Zu dir oder zu mir

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Im Fernsehen zeigen Sendungen stets, wie harmonisch es doch ist, wenn Pärchen das erste Mal in eine gemeinsame Wohnung ziehen. Die Realität aber ist ganz anders. Mit Romantik hat der Umzug nämlich meist gar nichts zu tun.

Im Vormittagsfernsehen läuft seit Jahren eine Sendung namens „Unsere erste gemeinsame Wohnung“, in der man Pärchen dabei zusehen kann, wie sie dauerturtelnd Immobilien besichtigen, beziehen und in abwegigen Farben streichen. Natürlich ist es eine unglaublich öde Sendung, aber ab 38 Grad Fieber wird sie ertragbar. Ja, auf Kranke wirkt sie sogar sehr beruhigend, weil jede Folge eine kleine Märchenstunde ist: Keine Schlangen bei den Besichtigungen der einzig bezahlbaren Wohnungen, niemand bekommt zwischendurch kalte Füße – und am Abend des Einzugstags ist die neue Wohnung bereits fertig eingerichtet und dekoriert.

Wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umschaue, verläuft Zusammenziehen selten so idealtypisch romantisch. Oft steckt dahinter die nüchterne Erkenntnis: „Du hängst eh die meiste Zeit bei mir rum, da kannst du auch gleich einziehen.“ Dann wird noch eine Kommode mitgebracht und in die Ecke gequetscht und das war es. Kurz und praktisch. Und geldsparend. Wirklich? Okay, ich gebe zu: Stoff für rührseliges Unterhaltungsfernsehen ist das nicht.

Zusammenzuziehen ist eben einfach keine harmonische Sache. Klar, zusammen zu wohnen kann es durchaus sein, aber auf dem Weg dorthin muss erst einmal ausdiskutiert werden, wessen Sofa mit in die neue Wohnung darf, und ob die Überraschungseierfigurensammlung in die Wohnzimmervitrine oder den Müll gehört. Regeln müssen her: Dass Sebastian keine Stofftiere in Gemüseform mehr kaufen darf zum Beispiel. Von der Bestimmung erzählt er mir, während wir im Möbelladen Ausschau nach dem lila Kunstrasen halten, den sich seine Freundin für den Balkon wünscht. Ich finde ja, dass lila Kunstrasen viel dringender reguliert werden müsste als Gemüsekuscheltiere, halte mich aber zurück. Für eine Wohnung können schon zwei Meinungen viel zu viele sein – im wahren Leben sind Zusammenzüge eben alles andere als nervenberuhigend. Viel anstrengender kann die Sache eigentlich nur werden, wenn man dabei von einem Fernsehteam beobachtet wird, das Dauerverliebtheit und eine Fertigstellung der Raumdekoration vor Feierabend verlangt.

Von Susanne Krause

Hausgemachte Karpfenkacke

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Karpfen, Kaninchen und eine Badewanne. Worum andere Manuel beneiden, damit weiß er ganz anderes anzufangen – er nutzt die Badewanne für Experimente. Mit Kaninchen und Karpfen.

In der kalten Jahreszeit schlägt mein Neid-Barometer um: Ziel meines Neids sind jetzt nicht mehr Balkon-Besitzer, sondern Menschen, deren Wohnung mit einer Badewanne ausgestattet ist. Badewannen sind im Winter, was Balkone im Sommer sind: Orte für den Kurzurlaub im Alltag.

Für manche Menschen haben Badewannen jedoch eine ganz andere Bedeutung. Für Manuel zum Beispiel. Er hat zwar eine Wanne, interessiert sich aber nur mäßig für Schaumbäder. Stattdessen will er darin Karpfen halten. Ganz richtig: Karpfen. Und das nicht nur, weil Karpfen ruhige Haustiere abgeben, die man in die Pfanne hauen kann, wenn sie fett genug sind. Nein, der Kern von Manuels Plan besteht darin, mit dem energiereichen Karpfen-Kot eine kleine Biogasanlage zu betreiben. Manuel ist begeistert: In seiner Vorstellung isst er schon gebratenen Karpfen in einer kuschelig-warmen Wohnung, die mit hausgemachter Energie aus Karpfenkacke beheizt wird. Autarkie pur, was braucht man mehr? Noch verführerischer fände ich persönlich den Plan eigentlich nur, wenn Manuel sich bei seinem nächsten Bad die Wanne nicht mit fetten Karpfen und ihren energiereichen Ausscheidungen teilen müsste.

Aber davon lässt Manuel sich nicht abschrecken. Stattdessen fährt er zu einer Messe, um nach einem Züchter für Biogas-Karpfen zu suchen. Kurz nachdem Manuel fündig wird, folgt jedoch die Ernüchterung: Niemand gibt Karpfen in Badewannen-Portionen ab. Da bräuchte Manuel schon einen Pool. Schade. Manuels Trauerphase über den verpatzten Karpfenplan ist allerdings nur von kurzer Dauer. Schon wenig später hat er sich ein anderes Tier in den Kopf gesetzt: ein Mastkaninchen. Das soll zwar nicht in Manuels Wanne wohnen, im Leben des Nagers wird sie dennoch eine wichtige Rolle spielen: „Wenn das Kaninchen fett genug ist“, erklärt er begeistert, „dann schlachte ich es in der Badewanne!“

Von Susanne Krause

Kochen mit Thomas Müller

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Eine Mädchen-WG, alles in Rosa, Weiß und Hellblau. Glitzer und Sternchen – Weihnachten im Barbie-Traumschloss. Mittendrin der Fußballer Thomas Müller. In Lebensgröße. Aus Pappe.

Fußballer Thomas Müller steht in der Küche: mit einer Nikolausmütze auf dem Kopf und einer Girlande aus Christbaumkugeln um den Hals. Damals, an dem Tag, als Deutschland bei der EM ausschied, ist Kristina sofort in den Supermarkt gehumpelt und hat sich den Werbe-Pappaufsteller von Thomas Müller in Lebensgröße erbettelt. Dank eines gebrochenen Fußes und ihres unwiderstehlichen Augenaufschlags durfte sie ihn mitnehmen. Jetzt steht der Pappsportler bei ihr und Ali in der Küche und sieht uns beim Plätzchenbacken zu.

Plätzchenbacken in Ali und Kristinas Mädchen-Küche ist nicht wie Plätzchenbacken im wahren Leben. Wie die meisten anderen Dinge in dieser Mädchen-WG zeichnet sich Adventsstimmung durch zwei Eigenschaften aus: Sie ist pink und glitzert. Wir stechen den Teig mit High-Heels-Förmchen aus und verzieren ihn mit rosa Guss und lila Glitzerstreuseln. Für mich, die ich einst zur Untermiete bei einer Burschenschaft gewohnt habe, ist so viel mädchenhafte Heimeligkeit ein wenig befremdlich. Auch nach mehreren Stunden entdecke ich noch immer neue verstörende Deko-Artikel in dieser Wohnung, deren Stil irgendwo zwischen dem Barbie-Traumschloss und „Sex & The City“ oszilliert.

Dass Ali und Kristina sich einen Pappmann aufstellen, ist nicht weiter überraschend: Falls echte Männer es hier freiwillig länger als ein paar Minuten aushalten, kann das nur daran liegen, dass die beiden Mädels mit ihren neonfarbenen Küchengeräten hauptsächlich Muffins und alkoholische Getränke herstellen. So befremdlich ich all das finde, muss ich doch eines gestehen. Ich habe lange nicht mehr so gut geschlafen wie vergangene Nacht, als ich nach einer romantischen Komödie in Alis weißem Himmelbett unter den Leuchtsternchen eingeschlummert bin wie eine Disney-Prinzessin. Trotzdem: Auf Dauer halten eine so östrogengetränkte Umgebung wohl nicht viele Leute aus. Ali bildet da keine Ausnahme. Deswegen müssen den Guss für die letzten Plätzchen Kristina und Thomas Müller alleine fertig machen. Ali zieht sich derweil um für die echte Welt jenseits ihres Märchenschlosses: Sie geht noch auf ein Metal-Konzert.

Von Susanne Krause

Verirrt im Heimatkaff

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Was passiert, wenn man sich in seinem eigenen Heimatkaff verirrt? An dem Baggersee, an dem man viele, viele Sommer vertrödelt hat, den man besser kennen müsste als seine Westentasche? Man erkennt zum ersten Mal, wie schön er eigentlich ist.

Ich komme zwischen den Brombeerranken hervorgekrochen und schüttle den Kopf: Da lang geht es auch nicht. An Leonies Wildlederschuhen klebt der Ackermatsch, und am nebelverhangenen Himmel geht bereits der Mond auf, als wir uns ansehen und feststellen: Wir haben uns verirrt. Dann müssen wir lachen.

Sich zu verirren, ist eine beängstigende Sache. Auch in unserem Fall: Wir haben ernsthaft Angst um unsere geistige Verfassung. Zusammen haben wir uns bereits souverän durch die Straßen von Wien und Berlin navigiert, ohne jemals die Orientierung zu verlieren. Und heute Abend? Da haben wir uns in unserem Heimatkaff verirrt – und zwar bei dem Versuch, eine Runde um den Dorfweiher zu drehen. Unser Vorhaben scheitert jedoch daran, dass wir erst am Ufer keinen Weg mehr finden und dann, als wir einen Weg aufgespürt haben, plötzlich das Ufer unauffindbar ist. Es müsste irgendwo hinter diesen Brombeerranken sein, aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

Es ist absurd: Eigentlich sollten wir gerade diesen Baggersee besser kennen als jeden anderen Ort auf der Welt; schließlich haben wir hier unzählige Stunden mit Schwimmen, Sonnen, Grillen und Eislaufen verbracht, weil es viel mehr nicht zu tun gab in unserer Jugend auf dem Land. Bis zum heutigen Abend hatte ich das Gefühl, dass sie noch gar nicht so lange her ist, diese etwas zu öde Provinzjugend mit ihrem Bier an Lagerfeuern und Warten an Bushaltestellen. Das war, bevor wir uns in dem Ort verlaufen haben, in dem wir aufgewachsen sind. Jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Als es fast finster ist, geben wir unsere Weiherumrundung auf und stapfen durch den Matsch denselben Weg zurück, den wir gekommen sind. Die ersten Sterne erscheinen am Himmel. Alles ist still. Und plötzlich passiert etwas, das mir klar macht, dass unsere Provinzjugend doch ein gutes Stück hinter uns liegt. Beim Anblick des Nebels über dem Amperkanal gibt Leonie widerwillig etwas zu, was wir damals niemals ausgesprochen hätten: Eigentlich ist unser Heimatdorf doch ganz schön.

Von Susanne Krause

Bildung am Bügelbrett

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Habt auch ihr als Kind Geschirrtücher gebügelt? Doch warum bügeln, wenn das Tuch sowieso knittert, sobald man es benutzt? Über Sinn und Unsinn gewisser häuslicher Pflichtarbeiten – für ein Leben danach.

Als Kind bügelt man Geschirrtücher. Ich würde mich nicht trauen, zu behaupten, dass alle Kinder das tun, dazu fehlen noch Statistiken. Aber eine erste Umfrage am heutigen Abend zeigt, dass 100 Prozent der anwesenden Personen – also: Max, Stefan und ich – in unserer Kindheit die Geschirrtücher gebügelt haben. Es ist schon seltsam, dass wir von all den Fertigkeiten, die sich beim Auszug wirklich als nützlich erwiesen hätten (Abfluss reinigen oder Backofen säubern, zum Beispiel), gerade die sinnloseste aller Tätigkeiten im Haushalt geübt haben. Denn auch wenn Mütter da anderer Meinung sind: Es gibt keinen guten Grund, Tücher mühevoll zu glätten, die genau in dem Moment knittern, wenn man sie ihrem eigentlichen Zweck zuführt – und vorher nicht zu sehen sind, weil sie im Schrank rumliegen.

Stefan äußert die Vermutung, dass Mütter ihre Kinder eben deshalb Geschirrtücher bügeln lassen, weil man dabei nicht so viel falsch machen kann. Ohne ins Detail zu gehen: Ein Fünfjähriger kann mit einem 200 Grad heißen Elektrogerät so einiges falsch machen. Deswegen muss Mama noch irgendein anderes Ziel verfolgt haben, als sie uns damals das Bügelbrett einen halben Meter heruntergeschraubt hat. Mütter geben ihrem Nachwuchs doch nicht grundlos eine Aufgabe, die sowohl gefährlich als auch völlig sinnlos ist. Widerspräche das nicht dem Auftrag, die Brut auf ein späteres Leben in Mama-freier Wildbahn vorzubereiten?

Wenn man jedoch genauer darüber nachdenkt, erschließt sich plötzlich ein ausgeklügelter Plan hinter der frühkindlichen Bügelerziehung. Denn wer früh lernt, dass von jeder Anstrengung im Haushalt in oft erstaunlich kurzer Zeit keine Spur mehr bleibt – also Fenster schneller verdrecken als man sie putzen kann und eben Gebügeltes knittert, sobald man es benutzt –, entwickelt Gelassenheit. Und Gelassenheit ist genau das, was man am dringendsten braucht, wenn man sich nach dem Auszug plötzlich in einer Wohnung wiederfindet, wo sich nichts von allein aufräumt, putzt oder repariert. Da wir, unseren Müttern sei Dank, wissen, dass Geschirrtücher knittern, ob sie nun gebügelt wurden oder nicht, lassen sich auch viele andere lästige Aufgaben im Haushalt mit gutem Gewissen ignorieren. Womit Mama ja ihr Ziel erreicht hat. Oder?

Von Susanne Krause

Grölen für den Nachbarn

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Schon erstaunlich, wie sehr gutes nachbarschaftliches Verhalten von der Situation abhängt. Laut und Leise sind da lebensentscheidende Kategorien. Ein Plädoyer für den Wohnungstausch.

Heute Abend höre ich mir die ersten dreißig Sekunden eines Hip-Hop-Songs an. Nicht nur einmal. Nein. Ich verbringe mehrere Stunden damit, mir diese halbe Minute wieder und wieder anzuhören. Ich tue das nicht freiwillig; mein Nachbar von unten hört so laut Musik, dass er nicht merkt, wie ich abwechselnd gegen meinen Fußboden und seine Wohnungstür hämmere.

Wach zu liegen und stundenlang von demselben Lied gequält werden – das erinnert mich an alte Zeiten: Zu Beginn meines Studiums wohne ich noch nicht in einem Mietshaus, sondern zur Untermiete bei einer schlagenden Burschenschaft. Nachts spielen meine Vermieter das Russenspiel. Für Unerfahrene, das geht so: Ein Haufen unglaublich betrunkener Kerle in Uniformen torkelt über den Flur, grölt ein Lied, das nur aus einer Zeile besteht, und versucht alle Mitbewohner aus dem Reich der Träume in die Abgründe des Alkoholmissbrauchs zu verschleppen. Sich einzuschließen bringt wenig. Dann hämmert die Meute gegen die Tür, ganz besonders bei dem Studenten, der im Zimmer nebenan wohnt. Im Gegensatz zu mir ist er Mitglied der Burschenschaft und ganz anders als seine Verbindungsgenossen interessiert er sich nicht für dieses Spiel.

Es ist schon erstaunlich, wie sehr gutes nachbarschaftliches Verhalten von der Situation abhängt: Ich hämmere heute Abend gegen den Fußboden, damit mein Nachbar endlich leise ist und aufhört, dieses monotone Lied in voller Lautstärke und Endlosschleife zu spielen. Zum Vergleich: Die besoffenen Burschen schlagen ihrem Kameraden fast die Tür ein, damit er endlich aufhört, leise zu sein, und mit ihnen stattdessen in voller Lautstärke ein monotones Lied in Endlosschleife singt. Es ist schon paradox, wie schlecht die Welt organisiert ist – wo man sie doch theoretisch so leicht in Ordnung bringen könnte. Ein einfacher Wohnungstausch und, voilà: Mein Nachbar von unten könnte all seine Abende mit schlechter Musik verbringen und im Gegenzug erhielten der Russenspiel-Verweigerer und ich endlich unsere verdiente Nachtruhe. In der Praxis ist die Welt leider nicht so leicht in Griff zu bringen.

Und so bleibt nichts übrig, als mir einzureden, die Hip-Hop-Endlosschleife heute sei wenigstens besser als das Burschenschaftsgegröle von damals. Aber um ehrlich zu sein, hat das Russenspiel einen entscheidenden Vorteil: Das einzige, was es irgendwie erträglich macht, ist schon inklusive – Schnaps.

Von Susanne Krause

Herzschmerz auf dem Teppich

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Kotzt die Katze aus lauter Sehnsucht, ist Erfindungsgeist gefragt. Aber Judith ist eine gute Mitbewohnerin. Sie geht aufs Ganze – ihre Teilungsbereitschaft wird allerdings nur mit schnödem Undank belohnt…

Zur Aufgabe einer guten WG-Genossin gehört es, über Herzschmerz hinwegzutrösten. Judith will da keine Ausnahme sein. Damit ihre unglückliche Mitbewohnerin sich nachts nicht so einsam fühlt, darf sie zurzeit mit in Judiths Bett schlafen. Für gewöhnlich greift man ja bei Freunden mit Kummer eher auf Schokolade und Alkohol zurück. Im Fall von Judiths Mitbewohnerin helfen diese Strategien jedoch nicht weiter: Schokolade und Alkohol bekommen Katzen nicht gut. Und auch lange Gespräche und DVD-Abende versprechen keinen Erfolg. Aber wie tröstet man eine Katze dann über Herzschmerz hinweg? Und überhaupt: Wie kommt die Katze dazu, Trübsal zu blasen?

Die zweite Frage lässt sich einfacher beantworten: Für gewöhnlich wohnt die Katze zusammen mit ihrer Besitzerin am anderen Ende des WG-Flurs. Weil ihr Frauchen jedoch im Urlaub ist, kümmert sich der Rest der WG um das Tier. Natürlich geht schief, was schief gehen kann: Die Katze wird schon wenige Tage nach Frauchens Abreise krank. Beständig verteilt sie kleine Pfützen von Erbrochenem in der Wohnung. Ich frage nach, ob die Ärmste zufällig Schokolade erwischt hat, aber Judith schüttelt den Kopf. Der Tierarzt habe nichts finden können. Rein gar nichts. Bleibt nur eine Diagnose: Herzschmerz. Die Katze kotzt aus Sehnsucht nach ihrem Frauchen.

Und jetzt? Wie schafft man es, dass eine einsame Katze wieder schnurrt statt speit? Dass Judith den heroischen Ansatz verfolgt, ein Tier mit ins Bett zu nehmen, das sich bei Einsamkeitsgefühlen seines Mageninhalts entledigt, zeigt bereits, dass die Alternativen begrenzt sind. Aber es gibt eben Situationen, in denen man nicht gleichzeitig ein guter Mitbewohner und eine umsichtige Hausfrau sein kann. Menschliche WG-Genossen stellen schließlich ein vergleichbares Risiko für die Textilien dar, wenn man versucht, ihrem Kummer mit Alkohol und Schokolade entgegenzuwirken.

Inzwischen schnurrt die Katze wieder glücklich: im Bett ihres heimgekehrten Frauchens. Andere Menschen sind für sie seitdem wieder völlig uninteressant. Da hat auch Judiths vorbildliches Verhalten nichts genutzt: Aus dem undankbaren Tier wird so schnell wohl keine mustergültige Mitbewohnerin mehr. Falls es Judith mal schlecht geht, sollte sie also lieber auf menschlichen Beistand zählen. Oder auf Alkohol und Schokolade.

Von Susanne Krause

Ortskenntnis? Mangelhaft!

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In der weiten Welt zuhause, aber bei sich daheim irgendwie fremd: Viele Orte sind einfach zu nah, um dort gewesen zu sein. Nach vielen Reisen fasst Leonie jedenfalls den Vorsatz, ihre Heimatumgebung genauer zu erkunden. Es bleibt erst mal bei dem Vorsatz.

Es gibt Orte, die sind einfach zu nah, um dort gewesen zu sein. Leonie zum Beispiel kennt alle möglichen Käffer in Katalonien – also so ziemlich jedes Fleckchen Erde rund um den Ort, in dem ihre spanische Gastfamilie lebt. Aber Städte in Bayern? Da gibt es jede Menge schwarzer Flecken auf der Landkarte in ihrem Kopf. Als Leonie von ihrem Austausch ins Münchner Umland zurückkehrt, beschließt sie deshalb, endlich nachzuholen, was sie in ihrer Heimat bisher nicht geschafft hatte: die Umgebung kennenlernen.
Gut drei Jahre später: Leonie kommt gerade aus London, kurz zuvor war sie in Wien. Dort kennt sie übrigens jede Straßenecke. Und ihr Plan, endlich mal all die bayrischen Städte in Tagesausflugsentfernung zu erkunden? Tja, das ist so eine Sache. Er scheitert schon an der nächsten großen Stadt. Gerade hat Leonie einen Monat Praktikum im Münchner Stadtteil Haidhausen gemacht. Haidhausen hat ja viele hübsche Ecken. Gesehen hat sie davon jedoch nicht viel. Nur den Weg von der S-Bahn zu ihrem Arbeitsplatz und irgendwann – vor Jahren einmal – war sie dort auf dem Weihnachtsmarkt. Als wir uns an ihrem letzten Tag zum Kaffee treffen, setze ich deshalb kurzfristig eine Stadtteilführung an. So kann das schließlich nicht weitergehen.
Zwischen von Efeu überwucherten Häuschen, Straßencafés und Boutiquen erneuert Leonie einmal mehr ihren Vorsatz: Jetzt steht endlich mal die Heimatumgebung auf dem Ausflugsprogramm. Dass Leos Reisekasse nach einer Woche London ziemlich leer ist, macht diesen Entschluss umso glaubwürdiger. Denn: Geldmangel erhöht die Ortskenntnis. Vielleicht könnte ich Leonie jetzt keine Stadtteilführungen anbieten, wenn ich die Mittel hätte, meine Wochenenden in Barcelona und Rom zu verbringen.

Auf dem Heimweg sonne ich mich noch ein bisschen im Glanze meiner eigenen Ortskenntnis – durch irgendwas müssen ja auch diejenigen Menschen Bestätigung finden, die ferne Orte hauptsächlich von Facebook-Updates ihrer Freunde kennen! Je näher ich meiner Wohnung komme, desto mehr verflüchtigt sich jedoch mein Hochgefühl. Schuld daran: das Müller’sche Volksbad und das Deutsche Museum. Ich wohne seit mehr als zwei Jahren direkt daneben. Natürlich war ich nie dort.

Von Susanne Krause

Ein Bier auf den Vermieter

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Vermieter können schwierig sein, vor allem wenn es geldgierige Investoren sind. So einen Vermieter hat Judith neuerdings. Der einzige Vorteil: Sie lernt endlich mal die Nachbarn kennen. Und die sind gar nicht so schlecht – immerhin besser als der neue Vermieter.

Als ihre Wohnung an einen Privatinvestor verkauft wird, feiern Judith und ihre WG eine Party. Es ist eine Abschiedsparty, Motto: „Die fetten Jahre sind vorbei.“ Die fetten Jahre, das war jene idyllische Zeit, in der die Wohnanlage noch von der Stadt gefördert wurde. Jetzt, wo der Häuserkomplex in privaten Händen ist, hält der gnadenlose Kapitalismus Einzug. Gleich im ersten Monat nach dem Verkauf wird die Miete so stark angehoben, wie es rechtlich erlaubt ist. Das ist eigentlich kein Grund zum Feiern, aber nun ja: Wenn man sich in München darauf versteift, nur positive Veränderungen der Wohnsituation zu feiern, wo bleibt denn dann der Spaß? Also, lieber noch ein Bier aufmachen!

Nun, einige Zeit später, liegt ein Bescheid über die Nebenkostennachzahlung im WG-Flur. Ein Grund zum Feiern also, eine Gartenparty würde sich ganz besonders anbieten. Denn: Der Eigentümer behauptet, dass er im vergangenen Jahr einen fünfstelligen Betrag für die Pflege der Gartenanlagen ausgegeben habe. Wenn man sich den versifften Brunnen und die paar Rasenflecken zwischen den Häusern anschaut, braucht man viel Phantasie, um sich auszumalen, wofür all das Geld draufgegangen sein soll. Kippt der Vermieter regelmäßig Champagner in das bemooste Brunnenbecken? Oder hat er einen Starfriseur engagiert, der jedes Rasenstück im Wochenrhythmus individuell frisiert?

Natürlich müssen Judith und ihre Mitbewohnerinnen den fünfstelligen Betrag für den Champagner-Brunnen nicht alleine bezahlen. Er wird auf die Parteien in ihrem und den angrenzenden Häusern verteilt – nur nach welchem System diese Verteilung erfolgt, bleibt dunkel. Auch nachdem Judith ihre Zahlungsforderungen mit denjenigen mehrerer Nachbarn verglichen hat, ist sie noch weit davon entfernt zu verstehen, warum jede Wohnung unterschiedlich viel hinblättern soll. Und auch wofür sie da eigentlich zahlen, konnten zahllose erhitzte Gespräche im Hausflur den Anwohnern nicht offenbaren.

In einem Punkt hat die Nebenkostenabrechnung jedoch Wunder gewirkt: Mit vielen Nachbarn, so Judith, hat sie dadurch zum ersten Mal gesprochen. Und während man sich im Haus sonst nur über einander beschwert hat, sind sich plötzlich alle einig. Von wegen: Der moderne Kapitalismus führe zur Vereinsamung des Menschen. Wäre das nicht Anlass für eine groß angelegte Hausparty?

Von Susanne Krause

Allein unter Kühen

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Es sind lange Tage, an denen Davids Schritte durch menschenleere Universitätsflure hallen. Sein Freunde: verreist oder beschäftigt. Und David verzweifelt daran. Vielleicht sollte er lieber auf eine einsame Alm gehen – dort kann es geselliger sein.

Allein zu Hause tut man die wunderlichsten Dinge. David beispielsweise spricht dann mit meinem Stoffeichhörnchen Trudi. Deshalb habe ich sofort die wildesten Assoziationen, als eine Freundin mir von ihrem Bekannten erzählt, der den Sommer ganz alleine auf einer Alm verbringt. Ich stelle mir einen unrasierten Kerl mit irrem Blick vor, der fernab von jeglicher Zivilisation den Kühen Blumenkränze flicht und ihnen alle Hits von Modern Talking vorsingt.

David ist schließlich schon nach einer knappen Woche allein in der Münchner Innenstadt ziemlich durch den Wind. Eine Sommerwoche, in der nicht nur ich im Urlaub bin, sondern auch all seine Freunde heillos beschäftigt sind oder untergetaucht. Lange Tage, an denen seine Schritte durch menschenleere Universitätsflure hallen. Nur einmal knüpft David Kontakt mit einem anderem Lebewesen: Eine kleine schwarze Katze liegt auf einem Fensterbrett in der Nähe seines Büros. Gerade haben die beiden Freundschaft geschlossen, da taucht doch noch ein Mensch auf: der Hausmeister. So endet die Bekanntschaft zwischen David und der Katze. Er sieht ihr noch hinterher, als sie nach draußen getragen wird. David seufzt. Immerhin wartet zu Hause noch Trudi, das Plüscheichhörnchen, auf ihn.

Wie mag da erst – statt einer Woche Alleinsein mitten in München – ein Sommer-Isolation auf einer Alm bei Berchtesgaden aussehen! Als meine Freundin bei der Hütte ankommt, um den Einsiedler kurzzeitig aus seiner Einsamkeit zu erlösen, haben da die ersten Kühe bereits Mittelohrentzündungen und Blumenallergien? Will der Eremit seinen Besuch gar nicht mehr gehen lassen, weil er fürchtet, dass die Kühe („Ganz besonders Nora!“) gerade eine Verschwörung gegen ihn aushecken? Alles falsch. Die Wahrheit sieht so aus: Der Alm-Öhi kann sich vor Besuch gar nicht retten. Ständig kommen Freunde und Bekannte, alle paar Tage wird eine Grillparty gegen die Einsamkeit geschmissen. Da bleibt gar keine Zeit, um Marotten zu entwickeln.

Zur Selbstfindung ist so ein Alm-Aufenthalt offensichtlich nicht zu gebrauchen. Man sollte lieber während der Sommerferien zu Hause bleiben, wenn man Einblick in die dunklen Ecken des eigenen Bewusstseins erhalten möchte. Zu diesem Zweck verleihe ich Trudi übrigens auch gern stundenweise.

Von Susanne Krause