020 dazu bei, dass München bunt, spannend und lebenswert bleibt
Jede Woche treffen wir an dieser Stelle auf junge Menschen, die München zu „unserem“ München machen: zu einer spannenden Stadt, die man erst kennt, wenn man ihre Macher kennen und schätzen lernt. Wer diese Stadt in diesem Jahr bunter und lebenswerter macht? Wir wissen es natürlich nicht. Und wagen trotzdem einen Ausblick: Münchens junge Leute 2020.
Pophoffnung
Es gibt kaum etwas Schwierigeres, als gekonnt im Hintergrund zu stehen. Exemplarisch zeigt sich das bei Background-Sängern – grandiose Stimmen sind da zu entdecken, die sich aber nicht in den Mittelpunkt drängen dürfen. Laura Glauber, 25, tritt jetzt nach vorne. Nach Bühnenerfahrungen als Backing-Sängerin bei Loriia und Matija startet sie nun ihre eigene Band: Lauraine. Irgendwo zwischen Indie-Attitüde und R ’n’ B-Glamour bewegen sich ihre Songs und unterstützen musikalisch eine Stimme, die schon ganz viel kann: ein großer Stimmumfang, leicht rauchiges Timbre und rhythmische Sicherheit. Musikalisch traut sie sich dabei in ihren Songs auch mal an ungewöhnliche Brüche und Stimmungswechsel. Aber warum erst jetzt? „Mir hat es bis jetzt sehr gefallen, aus dem Hintergrund zu fungieren, meine Freunde zu supporten und dadurch eine gewisse Sicherheit zu gewinnen“, sagt Laura. Aktuell studiert sie noch Jazzgesang in München, 2020 wird sie sich an der Popakademie in Mannheim bewerben – und wohl auch erste Konzerte mit Lauraine spielen. Michael Bremmer
Gute Witze
Was braucht es eigentlich, um Menschen zum Lachen zu bringen? Vielleicht kennt Tina Chau, 19, die Antwort. Die Studentin tritt als Comedian auf den Open-Mic-Bühnen der Stadt auf, bei „Comedy für Freunde“ etwa oder bei „Kolibri Comedy“. Ihre Witze zieht sie aus ihrem Uni-Alltag. Aus Bahnfahrten. Aus Clubs. Wichtig sei, sich nicht zu ernstzunehmen und auch mal Lacher auf Kosten seiner Person zu verkraften. Aber sie sagt auch: „Ich versuche, das Thema Rassismus nicht allzu sehr anzusprechen. Weil die Leute das schon oft gehört haben und das schon fast erwarten.“ Vielleicht ist es das, was das Publikum an ihr lustig findet: Dass sie nicht die Witze macht, die man sich ausmalt. Dass sie Erwartungen unterläuft. Max Fluder
„Love Munich – Hate Racism“
Mit 17 hatte Leni Burger einen Traum: Sie wollte von Bamberg nach München ziehen und sich künstlerisch verwirklichen. Seitdem hat sich viel verändert. Lenis Illustrationen kann man heute in kleinen Buchhandlungen in München kaufen. Die Motive sind verspielt und drehen sich oft um die Stadt, aber auch um politische Themen. Sprüche wie „Love Munich – Hate Racism“ zieren ihre Postkarten: Das Münchner Kindl trägt diesen Spruch auf seinem Mantel. Leni hat sich ihren Traum erfüllt: Sie lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin in München. Zuletzt gestaltete sie etwa die Verpackung einer Müsli-Marke mit ihren München-Illustrationen und arbeitete bei einem großen Zwischennutzungsprojekt in München mit. Schon bald möchte sie ihre Kunst und ihr politisches Interesse noch stärker verbinden: „Unter dem Namen Riot&Amore fülle ich derzeit meine Skizzenbücher und hoffe, damit im Laufe des neuen Jahres eine eigene Ausstellung machen zu können“, sagt die 25-Jährige. Ornella Cosenza
Kamera auf hoher See
Mit 14 Jahren die ersten Kurzfilme, mit 17 dann der erste große Filmerfolg: Jona Schloßer, 18, reiste 2016 mit mehreren Jugendlichen für sechs Monate mit dem Segelschiff um die Welt. Seine Kamera hatte er während des Projekts „Klassenzimmer unter Segeln“ immer dabei. Aus den Unmengen an Material schnitt er während seiner Abi-Zeit seinen ersten Dokumentarfilm. Unter dem Namen „My Big Journey“ stellte er den Film auf Amazon-Video. Dort ging er nach zwei Wochen viral. „Freunde haben mir Screenshots davon geschickt, dass mein Film auf der Amazon-Prime-Startseite steht, neben Harry Potter und anderen großen Filmen. Ich konnte es gar nicht glauben“, sagt Jona. Vor Kurzem hat er sein nächstes Projekt gedreht: „Verzeih mir, Vater“, ein DDR-Drama, finanziert durch Crowdfunding. Mit dem Kurzfilm will er sich im Sommer bei mehreren Filmfestivals bewerben. Viktoria Molnar
Beats für die Zukunft
Angefangen hat er mit dem Saxofon – geblieben ist er aber bei der elektronischen Musik. Luis Solé, bürgerlich Henri Ortlieb, 27, hat schon auf Labels von DJ-Größen wie George Morel oder Daniele Di Martino veröffentlicht. Beim Karneval der Kulturen in Berlin tanzte die Menge zu seiner Musik: „Das war ein überwältigendes Erlebnis, vor so vielen Menschen seine eigenen Sachen zu spielen. Es hat mich ermutigt, diesen Weg professioneller zu verfolgen“, sagt er. Sein Stil ist geprägt von einer analogen Wärme. Inspiriert durch einen Aufenthalt in Kolumbien, bei dem er Englisch für benachteiligte Vorschulkinder unterrichtet hat, finden sich außerdem melodische Einflüsse von Percussion oder Bongo in seinem Repertoire. Erst kürzlich veröffentlichte der Blog Two in a Row einen Podcast mit seiner Musik und schrieb dem Nachwuchs-DJ zu, dass er das Talent zu einem Künstler habe, „von dem wir in Zukunft noch hören werden“. In diesem Monat wird Luis Solé bei „Ein Herz für Münchner Kindl“ auflegen, einer Nacht für junge DJs im Harry Klein. Ornella Cosenza
Neue Realität
Der Regen prasselt auf eine Tischplatte. Jeder einzelne Tropfen zerspringt in abertausend kleine Wassermoleküle. Cedric Blei, 20, fängt mit seiner Kamera genau diese Momente ein. „Ich will Momente festhalten, die vergänglich sind und die zu schnell vergehen für unsere Wahrnehmung“, sagt Cedric. Er gibt dem Betrachter somit die Möglichkeit, eine neue Realität zu erfahren. Eine, die immer da ist, aber zu klein für das menschliche Auge. Und er schärft die Wahrnehmung, seine eigene und die des Betrachters. Die Stimmungen seiner Bilder hält er nach der Bearbeitung in Gedichten fest. Er will ihnen somit noch mehr Ausdruck verleihen und ein Gesamtkunstwerk schaffen. Viktoria Molnar
Schmutziges München
Ja, München kann Rap, so erstaunlich das auch klingen mag. Denn neben jenen, die die Schönheit der Stadt und ihre Schickeria besingen, gibt es auch Künstler, die von der anderen Seite Münchens berichten. Einer von ihnen ist der Rapper Rosom, 25, bürgerlich Dennis Käsche. In seinen Texten erzählt Rosom von den Träumen und Problemen junger Menschen, die eben nicht in Schwabing oder Haidhausen aufgewachsen sind, und setzt sich auch noch kritisch mit dem Kapitalismus auseinander – szeneüblich mit drastischen Worten und dem ausgeprägten Konsum aller möglichen Substanzen. „Alles, was ich hab, ist eine Bahn-Card und Schnaps // Mittelpunkt des Universums ist der Marienplatz“, rappt er auf seinem 2019 erschienenen Album „Tiebreak“. Für 2020 plant Rosom erste Konzerte, denn das Rappen ist trotz selbstgebautem Tonstudio nach wie vor ein Hobby. Nichtsdestotrotz will Rosom den Straßen-Sound der Stadt weiter voranbringen. „München hat eigentlich eine relativ große Rap-Szene“, sagt er. „Aber die meisten orientieren sich an Sounds aus Hamburg oder Berlin, an etwas, das es schon vorher gab.“ Linus Freymark
„Hell and Heaven“
„Hell and Heaven“ soll der erste Langfilm von Petra Priskin heißen, den die 19-Jährige in diesem Jahr drehen will. In der Hölle glaubt die Familie zu sein, die in Priskins Film ihren Sohn verliert – aber das ist nur die eine Seite. Um Verlust und psychische Gesundheit geht es auch in Petras Kurzfilm „There Must Be Land On The Other Side“.
Einen Abschluss einer Filmhochschule braucht sie dafür nicht. „Film kann man nicht studieren, finde ich. In London und München habe ich viel an Sets von Produktionsfirmen gearbeitet. So habe ich die technische Seite des Filmemachens gelernt. Kreativ möchte ich mich nicht von Vorgaben einschränken lassen“, sagt sie. Nachdem Petra diesen Sommer ihr Abitur geschrieben hat, widmet sie das Jahr 2020 voll und ganz ihrem ersten Langfilm. Und wenn sie zusätzlich noch zwei oder drei Kurzfilme verwirklichen kann – umso besser. Ramona Dinauer
Mythische Malerei
Da ist dieses unheimliche Gefühl, das beim Betrachten aufkommt: Fast mythisch muten die Malereien von Sophie Lindner an. „Ein Bild kann ruhig unheimlich sein, weil mich das oft mehr ergreift als einfach etwas Lustiges“, sagt Sophie. „Ernsthaftigkeit“ und „Ehrlichkeit“ nennt die 23-Jährige das, was ihr in der Kunst wichtig sei. Die Grenze zwischen der Privatsphäre und Öffentlichkeit sei dabei nicht immer ganz klar. In ihrer Kunst komme alles zusammen – Positives wie Negatives. Für 2020 sind auch schon neue Arbeiten und Ausstellungen in Planung. Außerdem wird Sophie im neuen Spielfilm von Kult-Regisseur Klaus Lemke zu sehen sein, der häufig Studentinnen castet. Der Film wird „Ein Callgirl für Geister“ heißen. Tabitha Nagy
Mehr als secondhand
Mit ihrer Liebe zu Vintage-Kleidung hat alles angefangen. Im Mai 2019 kam Leila Herrmann, 22, und Hannah Ernst, 21, beim Shoppen die Idee, nicht nur Secondhand-Klamotten zu kaufen, sondern diese auch umzunähen. Der Gedanke dahinter: Oft bedarf es nur weniger Änderungen, um aus einem Secondhand-Teil, das man nicht angezogen hätte, weil der Schnitt zu altmodisch ist, ein modernes Kleidungsstück zu machen. Bald darauf gründeten die Studentinnen das Upcycling-Label „The Renewery“. Leila erklärt: „Wir wollen Leute, die noch nicht in der Nachhaltigkeitsschiene sind, für unsere Teile begeistern.“ Jedes neue, umgenähte Kleidungsstück gibt es nur einmal. Auf Instagram bewerben und verkaufen sie ihre Arbeit. Und die Kunden stammen mittlerweile nicht mehr nur aus München, „The Renewery“ versendet europaweit. Für 2020 haben sie bereits feste Pläne: „Wir möchten noch größer werden, in kürzeren Abständen neue Teile zum Verkauf anbieten. Und uns besonders von den Trends in Nordeuropa inspirieren lassen“, sagt Leila. Für Männer soll es im nächsten Jahr mehr Angebote geben: Anfangs war das Label komplett auf Frauen ausgerichtet, dann folgten einige Unisex-Teile. Katharina Horban
Tanzmoves aus Korea
Im Tanzstudio, auf der Bühne oder in der virtuellen Welt auf Instagram. Selim Saglam, 17 Jahre alt, liebt und lebt K-Pop. Die koreanische Popmusik bestimmt das Leben des jungen Tänzers. Doch das war nicht immer so. „Ehrlich gesagt hat mir K-Pop am Anfang so gar nicht getaugt. Ein Freund hat mir ein Musikvideo von einer koreanischen Gruppe gezeigt und ich dachte nur: Was soll denn das bitte sein?“ Boygroups, koreanische Songtexte und kreischende Mädchen – all das hat Selim zu Beginn eher abgeschreckt. Heute ist er sich sicher: K-Pop ist viel mehr als das! Den Unterschied macht für ihn seine große Leidenschaft, das Tanzen. Schnelle Bewegungen, akkurate Choreografien und Spannung im ganzen Körper. Selim ist ehrgeizig und trainiert viel. Vor drei Jahren hat er noch in seinem Kinderzimmer geprobt, heute zeigt er sein Können auf der Bühne bei K-Pop-Partys und gibt die Tanzmoves aus Korea in Kursen weiter. „Früher hätte ich mir das selbst nie vorstellen können. Koreanisch essen, die Sprache lernen und natürlich das Tanzen. Jetzt ist K-Pop zu einem der wichtigsten Teile meines Lebens geworden.“ Laura Wiedemann
Futuristische Mode
Sara Mikorey, 20, näht, seitdem sie 13 ist nach Schnittmuster und macht jetzt unter dem Namen „Sera Merroit“ Mode: „Ich hab viel gezeichnet, schon seitdem ich ganz klein bin, und ich wollte mich so kleiden wie die Figuren, die ich erschaffe“, sagt Sara. Also hat sie ganz einfach angefangen, die Kleidung zu nähen, die ihre Figuren auch tragen würden.
Alle ihre Klamotten sind Einzelstücke. Selbst designt und selbst genäht. Die Inspiration nimmt sie aus ihrer Fantasie. Dabei entstehen Schnitte, die reduziert sind und futuristisch. Eine Mischung aus Pastell- und Neon-Farben, Grautönen, dicken Stoffen, aber auch leichtem Netz. Viele Kordeln, Bordüren und Bänder. Ihren ersten Pop-up-Laden hat sie im Sommer eröffnet. Neben der Mode arbeitet sie auch an Filmprojekten und in der Malerei im Atelier „Neu Workshop“. Viktoria Molnar
Werben bis zum Weltuntergang
Man stelle sich vor: Die Regenwälder sind verbrannt und abgeholzt, das Wetter wechselt von Hitzewelle zu Hochwasser – und die Menschen irren ziellos in einer Welt umher, die sich selbst zerstört. Die jungen Künstlerinnen Camille Tricaud und Franziska Unger haben das Medienkunststipendium der Kirch-Stiftung für 2020 erhalten und können so ein Jahr lang in einem Münchner Atelier an ihrem gemeinsamen Projekt arbeiten.
Entstehen soll eine fiktive Teleshopping-Show, die jenes Weltuntergangsszenario simuliert – und satirisch darstellt, welche Ideen Werbetreibenden einfallen könnten, wenn Umwelt und Klima nicht mehr gerettet werden können. Zum Beispiel Mode, die sich bei jedem Wetter tragen lässt, oder extra starke Aufputschmittel gegen die trübe Weltuntergangsstimmung. Welche Produkte es genau werden, werde sich im Laufe ihrer Arbeit zeigen, sagen die beiden. In jedem Fall soll „Apocalypse Baby“ eine künstlerische Kritik an der modernen Gesellschaft sein – die sich windet zwischen Klimaschutz, Kapitalismus und Kosmopolitismus. Zusätzlich möchten die beiden einen monatlichen Cinéclub in ihrem Atelier veranstalten und dort Filme zeigen, die sich mit den Themen Umwelt und Konsumgesellschaft auseinandersetzen. Anna Elisa Jakob