Zeichen der Freundschaft: Tonaufnahme läuft

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Das stressige, echte Leben kann man sich auch einfacher gestalten. Anstatt ihre Zeit mit anstrengender Terminsuche zu vergeuden, nutzen unsere Autorin und ihre Freundin die Möglichkeiten sozialer Netzwerke und besprechen alles in ellenlangen Sprachmemos.

Lisa ist 1994 und ich bin 1995 geboren. Wir sind die Schlusslichter der Generation Y und gehören der Kategorie Millennials an. Wir haben uns immer richtig viel zu erzählen und erledigen das mit unseren iPhones. Wir facetimen nicht, wir schicken uns Sprachnachrichten. Während andere Menschen sich den ganzen Tag über verzweifelt versuchen anzurufen, die gegenseitigen Anrufe immer wieder verpassen und zum Schluss gar nicht miteinander kommunizieren, oder sich die Finger wund tippen in displaylangen Nachrichten über ihr aktuelles Befinden, wählen Lisa und ich den für uns einfachsten Weg
und sagen uns alles was wir uns zu sagen haben immer genau dann wann wir eben Zeit haben.

Lisa ist die Konstante in meinem Leben, wir haben zusammen studiert, zusammen das Studium abgebrochen, sind zusammen aus München weggezogen, haben zusammen gewohnt, sind das fünfte Mitglied unserer jeweiligen Familien und uns gegenseitig Familie.Keiner gibt so brauchbare Tipps wie Lisa. Wenn andere versuchen, einem glaubhaft zu machen, dass man ja gar kein Problem hat, fordert Lisa einen dazu auf, es eben anders zu machen, wenn man es auf diese Weise problematisch findet. Lisa ist am Boden, sie ist realistisch und sie kennt mich gut genug, um einschätzen zu können, wenn ich mich wieder einmal mit unrealistischen Erwartungen und einer viel zu großen Naivität in die Dinge stürze. Deshalb sind Gespräche mit Lisa eine wunderbar bereichernde Form von Selbstreflektion, Therapie und Stressbewältigung.

Das Sprachnachrichten schicken ist für uns, seitdem wir das Studium abgebrochen und in die weite Welt gezogen, wieder zurück gekommen und wieder los gezogen sind, eine Konstante geblieben. Ich zelebriere das Anhören von Lisas Sprachnachricht geradezu. Da Lisa morgens viel früher aufsteht als ich, habe ich meistens beim Aufwachen bereits eine Nachricht, so zwischen zehn und fünfzehn Minuten lang, die ich mir während des Zähneputzens und
Kaffeekochens anhöre. Bevor ich das Haus verlasse antworte ich dann ausführlich. Im Laufe der Zeit haben sich klare Vorgehensmuster entwickelt: Während Lisa sich haargenau merken kann, welches Thema ich erwähnt und von welcher Problematik ich ihr erzählt habe und diese dann in derselben Reihenfolge, wie ich sie angesprochen habe, in ihrer Sprachnachricht abhandelt, rede ich meistens einfach drauf los, sage im Minutentakt “Du weißt schon was ich meine”, schicke mindestens drei Sprachnachrichten direkt hintereinander, in denen ich dann bereits Gesagtes nochmal wiederhole, es zurücknehme oder erweitere. Nachdem ich mir meine eigene Sprachnachricht dann noch einmal von vorne bis hinten selbst anhöre, um noch einmal zu überprüfen, ob das alles so stimmt, bin ich dann völlig verwirrt ob meiner eigenen Gedankengänge und verlasse durcheinander im Kopf das Haus. Abends hat Lisa dank ihrer systematischen Abarbeitung aller aktuellen Themen das Chaos dann wieder bereinigt und das Spiel kann von vorne beginnen.

Das Sprachnachrichten-Zelebrieren geht so lange, bis wir uns unseren Exzess eingestehen müssen – das Limit ist erreicht bei Sprachnachrichten ab 30 Minuten Länge, so ist es inoffiziell vereinbart – und bereit sind, den Aufwand auf uns zu nehmen und uns persönlich zu treffen um endlich einmal alles in aller Ruhe zu besprechen. Manchmal gehen wir dann etwas essen und verschicken per Snapchat unsere Mahlzeiten an unsere Freunde.

Text: Jana Haberkern

Foto:

Yunus Hutterer