(c) Julia Koschler

„Ich möchte Freiräume schaffen“

Julia Koschler, 21, zeigt, wie man „Zines“ macht. Bei den kleinen Heften geht es nicht ums Geldverdienen, sondern darum, zu zeigen, dass jeder Mensch eine Stimme hat – und diese auch für wichtige Themen einsetzen soll

Von Lena Bammert

Der Eingang besteht aus einer Holztür mit Eisenverschlag. Die rote Ziegelwand ist mit Plakaten zugeklebt. Unter, über und neben ihnen ist immer wieder altes und neues Graffiti zu finden. Es ist der Eingang zum Kafe Marat in der Isarvorstadt, ein bekannter Treffpunkt für Menschen, die sich in der linken, alternativen Szene zu Hause fühlen. An einem Freitag im Sommer ist diese Holztür auch der Eingang zum ersten Workshop von Julia Koschler, 21.

Julia hält Workshops über Zines (aus dem Englischen von „magazine“). Das sind kleine, nicht kommerzielle Hefte zu einem frei gewählten Thema, die von Laien erstellt beziehungsweise zusammengestellt werden. Zeichnungen, Illustrationen, Collagen, Texte, Bilder: Alles ist erlaubt, sowohl ästhetisch, als auch thematisch. Genau diese Freiheit ist es, die Julia trotz ihres Vollzeitjobs als Grafikdesignerin dazu bewogen hat, die Workshops anzubieten. „Zines geben Leuten eine Stimme, die in der Gesellschaft keine Stimme haben, weil nichts abgesegnet werden muss, weil man sich einfach ausdrücken kann“, sagt sie. Diese Freiheit garantiert gleichzeitig auch Vielfalt. In den Workshops sind zum Beispiel Zines über den Wohnungsmarkt in München, über Schlafstörungen, aber auch über die Vergewaltigungskultur in „Game of Thrones“ entstanden.

Zines erstellen kann jeder, dazu benötigt man keine besonderen Fertigkeiten im Zeichnen oder Texten, Zines sind ja gerade eben nicht dazu da, um Geld zu verdienen, deswegen müssen sie auch nicht perfekt oder besonders herausragend sein. „Da braucht man im Prinzip auch nur eine Schere und einen Kleber – und wenn man es vervielfältigen will, einen Kopierer“, sagt Julia. Trotzdem bietet sie Workshops dazu an. Doch in diesen will sie den Menschen nicht das Basteln beibringen, sondern sie lehren, dass sie eine Stimme haben und ihnen mit Zines eine Möglichkeit aufzuzeigen, wie sie diese Stimme künstlerisch sichtbar machen können: „Ich möchte Freiräume schaffen, in denen sich alle wohl fühlen und willkommen sind und in denen man sich zusammen ganz zwanglos kreativ austoben kann“, sagt sie. „Dafür sind Zines ein total gutes Medium, man muss nichts beweisen, es muss niemand genehmigen, man kann es auch einfach nur für sich machen.“

So leicht es ist, Zines zu erstellen, so schwer ist es in München, den nötigen Raum für Kreatives zu finden: „Das ist einfach ein riesiges Problem hier, dass wir wenig Räume zu haben. Man geht in Städte wie Hamburg und Berlin, und es ist dort überall irgendwas, wo man sich austoben kann. Man kann in Hamburg gefühlt an jeder Ecke irgendwie Siebdruck machen. Und hier in München gibt es vielleicht einen Ort, an dem man das eventuell machen kann – und dann halt auch nicht umsonst“, sagt sie.

Julia macht trotzdem weiter. Sie versucht Räume zu finden, um den Leuten das Konzept von Zines, das Konzept einer künstlerischen Stimme für jede und jeden näherzubringen. Sie macht weiter, weil sie nicht anders kann, weil sie nicht der Typ fürs Stillsitzen ist. Aber sie macht auch weiter wegen des Gefühls, das ihr die Workshops geben: „Ich bekomme auch wirklich viel zurück. Wenn man dann mit Leuten arbeitet, zusammen kreativ ist und dann auch sieht, welche tollen Sachen die Teilnehmer machen, einfach nur, weil man denen jetzt so den Raum und die Möglichkeit gegeben hat.“

Julia kreiert auch selbst Zines, meist zu feministischen Themen, meist mit mehr Text als Bildern, sie will eine Message transportieren, Informationen vermitteln und dadurch Empathie schaffen.

Empathie und Freundlichkeit, das sind Julias Kernthemen, das sind die Dinge, die sie bewirken will mit ihren Zines. Ihr erstes hat sie vor zwei Jahren veröffentlicht, es ging um die Formenvielfalt von weiblichen Brüsten und darum, „dass alle schön sind“. Auch über toxische Maskulinität und über das Recht von Männern auf Zärtlichkeit und Emotionen hat sie schon ein Zine erstellt. Verständnis für andere Menschen haben, vor allem auch für deren Probleme, das kann Julia gut, das merkt man an den Themen, die Julia auswählt, das merkt man auch daran, dass sie sehr bedacht über diese Themen redet, erst überlegt, bevor sie etwas sagt.

Sie legt ihre Zines auch kostenlos aus, frei verfügbar für jeden, der sie entdeckt und Lust auf sie hat. So machen das viele Zine-Künstler, denn die kleinen Hefte zu drucken, ist nicht teuer, die Seiten sind nicht groß, die Anzahl der Kopien grundsätzlich auch nicht, und auch der Zeitaufwand muss nicht hoch sein. Es geht nicht um Perfektion. Wichtig ist Julia, dass der Inhalt der Zines die Leute erreicht und im besten Fall zum Nachdenken bringt: „Mir ist das total wichtig, dass ich da kein Geld dafür nehme, damit es auch zugänglich ist, da ist sonst schon eine Barriere da, ob man sich so etwas kauft oder nicht.“ Ihr jüngstes Zine dreht sich um den respektvollen Umgang mit Trans-Menschen. Sie hat das Heft bei ihrem ersten Workshop im Kafe Marat dann auch gleich kostenfrei ausgelegt.

Julia sitzt auf einer Bank vor dem Springbrunnen der Ludwig-Maximilians-Universität München, die kurzen Haare lassen sie selbstbewusst und ernst wirken. Auf einmal fängt sie an zu lächeln, als sie sich daran erinnert, was nach dem Auslegen ihres Zines passiert ist. „Da saßen auf dem Sofa irgendwie zwei Typen, die nicht an dem Workshop teilgenommen haben, die ziemlich besoffen waren, die haben sich das Zine dann aber angeschaut und sich richtig damit beschäftigt. Das ist so cool, auch wenn sie halb besoffen sind und das vielleicht auch nicht so ganz kapieren, aber trotzdem befassen sie sich dann damit.“ Und plötzlich erscheinen die kleinen, selbstgemachten Zines, die teilweise nicht größer als eine menschliche Hand sind, gar nicht mehr so klein.

Fotos: Julia Koschler