Luxus in der Bruchbude

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Mit dem Wort „Luxus“ verbindet jeder etwas anderes. Gerade als Student lernt man die kleinen Dinge wertzuschätzen. Um alle Wohnträume zu erfüllen, kann bereits eine neue Leuchtstoffröhre ausreichend sein.

Bei dem Wort „Luxus“ denkt man an tiefer gelegte Limousinen, Privatjets und Lofts mit Dachterrasse. Um eines vorweg klarzustellen: Ich bewohne kein Luxusloft. Trotzdem fällt sofort das L-Wort, als Leonie zum ersten Mal meine WG-Küche betritt. Luxus bedeutet in diesem Fall aber keineswegs vergoldete Armaturen oder Hightech-Geräte. Nein, Ziel von Leonies Neid sind lediglich knapp eineinhalb Meter Arbeitsplatte und ein alter Gasherd mit ganzen vier Kochplatten. Vier! Und einem Ofen drunter. Als Student wird man genügsam.

Die Küche in Leonies Apartment besteht aus einer Spüle, die nahtlos in zwei Herdplatten übergeht, Kühlschrank und einem Oberschrank mit wackeligen Regalbrettern – Standardausstattung vieler Studentenbuden. Es ist nicht verwunderlich, dass sich das Klischee vom Studenten, der nicht kochen kann, hartnäckig hält: In einer Ein-Quadratmeter-Küche geraten selbst für versierte Sterneköche Würstchen mit Bratkartoffeln zu einer logistischen Herausforderung. Besonders wenn die vom Wohnheim beauftragten Handwerker beim Reparieren des Oberschranks die einzige Lampe des Kochkämmerchens lahmgelegt haben. Zwar gibt es Menschen, die für ein Dinner im Dunkeln viel Geld hinblättern. Max hätte aber dann doch lieber den Luxus, die Würstchen in seiner Pfanne von den Kartoffeln unterscheiden zu können. Vielleicht hatte schon Voltaire Probleme mit der Beleuchtung seiner Bratwürstchen, als er Luxus zu einer „sehr notwendigen Sache“ erklärte.

Bei dem Wort „Luxus“ denkt man eher selten an das Studentenleben. Aber wahrscheinlich begeht man gerade damit einen riesigen Fehler. Denn nie wieder wird Luxus so billig sein. Da Max’ klappriger Oberschrank vom Studentenwerk durch ein etwas größeres, weniger windiges Exemplar ersetzt wurde und seine neue Leuchtstoffröhre etwas heller strahlt als die alte, wirkt er so zufrieden, als wären nun all seine Wohnträume erfüllt. Und auch Leonies Neid gegenüber meiner traumhaften Einbauküche weicht kulinarischer Verzückung, als ich ihr zum Mittagessen eine Artischocke serviere – Luxus pur aus dem Aldi-Sonderangebot. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.

Die Panik vor dem Klingeln

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Wir kennen sie: die Menschen, die uns auf eine riesen Unordnung im WG-Zimmer vorbereiten und das einzige Chaos ein ungemachtes Bett ist. Wer das Schlimmste prophezeit, kann nur postiv überrachen. Psychologen nennen dieses Phänomen Sandbagging.

Wir alle haben sie gehasst: Diese eine Mitschülerin, die nach jeder Prüfung lautstark gejammert hat, dass sie ganz sicher eine Fünf bekommt, bis sie eine Woche später die zweitbeste Arbeit der Klasse in Empfang nehmen konnte. Psychologen nennen dieses Phänomen Sandbagging. Wer das Schlimmste prophezeit, kann nur positiv überraschen – selbst wenn er dabei allen furchtbar auf den Senkel geht.

Johannes plant offenbar eine besonders große Überraschung, während er versucht, mich auf dem Weg zu seiner Wohnung abzuhängen. Nachdem ich den Termin für die Matinee-Vorstellung verplant habe, beschließen wir kurzfristig, die Filmvorführung zu ihm nach Hause zu verlagern. Auf dem Weg legt er mir gerade zum vierten Mal dar, dass es dort aber nicht aufgeräumt sei und sucht nach fadenscheinigen Ausreden, um sich einen Vorsprung zu verschaffen. In Wahrheit – ich habe es bereits geahnt – reichen natürlich die dreißig Sekunden, die er früher aus dem Aufzug steigt, um die eine herumliegende Hose im Zimmer aufzusammeln und für beinahe tadellose Ordnung zu sorgen. Note: 1-. Ich bin nicht sonderlich überrascht: Menschen, bei denen zuhause wirklich das Chaos herrscht, fühlen sich darin zu wohl, um andere vorzuwarnen.

Nervös wird hingegen der Rest der Menschheit bei Besuch, vor dem man die eigenen vier Wände nicht mehr inszenieren konnte. Auch wenn es keiner gern zugibt: Die letzten fünf Minuten bevor es an der Tür klingelt sind reserviert, um das Buch auf dem Nachttisch auszutauschen, den Politikteil statt der Kontaktanzeigen oben auf den Zeitungsstapel zu legen und noch fix andere Musik einzulegen. Besuch ist eigentlich eine nette Sache, fühlt sich aber immer ein bisschen an wie einst die Zimmerkontrolle im Schullandheim. Dabei prüfen die wenigsten Freunde – ja nicht mal besonders penible Eltern – was sich an Dreck unter dem Bett verbirgt. Bei Johannes entdecke ich den Staub unter dem Sofa auch nur unabsichtlich, als wir es näher vor den Bildschirm rücken. Ehe ich Gelegenheit habe, ihn davon zu überzeugen kann, dass Staub unter Möbelstücken, die man sonst nie verrückt, ein ganz normales Phänomen ist, holt er schon die Kehrschaufel aus der Küche. Bestimmt ist er erleichtert, dass er mich auf das Schlimmste vorbereitet hat. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.

Tradition und anderer Quatsch

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Traditionen sind dazu da, um gemeinsam Dinge tun zu können, bei denen man sich so ganz alleine ziemlich dämlich vorkäme. Die Frage bleibt: Warum wurde der Erste, der einst mit einer Tradition begann, nicht so lauthals ausgelacht, dass sich keiner traute ihm gleich zu tun?

Traditionen sind dazu da, um gemeinsam Dinge tun zu können, bei denen man sich so ganz allein ziemlich dämlich vorkäme. In dem Studentenviertel, in dem Max sein Auslandssemester verbracht hat, öffnet man dienstags um zehn die Fenster und schreit hinaus in die Nacht. Für denjenigen, der den ersten Schreit tut, fühlt sich das immer ein wenig seltsam an. Sobald das Gekreische wie ein Echo von allen Seiten widerhallt, setzt ein befreiendes, ja beinahe archaisches Gefühl ein. Nach seiner Rückkehr in die Münchner Studentenstadt muss Max diese Tradition hier unbedingt einführen, finde ich. Denn Schreien als fröhliche Massenveranstaltung sollte nicht nur Menschen vorbehalten sein, für die es Anlass zu höchster Aufregung ist, wenn Männer in kurzen Hosen auf dem Rasen hin- und herdackeln. Leider ist es ein schmaler Grat zwischen dem Begründer einer Tradition und einem armen Irren, der aus dem Fenster schreit.

Dabei kann man sich bei vielen Traditionen fragen, warum der Erste, der einst damit begann, nicht so lauthals ausgelacht wurde, dass sich keiner traute, in seine Fußstapfen zu treten. Bayerische Bräuche sind für mich eine schier unerschöpfliche Quelle der Verwunderung: Es ist noch nicht lange her, dass ich in der Hallertau Männer in Lederhosen beobachte, die auf Biertischen rhythmisch ihre Peitschen zum Klang von Akkordeonmusik schnalzen lassen, während der Dorfpfarrer dazu den Takt auf einem Amboss schlägt. Jetzt mal ehrlich: Wieso hat das Brauchtum über die Jahre so elaborierten Quatsch hervorgebracht, während nie jemand auf die simple Idee gekommen ist, bequemes Gemeinschaftsgekreische von zu Hause einzuführen?

Wenn Schreien einen festen Platz im Alltag hätte, wäre Vieles besser. Wer seine Stimmbänder für die Woche schon einmal abgenutzt hat, kann sich bei Massenveranstaltungen endlich wieder auf den Anlass konzentrieren – bei Konzerten auf die Musik, bei Fußball auf das Spiel und bei Demonstrationen auf die Sache.

Von Susanne Krause

Wer will schon Handwerken

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Die meisten von uns haben sich beim Auszug Grundkenntnisse im Kochen, Putzen und teils sogar Nähen angeeignet. Das handwerkliche Know-How geht jedoch oft nicht über das Einschlagen von Nägeln hinaus. Das ist ein Fehler…

Wegwerfen ist out. Der Trend geht zum Reparieren. Es gibt Repair-Cafés, wo man bei Tee und Gebäck gemütlich zusammensitzt und an Fahrrädern und Toastern herumschraubt. Ich halte das für eine sehr schöne Idee. Allerdings bin ich skeptisch, ob Repair-Cafés in unserer Generation so schnell einen Trend ablösen, der in den Medien sehr viel weniger Beachtung findet, obwohl er sich gar nicht so stark davon unterscheidet. Auch während Papa am Fahrrad oder Toaster herumschraubt, ist Raum für Tee und Gebäck sowie gemütliches Herumsitzen.

Die meisten von uns haben sich beim Auszug Grundkenntnisse im Kochen, Putzen und teils sogar Nähen angeeignet. Das handwerkliche Know-How geht jedoch oft nicht über das Einschlagen von Nägeln hinaus. Ohne Papa mit seinem kiloschweren Werkzeugkasten, seiner Schlagbohrmaschine und dem Fahrradreparatur-Kit hätten viele von uns weder Wandregale noch verkehrstüchtige Mountainbikes. Neben allem Equipment haben Väter eine erstaunlich stoische Ruhe: Sie verkabeln Lampen, während der Sohn mit einem Abschluss in Elektrotechnik zusieht; sie holen plattgefahrene Räder bei der Tochter in der nächsten Stadt ab und bringen sie generalüberholt zurück. Nur manchmal sind sie schlichtweg nicht da.

Deswegen beschließe ich, während ich in der stockfinsteren Dusche nach dem Haarshampoo taste, dass die kaputte Lampe in unserem WG-Bad wohl ohne väterliche Hilfe ausgetauscht werden muss. Als ich meinem Mitbewohner den Entschluss unterbreite, wirft dieser geschockt ein, was es allein für ein Aufwand sei, eine neue Lampenfassung zu kaufen. An seinem freien Tag radelt er dann aber doch brav zum Baumarkt, während ich meinen orangefarbenen IKEA-Werkzeugkasten hervorkrame, der zur Erstausstattung einer jeden Studentenbude gehört – den man, väterlichem Einsatz sei Dank, nur so gut wie nie benutzt.

Nach einem feierlichen High Five – wir haben die Spiegelleuchte so verkabelt, dass man wieder sieht, wie dreckig unser Bad eigentlich ist – folgt die Ernüchterung. Die bestehenden Löcher in den Fliesen passen nicht für die neue Lampe. Kurz überlegen wir, ob wir mit dem Anbringen auf einen unserer Väter und seine Bohrmaschine warten. Dann beschließen wir jedoch, allein zu beenden, was wir ohne väterliche Hilfe begonnen haben. Also kleben wir die Lampe mit zwei Metern Paketklebeband an den Fliesen fest. Übrigens: Handwerken ist out. Der Trend geht zu Tape-Art.

Von Susanne Krause

Urlaubsfotos aus der Bib

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Urlaub ist was Schönes. Urlaubsfotos eigentlich auch. So viel zur Theorie. In der Praxis sind die Fotopost von Freunden auf Weltreise an Stränden lästig. Vor allem wenn man selbst nicht verreisen kann.

Judith bringt Dinge auf den Punkt. Urlaubsfotos von Freunden zum Beispiel: „Ich weiß, wie du aussiehst, ich weiß wie Angkor Wat aussieht. Die Kombination aus beiden bringt mir absolut keinen Mehrwert“, sagt sie und seufzt zwischen zwei Schlucken Wein. In ihrem Freundeskreis veranstalten Menschen jedoch ganze Reisepräsentationsabende, inklusive der Einführung in die Landesgeschichte und detaillierter Bildbesprechungen. Ich werfe ein, dass man Angkor Wat inzwischen auch auf Street View besuchen kann. Das erspart einem sowohl den Weg zum Dia-Abend als auch den Flug nach Kambodscha. Das Internet macht vieles einfacher.

Nur Alis Leben, das vereinfacht es gerade nicht. Ali will Urlaub. Nur am Strand liegen, nichts lesen, nicht denken. Es müsste nicht mal Kambodscha sein, nein, Kroatien täte es auch. Leider häuft sich nur Alis Arbeit für die Uni, während ihr Geld so gar keine Anstalten macht, Haufen zu bilden. Und Alis Facebook-Freunde veranstalten derweil ausgiebige Reisepräsentationen, ohne je Einladungen dazu verschickt zu haben. Ali weiß, wie ihre Freunde aussehen. Und sie weiß, wie Strände aussehen – und jetzt, nach dem zwanzigsten Post von Freunden an Stränden, weiß sie es umso besser.

Schon klar: Man sucht sich Freunde, die man für nette Menschen hält, und gönnt ihnen nette Dinge. So viel zur Theorie. In der Praxis ist natürlich nichts lästiger als dieser eine Facebook-Kumpane auf Weltreise, der leicht bekleidet und sonnengebräunt vor wechselnder Kulisse in die Kamera strahlt, während man selbst im öden Alltag versinkt. Da kann man eigentlich nur hoffen, eine gute Ausrede zu finden, ehe er für den Powerpoint-Bilderabend nach Hause zurückkehrt.

Bis jetzt will noch niemand Fotos mit den Hashtags #DreiStunden-WartezeitBeimZahnarzt posten oder Powerpoint-Präsentationen von den Überstunden in der Bibliothek oder dem Büro veranstalten. Vielleicht wären wir jedoch alle glücklicher, wenn endlich jemand diesen ersten Schritt wagen würde.

Von Susanne Krause

Konsequent im Unrecht

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Eltern haben Recht. Zumindest in den meisten Fällen. Wir Kinder wollen das aber nicht immer wahrhaben, auch wenn man Aussagen fast nicht mehr verteidigen kann. Mit Trotz hat das nichts zu tun. Das ist nur konsequent – auch im Unrecht.

Jean hat eine böse Erkältung, wahrscheinlich eine Nasennebenhöhlenentzündung. Ich sage ihm, er soll inhalieren – das hilft. „Ja“, setzt er mit Leidensmiene an. Seine Mutter habe ihm das auch schon dreimal gesagt. Er seufzt. „Warum hat sie immer noch nicht verstanden, dass es viel effektiver wäre, mir zu sagen, dass ich genau das nicht tun soll?“, fragt er verzweifelt.

Das Schlimme an Eltern ist nicht, dass sie davon überzeugt sind, immer Recht zu haben. Das Schlimme ist, dass sie meistens wirklich Recht haben. Eltern wissen, dass man einen Schal ummachen sollte, eingebrannte Töpfe sofort spülen muss und Oliven eigentlich ganz gut schmecken. Und inzwischen wissen wir Kinder das auch. Nur: Dummerweise haben die meisten von uns irgendwann zwischen Trotzphase und Pubertät genau das Gegenteil behauptet. Manche dieser Aussagen lassen sich nicht lang aufrechterhalten – etwa als ich vor gut zwanzig Jahren verkündete, dass sich mein Kinderzimmer von allein aufräume. Dabei gab ich mir sogar alle Mühe, diese These zu verteidigen und stellte meinen Wecker auf zwei Uhr morgens. Das Projekt „Recht behalten gegenüber Mama“ scheiterte allerdings daran, meinen großen Bruder im Stockbett über mir zu wecken und für die nächtliche Säuberungsaktion zu begeistern.

Niederlagen kommen vor. Nicht alles, was man zwischen Spracherwerb und Auszug behauptet, lässt sich auf Dauer verteidigen. Umso wichtiger ist es, Zeichen zu setzen. Auch wenn sich dann die Erkältung festsetzt und man das eingebrannte Fett wohl nie wieder aus der Pfanne kriegt. Bei der Wahl zwischen den Alternativen „Wahrheitsliebe“ versus „Treue gegenüber den eigenen Aussagen als Fünfjähriger“ entscheiden sich wirklich nur krankhaft wankelmütige Menschen für die Wahrheitsliebe. Der Rest sortiert weiter fleißig Oliven aus Mamas Salat. Das ist kein Trotz. Nein, das ist nur konsequent.

Von Susanne Krause

Man schläft nur einmal

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Club Nacht versus WG-Party. Unsere Kolumne zeigt, dass die Vorzüge von WG-Partys als Gastgeber mit zunehmendem Alkoholpegel schwinden. Und warum manchmal die erste Nacht-Tram doch die richtige Entscheidung ist.

Früher war alles früher. Heute dagegen bin ich gerade dabei, in der U-Bahn einzunicken – auf dem Weg zum Club, wohlgemerkt, nicht auf der Heimfahrt. Es ist halb ein Uhr nachts, ich bin nach einem Abend mit Crepes, Weißwein und „Tabu“ satt und selig. Meinen Organismus heute noch den Strapazen von Lärm und schlechter Luft auszusetzen, erscheint mir ähnlich lästig, wie mich abends im Halbschlaf noch mal fürs Zähneputzen aus dem warmen Bett zu quälen. Aber anstatt an meiner Haltestelle auszusteigen, fahre ich tapfer mit den anderen weiter zur Sonnenstraße, wo Betten und Zahnbürsten rar gesät sind – obwohl all die Menschen, die bereits auf den Gehsteigen knien, beides so dringend bräuchten!

WG-Partys hingegen sind eine feine Sache. Sie beginnen vor ein Uhr nachts, man zahlt nichts für die Garderobe und führt manchmal sogar Gespräche, bei denen man sich nicht nur gegenseitig „Was?“ ins Ohr schreit. Zu Hause ist es am schönsten. Nur wenn morgens um drei plötzlich Tränen fließen wie Sturzbäche und nicht nur die ersten Seelen Striptease betreiben, ist es Zeit, nach Hause zu gehen. An diesem Punkt wird die Problematik von WG-Partys deutlich: Irgendjemand ist dann immer schon zu Hause. Und denjenigen halten dann nicht nur Gastgeberpflichten und der Lärm davon ab, dem zum Trauerspiel mutierten Freudenfest in Richtung Bett zu entfliehen, sondern auch mal eine Portion Erbrochenes auf dem Laken. Dass auf WG-Partys, im Gegensatz zur Sonnenstraße, alkoholisierten Menschen Betten und Zahnbürsten zur Verfügung stehen, ist nicht zwingend ein Segen. WG-Partys sind eine feine Sache, nur nicht unbedingt im eigenen Zuhause.

In der Schlange vor dem Club ringe ich mich übrigens endlich durch, in krassester „You live only once“-Manier einfach nur zu tun, worauf ich gerade Lust habe: Ich verabschiede mich und nehme die erste Nacht-Tram nach Hause.

Von Susanne Krause

Globetrotter mit Hindernissen

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Lieber Wien als Kathmandu? Unsere Kolumne zeigt, warum es manchmal keinen Unterschied macht, wo auf der Welt man sich befindet. Bekannten Gesichtern begegnet man meist dort, wo man es am wenigsten erwartet.

Leo hat notorisches Fernweh. Für ihr Praktikum hatte sie sich auch in Kathmandu beworben. Es ist allerdings nur Wien geworden. Vielleicht ist das auch nicht das Schlechteste: Erst kürzlich habe ich gelernt, das Kathmandu eine der Städte mit der höchsten Luftverschmutzung weltweit ist. Die Wiener Luft hingegen ist frisch, als Leo mich vom Westbahnhof abholt. Etwas zu frisch, um ehrlich zu sein: Während in Kathmandu der Mief des gesamten Himalajas steht, steht in den Straßen von Wien gar nichts. Es herrscht ein so reger Luftaustausch, dass Straßenschilder und Cafétische an uns vorbei über den Bordstein geweht werden.

Coole Kids würden solches Wetter wohl zum Anlass nehmen, ihr Fernweh mit tropischen Cocktails in Wiener Subkultur-Spelunken zu kurieren. Wir sind keine coolen Kids; wir greifen lieber zu Omas bewährtem Hausrezept und schauen „Traumhotel“. Für irgendwas müssen die horrenden Rundfunkgebühren, die Leo letztens nachbezahlen musste, schließlich gut gewesen sein. „Das Traumhotel“ ist eine Reihe mies geschauspielerter Schmonzetten, in der sich vor der Kulisse exotischer Paradiese jedes Mal aufs Neue dramatische Liebeswirren entspinnen, deren Texte wir auch mit Mündern voller Kekskrümel aufs Wort vorhersagen können. Es dauert nur etwa eine Viertelstunde klischeebeladener Dialoge, bis ich überzeugt bin, dass wir – während uns die Wiener Luft hier drinnen gefangen hält – im Rest der Welt nichts verpassen: Außer beschränkten Touristen scheint es etwa laut „Traumhotel“ in Indien nicht viel zu geben … na ja, da wären noch der Maharadscha und sein Sohn. Aber die werden gespielt von einem blauäugigen Deutschen mit Sprühbräune und dem türkischstämmigen Erol Sander. Das kann ich auch bei einem Spaziergang um den Hauptbahnhof haben.

Ein paar Wochen später habe ich mich trotz „Traumhotel“-Therapie aufgemacht in fremde Länder und fahre nach Schweden. Gerade bin ich dabei, die dänische Grenze hinter mir zu lassen und lausche der schwedischen Zugansagerin, als sich oberbayrische Gesprächsfetzen aus der Reihe hinter mir darüber legen. Ich drehe mich um: Hinter mir sitzen zwei Jungs aus meiner ehemaligen Schule, die auf dem Weg sind, Leos Freund während seines Auslandssemesters zu besuchen. Vielleicht fahre ich das nächste Mal doch lieber nach Kathmandu.

Von Susanne Krause

Hüter der Ordnung

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Mitbewohner verursachen Unordnung. Unsere Kolumne zeigt, dass dem nicht so ist, ganz im Gegenteil: Sie erhalten die Ordnung aufrecht. Das sieht man vor allem dann, wenn sie aus dem Haus sind.

Es ist eine falsche Annahme, dass Mitbewohner Unordnung verursachen. Mitbewohner sind überhaupt diejenigen, die Ordnung aufrecht erhalten. Als Sören übergangsweise allein in seiner Wohnung lebt, betritt er die Küche teils tagelang nicht – nur einmal, als er wirklich Hunger hat, im Kühlschrank jedoch nichts ist, außer Licht. Jetzt, wo ich hier wohne, nutzt er plötzlich einen Raum mehr: Sören macht sich Käsetoasts, statt nur von Süßigkeiten und Fastfood zu leben, und spült danach sofort seinen Teller. Alles ganz vorbildlich – das gute Leben erfordert eben Publikum.

Die meiste Unordnung verursachen Mitbewohner, wenn sie nicht da sind. So wie Sören, als er in den Urlaub fährt. Zwar vergesse ich nicht, dass unsere Wohnung eine Küche hat – wohl aber, warum man sie in Ordnung hält. So ganz allein verliere ich plötzlich all meine Motivation, die Küche in einem bewohnbaren Zustand zu hinterlassen. Denn Geschirr, das niemand sieht, ist auch nicht schmutzig. Wozu also die Mühe? Zum Abspülen kann ich mich erst kurz vor seiner Rückkehr bewegen, als die Geschirransammlungen überall in der Wohnung an die Zeiten erinnern, als meine Eltern ohne uns Kinder im Urlaub waren.

Allein kann man machen, was auch immer man möchte. Niemand, der stört. Das war einst der Reiz an Eltern, die sich in den Urlaub verabschiedeten. Und das sind die Argumente von Menschen, die über eiserne Disziplin verfügen – nämlich genau über die Disziplin, einen vorzeigbaren Tagesrhythmus zu leben, obwohl man ihn gar niemanden vorzeigen muss. Paula hat das ganze Studium über allein gewohnt. Nie mehr wieder, sagt sie. In der Lernphase kann sie ganze Tage verbringen, ohne einem anderen menschlichen Wesen zu begegnen. Da ist es dann nicht notwendig, sich anzuziehen. Und wenn man sich anziehen muss, ist es eigentlich auch nicht wirklich ratsam, das Bett zu verlassen. Oder den Fernseher auszuschalten. Klar, so ganz allein, kann man tun, was man möchte. Fraglich ist allerdings, ob man wirklich will, dass man tun kann, was man möchte.

Von Susanne Krause

Sintflut frei Haus

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Alles Gute kommt von oben. Sagt man. Bei Kronleuchtern zum Beispiel ist das anders. Eine Kolumne über Wasserschaden, unerfreute Nachbarn und biblische Gerechtigkeit: Denn wer oben ist, sitzt am längeren Hebel.

Dass alles Gute von oben kommt, ist ein dummes Gerücht. Aber es hält sich hartnäckig. Dabei gibt es genug Beispiele von Dingen, die viel besser sind, wenn sie oben bleiben, als wenn sie von dort kommen. Balkone zum Beispiel. Oder auch Kronleuchter. Als der Leuchter nach mehreren Jahren treuen Dienstes auf den Boden von Judiths WG-Küche darniedersaust, hält das niemand für ein Geschenk des Himmels – Scherben hin oder her. Und auch Marcel findet, dass der Balkon unten im Hof seinen Zweck nicht mehr so ganz erfüllt.

Auch Wasser von oben ist doof. Da sind sich ebenfalls die meisten einig. Gilt für draußen – und für drinnen gilt es sowieso. Das wissen besonders die Menschen, die unter mir wohnen, seit die Vormieterin meines WG-Zimmers vergessen hat, den Ablaufschlauch der Waschmaschine in die Badewanne zu legen. Die anschließende Überflutung ließ es im zweiten Stock Waschlauge regnen. Einmal hätten die Nachbarn uns vielleicht verziehen. Aber seit dem zweiten Abwasserschauer ist man da nicht mehr besonders gut auf unsere WG zu sprechen. Zu unserem Glück sind ihre Rachemöglichkeiten eingeschränkt. Von unten wird man allenfalls mit akustischen Mitteln wie Dudelsack-Fingerübungen gequält. Wer oben ist, sitzt am längeren Hebel. So konnte ich etwa einst dank guten Karmas zwei Jahre musikalischer Folter durch meinen Nachbarn von unten mit einem Rohrbruch vergelten. Es gibt sie eben noch, die biblische Gerechtigkeit.

Wirklich sicher sind im Grunde nur Dachgeschosswohnungen. Je tiefer man in einem Mietshaus wohnt, desto höher ist die Gefahr für böse Überraschungen. Wie etwa die Erwachsenenwindel, die jemand neulich ein Stockwerk über Matthias die Toilette herunterspülen wollte. Die Schwerkraft tat ihren Dienst nur noch etwa bis auf Höhe von Matthias‘ Wohnung, wo sich die Windel dann im Abfluss verkeilte. Ich möchte an dieser Stelle nun allerdings nicht näher ins Detail bezüglich der dadurch ausgelösten Überschwemmung gehen, aber so viel sei gesagt: Für einen ausgiebigen Waschlaugenschauer wäre Matthias wahrscheinlich dankbar gewesen. Aber Sintfluten kommen einfach nie zur rechten Zeit.

Von Susanne Krause