Facebook für Neandertaler

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Wer kennt es nicht – das “Stolz-Wie-Oskar” Gefühl, wenn man etwas selbstgemacht hat: sei es eine Torte oder ein Bett. Forscher aus Harvard nennen das den “Ikea-Effekt”. Dinge, an deren Entstehung wir beteiligt waren, halten wir für wertvoller. Das war wohl schon bei den Neandertalern so. Nur hatten sie kein Smartphone, um ihren archaischen Stolz zu verbreiten.

Der erste Mensch, der Feuer gemacht hat, kam sich sicher saumäßig cool vor. Wahrscheinlich war es ein mickriges Funzel-Feuerchen, vor dem er da voller Stolz kniete – nichts im Vergleich zu dem, was Mutter Natur in unregelmäßigen Abständen frei Haus lieferte. Aber dieses mickrige Funzel-Feuerchen da, das hatte er selbst gemacht!

Erst gut eineinhalb Millionen Jahre nach diesem Vorfall wird der „Ikea-Effekt“ entdeckt. Forscher aus Harvard betiteln so folgendes Phänomen: Dinge, an deren Entstehung wir beteiligt waren, halten wir für wertvoller. Wer schon mal einen Kleiderschrank selbst zusammengeschraubt hat, weiß: Am Ende hat man mindestens drei Holzdübel abgebrochen und ein Brett so eingesetzt, dass die unlackierte Spanplatte nach vorne zeigt. Trotzdem stellt sich beim ersten Anblick des fertigen Möbelstücks ein archaischer Stolz ein. Ich habe Feuer gemacht! Ich habe einen Schrank aufgebaut, dessen Namen ich nicht mal aussprechen kann! Da ist der moderne Mensch schon mal versucht, sich ein bisschen auf die Brust zu trommeln.

Erste Forschungen zum „Ikea-Effekt“ stammen übrigens aus den Fünfzigern und wurden mit Kuchenbackmischungen durchgeführt. Wirklich sinnvoll ausnutzen kann man ihn bei Gebäck allerdings erst, seit die Erfindung von sozialen Netzwerken es erlaubt, nicht nur Kuchen zu backen, sondern das – zugegeben – nicht ganz so archaische Ich-habe-Kuchen-gemacht-Gefühl dauerhaft auf Fotomaterial zu bannen und mit der virtuellen Welt zu teilen. Man sollte den modernen Mensch dafür aber nicht zu sehr verurteilen: Hätte der Urzeitmensch ein Smartphone gehabt, auch er hätte ein Foto des Feuers an seiner Pinnwand geteilt.

Marlene bleibt bei all dem kritisch. Sowohl was Möbel als auch was Backmischungen betrifft. Sie ist ein seltener Sonderfall: Ihr Bett bedeutet ihr viel, allerdings, weil es ihr Freund gebaut hat und das ganz ohne Anleitung und vorgefertigte Bauteile. Und Marlene backt nicht nur Kuchen ohne Fertigmischung, sondern vergärt auch Sauerkraut, weckt Gemüse ein und stellt Apfelwein her: ohne je ein Bild davon zu posten. Sie ist einer von den Menschen, in deren Gegenwart ich das Bedürfnis bekomme, Möbel aufzubauen, einfach nur für ein bisschen Selbstbestätigung. Zum Glück fährt sie am Wochenende los, um sich ein Kellerregal für ihre vielen Einweckgläser zu kaufen. Vielleicht darf ich es ja zusammenschrauben.

Von Susanne Krause