Das Heimweh der Kosmopolitin

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Lisa aus Bayern hat ihren ersten Job in London – und Heimweh. Nach Jahren der gedanklichen Flucht aus dem weiß-blauen Bundesland sehnt sie sich nach dem Ort, der plötzlich die gute, alte Heimat ist. Und verwandelt die neuen Anwandlungen in Lehrstunden bayerischen Kulturgutes.

Bayerische Heimatgefühle? Gingen stets gegen null. In München? Da wollte sie nie wohnen. Lisa wollte weg. Nach einer halbjährigen Reise um die Welt pendelt sie nun wöchentlich für ihren ersten Job nach London. Das klingt ziemlich kosmopolitisch, finde ich. Für eine steile Karriere als Weltbürgerin steht Lisa allerdings ein wichtiges Detail im Weg: Jetzt hat sie Heimweh. So viel Heimweh, dass sie plötzlich bayerisch-patriotische Gefühle entwickelt, die ihr ein bisschen peinlich sind.

Im Allgemeinen sind Menschen schlecht konzipiert: Dinge, die da sind, fallen ihnen oft erst auf, wenn sie wieder weg sind. Über die emotionale Reife eines dreijährigen Kindes, das nur merkt, wie interessant ein Spielzeug ist, wenn man es ihm wegnimmt, kommt man schlichtweg nie hinaus. Die Schulzeit – damals: Montagmorgen, erste Stunde Mathe, grauenvoll! – ist auf Klassentreffen plötzlich eine magische Zeit. Und der öde Ort, in dem man aufgewachsen ist, verdient sich die Vorsilbe „Heimat-“ erst, wenn man ihn verlassen hat.

Da hat Lisa eine ganze Kindheit und Jugend im weiß-blauen Freistaat verlebt, um erst im britischen Exil zu entdecken, dass sie sich dort eigentlich ziemlich heimisch gefühlt hat. Leider hat sie nun – nach Jahren, die mehr den Fluchtgedanken als der Brauchtumspflege gewidmet waren – viel zu wenige Möglichkeiten, diesen neuen Heimatgefühlen Luft zu machen. Lisa spricht ja nicht mal bairisch! Dafür ertappt sie sich dabei, in Dialekt zu denken und in London als selbsternannte Botschafterin bayerischer Bierkultur aufzutreten: Ihre Kollegen lauschen begeistert den Ausführungen, wie man sich korrekt zuprostet („Always look into each other’s eyes!“) und dass man „Noagal“ im Glas nicht austrinkt („Never!“). Das ist immerhin ein Lichtblick am Horizont. Wenn Lisa die Bajuwarisierung der angelsächsischen Welt weiter so fleißig vorantreibt, könnte sich das Heimwehproblem bald erledigt haben.

Von Susanne Krause