Umstandshosen auf Probe

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Wenn das Erwachsensein sich plötzlich im eigenen kullerrunden Bauch bemerkbar macht – da ist es besser, dieses ganze Familiengründungs-Tamtam erstmal bei Freunden auszuprobieren. Stundenweise. Und ohne sich die Finger beim Wickeln schmutzig zu machen. Eine Kolumne über niedliche Söckchen und Metallica.

Wenn Freunde plötzlich erwachsene Leben führen, weiß man nicht, ob man sich jung oder alt fühlen soll. So geht es mir, als ich Verena in der Wohnung besuche, die sie vor einem halben Jahr mit ihrem Freund bezogen hat. Schon bei der ersten Führung fallen Wörter wie „Schallschutzfenster“, im Wohnzimmer stehen Massivholzmöbel aus dem Familienerbe, die Küche ist voller Utensilien, die ich nur aus Kochsendungen kenne. Die größte Überraschung erwartet mich allerdings, als ich nach zwanzig Minuten den Blick von den hohen Dachfenstern wende und mich hinsetze: Denn plötzlich bin ich auf Höhe von Verenas Bauch, der sehr viel runder ist als in meiner Erinnerung und den Bund einer Umstandshose dehnt.

Bis jetzt gab es in meinem Freundeskreis noch keinen Nachwuchs. Daran haben auch Alis Mühen, ihre Freundinnen zur Fortpflanzung anzustiften, nichts geändert. Schon vor geraumer Zeit hat sie sich in den Kopf gesetzt, dass sie dringend ein Baby will – aber bitte nicht rund um die Uhr! Eigentlich will Ali als Auszeit von ihrem feucht-fröhlichen Studentenleben nur hin und wieder niedliche Söckchen kaufen und dann das Wesen in den niedlichen Söckchen ein paar Minuten auf dem Arm schaukeln. Dann will sie es aber auch gern wieder den Freunden übergeben und in der Stereoanlage Metallica aufdrehen.

Bis jetzt fand ich Alis Vermehrungsbekehrungsversuche eher befremdlich. Jetzt, wo mein Blick auf dem Bund von Verenas Umstandshose ruht, dämmern mir langsam die Vorteile an Alis Plan. Freunde mit Kindern und ausgefallenen Küchengeräten bieten stundenweise die Möglichkeit, die spannenden Seiten des Erwachsenseins auszuprobieren, ohne durch die Einsicht, dass man vielleicht gerade seine Jugend hinter sich lässt, eine Quarterlife-Crisis zu riskieren. Am Ende des Abends habe ich superspaßige Momente mit einem Hightech-Gemüsezerkleinerer verlebt, den ich nachher nicht abwaschen musste. Mit dem Baby von Freunden zu spielen, glaube ich, funktioniert ähnlich.

Alis Wünsche wurden inzwischen übrigens von anderer Seite erhört: Sie ist Tante von Zwillingen, denen Sie zur Geburt statt niedlichen Söckchen Metallica-Shirts gekauft hat.

Von Susanne Krause

Der Putzkrieg

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Über Männer und Frauen und den alltäglichen WG-Wahnsinn. Eine Kolumne über unterschiedliche Ansprüche, verschiedene Konfliktbewältigungs-Methoden und Lösungsansätze, die auf Körpergröße basieren.

Der Krieg wird mit Klopapier geführt. Es ist noch gar nicht so lange her, da waren die beiden beste Freundinnen, nun allerdings bewerfen sich Rosi und ihre Freundin mit Toilettenpapierrollen. Was ist passiert? Ganz einfach: Sie sind zusammengezogen. Ich kenne viele Geschichten mit genau diesem Szenario. Wenn beste Freundinnen sich gemeinsam eine Wohnung anmieten, endet das nicht selten mit spektakulären Flurkämpfen und einer Trennung auf Lebenszeit. Dabei gilt: je jünger die Mädels, desto höher das Potenzial für Drama.

Mein Mitbewohner analysiert sofort: Das liegt daran, dass Frauen nicht über ihre Probleme reden, sondern sie in sich hineinfuttern, bis sie dann irgendwann explodieren. Aha. Warum wohne dann ich hier und kein viel weniger explosiver Vertreter des männlichen Geschlechts? Ganz einfach: In den Kumpel-WGs seines Bekanntenkreises klebt leider der Dreck von drei Jahren auf dem Fußboden. Wenn beste Kumpel zusammenziehen, so mein Mitbewohner, wird aus der WG eine Art superharmonischer Schweinestall. Da hat er sich doch lieber ein Mädchen in die WG geholt. Jetzt ergänzen wir uns prima: Er putzt nicht, ich schon.

Dafür versorgt er mich mit unterhaltsamen Theorien. An seiner Erklärung für das Beste-Freundinnen-Problem zweifle ich allerdings: Dass Kumpel-WGs harmonische Schweineställe sind, klingt nämlich nicht unbedingt, als würden die Bewohner zwischen Bergen von Pizzakartons sachliche Gespräche über ihre Probleme führen. Mehr so, als wären die Ansprüche an ein Zusammenleben sehr viel niedriger als der Berg Altglas in der Ecke. Ich glaube ja, dass genau hier das Problem liegt: Mit der besten Freundin zusammenzuziehen, verheißt ein Leben voller Mädelsabende mit Prosecco in stilvollem Ambiente – und führt dann eben doch meist nur zu schnödem Alltag mit Altglas und Staubmäusen. Da greift man dann eben zum Wurfgeschoss.

Rosi etwa hat nach dem Klopapierkrieg mit ihrer nun ehemaligen Busenfreundin übrigens einen zweiten Anlauf gestartet, diesmal mit ihrem besten Kumpel. Das Ergebnis: Die beiden ergänzen sich bestens– allein schon aufgrund des gut 40 Zentimeter Größenunterschieds. In der Küche ist Rosie für alle bodennahen Schrankfächer zuständig, ihr Mitbewohner für die obersten Regalbretter.

Von Susanne Krause

Örtchen mit Ausblick

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Historisch betrachtet haben wir uns von der Toilette als einem geselligen Ort wegbewegt – heutzutage bereitet es schon Grauen, jemand könne auch nur die erzeugten Geräusche mitbekommen. Eine Kolumne über das Örtchen, auf dem versucht wird, die einsame Zeit nicht zu langweilig werden zu lassen.

Während Frauen von heute sich nur angeregt durch die Kabinenwand unterhalten – und das laut meiner Erfahrung auch weit seltener, als ihr Ruf vermuten lässt – saßen die alten Römer in ihren Gemeinschaftslatrinen nebeneinander aufgereiht und plauderten ausgiebig. Die Toilette als fröhlicher Sitzkreis? Vielen modernen Menschen graut es ja allein bei der Vorstellung, jemand könne auch nur hören, dass sie auf dem stillen Örtchen nicht immer still sind. Japaner bauen zu diesem Zweck sogar Mechanismen in ihre Toiletten, mit denen man auf Knopfdruck unästhetische Geräusche durch künstliches Wasserrauschen übertönen kann.

Ein Blick auf die Geschichte legt nahe, dass Toiletten zu einem einsamen Ort geworden sind. Vielleicht hängt in der Gästetoilette von Judiths WG genau deswegen ihre Sammlung von Kontaktanzeigen. Da sucht etwa ein schwerhöriger Autor einen Ex-Priester für eine symbiotische Beziehung. Oder ein Mann jene Traumfrau, die sich die Hände wäscht, nachdem sie einen Hund gestreichelt hat.

WG-Toiletten sagen oft weit mehr über die Bewohner aus als der Rest der Wohnung. Sie sind das Aushängeschild schlechthin. Denn kein Ort eignet sich so sehr für alberne Details wie der einzige gemeinschaftliche Raum, den man nie gemeinschaftlich benutzt. Wahrscheinlich hat man sich das von Restaurants abgeschaut, die vermehrt darauf abzielen, dass man zu seinen Tischnachbarn mit einem Stapel Postkarten zurückkehrt und ihnen dann zuraunt, sie müssten nachher unbedingt auch noch einmal auf’s Klo. Mit Judiths Kontaktanzeigenkabinett geht es mir ähnlich.

Wenn ich es auch für unwahrscheinlich halte, dass wir dabei bald im Halbkreis sitzen und über Heidi Klums Liebesleben diskutieren – der Trend geht zum Erlebnispinkeln. Neben einem Gästebuch, das vom Klorollenspender baumelt und den regen Besucherstrom dokumentiert, findet sich auf Münchner WG-Toiletten etwa ein Gameboy mit der zugehörigen Tetris-Highscore-Liste. Mein ödes Badezimmer hat dagegen wenig zu bieten. Ich traue mich kaum mehr, Gäste einzuladen. Wahrscheinlich hätte ich doch die Wohnung nehmen sollen, die ich Sommer besichtigt habe: Hier lag die Kloschüssel direkt gegenüber der Balkontür. Dann könnte ich meinen Gästen jetzt einen Ausblick ins Grüne bieten.

Von Susanne Krause

Mission Eisbein

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Kochen ist nicht für jeden Teil des Alltags – für manche ist es geradezu eine Herausforderung. Es könnte ja schließlich passieren, dass etwas in die Luft fliegt. Eine Kolumne über Menschen, denen im Kindesalter eine Lektion über grundlegende Nahrungszubereitung verwehrt geblieben ist.

In Sörens Vorstellung gleicht Kochen einer James-Bond-Mission: Es ist kompliziert und potenziell lebensgefährlich. So viel Abenteuer-Geist hat Sören dann auch nicht. Nun aber hat er sich unter meiner Anleitung auf eine riskante Mission eingelassen: Reis kochen. Seit ich ihm vor fünf Minuten erklärt habe, wie das geht, schleicht er misstrauisch um den Topf herum. Warum? Weil er Angst hat, sein Reis könnte explodieren. Ich höre auf, im Wok zu rühren, und werfe einen Blick hinüber. Die Körner blubbern friedlich im Wasser. Vielleicht ist das wie bei Popcorn, wirft Sören ein: Alles still und plötzlich fliegt uns das Zeug um die Ohren. Bleibt nur die Frage, wer unsere WG mit gentechnisch verändertem Sprengstoff-Reis in Schutt und Asche legen will.

Für gewöhnlich explodieren Mahlzeiten nicht – außer man fügt Feuerwerkskörper hinzu. Das ist eine goldene Faustregel, die Sörens Mama ihm nie erklärt hat. Er ist nicht der einzige, der ohne kulinarisches Vorschulgrundwissen aus dem Elternhaus entlassen wurde. Individuen jenseits der Zwanzig, die ihre Umwelt mit Fragen der Kategorie „Woran erkennt man, dass Wasser kocht?“ und „Wie ist es eigentlich möglich, ein Schnitzel von beiden Seiten braun zu bekommen?“ in Verlegenheit bringen, lassen eigentlich nur eine Erklärung zu: Ihre Eltern haben das Essen in hermetisch abgeriegelten Küchen zubereitet. Sören findet das wahrscheinlich verantwortungsvoll – es dient schließlich nur dem Schutz der Kinder.

Ich muss selbst zugeben: Auch wenn Mahlzeiten ohne Feuerwerkskörper für gewöhnlich nicht explodieren, können diese großen kulinarischen Vorschulkinder doch erstaunlich ähnliche Reaktionen hervorrufen. Der Mitbewohner einer Freundin zum Beispiel hat es geschafft, bei der Zubereitung des Eisbeins, das Mama ihm für den ersten Geburtstag außer Haus vorbereitet hat, die gesamte WG-Küche in eine Schaumparty zu verwandeln – leider mit sehr fettigem, stinkendem Schaum. Wahrscheinlich gab es doch einen Grund, warum sich seine Eltern damals in der Küche eingeschlossen haben. Ich nehme Sören vorsorglich den Löffel ab. Sicher ist sicher.

Von Susanne Krause

Das Heimweh der Kosmopolitin

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Lisa aus Bayern hat ihren ersten Job in London – und Heimweh. Nach Jahren der gedanklichen Flucht aus dem weiß-blauen Bundesland sehnt sie sich nach dem Ort, der plötzlich die gute, alte Heimat ist. Und verwandelt die neuen Anwandlungen in Lehrstunden bayerischen Kulturgutes.

Bayerische Heimatgefühle? Gingen stets gegen null. In München? Da wollte sie nie wohnen. Lisa wollte weg. Nach einer halbjährigen Reise um die Welt pendelt sie nun wöchentlich für ihren ersten Job nach London. Das klingt ziemlich kosmopolitisch, finde ich. Für eine steile Karriere als Weltbürgerin steht Lisa allerdings ein wichtiges Detail im Weg: Jetzt hat sie Heimweh. So viel Heimweh, dass sie plötzlich bayerisch-patriotische Gefühle entwickelt, die ihr ein bisschen peinlich sind.

Im Allgemeinen sind Menschen schlecht konzipiert: Dinge, die da sind, fallen ihnen oft erst auf, wenn sie wieder weg sind. Über die emotionale Reife eines dreijährigen Kindes, das nur merkt, wie interessant ein Spielzeug ist, wenn man es ihm wegnimmt, kommt man schlichtweg nie hinaus. Die Schulzeit – damals: Montagmorgen, erste Stunde Mathe, grauenvoll! – ist auf Klassentreffen plötzlich eine magische Zeit. Und der öde Ort, in dem man aufgewachsen ist, verdient sich die Vorsilbe „Heimat-“ erst, wenn man ihn verlassen hat.

Da hat Lisa eine ganze Kindheit und Jugend im weiß-blauen Freistaat verlebt, um erst im britischen Exil zu entdecken, dass sie sich dort eigentlich ziemlich heimisch gefühlt hat. Leider hat sie nun – nach Jahren, die mehr den Fluchtgedanken als der Brauchtumspflege gewidmet waren – viel zu wenige Möglichkeiten, diesen neuen Heimatgefühlen Luft zu machen. Lisa spricht ja nicht mal bairisch! Dafür ertappt sie sich dabei, in Dialekt zu denken und in London als selbsternannte Botschafterin bayerischer Bierkultur aufzutreten: Ihre Kollegen lauschen begeistert den Ausführungen, wie man sich korrekt zuprostet („Always look into each other’s eyes!“) und dass man „Noagal“ im Glas nicht austrinkt („Never!“). Das ist immerhin ein Lichtblick am Horizont. Wenn Lisa die Bajuwarisierung der angelsächsischen Welt weiter so fleißig vorantreibt, könnte sich das Heimwehproblem bald erledigt haben.

Von Susanne Krause

Man kennt sich ja vom Sehen

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In München geht der Trend zum Luxus-Loft. Vollverglast, wenn möglich. Schön für alle Menschen, die gegenüber wohnen und es sich zur Abendgestaltung auf dem Balkon bequem machen.Nur das nächste Treffen mit den neuen Nachbarn im Supermarkt könnte unangenehm werden.

Judith hat sich an meiner Balkontür für einen Schaufensterbummel eingerichtet. „Und, was machen deine Nachbarn so?“, fragt sie und mustert die Fenster der Mietshäuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich zeige ihr die Wohnung, die auch während des Sturmtiefs Xaver ihre Bierkästen zum Kühlen außen auf dem Fenstersims stehen hatten, die Küche, in der manchmal ein Vater sein Baby in die Luft wirft, das Fenster, von dem aus eine junge Frau morgens beim Zähneputzen die Straße beobachtet. Ellen wiederum beobachtet uns. Und zwar kritisch. „Vor Leuten wie euch habe ich immer Angst“, sagt sie schließlich. Ellen gehört zu den Spielverderbern, die ihre Vorhänge fest zuziehen.
Voyeurismus hat keinen besonders guten Ruf. Komisch: Da beschweren sich alle immer über die Anonymität der Großstadt (mein Mitbewohner ist fest davon überzeugt, dass im Mittelalter noch vieles besser war), aber wenn man sich die Mühe macht, am Leben seiner Nachbarn teilzuhaben, ist das auch nicht richtig. Wobei: Oft muss man sich gar nicht so besonders viel Mühe geben – Panorama-Fensterfronten und riesige Plasmafernseher machen oft eher Zurückhaltung mühevoll … das sah in mittelalterlichen Städten übrigens noch ganz anders aus!

Gerade Ellen sollte das eigentlich wissen: Ihre WG hat einen perfekten Ausblick auf das vollverglaste Luxus-Loft gegenüber. Da kennt man sich ziemlich bald, ohne auch nur die Wohnung verlassen zu müssen. Als Ellens Mitbewohnerin die gläsernen Nachbarn dann mal ganz real beim Einkaufen trifft, ist die Stimmung jedoch alles andere als vertraut. Schließlich grüßt man sich zaghaft – man kennt sich ja vom Sehen –, zu einem Gespräch über den Film, der am Abend zuvor auf dem Plasmafernseher lief, kommt es dann aber nicht mehr. Judith hätte vielleicht nachgefragt.

Leider wurden die Scheiben am Luxus-Loft durch Milchglas ersetzt, ehe sie einen Umzug aus ihrer aussichtsarmen Erdgeschosswohnung erwägen konnte. Aber wer weiß: In München sind Judiths Hoffnungen, dass bald ein vollverglastes Luxus-Loft vor ihrem Fenster aufragt, eigentlich ziemlich realistisch.

Von Susanne Krause

Angry Birds beruhigen

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Wir werden unwiderruflich erwachsen. Richtig alt ist man aber erst, wenn man den Niedergang der nächsten Generation prognostiziert. Etwa so, wie wir damals alle an der Erfindung des Tamagotchis zugrunde gehen sollten. Aber wir leben noch! Oder?

Dinge, die sich wiederholen, haben etwas Beruhigendes: Die Vorspannmusik der Lieblingsserie zum Beispiel. Oder dass Mamas Sonntagsbraten immer gleich schmeckt. Auch Dinge, die man wieder hervorholt, haben etwas Beruhigendes – wenn man nicht gerade wie mein großer Bruder auf Besuch im Elternhaus daran scheitert, seine erste Spielekonsole wieder zum Laufen zu bringen. Ich weiß natürlich, warum alles Pusten nicht hilft: Weil ich ein wichtiges Teil für meine Konsole gemopst habe, um meine Mario-Kart- und Pokémon-Fähigkeiten aufzufrischen. So ein bisschen psychologische Regression ins Kindesalter gehört ja gerade in der Weihnachtszeit dazu.

Leider fühle ich mich plötzlich wieder sehr alt, als da drei richtige Kinder vor mir sitzen und angestrengt auf die Figur starren, die ich gerade für sie gemalt habe. ,,Das ist doch dieses eine Pokémon‘‘, sagt schließlich der Älteste zweifelnd. Kinder, die Pikachu nicht mehr kennen! Wir werden unwiderruflich erwachsen. Richtig alt ist man aber erst, wenn man den Niedergang der nächsten Generation prognostiziert. Etwa so, wie wir damals alle an der Erfindung des Tamagotchis zugrunde gehen sollten. Mein Bruder hat immerhin mal wegen eines Tamagotchis einen Tischtennisschläger gegen den Kopf bekommen. Gravierendere Langzeitfolgen sind mir allerdings noch nicht begegnet.

Schon Sokrates soll sich über den Niedergang der Jugend beschwert haben. Gegen Schrift war er übrigens auch – wahrscheinlich sah er damals als erster, dass sie zu Teenie-Vampirromanen und dämlichen Diskussionen in Internetforen führen würde – und zu Anfangzwanzigern, die sich ganz in Sokrates’ Tradition darüber ereifern, warum die Kinder von heute an Smartphones und Facebook zugrunde gehen; diese Diskussionen führen sie natürlich auf einschlägigen Facebook-Seiten via Smartphone. Es hat etwas Beruhigendes, wie sich alles wiederholt: Falls sich die Achtjährigen von heute nicht alle folgenreiche Kopfverletzungen durch geworfene Smartphones zuziehen, seufzen sie wahrscheinlich in fünfzehn Jahren, wie idyllisch ihre Kindheit mit den Angry Birds damals doch war.

Von Susanne Krause

Klingelputzen nachts um drei

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Sören und Susanne überdenken den Nutzen der Klingel. In Zeiten permanenter Smartphone-Kommunikation ist diese doch überflüssig. Oder vielleicht doch nicht?

Das Geräusch der Klingel bedeutet selten etwas Gutes. Es ist lange her, dass ein Freund spontan an der Tür stand und gefragt hat, ob ich Lust habe, zum Spielen rauszukommen. Wenn heute Freunde zu Besuch kommen, weiß man von deren Ankunft durch vorangegangene U-Bahn-verspätet-sich-SMS meist bereits so genau, dass man den Türöffner auch ohne Klingel im richtigen Moment drücken könnte. Mein Mitbewohner Sören schlägt deshalb vor, wir sollten unsere Klingel gleich ganz ausschalten. Das würde uns viele nervige bis verstörende Intermezzi an der Sprechanlage sparen. Wir würden morgens nicht mehr von dem Austräger der Stadtteilzeitung geweckt, der so lange mit der Hand gegen das Klingelpanel schlägt, bis ihn irgendwer ins Treppenhaus lässt. Und nächstes Halloween müssten auch wir nicht mehr überlegen, wie es möglich ist, trotz des Vordachs über der Haustür Wasserbomben auf die betrunkenen Klingelputzer zu werfen.

Bestätigt wird Sören auch von der Dame an der Gegensprechanlage, die auf ihren Arzttermin bei Dr. Krause besteht. Ich stecke meinen Kopf aus der Zimmertür in den Flur, wo mein Mitbewohner bereits seit einer Minute vergeblich darauf beharrt, dass wir eine Privatwohnung sind. Die Dame unten vor der Haustür sieht das anders. Ich persönlich fände eine Arztpraxis nicht besonders vertrauenserweckend, wenn der Name des Arztes auf ein Fuzel Papier geschrieben und schief mit Tesa über das Klingelschild gepappt ist. Aber meine selbsterwählte Patientin lässt sich auch dann nicht abwimmeln, als ich Sören den Hörer abnehme und erkläre, dass ich über keinerlei medizinische Ausbildung verfüge. ,,Ich habe aber einen Termin‘‘, sagt sie empört. Ich beginne Sörens Plan gutzuheißen.

Aber dann, eines Tages nachts um drei. Es ist kalt. Ich stehe auf wundgetanzten Füßen unter dem Vordach an der Haustür. Mein Schlüssel? Nicht da. Ich erinnere mich wieder daran, wofür Türklingeln gut sind: Um den Mitbewohner wach zu klingeln, der sein Handy vor dem Schlafengehen lautlos gestellt hat.

Von Susanne Krause

Facebook für Neandertaler

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Wer kennt es nicht – das “Stolz-Wie-Oskar” Gefühl, wenn man etwas selbstgemacht hat: sei es eine Torte oder ein Bett. Forscher aus Harvard nennen das den “Ikea-Effekt”. Dinge, an deren Entstehung wir beteiligt waren, halten wir für wertvoller. Das war wohl schon bei den Neandertalern so. Nur hatten sie kein Smartphone, um ihren archaischen Stolz zu verbreiten.

Der erste Mensch, der Feuer gemacht hat, kam sich sicher saumäßig cool vor. Wahrscheinlich war es ein mickriges Funzel-Feuerchen, vor dem er da voller Stolz kniete – nichts im Vergleich zu dem, was Mutter Natur in unregelmäßigen Abständen frei Haus lieferte. Aber dieses mickrige Funzel-Feuerchen da, das hatte er selbst gemacht!

Erst gut eineinhalb Millionen Jahre nach diesem Vorfall wird der „Ikea-Effekt“ entdeckt. Forscher aus Harvard betiteln so folgendes Phänomen: Dinge, an deren Entstehung wir beteiligt waren, halten wir für wertvoller. Wer schon mal einen Kleiderschrank selbst zusammengeschraubt hat, weiß: Am Ende hat man mindestens drei Holzdübel abgebrochen und ein Brett so eingesetzt, dass die unlackierte Spanplatte nach vorne zeigt. Trotzdem stellt sich beim ersten Anblick des fertigen Möbelstücks ein archaischer Stolz ein. Ich habe Feuer gemacht! Ich habe einen Schrank aufgebaut, dessen Namen ich nicht mal aussprechen kann! Da ist der moderne Mensch schon mal versucht, sich ein bisschen auf die Brust zu trommeln.

Erste Forschungen zum „Ikea-Effekt“ stammen übrigens aus den Fünfzigern und wurden mit Kuchenbackmischungen durchgeführt. Wirklich sinnvoll ausnutzen kann man ihn bei Gebäck allerdings erst, seit die Erfindung von sozialen Netzwerken es erlaubt, nicht nur Kuchen zu backen, sondern das – zugegeben – nicht ganz so archaische Ich-habe-Kuchen-gemacht-Gefühl dauerhaft auf Fotomaterial zu bannen und mit der virtuellen Welt zu teilen. Man sollte den modernen Mensch dafür aber nicht zu sehr verurteilen: Hätte der Urzeitmensch ein Smartphone gehabt, auch er hätte ein Foto des Feuers an seiner Pinnwand geteilt.

Marlene bleibt bei all dem kritisch. Sowohl was Möbel als auch was Backmischungen betrifft. Sie ist ein seltener Sonderfall: Ihr Bett bedeutet ihr viel, allerdings, weil es ihr Freund gebaut hat und das ganz ohne Anleitung und vorgefertigte Bauteile. Und Marlene backt nicht nur Kuchen ohne Fertigmischung, sondern vergärt auch Sauerkraut, weckt Gemüse ein und stellt Apfelwein her: ohne je ein Bild davon zu posten. Sie ist einer von den Menschen, in deren Gegenwart ich das Bedürfnis bekomme, Möbel aufzubauen, einfach nur für ein bisschen Selbstbestätigung. Zum Glück fährt sie am Wochenende los, um sich ein Kellerregal für ihre vielen Einweckgläser zu kaufen. Vielleicht darf ich es ja zusammenschrauben.

Von Susanne Krause

Revierkämpfe im Bett

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Wen stört schon ein winziges Bett, wenn man überhaupt in München eine Bleibe findet. Aber: Wer möchte schon in München wohnen, wenn man ein winziges Bett hat und einen Freund, der jedes Eck Matratze für sich in Beschlag nimmt…

In einer Beziehung braucht man Freiräume. Heißt es immer. Und wenn man zusammenzieht, sollte trotzdem jeder sein eigenes Reich haben. Wie das genau funktioniert – vor allem bei den Münchner Quadratmeterpreisen – erklärt leider niemand. In München ist man doch klar im Vorteil, wenn man überhaupt zu denjenigen gehört, die sich in Beziehungen mit wenig Freiraum zufrieden geben können: Mit 1,2 Quadratmeter zum Beispiel.

1,2 Quadratmeter: Das ist die Hälfte der Fläche eines 1,20-Meter-Bettes. Ali zeigt mir ein Foto von diesem Bett. Es wurde von einem befreundeten Pärchen – ich nehme an – irrtümlicherweise für ein Doppelbett gehalten, käuflich erworben und steht in der gemeinsamen Wohnung. Noch immer in dem Glauben, eine Schlafgelegenheit für zwei zu besitzen, hat das Paar Ali und ihrem Freund die Wohnung als Übernachtungsmöglichkeit überlassen, während es selbst Kleinraum-Urlaub mit Campingwagen macht. Das Bild auf Alis Smartphone zeigt deshalb kein zusammengekuscheltes Pärchen, sondern nur Alis Freund im Tiefschlaf: Er füllt die 2,4 Quadratmeter in Embryonalstellung ganz allein aus. Ali selbst braucht ihr eigenes Reich. Deshalb schläft sie auf dem Sofa.

Wie viel Freiraum man im Reich der Träume braucht, darüber scheiden sich die Geister. Ich habe schon alles gehört: Dass die Matratze unbedingt durchgehend sein muss, damit man nachts nicht durch einen tiefen Graben vom Partner getrennt ist. Aber auch, dass ein Stacheldrahtzaun in der Mitte des Betts praktisch wäre, um sich nachts den schnarchenden, Hitze abstrahlenden und um sich schlagenden Bettgefährten vom Leib zu halten. So eine Grenzlinie könnte auch Alis Schlaf verbessern, wenn ihr Freund bei seinen Übernachtungsbesuchen mal wieder nach und nach immer mehr ihres Betts in Beschlag nimmt. Solange es jedoch noch keine Betten mit effektiven Reviermarkierungen gibt, bleibt Ali nichts anderes, als sich ein neues Territorium zu erobern: Zum Beispiel, indem sie nachts einfach aufsteht, einmal ums Bett herumgeht und das freie Stückchen Matratze auf der anderen Seite annektiert.

Von Susanne Krause