Eltern haben Recht. Zumindest in den meisten Fällen. Wir Kinder wollen das aber nicht immer wahrhaben, auch wenn man Aussagen fast nicht mehr verteidigen kann. Mit Trotz hat das nichts zu tun. Das ist nur konsequent – auch im Unrecht.
Jean hat eine böse Erkältung, wahrscheinlich eine Nasennebenhöhlenentzündung. Ich sage ihm, er soll inhalieren – das hilft. „Ja“, setzt er mit Leidensmiene an. Seine Mutter habe ihm das auch schon dreimal gesagt. Er seufzt. „Warum hat sie immer noch nicht verstanden, dass es viel effektiver wäre, mir zu sagen, dass ich genau das nicht tun soll?“, fragt er verzweifelt.
Das Schlimme an Eltern ist nicht, dass sie davon überzeugt sind, immer Recht zu haben. Das Schlimme ist, dass sie meistens wirklich Recht haben. Eltern wissen, dass man einen Schal ummachen sollte, eingebrannte Töpfe sofort spülen muss und Oliven eigentlich ganz gut schmecken. Und inzwischen wissen wir Kinder das auch. Nur: Dummerweise haben die meisten von uns irgendwann zwischen Trotzphase und Pubertät genau das Gegenteil behauptet. Manche dieser Aussagen lassen sich nicht lang aufrechterhalten – etwa als ich vor gut zwanzig Jahren verkündete, dass sich mein Kinderzimmer von allein aufräume. Dabei gab ich mir sogar alle Mühe, diese These zu verteidigen und stellte meinen Wecker auf zwei Uhr morgens. Das Projekt „Recht behalten gegenüber Mama“ scheiterte allerdings daran, meinen großen Bruder im Stockbett über mir zu wecken und für die nächtliche Säuberungsaktion zu begeistern.
Niederlagen kommen vor. Nicht alles, was man zwischen Spracherwerb und Auszug behauptet, lässt sich auf Dauer verteidigen. Umso wichtiger ist es, Zeichen zu setzen. Auch wenn sich dann die Erkältung festsetzt und man das eingebrannte Fett wohl nie wieder aus der Pfanne kriegt. Bei der Wahl zwischen den Alternativen „Wahrheitsliebe“ versus „Treue gegenüber den eigenen Aussagen als Fünfjähriger“ entscheiden sich wirklich nur krankhaft wankelmütige Menschen für die Wahrheitsliebe. Der Rest sortiert weiter fleißig Oliven aus Mamas Salat. Das ist kein Trotz. Nein, das ist nur konsequent.
Von Susanne Krause