Zeichen der Freundschaft: Brieffreundinnen

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Auch wenn unsere Autorin Tür an Tür mit ihrer jüngeren Schwester wohnt, ist ihre Lieblingskommunikation nicht das Reden. Sie schicken sich am liebsten handgeschriebene Zettel und Briefe.

Sobald meine drei Jahre jüngere Schwester Hannah, alias
meine beste Freundin, und ich beide alt genug waren, um lesen und schreiben zu
können, haben wir begonnen uns gegenseitig Briefchen zu schreiben. Kurze Texte,
strotzend vor Rechtschreibfehlern. Geschrieben auf buntem Papier, ausgerissen
aus Diddlpapier-Blöcken, verziert mit selbstgemalten Bildchen. Irgendwann haben
wir dann, um diesen Briefverkehr zu vereinfachen, kleine Briefkästen gebastelt.
Alte Schuhkartons wurden ordentlich verschönert, mit unseren Namen versehen und
vor unsere Zimmertüren gestellt.

Auch wenn wir einfach nur aus unseren Zimmertüren hätten
treten müssen, um miteinander zu reden, war für uns dieser andere
Kommunikationsweg oft so viel spannender. Wir gaben uns die größte Mühe, immer
neue Geheimschriften für unsere Briefchen zu erfinden. Für Nachrichten, an
deren Inhalte neben uns natürlich sowieso niemand interessiert gewesen wäre.
(Dieser kindliche Gedanke einer unleserlichen Geheimschrift würde da in Zeiten
von Whatsapp und Datenklau schon wieder weitaus mehr Sinn machen, oder?) Auch
unsere Mutter nutzte damals manchmal unser Fake-Post-System, um uns eine Freude
zu machen. Kleine Botschaften wie „Essen ist fertig“ oder „Bitte Hasenstall
ausmisten“, wurden in unsere Briefkästen gesteckt. Und wir freuten uns riesig,
ernst genommene Adressaten von so wichtiger Post zu sein.

Bis heute haben wir beide uns diese Freude über handgeschriebene
Briefe bewahrt. Wir schreiben uns nicht nur ausnahmslos aus jedem Urlaub eine
Postkarte. Auch jedem Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk liegt zumindest ein
kleiner handgeschriebener Zettel bei. Und als ich mein Auslands-Studium in
Stockholm angetreten habe, hat mir meine Schwester drei selbstgeschriebene
„Open-When“-Briefe mit auf den Weg gegeben. Ganz besonders den
„Open-When-you-need-a-good-laugh“-Brief konnte ich in dieser aufregenden Zeit
ein paar Mal ziemlich gut gebrauchen.

Ganz klar liegt doch in so einem handgeschriebenen Brief so
viel mehr Persönliches und Einzigartiges als in jeder Whatsappnachricht.
Insbesondere natürlich, wenn er von einer Person versandt wurde, die dich so
viel besser kennt, als alle anderen.

Hier sollte noch erwähnt werden, dass meine Schwester und
ich uns mit der Charakterstärke unserer Handschriften übertrumpfen. Soll
heißen: Die Eine ist unleserlicher als die Andere. Schönschrift war mit Abstand
unserer beiden schlechtestes Fach in der Grundschule. Aber auch wegen dieser
mir so vertrauten Schrift freue ich mich über jeden Brief von meiner
Lieblings-Brieffreundin. Sie erinnert mich an Heimat und an ganz viele schöne
Momente. Und ich bin mir fast sicher, ich könnte die wunderschöne Sauklaue
meiner Schwester unter hundert anderen identifizieren.

Text: Amelie Völker

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Ängste zweier Romantiker

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Viele Freundschaften zerbrechen, sobald man nicht mehr gemeinsam zur Schule geht. Doch das ist nicht so bei unserer Autorin und ihrer Freundin Tanja. Die Gesprächsthemen bleiben trotz Distanz die selben: Ängste, Romantik, Träumerei.

„Das macht mir `ne verdammte Angst.“ Schweigen. Langgezogenes,
ehrliches Schweigen. Wir halten für einige Sekunden Blickkontakt, dann fällt
Paul betrunken durch die Tür in den Gang. Wir lachen. Paul ist sich trotz
seiner Trunkenheit bewusst, dass er gerade fehl am Platz ist. Mit einem
gelallten „Sorry Mädlz, ich geh schong“, verlässt er uns.

Es kommt mir so vor, als wäre kein Tag vergangen, seit dem wir
alle grinsend unsere Abiturzeugnisse in den Händen hielten. Genau wie zu
Oberstufen-Zeiten treffen wir uns an diesem Freitagabend zu Hause bei Jean und
plündern seinen heiß geliebten, aber nicht geizig behüteten Weinvorrat. Die
gleichen Freunde tanzen auf der Couch, dieselben übertreiben es ein wenig, noch
immer werden zu meinem Bedauern Vegetarier und Veganer belächelt und auch kommt
es erneut zu weinlastigen Gesprächen im Hausflur. Man tauscht Gedanken und
Ängste, Wünsche und andere Dinge aus, die man sonst lieber für sich behält.
Vielleicht sind die Gespräche heute ein wenig erwachsener, jetzt, da wir alle
über ganz Deutschland verstreut leben. Ich blicke der frisch gebackenen
Passauerin, die mir gegenüber steht, in ihre kleinen braunen Augen. Ein Gefühl
von Heimat macht sich bemerkbar.

Kennengelernt haben Tanja und ich uns zu Schulzeiten. Man hielt
lange Zeit Distanz, bis sich die Wege im Bio-Kurs kreuzten, man pubertäre
Vorurteile überwinden konnte und zwischen Klausurenphasen und Weinabenden zueinander
fand. Es folgten geschwänzte Bio-Stunden, anstatt Bio-Lern-Stress, dann
biologischer Hormon-Gefühls-Stress. Bei Kaffee und Bagels erzählten wir uns
Woche für Woche von momentanen Jugendsorgen. Tanja lehrte mich wie niemand
sonst, dass es gar nicht so schlimm ist, hin und wieder voll und ganz Mädchen
zu sein. Sie zeigte mir, dass Liebesgedichte eigentlich ganz nett sind und dass
Romantik nicht zwingend Kitsch bedeutet. Doch in allererster Linie machte mir
Tanja bewusst, was Schwäche zeigen bedeutet. Und wie es ist Ängste zuzulassen.
Nämlich stark zu sein. Ehrlich.

Wir stehen zu zweit im uns so vertrauten Hausflur und nippen
wortlos an unseren Weingläsern. Noch einmal: „Das macht mir wirklich `ne verdammte Angst.“ Sie
nickt. Verständnis. Wir beide wollten aus der Enge unserer Kleinstadt raus.
Wollten fliehen, wollten weit weg laufen, die Augen öffnen, atmen. Die frische
Luft tut verdammt gut, doch wir hüten uns vor zu schnellem Laufen. Wenn man zu
schnell fort sprintet, nichts mehr als raus will, vergessen will, dann bekommt
man manchmal Reizhusten auf halber Strecke. Dann muss man pausieren.

Also pausieren wir an diesem Freitagabend. Wir sprechen über neue
Städte, neue Menschen und neue Herausforderungen. Träumen von Spanien und
Indien, von einem Café am Rande der Welt und von Grapefruits zum Frühstück.
Sprechen von Karrierefrauen und Großfamilien in zwanzig Jahren, WG-Partys und
Isar-Bier. Über viele Veränderungen. Erneut platzt jemand zur Tür herein. Wir
beide müssen grinsen. Ganz gleich, was noch auf uns zu kommen wird, manche
Dinge werden sich wohl nie ändern: Dieselben Freunde tanzen auf der Couch,
immer noch Gespräche über Ängste und Romantik im Hausflur, die immer gleichen
lallenden durch die Tür herein Fallenden. Darauf ist Verlass.

Text: Anastasia Trenkler

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Dancing Queens

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Jede Freundschaft ist
einzigartig – so auch die zwischen unserer Autorin und ihrer Freundin Tamara. Echte
Freundschaft ist es aber erst, wenn man sich blind vertraut und der Freundin
den Freund überlässt.

Auf der Tanzfläche bewegen sich die Pärchen langsam über das
Parkett. Sie tanzen eng umschlungen eine Rumba. Zu „Something stupid“ von
Robbie Williams und Nicole Kidman.  Einige
Paare schauen sich dabei verliebt in die Augen. Und küssen sich. Doch Flo und ich
nicht. Flo schaut nicht mich an, sondern zu Tamara.

Kennengelernt habe ich Tamara vor fünf Jahren bei einem Fortgeschrittenentanzkurs. Der Anfängertanzkurs hatte mir so gut gefallen, dass
ich weitertanzte. Discofox, Samba, Langsamer Walzer, Cha Cha Cha. Das Können
zeigen die Tänzer immer im Frühling und Winter auf Bällen. Familien, Freunde,
Tanzlehrer. Alle sind da. In Abendgarderobe.

Besonders schön: Mit einem Date auf dem Ball zu sein. Das
hatte ich immer – ob nun Freundin oder Tanzpartner, das war egal. Hauptsache
Tanzen. Ball ist das Schönste am Tanzen. Am Tag des Balles ging es schon
nachmittags los: Ich zog aus meinem Kleiderschrank die Kleider hervor: lieber
das dunkelblaue bodenlange Kleid, das mittelblaue, knielange Kleid, das sich
beim Drehen so schön aufbauschte, oder doch das schlichte, korallenrote Kleid? Im
Bad suchte ich nach einem passenden Nagellack und Make-up. Vor dem Spiegel betrachtete ich meine Haare: glätten oder locken? Die Schuhe? Das geringste
Problem: Tanzschuhe – eine langfristige Anschaffung. Schwarze High Heels mit
ganz vielen Riemen und mindestens fünf Zentimeter Absatz.

Als mein Tanzpartner im Bronzekurs aufhörte, vermittelte Tamara
mir einen Kumpel von sich. Meinen Lieblingssport musste ich also nicht
aufgeben. Aber fast meinen Traum vom Ball. Mein Tanzpartner hatte keine Lust
auf Ball. Rettung nahte: Die herzensgute Tamara bot mir an, zu dritt auf den
Ball zu gehen: Ihr Freund Flo, sie und ich. Am Anfang war ich skeptisch – Pärchen
mit Anhängsel. Doch meine Bedenken waren unbegründet. Mal tanzte ich mit Flo,
mal Tamara. Da sie so viele Leute kennt, schwang sie auch oft mit anderen
Freunden das Tanzbein. So kam ich viel zum Tanzen. Und zwischendrin machten wir
Dutzende Selfies.

Diese selbstlose Tat, sich ihren Freund auf dem Ball mit mir
zu teilen, macht nicht jede Freundin. Doch Tamara tut alles für ihre Freunde. Für
mich seit Jahren auf den Bällen, auch wenn sie dabei Opfer bringen muss: zum
romantischsten Lied des Abends tanzt sie nicht mit ihrem Liebsten, sondern
schiebt mich vor. Sie hat ja jede Woche Tanzkurs – ich nicht, seit ich im
Ausland war. Wiege, langer Schritt, Drehung. Mein mittelblaues Kleid bauscht
sich auf. „You have the time to spend an evening with me“, kommt es aus den Lautsprechern. Und
ich sehe zufrieden zu Tamara herüber, den Dank sieht sie auf meinem
Gesicht: Ein Lachen. Dank ihr ist der Abend für mich pures Glück und Freiheit.
So fühlt sich Tanzen an.

Text: Lena Schnelle

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Glitzerregen

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Glitzer ist nicht nur ein verbindendes Element zwischen unserer Autorin und ihrer Freundin Juli, sondern auch ein ganz besonders sympathischer, wirksamer Kommunikator. Ach ja 

und außerdem einfach überall.

“Ich stehe mit beiden Beinen fest im Glitzer”, steht auf dem Jutebeutel den ich von Juli zum Geburtstag geschenkt bekam. Und wenn Juli mit ihren in Ankersocken gekleideten Füßen auf einem Häufchen Konfetti-Glitzer in meinem Zimmer steht und mit unserem extra dafür angeschafften Schminkpinsel Glitzer in ihrem Gesicht verteilt, während wir Rotwein nippend die Atomic Café Playlist auf Spotify durchhören und mitgrölen, dann scheint es fast so, als wäre mein Jutebeutel ein für uns angefertigtes Unikat.

Was für andere ein lustiges Partygadget ist, ist für uns die dritte beste Freundin, die uns überall hin begleitet: Das besonders auffällig im Badezimmer drapierte Schächtelchen, in dem sich Glitzer in allen Farben dieser Welt finden lässt. Oder auch unser Restkontakt in die Außenwelt, wenn wir in unserem eigenen Kosmos verschwinden. Denn Glitzer verbindet, sodass wir auf jedem Konzert und auf jeder Party eine kleine Menge Menschen um uns versammeln, die von unserem freudebringenden Staub abhaben wollen. Und den teilen wir gerne und in rauen Mengen! Mal mit unseren Mitmenschen oder eben dann eher unfreiwillig an anderen Orten dieser Welt – in Julis großem Bett zum Beispiel, wenn wir nach einer durchtanzten Nacht mit einer Fertigpizza zwischen uns einschlummern. Oder in unseren Haaren: Dort verfängt sich das Glitzer meist besonders hartnäckig. Genauso wie in den Rillen des Holzbodens, auf unserer Kleidung oder auf dem Schreibblock, so dass das Glitzer selbst aus einer Vorlesung am Montagmorgen meine eigene kleine Party macht.

Im letzten Winter kamen wir dann auf die grandiose Idee, eine WG zu gründen. Noch bevor wir nach Wohnungen Ausschau hielten, kaufte Juli Bronze-Pulver im Baumarkt, mit dem wir unseren zukünftigen Esstisch bearbeiten könnten. Die Wohnung allerdings blieb uns bis heute verwehrt, doch Glitzer bleibt für uns einzigartige Kommunikation – kreuzt Juli in ihren Glitzerleggins bei mir auf, weiß ich direkt, dass ich heute nicht allzu früh ins Bett kommen werde.

Hey Juli, alles Gute zu deinem Geburtstag! Ich freue mich darauf, bei Kraftklub eine Menge Glitzer in dein hübsches Gesicht und in die Menschenmenge zu werfen und danach für dich staubzusaugen.

Text: Jana Haberkern

Zeichen der Freundschaft: Brennende Reifen

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Neue Freunde den bereits vorhandenen vorstellen, ist wie den Gangsterboyfriend zum ersten Mal mit nach Hause zu bringen: äußerst delikat. Bei unserer Autorin hinterlassen diese Beschnupperungen allerdings vor allem das ein oder andere Schmunzeln.

Ein ausgewogenes Kopfschütteln
bringt die roten Locken zum Schwingen. „Du willst mir doch jetzt nicht
erzählen, dass eine Reportage jemals wirklich objektiv sein könnte?!“ Augenrollen.
„Doch klar, eine richtig gut gemachte Reportage kann das!“. Kopfschütteln.
„Aber anhand der Quellen und der Perspektiven, die du auswählst, triffst du
doch immer eine subjektive Entscheidung! Also ich glaub da nicht daran!“. Freitagabend,
22 Uhr. In einer schummrigen Bar in Schwabing läuft bei dröhnender Musik eine
offensichtlich recht kontroverse Debatte zu den Grenzen journalistischer
Leistung. Die Hände in die Hüften gestützt lege ich den Kopf schief und beäuge
die Diskutanten. Eine Freundin neigt mir den Kopf zu, ein großes Schmunzeln auf
den Lippen: „Hat der  Stella eigentlich
schon jemand erklärt, dass der Consti einfach nur gerne diskutiert, um zu
diskutieren?“ „Ich glaube nicht“, sage ich, grinse und überlege, die Situation
aufzulösen.

Nun ist es so: in den vergangenen
vier Jahren hatte ich das Glück, viele großartige Freundschaften zu schließen –
ob an der Uni im In- und Ausland oder auf Reisen. Doch gleichwohl, wer in
dieser Zeit in mein Leben trat, aus München oder dort zu Besuch, es gab stets
ein Ritual. Das Kennenlernen meines besten Freundes gehört zu den obligatorischen
Terminen und kommt zuweilen einem Sprung durch den brennenden Reifen gleich –
aber nur auf den ersten Blick. Denn eigentlich diskutiert er eben gern, so um
der Diskussion willen. Etwaige Kontroversen sind dabei oft nur gespielt und sollen
den Anderen einfach ein bisschen aus der Reserve locken.

Stella, eine Freundin aus meiner
Erasmuszeit in Frankreich, ist also ganz neu in der Stadt und mit dem
ehrenwerten Ziel gekommen, eine gute Journalistin zu werden. Constantin dagegen,
nun ja, fungiert in erster Linie als mein bester Freund, und von allen engen
Freundschaften, die ich pflege, währt diese nun bereits am längsten.

Wir kennen uns seit Schulzeiten
aus der Theatergruppe. Ich stand als Hera, als Nanette oder zuletzt als
Gretchen auf der Bühne, er kümmerte sich hinterm FOH um die  Technik. Richtig eng wurden wir während
unserer ehrenamtlichen Arbeit für das örtliche Jugendbürgerhaus, wo wir als
hauptverantwortliche Organisatoren einem kleinen Musikfestival Tag und Nacht
Schweiß und Herzblut widmeten. Und obwohl es gemeinhin heißt, der Consti habe
einen Musikgeschmack wie ein Eimer,  entstand in diesen sieben sehr stressigen
Jahren eine ganz wunderbare Freundschaft.

Trotz der gemeinsamen Homebase
München, vergehen allerdings oft Wochen, bis man sich wieder trifft. Ganz
normal, denn Consti ist sehr geschäftig und sehr engagiert, ob als Vorstand der Studentenvertretung oder damals als Cheftechniker eines Münchner Technoclubs.
Müsste ich ihn mit zwei Worten beschreiben, werde ich ganz nüchtern, fast schon
fad. Denn mein bester Freund ist vor allem: integer und kompetent. Da
ist es also kein Wunder, dass alle ein kleines Stückchen abhaben möchten. Das
ist okay, denn in den wirklich wichtigen Momenten kann man sich auf ihn
verlassen. Er verreist mit dir und deinem Freund nach Südostasien, ohne dabei
das berüchtigte dritte Rad zu werden. Er lacht mit dir, nachdem du im Pub auch
das zweite Bier in Folge prompt nach dem Einschenken umgeworfen hast. Wenn du
dich als hilflosen weiblichen Single inszenierst, erklärt er dir, wie man eine
Vorhangstange anbohrt. Und bist du eben erst zu jenem Single geworden, macht er
dir Liebeskummer-krankem Ding spontan Semmelknödel.

Neulich hat sich meine WG neu
formiert, ein weiterer guter Freund ist neben Stella mit eingezogen und hat seine
Geburtstagsfeier geplant. „Kann ich auch meinen besten Freund einladen? Kennst
du den eigentlich schon?“, frage ich. „Ist das der Große mit dem roten
Lockenschopf?“ Stella und ich müssen lachen. Ja genau, das ist er.

Text: Yvonne Gross

Foto: Yunnus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Brunch-Babes

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So manche Freundschaft lebt gerade von ihren Ritualen. Unsere Autorin zelebriert regelmäßig Brunch-Dates mit einer alten Freundin und muss feststellen: der schönste Tratsch und hilfreiches Therapiegespräch liegen oft ganz nah beieinander.

Verführerischer Café-Duft liegt in der Luft. „Love“ steht in
geschnörkelten Buchstaben auf der hübschen Cappuccinotasse in meiner Hand. Eine
ganz bestimmte Liebe teile ich auch mit der Person, die mir mit einem extra
großen Latte Macchiato gegenüber sitzt: Meine gute Freundin Laura,
Ringellocken, lieb und verrückt zugleich. Sie und ich sind ganz vernarrt in
Brunch. Am liebsten Sonntags. Und bitte nicht vor elf. Denn wie heißt es doch
so schön: „Brunch is breakfast without an alarm clock.“

Laura und ich kennen uns schon seit der fünften Klasse. Wir
haben die wilden Teenager-Jahre und 16er-Club-Zeiten zusammen durchlebt. Sie
ist eine der Freundinnen, die nicht nur nach dem Abitur geblieben, sondern wo
die Verbindung in den Jahren nach der Schulzeit sogar noch fester geworden ist.
Zwar haben wir inzwischen verschiedene Studiengänge und sogar zeitweise
unterschiedliche Städte als Wohnort gewählt. Ihr Name befindet sich jedoch stets
unter denen ganz oben in meiner Whatsapp-Chat-Liste.

Zu Avocadobrot, Rühreiern und Lachs, wird bei unseren fast
wöchentlichen Brunch-Dates zunächst der wichtigste Gossip und aktuellste
Tratsch verkündet. In einer Woche kann ja bekannterweise unheimlich viel
Spannendes passieren. Laura weiß zu meiner sich wiederholenden Verblüffung
meist eh viel früher als jeder andere im Freundeskreis Bescheid, wenn sich dort
etwas Neues getan hat. Sie hat so eine Art, bei der man sich ihr einfach
anvertrauen muss. Mich nicht ausgeschlossen.

Bei Obstsalat und Bircher-Müsli kommen bei uns aber nach
einigem Smalltalk auch oft die Big Talks auf den Frühstückstisch: So manche
Trennung, oder die kleinere bis größere Lebenskrise haben wir bei unseren
Brunch-Dates schon gegenseitig therapiert. Unsere aktuellsten Topthemen: Lohnt
sich das Masterstudium: ja oder nein? Wie überlebe ich im Münchner
Wohnungsmarkt? Und: Wieso ist da plötzlich ein Kater nach einer Partynacht, wo
früher keiner war?

Meist reichen unsere Gespräche weit über den eigentlichen
Brunch hinaus. Über leeren Tassen, in denen schon die Café-Reste zu trocknen
beginnen und gehäuften Eier-Schalen wird jedoch fleißig weiter diskutiert und
ein flotter Themenwechsel folgt dem nächsten. Oft habe ich dann das Gefühl, ich
könnte ewig da so sitzen bleiben. Satt und glücklich mit diesem warmen
Sonntagsgefühl. Und mit einer meiner Lieblings-Gesprächspartnerinnen.

Text: Amelie Völker

Foto: Yunnus
Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Sandburgen

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Man wird älter, ist als junger Erwachsener oft nicht mehr der Mensch, der man als Jugendlicher war. Schön, wenn bei allen Veränderungen Freundschaften bestehen bleiben und man sich auch nach Jahren immer noch vertraut in den Arm nehmen kann.

Als Franzi und ich uns kennenlernten, da sahen
wir noch ganz anders aus. Ihre lockigen engelsblonden Haare wuchsen zwar schon
damals unverkennbar über ihrem verschmitzt lachenden Gesicht, doch das war es
auch fast schon. Unterhalten konnten wir uns bei unserem Kennenlernen noch
nicht. Oder laufen. Oder vielleicht noch nicht einmal wirklich denken konnten
wir.

Irgendwann zwischen den ersten
eigenen Sandburgen und der Vorschule sind Franzi und ich uns das erste Mal über
den Weg gelaufen – Pardon: gekrabbelt. Wir waren sofort unzertrennlich, wie
meine Eltern mir das heute erzählen. Sei es, weil wir uns gegen unsere
Geschwister verbündeten oder weil ein Berg Halloween-Süßigkeiten gemeinsam
immer noch viel besser schmeckte. Später feierten wir unsere ersten Partys
während des Frankreichaustauschs. Trösteten uns über Liebeskummer hinweg. Wir
verschwörten uns gemeinsam gegen verhasste Geschichtslehrer, jeder auf seine
eigene Art und Weise. Franzi, die allzeit überlegene Intelligenz und ich, der
Störenfried aus der letzten Reihe.

Ich weiß nicht wie es wäre,
würden Franzi und ich uns heute neu kennenlernen. Aber das brauchen wir ja zum
Glück nicht mehr zu tun. Als sie nach gefühlt jahrzehntelanger Abstinenz aus
Seattle zurück in unsere Schule kam, fiel ich ihr in die Arme. Mir fiel auf,
dass mich wohl kein Mensch je so kennen wird, wie Franzi es tut. Sie war mit
ihrer unglaublich offenen und vertrauenswürdigen Art immer dabei, als aus einem
verträumten Kind ein selbstkritischer Teenager und später wieder ein
verträumtes Kind wurde. Franzi ist einer der einfühlsamsten und
gewissenhaftesten Menschen die ich kenne. Und sie besitzt die wunderbare
Fähigkeit, von Menschen und Orten zu erzählen, als wären sie direkt hier im
Raum. Ich könnte ihr nächtelang zuhören.

Dass wir einmal recht
unterschiedliche Wege gehen würden, war uns beiden noch nicht klar, als wir
gemeinsam Sandburgen bauten oder im Skikurs darum stritten, wer denn jetzt als
erstes hinter dem Skilehrer herfahren durfte. Dass wir noch so lange Zeit ehrlich
und aufrichtig befreundet bleiben würden wohl auch nicht. Wie anders die Welt
damals noch wirkte!

Inzwischen studiert Franzi Medizin,
sie hat in Chile monatelang in einem Krankenhaus gearbeitet. Sie weiß wohl genau
was sie will, war schon immer die deutlich zielstrebigere von uns beiden. Und
schafft diese ganzen Aufgaben mit einer Leichtigkeit, die mir in der Uni schon
bei der Immatrikulation abhandenkommt. Das ein oder andere Mal musste sie mir
durchaus schon in den Arsch treten, sonst hätte ich mein Abi und alles weitere
vielleicht nicht so gut in den Griff bekommen können. Es gab dann Momente in
denen ich das Gefühl hatte, dass unsere Freundschaft auseinanderfallen könnte.
Wie vom Meer überspülte Sandburgen.

Die Kinder von damals sind wir
schon lange nicht mehr. Unsere Sandburgen haben wir zerfallen lassen, unsere
Freundschaft ist mit uns gewachsen. Auch wenn oder eben weil zwei sehr unterschiedliche Menschen aus uns geworden sind. Franzi kann meine
Entscheidungen nachvollziehen, weil Sie genau weiß was seit jenen ersten
Sandburgen in meinem Leben passiert ist. Allein dadurch geben wir uns unheimlich
viel Halt.

Letztens lagen wir uns dann
wieder vor lauter Freudentaumel in den Armen. Als Emmanuel Macron zum
Präsidenten Frankreichs gewählt wurde und klar war, dass unser beider
Heimatland nicht von einer rechtsextremen Verschwörungstheoretikerin regiert
werden würde. Es wurde ein Abend, an dem auf alles angestoßen wurde: auf
Politik, auf die Zukunft, auf Europa, auf lang vergessene Wegbegleiter und auf eine
weiterhin so schöne Freundschaft. Zusammen können wir auch heute noch ein
bisschen die Kinder sein, als die wir uns kennengelernt haben.

Franzi, vielleicht sollten wir öfter zusammen ein paar Sandburgen bauen.


Text: Louis Seibert


Foto:
Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Rampenbier

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Bier, Theater und Zusammenleben und Zusammenarbeit – unsere Autorin berichtet von einem der tollsten Jahren ihrer Jugend.

Wir laufen die Rampe entlang, dann durch den langen Gang,
betoniert sind der Boden genauso wie die Wände und die Decke. Man hört schon
von hier den Wumps der Musik im Obergeschoss. Jemand Fremdem könnte man an
dieser Stelle niemals ernsthaft verklickern, dass wir gerade auf dem Weg ins
Theater sind. Viel zu sehr lässt die Atmosphäre auf eine Untergrund-Techno
Party schließen. Durch die schwere Türe werden wir die schmale Treppe hoch in
die bunten, provisorisch eingerichteten Räumlichkeiten unseres kleinen Theaters
geführt. Im riesig großen Proberaum ist das Licht aus und die Musik laut. An
jedem Möbelstück, auf jedem Schreibtisch, in der Einrichtung jedes einzelnen Raums
erkennt man den hier herrschenden, niemals endenden Arbeitsprozess. Jetzt sind
wir da. Und unsere Einflüsse haben direkten Einfluss auf die Arbeit an diesem
besonderen Theater.

Auf der Rampe sitzend denken wir nun – wenn wir alle wieder
gemeinsam für ein Projekt zusammen kommen –  an diese wunderbare Zeit,
wenn wir wieder einmal bis tief in den Abend hinein gearbeitet hatten, jemand
in weiser Voraussicht schon einmal eine Menge Bier gekauft hatte, und unsere
Energie noch stundenlang nicht nachlassen wollte. Aufgedreht von diesem Zauber
tanzten wir bis in die Morgenstunden in unserem Proberaum. Ich habe noch nie so
viel Gefühl gespürt wie in diesem Jahr, mit Euch. Diese Zeit gehört uns.

Als wir vor drei Jahren das erste Mal an dieser Rampe
ankamen, uns alle fremd waren, und ein Jahr dort miteinander verbringen
sollten, einte uns die unstillbare Lust, Theater zu machen, etwas zu bewegen.
Zu lange hatten wir auf der Schulbank stillgesessen, Matheformeln auswendig
gelernt und von einem Leben, frei mit der Kunst, geträumt. Plötzlich stießen
wir dort, vorerst unscheinbar, auf der Rampe auf Gleichgesinnte. Ein reger
Austausch begann, Freundschaften entstanden, wir als Team wurden zu einer
unschlagbaren Gemeinschaft. Es begann ein Jahr voll mit so vielen Eindrücken,
dass die Zeit nicht zum Verarbeiten reichte, ein einziger monatelang
anhaltender Rauschzustand. Wir verliebten uns ineinander, wir stritten uns
miteinander, wir wohnten zusammen, wir standen gemeinsam auf der Bühne und
leiteten Kindergruppen an. Das Rampen-Bier wurde zu einer festen Instanz unseres
Alltages, zwischen Schülergruppen und Schauspieltraining. Die Rampe war der
Aufgang des Theaters, für uns der Treffpunkt nach Feierabend, wenn wir die Aura
des Theaters noch nicht verlassen wollten. Auf der Rampe entwickelten wir
unsere Ideen gemeinsam weiter und lernten die Songtexte von Miley Cyrus’
Wrecking Ball und Lafees Virus auswendig. Wir schmiedeten Pläne für
Zusammenarbeiten nach unserem gemeinsamen Jahr, alle bereits in dem Wissen, dass
wir danach wieder sehr weit voneinander entfernt wohnen
würden.

In der Zwischenzeit – in den zwei Jahren seitdem unser Jahr
vorüber war– ist das Theater in ein Haus umgezogen. Unser Bunker von damals
ist für uns nicht mehr betretbar. Mit unserem Dosenbier sitzen wir deshalb
abends auf der Rampe und blättern wie in einem Fotoalbum durch unsere
gemeinsamen Erlebnisse – jemand erzählt von dem Abend, als wir “Die 5 Entdecker”
gründeten, mit einem Stapel “Cards against humanity” durch die Stadt liefen und
die Plakate zur Landtagswahl verschönerten, die CDU Plakate in Frischhaltefolie
wickelten und mit  „Ideen von gestern
frisch halten“ beschrifteten. Wie wir ins Freibad einbrachen und nackt durch
den Regen tanzten. Insider-Sprüche prasseln auf uns ein. „Krautsalat, du
Fotze!“, der wohl bekannteste, als ich Krautsalat aß und der Junge mit dem
Sprachfehler mir erklärte, wie das meine Verdauung beeinflusst. „Krautsalat? Du
furzen!“ sagte er. Ich war entsetzt: „Hast du gerade Krautsalat, du Fotze zu
mir gesagt?“. Oder als wir zu zehnt in einer Wohnung schliefen, an einem Tag
alle unsere Wäsche wuschen und im Wohnzimmer aufhängten. Am nächsten Morgen war
die Luftfeuchtigkeit im Zimmer ins Unermessliche gestiegen und unsere Kleidung
noch pitschnass. Wir steckten sie in die Mikrowelle, das war keine besonders
gute Idee. Der Abend als wir in der Stripperlounge, so war eine unserer WGs
benannt, völlig bekifft im Wohnzimmer rumlungerten und auf die Frage der
Anderen, was denn los sei antworteten: „Wir wollen nicht, dass ihr merkt, dass
wir bekifft sind.“  

Das Jahr war anstrengend, wir arbeiteten viel und steckten
all unsere Energie in die Projekte. Wir hatten kaum mal ein Wochenende frei,
erst Recht keine Zeit einem anderen Hobby nachzugehen. Trotzdem rauschen vor
unserem inneren Auge die ausgelassenen Momente vorbei. Die Premierenfeier mit
Sahneschlacht, Übernachtungsparties im Proberaum, Geburtstagsfeiern,
Inszenierungsideen, die Momente, wenn wir feststellten, dass wir ganz besondere
Menschen getroffen hatten, hier, an diesem Theater, auf dieser Rampe. Die
Geschichten nehmen kein Ende, genauso wie die Nächte an der Rampe, wenn wir
beieinander sind. 

Text: Jana Haberkern

Foto:
Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Logik, Wein und Utopie

Einen Weinkenner im Freundeskreis zu haben, das ist eine klasse Sache. Wenn dieser Freund auch noch Menschenkenner ist, dann umso besser. Unsere Autorin erzählt über Hass-Liebe-Freundschaften und logische Lösungsansätze für Utopien.

Irgendwann um fünf Uhr morgens fahren wir rechts ran.
„Herzerle, wir sind da. Gehört der Bub‘ da zu dir?“ Ich sprinte bis nach vorne
zum Fahrersitz. „Na Gott sei Dank“, rufe ich erleichtert und bedanke mich bei
meinen Busfahrern für die Fahrt. Nach meinem Fauxpas an der kroatischen
Grenze, einem sechzehn stündigen Aufenthalt in Slowenien und der endgültigen Heimfahrt
zurück nach Bayern, stehe ich nun in Hippie-Hose, ungeschminkt an einer
Raststätte kurz vor Rosenheim. Jean nimmt mich in den Arm, drückt mir einen
großen Cappuccino mit Sojamilch in die Hand, lässt sich vom Busfahrer meinen
Koffer überreichen und wir steigen zusammen ins Auto.

„Nun ja, nicht die beste Reise deines Lebens Anastasia. Aber
hey, du kannst eine gute Geschichte mehr erzählen“, scherzt Jean. “Ganz ehrlich? Ich glaube, dass es irgendeinen Grund gibt, weshalb das schief ging. Das wäre sonst einfach nur unlogisch.” Ich muss ihm Recht geben. Auch wenn ich mich selbst nicht auf Logik berufen will, eine gute Geschichte ist es auf jeden Fall. Und mit Sicherheit gibt es einen Grund für meinen gescheiterten Kroatien-Trip. Dennoch bin ich gerade zu müde, um darüber nachzudenken weshalb ich gerade einen halben Tag in einem schäbigen, slowenischen Motel verbringen musste. „Du hast Recht“, sage
ich, „auf eine Woche Partyurlaub hatte ich sowieso wenig Lust. Wie wäre es
stattdessen mit ‘nem Weinabend kommende Woche?“

Gesagt, getan. Der Begriff „Weinabend“, klingt in vielen
Ohren nach Alte-Leute-Spaß, nach etwas, das meinen Eltern gut gefallen könnte.
Allerdings steckt dahinter gar nicht so viel mehr, als Grillen mit Freunden und
eben viel guter Wein. Damit kennt sich Jean nämlich aus. Er würde niemals
irgendeinen Billig-Fussel trinken. Wir beide bevorzugen Rotwein. Trocken,
versteht sich. Diese Abende enden jedes Mal sehr ähnlich: Hitzige Diskussionen
über Politik und Tierhaltung, gespickt mit den immer gleichen und dennoch
lustigen Anekdoten aus der gemeinsamen Oberstufenzeit.

Wie diese Hass-Liebe-Freundschaft zwischen Jean und mir
begonnen hat, das wissen wir beide auch nicht mehr so genau. Auch sonst niemand aus dem Freundeskreis, noch nicht einmal seine Freundin Lotte, meine
Kippen-Kaffee-Kränzchen-Partnerin, kann sich daran erinnern oder sich diese Freundschaft erklären. Witzes halber behaupten
wir oft, uns gar nicht zu mögen. Schließlich gehen wir uns eh ständig auf die
Nerven und mit unseren Albernheiten auch vielen anderen Leuten.

Desto später der Abend, desto müder die Gäste. Lotte
verabschiedet sich mit einem Kuss von ihrem Freund und ich nehme sie noch einmal
fest in den Arm. Schließlich bleiben nur noch Jean und ich tapfer sitzen und
trinken ein letztes Glas Rotwein. Während ich von meiner Vorstellung einer
utopisch-guten, sozialien Welt erzähle, er über meine Naivität lachend
den Kopf schüttelt und wir beide uns fragen, wo wir und unsere Freunde in etwa
zwanzig Jahren stehen, fällt mir mal wieder auf, wie gut er mich kennt. Ich
erzähle nie zu viel, zumindest nicht, wenn’s um die wichtigen Dinge geht. Ich
bin kein offenes Buch und manchmal gar nicht so leicht zu ertragen. Allerdings ist Jean nicht nur Wein- sondern auch Menschenkenner. Ich brauche nie viel zu reden,
er versteht mich auch so. Jean weiß immer den einzig logischen Weg, der mich zu den Antworten auf meine Fragen führt. Weil ich aber kein großer Freund von Logik bin, vertraue ich viel lieber auf seine Fähigkeiten als Weinkenner. Das kann manchmal ebenso gut helfen wie logisches Denken und erschafft zusätzlich bunte Utopie-Bilder in unseren Köpfen.

Text: Anastasia Trenkler

Foto:
Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Tonaufnahme läuft

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Das stressige, echte Leben kann man sich auch einfacher gestalten. Anstatt ihre Zeit mit anstrengender Terminsuche zu vergeuden, nutzen unsere Autorin und ihre Freundin die Möglichkeiten sozialer Netzwerke und besprechen alles in ellenlangen Sprachmemos.

Lisa ist 1994 und ich bin 1995 geboren. Wir sind die Schlusslichter der Generation Y und gehören der Kategorie Millennials an. Wir haben uns immer richtig viel zu erzählen und erledigen das mit unseren iPhones. Wir facetimen nicht, wir schicken uns Sprachnachrichten. Während andere Menschen sich den ganzen Tag über verzweifelt versuchen anzurufen, die gegenseitigen Anrufe immer wieder verpassen und zum Schluss gar nicht miteinander kommunizieren, oder sich die Finger wund tippen in displaylangen Nachrichten über ihr aktuelles Befinden, wählen Lisa und ich den für uns einfachsten Weg
und sagen uns alles was wir uns zu sagen haben immer genau dann wann wir eben Zeit haben.

Lisa ist die Konstante in meinem Leben, wir haben zusammen studiert, zusammen das Studium abgebrochen, sind zusammen aus München weggezogen, haben zusammen gewohnt, sind das fünfte Mitglied unserer jeweiligen Familien und uns gegenseitig Familie.Keiner gibt so brauchbare Tipps wie Lisa. Wenn andere versuchen, einem glaubhaft zu machen, dass man ja gar kein Problem hat, fordert Lisa einen dazu auf, es eben anders zu machen, wenn man es auf diese Weise problematisch findet. Lisa ist am Boden, sie ist realistisch und sie kennt mich gut genug, um einschätzen zu können, wenn ich mich wieder einmal mit unrealistischen Erwartungen und einer viel zu großen Naivität in die Dinge stürze. Deshalb sind Gespräche mit Lisa eine wunderbar bereichernde Form von Selbstreflektion, Therapie und Stressbewältigung.

Das Sprachnachrichten schicken ist für uns, seitdem wir das Studium abgebrochen und in die weite Welt gezogen, wieder zurück gekommen und wieder los gezogen sind, eine Konstante geblieben. Ich zelebriere das Anhören von Lisas Sprachnachricht geradezu. Da Lisa morgens viel früher aufsteht als ich, habe ich meistens beim Aufwachen bereits eine Nachricht, so zwischen zehn und fünfzehn Minuten lang, die ich mir während des Zähneputzens und
Kaffeekochens anhöre. Bevor ich das Haus verlasse antworte ich dann ausführlich. Im Laufe der Zeit haben sich klare Vorgehensmuster entwickelt: Während Lisa sich haargenau merken kann, welches Thema ich erwähnt und von welcher Problematik ich ihr erzählt habe und diese dann in derselben Reihenfolge, wie ich sie angesprochen habe, in ihrer Sprachnachricht abhandelt, rede ich meistens einfach drauf los, sage im Minutentakt “Du weißt schon was ich meine”, schicke mindestens drei Sprachnachrichten direkt hintereinander, in denen ich dann bereits Gesagtes nochmal wiederhole, es zurücknehme oder erweitere. Nachdem ich mir meine eigene Sprachnachricht dann noch einmal von vorne bis hinten selbst anhöre, um noch einmal zu überprüfen, ob das alles so stimmt, bin ich dann völlig verwirrt ob meiner eigenen Gedankengänge und verlasse durcheinander im Kopf das Haus. Abends hat Lisa dank ihrer systematischen Abarbeitung aller aktuellen Themen das Chaos dann wieder bereinigt und das Spiel kann von vorne beginnen.

Das Sprachnachrichten-Zelebrieren geht so lange, bis wir uns unseren Exzess eingestehen müssen – das Limit ist erreicht bei Sprachnachrichten ab 30 Minuten Länge, so ist es inoffiziell vereinbart – und bereit sind, den Aufwand auf uns zu nehmen und uns persönlich zu treffen um endlich einmal alles in aller Ruhe zu besprechen. Manchmal gehen wir dann etwas essen und verschicken per Snapchat unsere Mahlzeiten an unsere Freunde.

Text: Jana Haberkern

Foto:

Yunus Hutterer