Sieben Tage, sechs Auftritte

München ist voller Musiker – und viele von ihnen sind Teil von mehr als nur einer Band, organisieren eigene Veranstaltungsreihen oder spielen in Musicals. Fünf von ihnen sind hier im Porträt

Von Max Fluder

Elisa von Wallis spielt Cello und Klavier in fünf unterschiedlichen Formationen.
Ihr Wunsch ist es, mal mit einer Band auf Tour zu gehen – aber dann müsste sie die anderen vernachlässigen

Wenn Elisa von Wallis entspannt, dann tut sie das mit einem ausgiebigen Bad oder einem Glas Wein. Sie sollte wahrscheinlich mehr Sport machen, wie sie selbst sagt, allerdings kommt Elisa die Tage kaum dazu. Es sind die Bandtermine, sechs an der Zahl. Vier Proben und zwei Gigs – innerhalb einer Woche. Dass die Cellistin und Pianistin nahezu jeden Abend übt oder auftritt, hat einen Grund: Elisa belässt es nicht bei einer oder zwei Konstellationen, sie spielt in fünf.

Die Musikerin ist Teil von so verschiedenen Bands, dass man sie wahrscheinlich schon auf der ein oder anderen Münchner Bühne gesehen hat. Mit LORiiA oder Klimt zum Beispiel, im Jazz-Quartett Organic Orchestra oder im Jazz-Duo Icarus, vielleicht auch in ihrer Gypsy-Band Lyckliga. Nebenbei unterrichtet sie noch Klavier und Cello und leitet einen Kinderchor im Domagk-park. Auch in der Band des Liedermachers Liann spielte sie ab und an.

Zu viel auf einmal? Zwar kann Elisa alle Termine wahrnehmen, hat aber dennoch Gewissensbisse: „Ich leide schon manchmal unter dem Gefühl, manchem nicht gerecht werden zu können“, sagt sie. Das Ausbalancieren der verschiedenen Bands wurde zum Drahtseilakt. So trat sie bei der „Langen Nacht der Musik“ 2017 gleich zweimal auf. An zwei verschiedenen Orten mit zwei verschiedenen Bands. Lang wurde die Nacht dann wirklich.

Prioritäten setzen fällt der Cellistin schwer, sie sagt, dass ihr diese Fähigkeit sogar gänzlich fehle. Natürlich: Auch sie muss mit Interessenkonflikten umgehen. „Viel und offen miteinander zu reden, ist extrem wichtig“, sagt sie. Kürzlich hätte sie ihren Bandmitgliedern erklärt, dass sie es mit der Anzahl der Proben nicht mehr schaffe. Elisa hat detailliert offengelegt, wie ihre nächsten Woche und Monate aussehen, hat reinen Tisch gemacht. „Als ich es ausgesprochen habe, haben es alle verstehen können. Es war okay. Und man findet dann schon eine Lösung.“

Den Stress spürt die Musikerin trotzdem: „Ich komme an meine Grenzen. All die Termine, meinen Proben und die Gigs zu koordinieren, ist gar nicht so einfach.“ Jetzt im Frühjahr steht besonders viel an: Sommerplanung, Festivals, Hochzeiten, auf denen sie spielen soll. Es geht auch anders: „Im Winter gibt es oft ein Loch. Im November ist dann nicht mehr viel, und ich kann mehr nebenbei machen.“ Manchmal hat sie dann nur einen Auftritt in sechs Wochen.

Stundenpläne erstelle sich Elisa nur, wenn nicht viel ansteht. Das klingt paradox, hat aber einen einfachen Grund: „Das brauche ich tatsächlich nicht. Die Stunden mit meinen Schülern sind fest, die Proben sind fest und die wenige Zeit dazwischen nutze ich für die Gigs“, sagt sie. Es ist Routine, strukturieren muss sie da nicht. Eher wenn weniger anliegt, plant sie ihre Aktivitäten im Voraus: „Aufstehen, dann eine Stunde etwas Neues lernen.“ Gerade widmet sie sich – nach Cello und Piano – dem Bass.

Elisas Mutter hat sie an die Musik herangeführt, mit sieben Jahren fing sie an, Cello zu spielen, vor 24 Jahren. Am Instrument entdeckt sie aber immer wieder neue Seiten. „Es ist echt schön, dass das Cello so vielseitig ist“, sagt Elisa. Diese Vielfalt kann sie in den verschiedenen Bands zeigen, die alle etwas anderes von der Cellistin verlangen. „In Pop-Bands ist es jetzt mehr die Untermalung im Hintergrund. Da hat man wenig Raum für große Soli.“

Ihr Gypsy-Trio entstand, wenn man so möchte, aus den fehlenden Möglichkeiten im Pop. Elisa erinnert sich: „Ich war mit der Violinistin auf dem Weg ins Studio, um für einen Popsänger aufzunehmen. Wir haben im Auto darüber gesprochen, dass wir ein bisschen unterfordert sind. Denn Streicher im Pop, das sind viele lange Töne, viel den Gesang unterstützen“, sagt sie. Mit im Auto saß noch ein Gitarrist und nach dem Ende der Fahrt stand die Band. Für das Trio ist es eine Gelegenheit, sich auszuprobieren.

Musikalisch ist Elisa breit aufgestellt, was ihr vieles leichter mache. Den Einstieg in neue Bands zum Beispiel, oder das Ausprobieren neuer Genres. „Manchmal genieße ich die Abwechslung, manchmal ist da der Traum, sich nur auf ein Projekt zu konzentrieren und damit erfolgreich zu sein und sich sein Leben zu finanzieren“, sagt Elisa. Allerdings würde sie es jedem ihrer Schüler raten, sich in verschiedenen Bands auszuprobieren. „Um sich selbst weiterzuentwickeln und um zu entdecken, was einem taugt“, sei das perfekt.

Für Elisa ist das Gefühl in jeder Band ein anderes, gar bei jedem Auftritt. „Man lernt sich selbst gut kennen, denn alle haben so ihre Eigenheiten“, sagt sie. In diesen Eigenheiten erkennt die Musikerin eine Bereicherung. Elisa führt diesen regen Austausch zwischen Bands der verschiedenen Genres auch auf die Hochschule für Jazz zurück. Popmusikerinnen wie Lotte Friederich von LORiiA studieren ebenfalls dort und kämen gar nicht daran vorbei, sich mit anderen Musikstilen auseinanderzusetzen.
Man könnte ihre Beziehung zu München eine Hassliebe nennen. Elisa gibt zu, mit dem Gedanken gespielt zu haben, nach Berlin zu gehen. Ist sie dann aber nicht, sie fühlt sich der Stadt zu sehr verbunden. Trotzdem bedauert sie die Situation: zu wenig Bühnen, Beschwerden der Anwohner über Bars und Clubs, Zwischennutzungen, aber nichts Langwieriges. „Es ist traurig, dass die Stadt an der Stelle nicht die Macht hat, dagegen vorzugehen“, sagt sie. Orte wie der Bahnwärter Thiel lassen die Stadt für die Cellistin gleich in einem ganz anderen Licht erscheinen – obwohl, auch das ist ja eine Zwischennutzung.

Sie würde es – mit leichten Veränderungen – wieder so machen, wieder in so vielen Bands spielen. Im Nachhinein ist Elisa schlauer: „Vergangenes Jahr hatte ich Konflikte, bei denen ich priorisieren musste. Sonst wäre ich überall ein bisschen dabei, aber nirgendwo richtig. Niemand hat was davon, wenn man einfach nur dabei ist, aber nicht gut vorbereitet, die Sachen nicht kann oder bei den Proben nicht anwesend ist.“ Sie reduzierte die Belastung, schätzt Schlaf jetzt mehr.

Wäre ein 48-Stunden-Tag die Lösung? „Auf keinen Fall. Irgendwann ist auch gut. Wäre der Tag länger, wäre er wahrscheinlich auch noch mehr vollgepackt“, sagt sie. Eine Tournee, das wäre ein Wunsch, auch wenn das heißen würde, sich für längere Zeit auf nur eine Band zu konzentrieren. „Ich fände es cool, in den nächsten zwei Jahren mit einer der Bands auf Tour zugehen.“ Eine Auswahl hat sie ja.

Foto: Robert Haas

Andere Stile
Shmagi Liklikadze, 25, spielt Bass in vier Bands

Für Musiker, die ihr ganzes Leben lang nur in einer Band spielen, hat Shmagi Liklikadze große Bewunderung übrig. Der 25-Jährige könnte das nicht. Im Gegenteil, er würde es bereuen. Der Bassist sagt: „Vielleicht wäre ich als Musiker erfolgreicher gewesen. Es hängt aber auch davon ab, wie man Erfolg festhält. Sind fertiggestellte Alben oder Tourneen und Auftritte das Wahre?“

Foto: privat

Für Shmagi ist die Antwort eindeutig: Ihm geht es um die Touren und die Auftritte. Und das gehe nun mal besser, wenn man in mehreren Bands gleichzeitig aktiv ist. Vier sind es bei ihm. Und sie alle unterscheiden sich stilistisch; Indie ist dabei, aber auch Postcore Metal. Der Bassist nutzt diese Vielfalt, um „sich selbst zu entdecken“, wie er sagt. Auf der Bühne identifiziert er sich im unterschiedlichen Maße mit dem, was er spielt. „Was möchte ich machen? Was nicht? “

Soll er seine Lieblingsband nennen, dann ist es We Too Will Fade. Sich auszuprobieren, genießt er trotzdem: „Jede Band bringe ihre ganz eigenen, spannenden Persönlichkeiten mit sich.“ Manchmal denkt er, dass er vier Mal existiert. Aber das müsse so sein, denn: „Man kann auf einem Indie-Konzert nicht als Hardcore-Person auftreten.“

Bands: We Too Will Fade, Scratch The Floor, SUNDOG, ein weiteres junges Projekt

Prioritäten setzen
Johannes Rothmoser, 27, sitzt bei drei Bands hinter den Drums

Johannes Rothmoser spielt an vielen Orten, bald auch in China. Der 27-Jährige springt ein für den Drummer einer Cover-Band. Dafür findet er die Zeit, obwohl er schon in vier Bands aktiv ist und dazu noch bei einem Musical mitspielt. Stress spürt Johannes nicht mehr. Auch der ständige Wechsel stört ihn nicht: „Man muss halt umschalten in die verschiedenen Rollen.“ Beim Musical „setzt die Musik die Akzente“. Bei Bands ist die Musik das Zentrum, und manchmal sind es auch die Musiker selbst, die unersetzlich sind.

Foto: Pascal G. M. R.

Wieso spielt er in so vielen Bands? „Weil ich nicht viele andere Sachen kann“, sagt er selbstironisch und ergänzt: „Es fühlt sich nie nach Arbeit an.“ Er sei kein Komponist oder Songschreiber, sondern arbeite halt gerne in verschiedenen Bands. Nach einer Jazz-Phase vermisse er andere Stile. Seine Arbeit soll ihn vollkommen ausfüllen. Prioritäten zu setzen, macht ihm keine Probleme. The NiceNice und Matthew Matilda sind seine „Band-Bands“. Eine Tour, lange Zeit mit nur einer Band zu spielen, würde er nicht ausschlagen. Ein Blick in die Zukunft: Er hofft, bald mit Synthesizern arbeiten zu können und auch seiner Leidenschaft für Blues nachzugehen. Noch ist er am Überlegen, mit wem.

Bands: Matthew Matilda, TheNiceNice, Amelie // 23 Karat, DeHörmann, Musical: Die fabelhafte Welt der Amelie

Freunde treffen
Sophie Neudecker, 25, singt und trommelt in vier Bands

Sophie Neudecker, 25, hat großes Glück. Sie hat gerade ihre Bachelor-Arbeit abgegeben, arbeitet abends an der Bar im Substanz und hat die Tage frei für ihre Proben. In drei Bands spielt sie und belebt gerade ein weiteres Projekt mit einem alten Freund wieder. Ihre Instrumente sind das Schlagzeug und die Stimme – schon seit 15 Jahren und am liebsten beides gleichzeitig. „Ich habe das Gefühl, dass ich beides zusammen besser umsetzen kann, weil ich so drin bin, dass ich einfach mache“, sagt Sophie.

Foto: Michael Süß

Anscheinend hat Sophie die richtigen musikalischen Freunde. Ein Bekanntenkreis, viele Bandkonstellationen: „Das verbindet uns. Und wir haben einfach immer noch Lust darauf, Musik zu machen.“ Musizieren hilft ihr, Musiker kennenzulernen und Freunde zu machen. Dass sie die ZombieSessions, eine Veranstaltungsreihe im Feierwerk, mitorganisiert, unterstützt sie dabei: „Vor allem bei den Sessions habe ich echt viele Leute kennengelernt, mit denen ich jetzt zusammenspiele.“ Ihre Mitarbeit in den Bands kann sie klar trennen. Separate Räume, separate Musikstile. „Jede Band ist etwas anders.“ Aber absagen, „sich von einer Band lösen“, das könnte Sophie nicht.

Bands: Bombo, Uschi, Apian, The Living Object

Voller Kalender
Flurin Mück, 26, spielt Schlagzeug und Percussion in vier Bands

Flurin Mück, 26, benutzt ein schwarzes Buch, Din-A6-Format, in das er all seine Termine, seine Proben und seine Auftritte einträgt. Ohne Kalender bekäme Flurin Probleme: „Ich habe den schon einmal verloren. Aus Mails habe ich versucht, alles wiederherzustellen.“ Bei vier Bands und weiteren Projekten ist das eine Herausforderung. Für Flurin bedeuten die vollen Wochen keinen Stress: „Du freust dich aufs Spielen, die Leute und ihre eigene Musik“, sagt der Schlagzeuger. Nur wenn Termine unklar sind, dann stresse es. Um zwischen den Bands und zwischen den Musikstilen zu wechseln, braucht Flurin ein bisschen Zeit. Wie lange, das hängt davon ab, wie weit die Gigs voneinander entfernt sind: räumlich und musikalisch.

Foto: Alex Bach

Flurin weiß, wie es ist, in mehreren Bands zu spielen. Er hat aber auch längere Zeit mit nur einem Projekt gearbeitet. Beides hat Vorteile: In mehreren Bands lerne man die Zusammenarbeit. In nur einer Band kann man „viel spezifischer üben“. Vor einigen Monaten setzte der Musiker Prioritäten, um in allen Projekten seine beste Leistung abliefern zu können. „Umschichten“ nennt er das. Sein Wunsch für die Zukunft: „immer fokussiert, immer im Moment sein zu können.“

Band: Dreiviertelblut, Florian Paul und die Kapelle der letzten Hoffnung, Hannah Weiss Group, Schlagzeug für den Jazztrompeter Gero Hensel