Hüter der Ordnung

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Mitbewohner verursachen Unordnung. Unsere Kolumne zeigt, dass dem nicht so ist, ganz im Gegenteil: Sie erhalten die Ordnung aufrecht. Das sieht man vor allem dann, wenn sie aus dem Haus sind.

Es ist eine falsche Annahme, dass Mitbewohner Unordnung verursachen. Mitbewohner sind überhaupt diejenigen, die Ordnung aufrecht erhalten. Als Sören übergangsweise allein in seiner Wohnung lebt, betritt er die Küche teils tagelang nicht – nur einmal, als er wirklich Hunger hat, im Kühlschrank jedoch nichts ist, außer Licht. Jetzt, wo ich hier wohne, nutzt er plötzlich einen Raum mehr: Sören macht sich Käsetoasts, statt nur von Süßigkeiten und Fastfood zu leben, und spült danach sofort seinen Teller. Alles ganz vorbildlich – das gute Leben erfordert eben Publikum.

Die meiste Unordnung verursachen Mitbewohner, wenn sie nicht da sind. So wie Sören, als er in den Urlaub fährt. Zwar vergesse ich nicht, dass unsere Wohnung eine Küche hat – wohl aber, warum man sie in Ordnung hält. So ganz allein verliere ich plötzlich all meine Motivation, die Küche in einem bewohnbaren Zustand zu hinterlassen. Denn Geschirr, das niemand sieht, ist auch nicht schmutzig. Wozu also die Mühe? Zum Abspülen kann ich mich erst kurz vor seiner Rückkehr bewegen, als die Geschirransammlungen überall in der Wohnung an die Zeiten erinnern, als meine Eltern ohne uns Kinder im Urlaub waren.

Allein kann man machen, was auch immer man möchte. Niemand, der stört. Das war einst der Reiz an Eltern, die sich in den Urlaub verabschiedeten. Und das sind die Argumente von Menschen, die über eiserne Disziplin verfügen – nämlich genau über die Disziplin, einen vorzeigbaren Tagesrhythmus zu leben, obwohl man ihn gar niemanden vorzeigen muss. Paula hat das ganze Studium über allein gewohnt. Nie mehr wieder, sagt sie. In der Lernphase kann sie ganze Tage verbringen, ohne einem anderen menschlichen Wesen zu begegnen. Da ist es dann nicht notwendig, sich anzuziehen. Und wenn man sich anziehen muss, ist es eigentlich auch nicht wirklich ratsam, das Bett zu verlassen. Oder den Fernseher auszuschalten. Klar, so ganz allein, kann man tun, was man möchte. Fraglich ist allerdings, ob man wirklich will, dass man tun kann, was man möchte.

Von Susanne Krause