Horror in der Wohnheimküche

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Wohnheimküchen sind meist nicht unbedingt der sauberste Ort auf Erden, doch als Student ist man trotzdem auf sie angewiesen, wenn man nicht verhungern will. Ob man die berühmte ‘Zehn-Sekunden-Regel’ in der Wohnheimküche anwenden sollte, ist jedoch eher fragwürdig.

Die Zehn-Sekunden-Regel besagt: Alles, was weniger als zehn Sekunden auf dem Boden lag, bevor man es wieder in die Finger bekommt, kann man noch essen. Und weil ich Essen sehr viel mehr liebe als mir Dreck unheimlich ist, bin ich einer der fanatischsten Verfechter. Ich schnappe Keksstücke vom Asphalt, ich tauche Erdnussflips unters Bett hinterher und rufe dann, mit Staubmäusen in den Haaren oder Straßenstaub an den Knien „Zehn Sekunden-Regel!“, bevor ich meine Beute in den Mund stopfe. Es gibt jedoch einen Ort, an dem diese Lebensweisheit selbst für mich ihre Gültigkeit verliert: Wohnheimküchen.

Eins vorweg: Natürlich haben Wohnheimküchen ihren Zweck. Nirgendwo sonst lernt man ähnlich kreative Rezepte kennen (in Sahnesoße erwärmte Tagliatelle an aufgebratenem Kassler, Backcamembert, Kroketten und Stracciatella-Joghurt). Aber Berge aus Altglas, undefinierbarer Schleim im Gemüsefach, eingebrannter Analogkäse aus zwei Jahrzehnten – für die Nahrungsmittelzubereitung ist ein solcher Ort denkbar ungeeignet! Wer Fertiggerichte pauschal für ungesünder hält als Selbstgekochtes, hat noch nie versucht, in einem Wohnheim Pizzateig auszurollen. Das kann man hygienisch bedenkenloser auf dem Straßenpflaster tun als auf der Arbeitsplatte einer Gemeinschaftsküche.

Auch wenn die bewährte Zehn-Sekunden-Regel hier außer Kraft tritt; natürlich gibt es auch in Wohnheimküchen Vorschriften: dass jeder sein Geschirr spülen, die Arbeitsflächen abwischen und den Backofen putzen soll, zum Beispiel. Hält sich nur keiner dran. Weil sich ja auch die anderen nicht dran halten. Das ist ein Dilemma, fast schon wie die Sache mit dem Huhn und dem Ei. Aber es ist eines, das sich lösen ließe – und zwar mit der Zehn-Sekunden-Regel. Man müsste einfach eine abgeänderte Form der Vorschrift in Gemeinschaftsküchen einführen: Alles, was herunterfällt, muss innerhalb von zehn Sekunden gegessen werden!

Von Susanne Krause

Hinter geöffneten Türen

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Leonie kann es nicht fassen – vier Tage lang war ihre Haustür einfach so ausgehängt, weil ihre Vermieterin fand, dass die Messingklinke mal wieder poliert werden müsste. Und irgendwie ist man gegen Vermieter auch einfach machtlos.

Manchmal muss man einfach die Tür hinter sich zumachen. Wie wichtig das ist, erkenne ich zum ersten Mal in der Grundschule, als ich eine Klassenkameradin besuche. Deren Barbie-Traumhaus hat zwar jede Menge Türen, ihr Kinderzimmer jedoch gar keine – nur einen leeren Rahmen. Wenn sie etwas angestellt hat, erklärt das türlose Mädchen auf Nachfrage, bekommt sie nicht etwa Hausarrest. Stattdessen hängen ihre Eltern die Kinderzimmertür aus und konfiszieren sie zur Strafe für ein paar Tage. Schon im Alter von sieben Jahren begreife ich, dass das eine ziemlich rabiate Disziplinarmaßnahme ist.

Jetzt frage ich mich, was Leonie angestellt hat, dass ihre Vermieterin ihr die Wohnungstür entzogen hat. Ich weiß, dass es viele Dinge gibt, die man in den Augen von Vermieterinnen falsch machen kann. Da wäre die Wohnungsbesitzerin, die von einer Bekannten einen dreistelligen Betrag einklagen will – angeblich habe sie beim Auszug eine Topfpflanze mitgehen lassen. Oder die Dame, die regelmäßig aus dem Kühlschrank ihrer Mieter alle Nahrungsmittel entsorgt, die dem Mindesthaltbarkeitsdatum nahe oder exotisch gewürzt sind. Leonie hat weder Gummibäume geklaut noch sich beim Lagern von abgelaufener Frischmilch erwischen lassen. Ihre Vermieterin hat einfach beschlossen, dass ihre Messingklinke mal wieder poliert werden müsste und zu diesem Zweck gleich die ganze Tür von Leonies Einzimmerwohnung aushängen lassen. Für vier Tage. Im Sommer baut die Vermieterin übrigens zum besseren Durchzug auch immer die Glasscheibe aus der Haustür.

Leonie ist sauer. Verständlicherweise. Denn dass sie in ihrer Studentenwohnung unfreiwillig vier Tage der offenen Tür für die ganze Stadt veranstaltet hat, erfährt sie erst im Nachhinein von einer Nachbarin. Leonie selbst ist während der Aktion auf Besuch im rundum verschließbaren Elternhaus, wo sie nun seit ein paar Tagen darüber nachgrübelt, ob wohl all ihre Besitztümer die Tage der offenen Tür überlebt haben. Ich sage Leonie, was ich schon meiner Grundschulkameradin sagen wollte: Sie kann sich das doch nicht gefallen lassen! Aber Leonie seufzt nur: Mit den Vermietern ist es heute wie mit den Eltern damals, als man noch klein war: Sie sind die einzigen, die einem einen Ort ermöglichen, an dem man einfach mal die Tür hinter sich zumachen kann – aber eben oft auch dessen größte Bedrohung.

Von Susanne Krause

Vom Sprachkurs abgekommen

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Im Auslandssemester sollte man in erster Linie die Fremdsprachenkenntnisse verbessern. Doch manchmal ist das gar nicht so leicht – manchmal verbessert man sich auch nur in seiner Muttersprache.

Wenn man irgendwo schwedisch spricht – dann in Schweden. Das klingt erst mal logisch. Auch für Max, der schon in München Kurse an der Uni besucht, aber na ja: So ein Haufen deutscher Studenten hat dann doch bessere Mittel, sich zu verständigen, als in skandinavischem Gestammel. Jetzt aber ist Max für ein Auslandsjahr nach Stockholm gegangen. Dort ist Schwedisch mehr als ein blau-gelber Farbtupfer im Stundenplan, dort spricht man das. Deswegen wird er, bevor der Unialltag losgeht, hier noch einmal in einen Sprachkurs geschickt.

Nach einem ganzen Jahr im Ausland spricht man die Landessprache. Klingt auch erst mal logisch. Ist aber oft nicht so: In vielen Fällen sprechen Erasmus-Rückkehrer aber vor allem besser Englisch, so etwa Sarah nach ihrem Jahr in Istanbul. Dabei hat Sarah sich sogar bemüht. Aber ihre neuen Freunde unterbinden sehr bald ihre ersten Türkisch-Versuche – sie klinge ja wie eine Deutschtürkin! Gespräche in der Landessprache führt Sarah fast ausschließlich mit dem älteren Herrn in dem kleinen Eckladen, der ihr den georgischen Wodka von unter der Ladentheke verkauft. Entsprechend ausgewählt ist Sarahs Vokabular.

Die Verkäuferin in Max’ Eckladen spricht leider Englisch. Nicht mal dann, wenn er ihr konsequent in skandinavischem Gestammel antwortet. Seitdem ist Max beleidigt und kauft in dem deutschen Discount-Supermarkt ein paar Straßen weiter ein. Dass Schweden perfekt englisch sprechen, macht es nur noch schwerer, ihre Sprache zu lernen. Aber Max hat ja noch seinen Kurs. Am ersten Tag beginnt die Lehrerin noch damit, jeden einzeln nach seinem Herkunftsland zu fragen. Nach dem Fünften wirft sie die generelle Frage in den Raum, wer denn nicht aus Deutschland komme. Ein junger Mann meldet sich. Er ist Österreicher.

Ich prophezeie Max, dass er nach seinem Jahr in Stockholm hauptsächlich besser deutsch sprechen wird.

Von Susanne Krause

Hundert Prozent Ungewissheit

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Selbst nach dem abgeschlossenen Bachelor-Studium gehen die Ungewissheiten weiter – die Zwischenmiete endet, die Eltern nerven und die Zusage für den Masterstudienplatz lässt weiter auf sich warten.

Es sieht aus, als würde sie im Weiher schwimmen. Und in der Sonne trocknen und wieder schwimmen. Aber eigentlich wartet sie. Toni wartet auf eine Zusage für ihren Masterstudienplatz, damit sie endlich mit der Wohnungssuche anfangen kann. Oder auf eine Absage, damit sie weiß, woran sie ist. Bald endet ihre Zwischenmiete in einer WG und sie zieht zurück zu Mama. Dann ist eigentlich alles wieder wie nach dem Abitur, als wir in den Weihern der Umgebung abwechselnd schwammen und in der Sonne trockneten, um nicht ganz so wartend auszusehen. Ja, Bologna macht es möglich, sich auch in seinen Zwanzigern noch mal zu fühlen wie ein frischer Abiturient – und zu merken, dass es schon beim ersten Mal nicht so toll war.

Laut einer Studie des Bildungsministeriums müsste Toni sich keine Sorgen machen: 95 Prozent der Studenten bekommen einen Platz im Wunschfach. Klingt nach einer guten Quote. So belastend kann es doch nicht sein, auf etwas fast Gewisses zu warten und dabei ein bisschen zu planschen, oder? Leider hat man für die Studie nur diejenigen gefragt, die überhaupt einen Platz bekommen haben. Um es zusammenzufassen: 95 Prozent der Studenten, die sich um ihren Masterplatz beworben haben, wollten das Fach also auch wirklich studieren. Wie viele Bewerber auch weiterhin Kreise in den Seen ihrer Heimat und Wohnungen ihrer Eltern ziehen, obwohl sie ein Wunschfach haben, geht aus der Studie leider nicht hervor.

Damals als frischer Abiturient war man wenigstens vom Abi-Ball noch mindestens zwei Monate betrunken und hatte sich über Jahre an ein Leben im Elternhaus adaptiert. Die Flasche Wein, die Toni anlässlich der Fertigstellung ihrer Bachelorarbeit getrunken hat, hält jedoch nicht mal lang genug vor, bis sie sich voraussichtlich auf die Suche nach einem neuen WG-Zimmer machen kann – sofern sie denn die Zusage bekommt. Alles ungewiss. Aber wenigstens eins konnte ich zu ihrer Beruhigung bei einer kleinen Studie in meinem Freundeskreis herausfinden: 100 Prozent derer, die ein WG-Zimmer haben, waren bei der Wohnungssuche erfolgreich.

Von Susanne Krause

Gesponserte Dankbarkeit

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Lara ist zwischen Unabhängigkeit und Sponsoring hin- und hergerissen. Doch diese beiden Ausrichtungen vertragen sich so gar nicht und so entstehen erst einmal Probleme.

Unabhängigkeit ist eine feine Sache. Tun und lassen, was man möchte, zu jeder Zeit. Sich die Haare platinblond färben, zum Beispiel. Ja, platinblond wäre cool, findet Lara. „So wie die da drüben“, erklärt sie und deutet auf ein Mädchen an der Bar. Während Lara neidisch auf den Hinterkopf in ihrer Traumhaarfarbe starrt, ein neues Thema: Sponsoring. Auch Sponsoring ist eine feine Sache. Man bekommt Geld für Dinge, die man sowieso tun würde: Fußballspielen oder Skateboardfahren, zum Beispiel. Oder eben zum Friseur gehen. Wobei wir wieder bei Lara wären. Der Grund, warum Lara noch immer einen Kopf voller rotbrauner Haare und Augen grün vor Neid hat, ist folgender: Unabhängigkeit und Sponsoring vertragen sich nicht.

Laras Sponsor heißt Papa. Er lässt zwei Friseurbesuche pro Jahr springen – immer dann, wenn Lara ein nettes Tochterlächeln aufsetzt und anmerkt, dass sie eigentlich mal wieder zum Haareschneiden müsste. Lara ist sich jedoch sicher: Sobald sie diese Friseurbesuche nicht mehr nur dazu nutzt, die Spitzen ihrer naturbelassenen Haare stutzen zu lassen, sondern um Papas beigesteuerte Erbinformationen mit einem grellen Platinblond zu überschreiben, ist es aus. Dann wird sie für ihre Frisur auf ewig allein aufkommen müssen. Um es zusammenzufassen: Unabhängigkeit ist fein, platinblond ist cool… aber Geld von Papa ist auch nicht zu verachten!

Das Problem: Wer sponsert, erwartet, dass man ihn gut dastehen lässt. Als Sportler oder Skateboarder trägt man Werbeschildchen auf dem Hemd und ist nett zu Journalisten. Als gesponserte Tochter hat man zumindest mittelmäßig adrett zu sein und sollte seinem Umfeld stets Dankbarkeit für Gen-Ausstattung und elterlich vermitteltes Wertesystem vermitteln. Unabhängigkeit muss man sich leisten können. So wie eben dieses beneidenswerte Mädchen an der Bar. Wobei: wahrscheinlich weiß Lara nur einfach nicht, dass die grelle Wasserstoffblondine da drüben am liebsten einen mausbraunen Pferdeschwanz hätte und als Anwaltsgehilfin arbeiten würde – wenn ihr Mama dann nicht sofort den Geldhahn zudrehen würde.

Von Susanne Krause

Von Müll und Macken

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Nachbarn haben komische Angewohnheiten. Vielleicht ist es da auch gar nicht so schlimm, wenn man sich nicht mal mehr höflichkeitshalber grüßt. Doch was sollte Anna auch zu ihrem Nachbarn sagen, der in der Mülltonne kauert?

Ihre schlimmsten Macken leben die meisten Menschen im häuslichen Umfeld aus. Das erspart uns zwar viel sonderbares Verhalten in der Öffentlichkeit, bedeutet jedoch auch, dass unsere Nachbarn stets besonders bekloppt erscheinen. Vielleicht ist es im Hinblick auf diese Problematik gar kein so großer Verlust, seine Hausgenossen kaum zu kennen, ja, nicht mal höflichkeitshalber zu grüßen, wenn man sich an der Abfalltonne begegnet. Auch als Anna ihren Nachbarn an diesem Abend trifft, sagt sie nichts. Gar nicht mal aus Unhöflichkeit. Klar, einem Nachbarn bei der Mülltonne hätte sie ein flüchtiges „Hallo“ zugeworfen. Aber was sagt man zu einem Mann, der in einer Mülltonne steckt?

Ehe der Einwand kommt, ein Nachbar in der Tonne sei ein Fall für die Kripo: Annas Nachbar ist in einem Stück. Ja, zumindest körperlich scheint er völlig intakt zu sein. Er kauert wie eine Ratte zwischen den Mülltüten und blinzelt erschrocken ins plötzlich einfallende Laternenlicht. Dann legt er einen Finger an die Lippen. „Psst“, zischt er Anna zu. „Bitte sag nichts!“ Anna gehorcht. Sie wüsste auch echt nicht, was sie zu dem erwachsenen Mann, der sich da in ihrer Mülltonne versteckt, sagen sollte.

Unter normalen Umständen würde man vielleicht vermuten, der Mensch im Container sei in Schwierigkeiten. Versteckt sich vielleicht vor der Mafia oder seiner Schwiegermutter. Es spricht nicht für Studentenverbindungen im Allgemeinen, dass Anna dieser Gedanke überhaupt nicht kommt. Denn der Herr im Müll gehört zur Burschenschaft nebenan. Verbindungsmitglieder gehören zu denjenigen Menschen, die ihr erweitertes häusliches Umfeld mit besonders vielen Absonderlichkeiten erfreuen. Also bemüht Anna sich einfach, sich so normal zu verhalten, wie es die Situation eben erlaubt. Sie verstaut den Müllbeutel an der anderen Seite des Containers, eifrig bemüht, ihrem Nachbarn nicht ihren Hausmüll der vergangenen drei Tage um die Ohren zu hauen. Als sie sich schon zum Gehen wendet, fällt ihr dann doch noch etwas Höfliches ein, was man in ihrer Situation sagen könnte. „Soll ich den Deckel auflassen oder zumachen“, fragt sie. Der Nachbar überlegt kurz. Ein kleiner Spalt wäre nett, sagt er dann.

Von Susanne Krause

Ein Leben am Beckenrand

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Statt Provinz für die Großstadt einzutauschen, führt Hanna nun ein Vagabundenleben dazwischen. Ihr Zimmer im Wohnheim steht sowieso meistens leer, weil sie als Bademeisterin in der Provinz arbeitet. Jetzt wünscht sie sich eine Wohnung in der Kleinstadt.

Man ist nie dort, wo man gerade lieber wäre. Klingt blöd, ist aber so. Vor zwei Jahren wollte Hanna nur raus aus der Provinz, wo sie sich bei öden Frühschichten im Kleinstadt-Freibad Geld für ihr Studium in der Metropole zusammensparte. Nirgends wollte sie damals lieber sein als in München. Mittlerweile lebt Hanna seit zwei Jahren in der bayrischen Hauptstadt. Sie hat ein Zimmer ergattert, ihre anfängliche Dorfkind-Furcht vor den Großstadt-Radlern überwunden und sich auch sonst ganz gut in Stadtbild eingefügt. Hanna ist in München angekommen. Und nun?

Nun wünscht sich Hanna – wie könnte es anders sein – eine Wohnung in der Kleinstadt. Ihr hart erarbeitetes Zimmer in einem Münchner Wohnheim steht sowieso meistens leer, weil Hanna nach ihrem letzten Seminar zum Hauptbahnhof hetzt und den nächsten Zug gen Nirgendwo nimmt. Denn dort steht sie nach wie vor mehrmals die Woche als Bademeisterin am Beckenrand. Hanna hat den Absprung nicht geschafft. Ich weiß, plumpe Metapher, aber wahr: Statt Provinz für die Großstadt einzutauschen, führt Hanna nun ein Vagabundenleben dazwischen – in Regionalzügen mit einem Rucksack, in dem sich irgendwie stets so gut wie alles befindet bis auf genau das Buch, das sie jeweils fürs Seminar am nächsten Tag bräuchte. Mit Dingen ist es auch oft so, dass sie nicht da sind, wo man sie gerade lieber hätte.

Mit Freunden verhält es sich ähnlich: Die meisten von Hannas Freunden sind am Kleinstadtbeckenrand stehen geblieben. Klar, München ist spannend. Aber München kann plötzlich ziemlich öde wirken, wenn sich all deine Freunde zur Gartenparty des Jahrhunderts in einer Reihenhaussiedlung am Feldrand treffen. Und eine WG in einer Reihenhaussiedlung am Feldrand wirkt unter diesen Umständen auf einmal wie eine saumäßig aufregende Angelegenheit. Findet zumindest Hanna. Ich vermute ja, WGs in Kleinstadtreihenhaussiedlungen gehören ganz weit oben auf die Liste von Orten, an denen man nur lieber wäre, wenn man gerade nicht da ist. Aber ich sollte vermutlich den Mund halten. Wahrscheinlich erscheint mir München auch nur spannend, weil ich gerade nicht dort wohne.

Von Susanne Krause

Erbstücke und Eigenurin

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Polyester-Unterhemden aus den 70ern, angesprungene Tee-Services: Alles, was mal alt war, wird wieder in. Nur leider haben viele Dinge gar keine Chance, Vintage zu werden..

Die meisten Eltern ergänzen sich: Mütter schmeißen Dinge weg, Väter holen sie wieder aus dem Müll. Leider gewinnen Mütter dieses Spiel irgendwann, wenn die Müllabfuhr dann doch mal schneller war. Warum leider? Weil wir genau deswegen ein Heidengeld für neue Möbel hinblättern, die aussehen, als hätten sie unseren Großeltern gehört – weil unser Erspartes draufgeht für die ausrangierten Klamotten unserer Eltern in den Vintage-Läden dieser Welt. Und das, obwohl unsere Väter schon damals wussten, dass 70er-Jahre-Polyester-Unterhemden irgendwann wieder der letzte Schrei sein würden!

Inzwischen würde ich wohl die Tapetenmuster-Unterhemden meines Vaters mit Freude tragen, einfach weil sie alt sind. Leider gehört meine Mutter zur rabiaten Wegschmeiß-Front. In ihrem Haushalt haben Dinge keine Chance, Vintage zu werden. Als ich in der zweiten Klasse etwas Altes zum Unterricht mitbringen soll, stellt das Mama vor eine schier unlösbare Aufgabe. Im Sitzkreis präsentieren meine Mitschüler geschnitzte Schmuckkästchen, handbestickte Taschentücher und zerknitterte Fotos der Jahrhundertwende. Als ich an der Reihe bin, hole ich einen kiloschweren gusseisernen Fleischwolf aus der Vorkriegszeit aus dem Ranzen. Ich bin das einzige Kind, das keine Geschichte zu seinem Gegenstand erzählen darf.

Dabei macht gerade das den Reiz von alten Dingen aus: dass sie Geschichten erzählen. Die Endprodukte schwedischer Möbel- und Modehäuser schweigen. Aber all die angesprungenen Tee-Services, die modrigen, windschiefen Plüschsofas, die ausgetretenen Schnürstiefeletten! Verträumt sauge ich ihren Geruch von Moder und Geschichtsträchtigkeit ein. Meine Mutter bemerkt derweil, dass bei alten Flohmarktschuhen der Vorbesitzer womöglich versucht hat, sie durch Eigenurin-Therapie zu weiten. Da hat sie mir schon keine eigenen hinterlassen und verdirbt mir nun auch noch die Adoption fremder Familienerbstücke! Am Ende kaufe ich nur eine kaum getragene Strickjacke, Herkunft: schwedisches Modehaus. Wird wohl nichts mehr damit, meinem Leben etwas Geschichtsträchtigkeit zu schenken, ehe ich 75 bin. Den Fleischwolf hat meine Mutter inzwischen übrigens weggeworfen.

Von Susanne Krause

Schwäbisch für Anfänger

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Deutschkurse für Schwaben – darüber kann Sebastian nur lachen. Schließlich spricht er hochdeutsch. Plötzlich findet er sich allerdings in derselben Situation wieder, als er feststellt , dass er für seine neue Arbeitsstelle Schwäbisch lernen muss.

Es gibt eine Bevölkerungsgruppe in München, die besonders integrationsunwillig ist. Sobald sich zwei von der Sorte zusammenfinden, beginnen sie in ihrer unverständlichen Fremdsprache zu quasseln und stimmen ein Klagelied darauf an, was nicht zu Hause alles besser sei. Ich spreche natürlich von den Schwaben. Nach allem, was ich von Münchnern mit schwäbischem Migrationshintergrund bereits gehört habe, ist Stuttgart ein idyllischer Ort, an dem Passanten niemals fluchen, ja nicht mal unfreundlich gucken, tagsüber immer die Sonne scheint und nachts der Bär steppt.

Nur leider, so scheint es, macht die Globalisierung selbst vor einem so idyllischen Ort nicht halt: Sebastian erzählt mir, dass es inzwischen Deutschkurse für Schwaben gibt: Hier lernen schwäbelnde Mitbürger Hochdeutsch, um sich bei Geschäftskontakten mit dem Rest der Republik verständlich zu machen. Lustig, findet Sebastian. Er selbst hat solche Probleme nicht, er spricht akzentfrei. Ja, in der Grundschule seines oberbayerischen Heimatdorfs gehörte er – dank innerdeutschem Migrationshintergrund – sogar zu den wenigen Kindern, die überhaupt Hochdeutsch sprachen. Die andern Madln und Buam fragten sich derweil, wo dieses „Hochdeutschland“ eigentlich liege und warum sie ihre Aufsätze statt auf Bairisch im Minderheitendialekt dieses Migrantenkindes verfassen müssen. Gut zwanzig Jahre später ist aus dem hochdeutschen Einwanderer eine begehrte Fachkraft auf dem gesamtdeutschen Arbeitsplatz geworden – bis jetzt ganz ohne Sprachkurse. Bis jetzt!

Nun allerdings steht Sebastian ein Umzug bevor – ausgerechnet ins schwäbische Paradies. Und wo er eben noch gelacht hat über Deutschkurse für Dialekt Sprechende, findet er sich plötzlich in der entgegengesetzten Situation wieder: Am Ende seines Bewerbungsgesprächs in Stuttgart wird Sebastian gefragt, ob er denn auch mit der Sprache klarkomme. Zum Geburtstag schenke ich ihm deshalb einen Crashkurs Schwäbisch – damit man ihn in der schwäbischen Arbeitswelt auch versteht. Leider sind seine ersten Sprachversuche noch mehr als holprig. Wie gut, dass Schwaben niemals auch nur unfreundlich gucken!

Von Susanne Krause

Das Kaninchen namens „Saftig“

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Braten kommen aus dem Rohr und Würstchen aus dem Kühlschrank? Nicht ganz. Doch dass die süßen Kaninchen ihres Kumpels eines Tages knusprig gebraten auf dem Teller landen sollen, findet Toni gar nicht gut.

Als Toni die Kaninchen eines Kumpels füttert, fragen zwei kleine Nachbarsmädchen, ob sie sich die Tiere mal anschauen dürfen. Es sind zwei niedliche Exemplare; sowohl die Kinder mit großen Augen vor dem Gitter als auch die Tiere mit großen Ohren dahinter. Was die Nachbarsmädchen glücklicherweise nicht wissen: Die Nager heißen „Saftig“ und „Knusprig“.

Wir alle waren einmal Kinder. Und wenn man Kind ist, dann kommen Braten aus dem Rohr und Würstchen aus dem Kühlschrank. So einfach ist das. Natürlich gibt es ein paar engagierte Eltern, die ihren Kindern vermitteln wollen, dass sich der Sonntagsbraten nicht einfach spontan im Ofen materialisiert. Wie etwa der Vater, der seinen Kindern einen Hasen namens „Braten“ in Pflege gab. Als „Braten“ dann wirklich an Knödeln serviert wurde, verspeiste die Nachkommenschaft natürlich keinen Bissen ihres nicht mehr ganz so flauschigen Spielkameraden – glücklicherweise fanden sich im Kühlschrank noch ein paar namenlose Würstchen.

In diesem Sinne ist Tonis Kumpel ganz sicher kein Kind mehr. Er verfolgt voller Vorfreude, wie „Saftig“ und „Knusprig“ brav nach Mastplan zunehmen („Saftig“ bezeichnenderweise etwas besser als sein Käfigkamerad) und freut sich dabei auf ihre Metamorphose vom Haustier zum Festmahl. Toni selbst hat bei der Sache eher gemischte Gefühle: Natürlich ist ihr klar, dass man ein zufriedenes Kaninchen mit besserem Gewissen verspeisen sollte als eine unpersönliche Portion Pferdelasagne. Dennoch hat Toni ihre Pflegehäschen so ins Herz geschlossen, dass sie weiß: Essen könnte sie kein Stück von ihnen.

Tonis moralisches Dilemma wird glücklicherweise durch ein wichtiges Detail erleichtert: Toni ist Vegetarierin. Selbst kultiviert sie statt Braten-in-spe ein kleines Gemüsebeet in einem Gemeinschaftsgarten am Stadtrand. Alles ökologisch, niemand lässt hier sein Leben, ja nicht mal Schneckenkorn ist erlaubt. Nur seit sich ein paar namenlose Nacktschnecken an Tonis Erbsen vergangen haben, ist Schluss mit dem Frieden. Seitdem zerschneidet Toni alle Schnecken – ganz umweltfreundlich! – mit ihrer Gartenschere. Als Vegetarierin muss man ja glücklicherweise nicht essen, was man schlachtet.

Von Susanne Krause