Ein letztes Mal Sex. Und Sonntagsbraten

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Beste Freundin. Mitbewohner. Auf jeden Fall Komplize. So fühlten wir uns seit fünf Jahren. 256 Kolumnen haben Lisi Wasmer und Susanne Krause seit Juni 2010 auf der Junge-Leute-Seite geschrieben. Über junge Menschen bei der Paarungssuche. Und über das Zuhause, was immer das auch sein mag. Nun ist es vorbei. Mit Sex. Und mit Sonntagsbraten.  

Heimat.
Sex. Im Wechsel. Kürzer lassen sich die beiden Kolumnen der Jungen Leute Seite,
„Beziehungsweise“ und „Bei Krause zu Hause“, wohl nicht beschreiben. Nun erschien der letzte Text: Nach fünf Jahren voller komischer, absurder und
nachdenklicher Geschichten aus dem Leben und Liebesleben ihrer Freunde und
Bekannten, legen Lisi Wasmer und Susanne Krause den Stift nieder. Ein Abschied.

Kolumnen
binden Leser. Sie sind Aushängeschilder. Konstanten, auf die man sich verlassen
kann. Ein Grund, die Seite aufzuschlagen, auch wenn einen die restliche
Themenauswahl nicht sofort anspricht. Das Spannende: Selbst wenn das Erzählte
oft absurd klingt, im Kern sind die Kolumnen wahr. So oder so ähnlich hat es sich
tatsächlich zugetragen. Marcels Name zum Beispiel, den mag Susanne in ihrem
„Bei Krause zu Hause“ Text verändert haben, sein Balkon allerdings war
tatsächlich eines Tages die Hauswand hinabgestürzt.

Angefangen
hat die Kolumnen Reihe im Juni 2010 – mit einem „Beziehungsweise“-Text von Lisi
und einem Tampon, das auf der Wasseroberfläche eines Toilettenbeckens trieb.
Als ekelhaft kann man das bezeichnen. Oder als Stilmittel. Lisi bedient sich
gerne der Effekthascherei, wählt Ausdrücke und Worte meist so geschickt, dass
sie sich gerade noch in der Zeitung drucken lassen. Und es funktioniert: Was im
ersten Moment obszön oder abstoßend klingt, macht letztendlich doch neugierig –
Sex sells eben. Ganz nebenbei erzählt die Autorin von kleinen und großen
Wahrheiten über Männer, über Frauen, über das Lieben und Geliebt-werden. Spätestens
am Ende, wenn aus dem Tampon zum Beispiel ein Sinnbild für das Verlangen nach
einer festen und ehrlichen Beziehung geworden ist, ganz ohne Make-up und ohne
sich zu verstellen, nach der letzten Zeile also, weicht Abscheu dem Gefühl
von guter Unterhaltung. Lisis Texte sind zum herzhaft Lachen.

„Bei
Krause zu Hause“ im Gegensatz ist anders: Kein Sex, zumindest eher selten und
weniger explizit. Und anstelle eines prustenden Auflachens bleibt am Ende
dieses Lächeln, das sich einstellt, wenn man sich in einer Situation selbst
wiedererkennt. Susanne Krause schreibt Wohlfühl-Texte, die auf genüssliche und
humorvolle Art die Tücken und Überraschungen des Alltags beschreiben, wenn man
einmal das Hotel Mama hinter sich gelassen hat. Es geht um das Leben bei Krause zu Hause. In der Tat gewährt Susanne ihren Lesern Einblicke in ihre
persönlichen vier Wände: In die Burschenschaft, in der sie gelebt hat. In ihre
Küche, in der  sie nur die Stellen und Oberflächen putzt, die ins Auge
eines mittelgroßen Betrachters fallen. In ihr Wohnzimmer, von wo aus sie über
ihre Sehnsucht nach einem eigenen Balkon schreibt – ein Balkon in einem guten baulichen
Zustand, versteht sich, nicht wie Marcels Balkon. Susanne erzählt von Dingen,
mit denen sich jeder immer irgendwie identifizieren kann.

Ebenso
wie ihre Texte für die Leser auf die Seite gehören – nicht umsonst kommen jedes
Jahr viele Zuschauer zu ihren Sex und Sonntagsbraten Lesungen im Farbenladen -,
wird es auch schwer, sich die beiden aus der Redaktion der Junge-Leute-Seite wegzudenken.
Angesichts ihrer eigenen Themenwahl verwundert es nicht, dass sie auch im
echten Leben oft unterschiedlich sind: Man kann Susanne durchaus als verkannte
Rebellin bezeichnen, die mit ihren blonden Locken und manchmal zurückhaltenden
Art zwar unschuldig wirkt, sich aber mit quietschbunten Strumpfhosen
aufbegehrt, wenn die Geschäftswelt einen Stiftrock von ihr verlangt. Lisis Potenzial
zur Rebellion dagegen ist offensichtlicher. Nicht nur ist sie braunhaarig, was
sie vor der Engels-Assoziation bewahrt, auch ihr Blick hat immer etwas freches
und herausforderndes. Wenn ihr die Idee für eine Geschichte gefällt, setzt sie
sich ein, und schreckt auch nicht vor Diskussionen zurück. Sie ist
selbstbewusst, kämpferisch und doch immer mit einem guten Rat zur Seite.

Dass
die beiden eines Tagen nicht mehr als Kolumnistinnen für die Junge-Leute-Seite
schreiben würden, das war eigentlich auch 2010 schon klar. Über die Jahre sind
Autorinnen und Texte gleichermaßen erwachsener geworden. Statt um den
chaotischen Studentenalltag ging es bei „Bei Krause zu Hause“ immer mehr um
Identität und die Frage, wo man hingehört. Und seit einiger Zeit gibt es auch
immer wieder „Beziehungsweise“-Kolumnen, in denen Worte wie Sex, Rammler und
Artverwandtes keinen Platz mehr finden. Stattdessen waren Liebe, Partnerschaft
und selbst Kinderkriegen Thema. Lisi Wasmer und Susanne Krause sind älter
geworden, keine Studentinnen mehr. Es ist also durchaus gerechtfertigt, wenn
auch schade, dass sie aufhören. Im neuen, im echten Leben jetzt werden sie sich
wohl vielen neuen Dingen widmen, Sex und Sonntagsbraten allerdings werden
vermutlich auch weiter eine Rolle spielen.

Dorothée Merkl

Foto: Lorraine Hellwig

Ein letzter Rest Individualität

Ein Möbelstück, das riecht und haart wie ein Haustier? Nicht unbedingt praktisch, dafür aber individuell- findet zumindest Stephi.

Wir sehen aus, als hätten wir auf dem Rücken von Ziegen die Anden überquert – um mal den unverfänglichen Vergleich zu ziehen. Es braucht mehrere Blätter Klebepapier von Stephis Fusselroller, ehe unsere Intimbereiche frei von Ziegenhaaren sind und wir uns wieder auf die Straße trauen können, ohne unangenehme Fragen fürchten zu müssen. Dabei waren wir eigentlich nur zu Kaffee und Kuchen eingeladen.
In fast jedem Kleiderschrank findet sich mindestens ein Teil, von dem man sich nie trennen würde, obwohl man es jedes Mal heimlich verflucht, sobald man es eine halbe Stunde angehabt hat. Marke: schön, aber kratzt wie Schmirgelpapier. Oder sexy, aber so eng, dass man nie ganz ausatmen kann. Wahrscheinlich hängen wir gerade dadurch, dass sie uns quälen, so an diesen Kleidungsstücken – eine gemeinsame Leidensgeschichte schweißt zusammen.
Stephi beweist, dass das Phänomen sich nicht auf Kleiderschränke beschränkt. Ein Wohnzimmer, ausgestattet mit schlichten, funktionalen Möbeln – das Äquivalent zu einem Kleiderschrank voll bequemer Jeans und gut geschnittener Baumwoll-Shirts – war ihr nicht genug. Es fehlte das gewisse Etwas. Auf dem gewissen Etwas habe ich nun zum ersten Mal gesessen. Es ist eine Bank mit einem Patchwork-Überzug aus Ziegenfell. Wie lange noch wirklich Fell auf dem Leder sein wird, weiß ich nicht. Schließlich hat sich bereits jetzt ein nicht unwesentlicher Anteil von der Bank auf meinen Hintern umverteilt. Ach ja: und auf den Boden. Es gibt viele praktische Sitzgelegenheiten – Stephis Ziegenbank gehört nicht dazu.
Aber was ist schon Alltagstauglichkeit gegen ein Stück Individualität? Nicht viele Menschen haben schließlich ein Möbelstück, das riecht und haart wie ein Haustier. Anglerwesten in Einheits-Beige und Gesundheitsschuhe sparen wir uns ja auch fürs Alter auf; solange man sich bücken kann, um Fusselroller und Besen einzusetzen, ist so eine Haare schleudernde Ziegenbank also nur konsequent.

Susanne Krause

Sünden auf dem Sofa

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Serien sind doch auch nichts anderes als Drogen. Gesellschaftlich akzeptierte allerdings. Aber ist der regelmäßige Konsum wirklich unbedenklich?

Mit den Drogen ist es kompliziert. Rauchen ist lange nicht mehr so cool, wie es mal war, der Alkohol hingegen bleibt ein Evergreen – und Kulturgut, solange man sich nicht zu viel davon allein auf dem Sofa einverleibt. Sich Serien allein auf dem Sofa einzuverleiben, gehört hingegen noch zu den gesellschaftlich akzeptierten Drogen – in zehn Jahren könnte das anders aussehen. Psychologen streiten bereits, ob Seriensucht nicht eine ähnliche Abhängigkeit auslösen könnte wie Rauschmittel. Im Klartext heißt das: Wer seine tägliche Portion GZSZ verpasst, leidet eventuell unter Entzugserscheinungen.
Die Parallelen sind gar nicht so abwegig: Serien sind ein gemütliches Stück Realitätsflucht – eine Art zweites Zuhause, in dem man sich auskennt und wohlfühlt. Und genau wie beim Alkohol kriegt man es manchmal nicht hin, aufzuhören, wenn man eigentlich genug hat. Aber während es in den meisten Freundeskreisen auf wenig Wohlwollen stieße, zu sagen, man habe den ganzen Tag beim Saufen im Bett verbracht, statt auf die Klausur zu lernen, ist es okay, wenn man sich stattdessen die letzte Staffel von „House of Cards“ reingezogen hat.
Im Internet kann man sich mit wenigen Mausklicks ausrechnen lassen, wie viel Lebenszeit man bereits in Serien investiert hat. Wer sich alle Folgen von „How I Met Your Mother“ angesehen hat, saß dafür beispielsweise über drei Tage und vier Stunden vorm Bildschirm. „Breaking Bad“ könnte man an zwei Tagen durchkriegen – vorausgesetzt, man verzichtet auf Schlaf. Äquivalente Seiten, die genau aufsummieren, wie viel Zeit unseres Lebens wir damit verbracht haben, in Biergläser zu gucken, gibt es zum Glück noch nicht. Vielleicht ja in zehn Jahren – wenn Serienschauen illegal geworden ist und man versucht, Betroffene auf Cannabis umzustellen.

Susanne Krause

Kambodscha weist Käse aus

Deutsches Brot im Ausland kaufen? Eine schwierige Sache. Noch schwieriger wird es für Französin Elia – denn die sitzt in Kamboscha und trauert ihrem geliebten Camembert hinterher…

Deutsche im Ausland vermissen Brot. Richtiges Brot, das Widerstand leistet, wenn man draufbeißt und sich nicht nur deshalb „Vollkorn“ nennt, weil drei Sonnenblumenkerne daran kleben. Der deutsche Discounter in Stockholm erhält bei Max und seinen Erasmus-Kommilitonen deshalb bald den Status einer heiligen Halle.

Einen so intensiven Austausch über das Sortiment eines Supermarkts hat man bisher nur bei Hausfrauen jenseits der siebzig gehört. Als ein Backautomat Einzug hält, bekomme ich sogar ein Foto von einem Laib Brot, verbunden mit einer kleinen Ode an seinen Geschmack.

 Klischees über das eigene Land werden eben immer dann besonders deutlich, wenn man nicht dort ist. So überrascht es nicht, dass Max’ französische Erasmus-Kollegen sich ausführlich darüber austauschen, wo in Stockholm man absurd hohe Summen in Camembert und Roquefort investieren könne.
 Noch schwieriger hat es da Elia, die es nicht nach Schweden, sondern nach Kambodscha verschlagen hat. Hier sind die Läden für französischen Käse recht dünn gesät. Deswegen beschließen ihre Eltern, ihr mit einem Fresspaket eine Freude zu machen. Der Karton voll Käse fliegt also einmal um die halbe Welt. Und dann noch einmal. Dazwischen reift er mehrere Wochen auf einem kambodschanischen Postamt, ehe man sich entschließt, das seltsam riechende Paket an den Absender zurückzuschicken. Immerhin: Im Gegensatz zu einer bei tropischen Temperaturen gezüchteten Schimmelkultur in Pappe wirkt ein gutes Stück Tofu für Elia plötzlich nicht mehr ganz so fad. Es gibt eben Dinge, die zu Hause einfach am besten schmecken.

 Und dann gibt es die Dinge, die man sich aus der Ferne mit nach Hause nimmt. Bei Max ist das allerdings keine schwedische Delikatesse geworden, sondern etwas, was man glücklicherweise auch in Deutschland leicht bekommt: Er ist dem Brot aus dem deutschen Discounter-Backautomat treu geblieben.

Susanne Krause

Hausputz mit Harry Potter

Ein neuer Besen muss her. Zum Fegen? Nein, zum Fliegen! Unsere Autorin übt sich diese Woche im Muggel-Quidditsch – zumindest mental.

Kurz nach meinem Einzug in die WG frage ich meinen
Mitbewohner, ob wir einen Besen haben. Das verwirrt ihn. Was ich denn damit
machen will, fragt er kritisch. Eigentlich ist es selbsterklärend, wozu man
einen Besen braucht. Verwirrend wird es erst in einem Fall wie bei Max, der
sich beim Aldi-Sonderangebot zurückhalten muss, nicht gleich 14 Stück zu
kaufen. Bei 14 Besen ist die Frage, was man damit machen möchte, übrigens
angebracht.

Max möchte
Quidditch spielen. Muggel-Quidditch. Er ist ganz begeistert von der Idee, seit
ich ihm eine Doku gezeigt habe, in der amerikanische College-Studenten mit
Besen zwischen den Beinen herumlaufen und Volleybälle durch Hula-Hoop-Reifen
pfeffern. Das sieht noch alberner aus als Fantasy-Nerds, die sich in Wäldern
mit Silikonschwertern ihre spitzen Latexohren von den Köpfen kloppen. Aber
gerade deshalb gehört Muggel-Quidditch zu den schönsten Ausdrucksformen des
Nicht-Erwachsen-Sein-Wollens: Inzwischen sind wir zwar alle zu alt, um noch auf
unseren Brief aus Hogwarts zu warten, aber noch jung genug, um uns mit einem
Besen zwischen den Beinen dreckig und öffentlich zum Deppen zu machen.
Dementsprechend stößt die Idee im erweiterten Freundeskreis auf großen Anklang.
Nur ich habe die leise Befürchtung: Wenn ich irgendwas schlechter beherrsche
als Ballsportarten, dann sind es wohl Ballsportarten, die man einhändig auf
Besen aus dem Aldi-Sonderangebot spielt.

Aber immerhin habe ich Erfahrung, wie man Besen in
der schnöden Erwachsenenwelt benutzt. „Zum Fegen“, antworte ich also auf die
ungläubige Frage meines Mitbewohners. So ganz besänftigt ihn das nicht. „Aber was
machst du, wenn du die Häufchen zusammengekehrt hast?“, hakt er nach. Für ihn
sind offenbar schon Besen an sich irgendwie faszinierend, ganz ohne Magie. Das
ist fast eine noch schönere Form von Realitätsflucht als Quidditch.

Urinstinkte am Fenster

Der Frühling kommt – und mit ihm der Dreck. Doch auf Frühjahrsputz hat unsere Autorin mal so gar keine Lust. Bis sie ein Buch aus den 70ern findet: “Der moderne Haushalt” gibt Putztipps, die auch Sauberkeitsmuffeln gefallen dürften…

Frühling ist eine schöne Sache, hat aber einen Nachteil: Plötzlich ist da unglaublich viel Dreck in der Wohnung, der im düsteren Winterwetter so freundlich unsichtbar geblieben ist. Jetzt, wo es sich endlich wieder lohnt, aus dem Fenster zu schauen, sieht man vor lauter Schmutz nicht mehr durch. Sonnige Frühlingstage verbringt man deshalb mindestens bis Einbruch der Dunkelheit auf der anderen Seite der verschmierten Scheiben, ehe man auf die Idee kommt, die ersten Sonnenstrahlen zum Fensterputzen und Bücherabstauben zu nutzen.
Mir möchte jedoch das Schicksal etwas sagen, denn gleich auf meinem ersten Wohnungsputzfluchtspaziergang finde ich in einer „Zu Verschenken“-Kiste auf dem Gehsteig ein Buch: „Der moderne Haushalt“ aus dem Jahr 1976. Hier erfahre ich, dass der Frühjahrsputz eigentlich in meiner Natur liegen sollte: „Das ist anscheinend ein Urinstinkt, der in allen Frauen jedes Jahr von Neuem erwacht, mag man sonst vom Saubermachen halten, was man will!“, steht auf Seite 165. Mein Urinstinkt schweigt, ich kaufe mir lieber ein Eis und informiere mich weiter über den modernen Siebzigerjahre-Haushalt.
Vielleicht wäre das ja doch meine Zeit gewesen. Klar, die Frisuren sind gewöhnungsbedürftig und, ja, das Buch stellt alle Frauen, die neben dem Haushalt auch ein wenig Karriere machen wollen, als größenwahnsinnige, stark Burn-out-gefährdete Fast-Food-Junkies dar. Aber passend zum Sonnenuntergang kommt die Regel, dass Putzen am Abend wegen der schlechten Lichtverhältnisse gar keinen Sinn habe, sehr gelegen. Im Dunkeln ist der Dreck sowieso weg. Und bis ich wirklich mit dem Putzen beginne, lässt mir das Buch auch noch viel Zeit: „Warten Sie in Ruhe auf den Tag, an dem Ihnen Ihre innere Uhr sagt: Jetzt ist es wieder so weit“, erklärt es mir. Der Frühlingsputz hat also noch Zeit bis Weihnachten. Susanne Krause

Ein Banjo als Altersvorsorge

Jetzt schon an die Rente denken? Viel zu früh – aber vorstellen kann man es sich ja schon mal, wie man im Alter auf der Veranda sitzt und Banjo spielt

Wenig zu haben macht weniger Arbeit. Zumindest muss man sich dann keine Gedanken machen, ob man nicht langsam erwachsen genug sein könnte für Aktienfonds, Riester-Rente oder exotische Versicherungen abseits von Haftpflicht und Krankheitsschutz. Eine Hausratsversicherung etwa. Zwar beunruhigt es Anna ein wenig, dass, wenn sie sich ausschließt, der Hausmeister ihre Tür mit einer Drahtschlinge öffnen kann, die er durch den Briefkastenschlitz friemelt. Aber andererseits gibt es bei ihr sowieso nichts Wertvolles zu holen, um das man sich wirklich Sorgen machen müsste – geschweige denn, das es zu versichern lohnte.

Ähnlich absurd wirkt es, mit Mitte zwanzig über die Altersvorsorge nachzudenken. Was meine Pläne zur Rente betrifft, beschränken sie sich bisher darauf, mir zu überlegen, welches Instrument ich im Ruhestand lernen möchte. Vor Kurzem wurde das Akkordeon von dem Banjo abgelöst. Irgendwann sitze ich dann in einem Schaukelstuhl auf meiner Veranda, kaue auf Strohhalmen und zupfe an einem Banjo herum wie die alten Männer in Westernfilmen. 

Ich weiß, es ist noch ein bisschen hin bis zu meiner Rente. Trotzdem juckt es mich unheimlich in den Fingern, als in den Kleinanzeigen dieses Banjo auftaucht. Ein sehr schönes Banjo in einem schönen Banjo-Koffer. Zu einem nicht ganz so günstigen Banjo-Preis. Es geht mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf. Aber wenn ich genug Geld für das Banjo habe, müsste ich es dann nicht vernünftigerweise in Aktienfonds oder eine exotische Versicherung investieren? 

Am Abend klage ich Sören mein Leid, er kennt sich aus mit Aktienfonds und Geldanlage. Ein Banjo sei doch kein Neuwagen, erklärt er mir , das verliere nicht so schnell an Wert. Vielleicht könnte ich es irgendwann sogar mit Gewinn weiterverkaufen. Banjos als Wertanlage! Altersvorsorge kommt mir plötzlich ziemlich cool vor. Nur müsste – wenn ich mein WG-Zimmer in einen Banjo-Tresor umwandle – wahrscheinlich doch auch eine Hausratsversicherung her.

Susanne Krause

Frage der Perspektive

Klein sein hat auch Vorteile. Etwa, dass man nicht sieht, wie dreckig der Schirm der Deckenlampe eigentlich ist… 

Max ist groß. Er ist sogar so groß, dass er den Schirm meiner Deckenlampe von oben sieht. Ich selbst bin fast 35 Zentimeter kleiner. Ich bin so klein, dass mir noch nie in den Sinn gekommen ist, dass Deckenleuchten auch eine Oberseite haben. Bis heute, als Max mir eröffnet, dass auf dem Schirm der Küchenlampe eine dicke Fettschicht ist. 

Kleine Menschen werden gern belächelt, weil sie nicht an das oberste Regalbrett kommen, ohne dabei furchtbar albern auszusehen. Oder weil man Dinge über ihrem Kopf hochhalten kann, so dass sie nicht dran kommen und anfangen, beleidigt auf der Stelle zu hüpfen. Dabei hat klein zu sein bedeutende Vorteile: Wer klein ist und große Schränke hat, braucht keinen Keller. Ganz im Gegensatz zu Lampen ist mir bei Schränken schon länger bewusst, dass sie eine Oberseite haben. Dorthin werfe ich gerne Dinge, die ich nie wieder brauchen werde, aber nicht wegschmeißen will. Denn kaum bin ich von meinem Stuhl heruntergestiegen, sind sie auf ewig verschwunden. 

Perspektive ist eine faszinierende Sache. Heute jedoch fällt mir auf, dass ich bei der Sache mit der Perspektive ein wichtiges Detail vergessen habe: Nicht jeder Mensch hat meine Perspektive. Für Max ist die Ansammlung schmieriger und verstaubter Blumenübertöpfe auf meinem Küchenschrank gar nicht unsichtbar. 

Große Menschen sind schon arm dran: Sie stoßen sich nicht nur bei Burgbesichtigungen ständig den Kopf, sondern müssen ihren Ramsch in den Keller bringen und mit Dreck leben, der für uns platzsparend gewachsene Menschen gar nicht existent ist. Und auch wie vorbildlich sauber meine Hängeschränke von unten sind, wird Max wohl nie erfahren. Als ich ihn bitte, mir die Schere zu geben, die wenige Zentimeter vor ihm direkt unter dem Oberschrank von einem Haken baumelt, beginnt er stattdessen wie wild die ganze Küche abzusuchen. Zumindest dass Schränke auch eine Unterseite haben, kann man ab einer gewissen Größe offenbar ausblenden.

Susanne Krause

Lernen von Sokrates

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Den Geisteswissenschaften wirft man gerne vor, zu theorielastig zu sein. Dabei bringen sie einem viel übers Leben bei – etwa, dass verwirrtes Herumgeschlurfe einfach dazugehört.

Geisteswissenschaftliche Studiengänge haben den Ruf, man würde dabei nichts über das wahre Leben lernen. Mein Bruder nennt sie deshalb
gern Geisterwissenschaften. Von wegen: Sie sind überhaupt die einzigen
Studiengänge, die den demografischen Wandel unserer Gesellschaft erlebbar
machen.

Da wäre etwa Sokrates, der Seniorenstudent. Sein Alter
kennen wir genauso wenig wie seinen richtigen Namen. Sokrates spukt wie ein
Geist durch die Geisteswissenschaften. Er kommt stets zehn Minuten zu spät
gebückt in den Hörsaal geschlurft. Im Laufe der nächsten halben Stunde wechselt
er mindestens drei Mal den Platz und verlässt die Vorlesung dann, ehe sie
vorbei ist. Sokrates erinnert uns daran, dass verwirrtes Herumgeschlurfe kein
Phänomen ist, das allein Erstsemestern vorbehalten ist, sondern auch uns
irgendwann ereilen wird. Studenten technischer Fächer bleibt diese wichtige
Lektion bis ins hohe Alter verwehrt.

Nur ist das eigentlich eine Lektion, die man während des
Studiums so gar nicht auf dem Stundenplan haben möchte. Seniorenstudenten sind
deshalb nicht die beliebtesten Kommilitonen. Sie haben viel zu viel Zeit, um
alle guten Plätze zu besetzen, ehe man gerade noch pünktlich in den Saal
gehetzt kommt. Die Wartezeit nutzen sie dazu, sich abwegige Fragen auszudenken.
„Kann man Ente unter Vogel subsumieren?“, zum Beispiel. Judith und ich erinnern
uns noch sehr gut an dieses Rätsel aus dem ersten Semester.

Inzwischen hat Judith ihr Studium der Geisterwissenschaften
abgeschlossen und bewirbt sich für die Promotion. Währenddessen spukt sie an
der Uni herum. Wir hätten wohl nie gedacht, dass es so schnell gehen kann, aber
Judith ist schon mit Mitte zwanzig zur Seniorenstudentin geworden: Sie sitzt in
ihrer Freizeit auf einem der guten Plätze in einem Literaturseminar über
Menschenfresser und rollt fleißig mit den Augen, wann immer Studenten völlig
abwegige, zeitverschwendende Fragen stellen: Wann die Prüfung sei, zum
Beispiel. Wen interessiert gleich noch mal das wahre Leben?

Von Susanne Krause

Backe, backe Masterplatz

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Es klingt nach einem Masterplan: Wer wieder im Hotel Mama eincheckt, sollte genügend Zeit haben, um die Abschlussarbeit zu schreiben. Wenn da nur nicht der Backofen wäre… 

Ein Haus, das man nicht putzen muss, zudem Vollpension und Wäscheservice: Sich für die Abschlussarbeit wieder zu Hause einzuquartieren, klang für Leonie nach idealen Voraussetzungen für konzentriertes Schreiben. In ihrem Freundeskreis ist sie nicht die Erste, die für die Bachelorarbeit im Hotel Mama eincheckt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Es geht keine Zeit für Waschen, Putzen, Kochen und Einkaufen drauf. Noch dazu bietet die Einöde rund um Leonies Elternhaus wenig Möglichkeiten, sie von ihren sorgfältigen politischen Analysen abzuhalten. Soweit der Plan, legt Leonie mir dar. Jetzt muss sie nur noch anfangen zu schreiben.

Als wir uns das nächste Mal treffen, schenkt Leonie mir drei Kekse. Es sind nicht irgendwelche Kekse, es sind Kalligrafie-Kekse: Schneeflocken von perfekt gleichmäßiger Dicke, die mit einem komplizierten, exakt symmetrischen Muster aus weißem Guss und aufgeklebten Zuckerkügelchen überzogen sind. Natürlich sind es drei verschiedene Schneeflocken, wir wissen ja: Keine Schneeflocke gleicht der anderen. Sonst wäre Leonie wahrscheinlich auch zu schnell fertig geworden mit ihrem Prokrastinationsgebäck.

Es ist ein ungeschriebenes Gesetz: Hausarbeit scheint niemals so dringend zu sein wie dann, wenn man eigentlich fundierte wissenschaftliche Gedanken zu Papier bringen sollte. Die meisten Studenten verbringen dann den Großteil ihrer Zeit damit, Fenster zu putzen oder die Armaturen zu entkalken. Da Leonies Elternhaus weder genug verkalkte Hähne noch verschmierte Fenster hergibt, muss sie eben backen. Ziemlich dringend, natürlich – Politik muss warten, wenn der Spritzbeutel ruft! Leonies Fähigkeiten im Dekorieren von Gebäckstücken entwickeln sich sehr viel schneller weiter als das unliebsame Dokument auf ihrem Laptop.

Nur ihr schlechtes Gewissen kann in der Wachstumsrate gerade noch so mithalten. War da nicht eigentlich ein Masterplatz und eine Karriere, auf die sie hinarbeitet? Ich beruhige Leonie und verweise auf unseren gemeinsamen Plan B: ein Café eröffnen. Dafür bereitet sie sich gerade mustergültig vor. Und wenn sie weiter zu Hause wohnt, kann man davon irgendwann vielleicht sogar leben.

Von Susanne Krause