Es klingt nach einem Masterplan: Wer wieder im Hotel Mama eincheckt, sollte genügend Zeit haben, um die Abschlussarbeit zu schreiben. Wenn da nur nicht der Backofen wäre…
Ein Haus, das man nicht putzen muss, zudem Vollpension und Wäscheservice: Sich für die Abschlussarbeit wieder zu Hause einzuquartieren, klang für Leonie nach idealen Voraussetzungen für konzentriertes Schreiben. In ihrem Freundeskreis ist sie nicht die Erste, die für die Bachelorarbeit im Hotel Mama eincheckt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Es geht keine Zeit für Waschen, Putzen, Kochen und Einkaufen drauf. Noch dazu bietet die Einöde rund um Leonies Elternhaus wenig Möglichkeiten, sie von ihren sorgfältigen politischen Analysen abzuhalten. Soweit der Plan, legt Leonie mir dar. Jetzt muss sie nur noch anfangen zu schreiben.
Als wir uns das nächste Mal treffen, schenkt Leonie mir drei Kekse. Es sind nicht irgendwelche Kekse, es sind Kalligrafie-Kekse: Schneeflocken von perfekt gleichmäßiger Dicke, die mit einem komplizierten, exakt symmetrischen Muster aus weißem Guss und aufgeklebten Zuckerkügelchen überzogen sind. Natürlich sind es drei verschiedene Schneeflocken, wir wissen ja: Keine Schneeflocke gleicht der anderen. Sonst wäre Leonie wahrscheinlich auch zu schnell fertig geworden mit ihrem Prokrastinationsgebäck.
Es ist ein ungeschriebenes Gesetz: Hausarbeit scheint niemals so dringend zu sein wie dann, wenn man eigentlich fundierte wissenschaftliche Gedanken zu Papier bringen sollte. Die meisten Studenten verbringen dann den Großteil ihrer Zeit damit, Fenster zu putzen oder die Armaturen zu entkalken. Da Leonies Elternhaus weder genug verkalkte Hähne noch verschmierte Fenster hergibt, muss sie eben backen. Ziemlich dringend, natürlich – Politik muss warten, wenn der Spritzbeutel ruft! Leonies Fähigkeiten im Dekorieren von Gebäckstücken entwickeln sich sehr viel schneller weiter als das unliebsame Dokument auf ihrem Laptop.
Nur ihr schlechtes Gewissen kann in der Wachstumsrate gerade noch so mithalten. War da nicht eigentlich ein Masterplatz und eine Karriere, auf die sie hinarbeitet? Ich beruhige Leonie und verweise auf unseren gemeinsamen Plan B: ein Café eröffnen. Dafür bereitet sie sich gerade mustergültig vor. Und wenn sie weiter zu Hause wohnt, kann man davon irgendwann vielleicht sogar leben.
Von Susanne Krause