Selbstfindung in der Baumkrone

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Über manche Menschen muss man sich einfach lustig machen. Weil sie es provozieren. So wie Stefan, der an Verschwörungstheorien glaubt und ein Ökoverächter ist. Doch manchmal überkommt auch ihn die Liebe zur Natur…

Mir wird ja oft vorgeworfen, ich würde mich über alles und jeden lustig machen. Das stimmt zwar, ist aber nicht ganz fair. Denn was dabei gern unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass es einem damit häufig auch viel zu leicht gemacht wird. Wenn mir Andreas zum Beispiel erzählt, das Märchen von den bösen Abgasen sei nur ein Vorwand der Regierung, die Benzinsteuer maßlos hochzutreiben.

Überhaupt. Verschwörungstheorien. Stefan hat da eine ganz eigene: Eine unbekannte Macht versuche seit nunmehr mehr als fünfzig Jahren, die Gesellschaft nach und nach unter dem Deckmantel der Sozialpädagogik zu verweichlichen. Alles habe mit der antiautoritären Erziehung begonnen, zu der unbescholtene Eltern in den 60er Jahren ja geradezu geprügelt worden seien – der Anfang einer systematischen Unterwanderung der guten alten Rohrstockmentalität hin zu einer schier unerträglichen Eso-Öko-Peace-Gesellschaft. Was Stefan von Leuten hält, die in ihrer Freizeit Bäume umarmen, um die Seele der Natur in sich widerhallen zu spüren, kann man sich denken.

Und so stehe ich also gemeinsam mit fünf Polizeibeamten unter einem alten Ahornbaum in Laim und frage mich, ob dieser Tag noch ein bisschen verrückter werden kann: Oben im Geäst sitzt Stefan, der Ökoverächter, und weigert sich, seinen Platz in der Baumkrone zu räumen. Es ist der Baum vor seinem Elternhaus, auf den er als Kind schon immer geklettert ist und der auf Anordnung des KVR gefällt werden soll. Geht gar nicht, findet Stefan und klammert sich inbrünstig an seinen alten Gefährten. Wer seinen Baum wolle, der müsse vorher schon an ihm vorbei, ruft er zu uns runter.

Nach drei Stunden ziehen die Beamten unverrichteter Dinge von dannen, gefällt wird hier heute gar nichts mehr. Ich klettere zu Stefan in die Äste. Es sei wirklich ein guter Baum, sage ich. Stefan legt seinen Arm um mich. Dann machen wir uns über Andreas und seinen lächerlichen Abgas-Fetisch lustig. Manchmal hat man es aber auch einfach zu leicht.

Von Lisi Wasmer

Durchzechter Frühjahrsputz

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Die meisten Unfälle passieren im Haushalt. Das sagt zumindest die Statistik. Doch wer noch an den Mythos von Schlaf als ungefährlichem Zeitvertreib glaubt, wird von Kristina eines Besseren belehrt!

Unsere Eltern haben uns vermittelt, dass es zu Hause am sichersten sei. Denn wer brav daheim bleibt, werde verschont von den Gefahren, die da draußen lauern: von all den Unfällen, Abstürzen und schlechten Einflüssen. Die Statistik sagt jedoch etwas anderes: Die meisten Unfälle passieren im Haushalt. Ein gründlicher Frühjahrsputz bietet somit wohl weit mehr Gelegenheiten zu Abstürzen als zwei durchzechte Nächte am Stück. Wer also am Wochenende Lust auf eine gehörige Portion Risiko hat, sollte am besten zu Hause bleiben und die Fenster putzen.

Gesteigert werden könnte das Gefahrenpotenzial wohl nur noch in Form eines durchzechten Frühjahrsputzes. Denn noch riskanter als einfach so zu Hause zu bleiben, ist es, wenn Alkohol ins Spiel kommt. Ein Freund von mir hat für seinen Deckenleuchter immer ein paar der runden Papierschirme auf Lager, weil die Lampe gegen Ende einer Party grundsätzlich Feuer fängt. Ja, ja, ich weiß: Hauspartys gehören nicht zu den Aktivitäten, die unsere Eltern uns je als besonders risikofreien Zeitvertreib angepriesen hätten. Aber Schlafengehen fällt unter diese Rubrik. Und bis vor Kurzem habe ich auch an den Mythos von Schlaf als ungefährlichem Zeitvertreib geglaubt. Dann habe ich Kristina kennengelernt.

Kristina wacht eines Morgens mit rotbefleckten, klebrigen Händen auf. Klingt nach Horrorstreifen oder Albtraum. Ist es aber nicht. Da sie weder ein Axtmörder noch plötzliches Erwachen erlöst, steht Kristina auf und geht ins Bad: Hände waschen. Dabei stellt sie nicht nur fest, dass das rote Zeug an ihren Händen sehr hartnäckig ist, sondern auch, dass es überall auf ihren Badezimmerwänden verschmiert ist. Das Beweisstück für die Rekonstruktion der vergangenen Nacht findet sie schließlich auf dem Fußboden: glücklicherweise ist es keine Leiche, sondern nur eine leere Flasche Nagellack. Den Inhalt hat Kristina beim Schlafwandeln im halben Bad verteilt. Hätte sie mal die Nacht im Club durchgemacht, wäre so was nicht passiert. Und auch die folgende, hochriskante Putzaktion hätte sie sich sparen können.

Von Susanne Krause

Alle sind Almanya

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Türkisch ist fremd – oder nicht? Denn trotz Verbformen mit sechs ü’s und unzählingen Bezeichnungen für Verwandtschaftsverhältnisse haben Türken und Deutsche eins gemeinsam: Wir sind alle Almanya!

Guido will Türkisch lernen, damit er später seine Kinder versteht. Kurt hat eine türkischstämmige Freundin, Elisabeth einen Harkan an ihrer Seite. Die Sprachschule in Izmir ist voller Deutscher, die aus Liebe zum Partner eine Sprache lernen, in der Verbformen schon mal zu Monstrositäten mit sechs ü’s anwachsen und die verschiedenen Bezeichnungen für Verwandtschaftsverhältnisse ein Vokabelheft füllen. Es ist eine sehr fremde Sprache, die ihre Liebsten und deren ausufernden Familien sprechen. Da beruhigt es, dass wenigstens alle Mitschüler vertraut klingen. Und diejenigen ohne türkischen Anhang finden Trost darin, dass für sie kein akuter Zwang besteht, alle Wörter für Verwandtschaftsbeziehungen aus ihren Vokabellisten auch wirklich zu lernen.

Türkisch ist fremd. Und auch Izmir ist ein gutes Stück von Deutschland entfernt. Da kostet es Überwindung, die Sprachschule zu verlassen und mit den ersten Brocken Türkisch auf Einheimische loszugehen. Sobald man sich das jedoch getraut hat, merkt man: Deutschland ist näher, als man denkt. Da Türken dank ihres ausgeklügelten Bezeichnungssystems den Überblick über ihre Familien behalten, hat jeder Izmirer Verwandte in Deutschland. Sobald das Wort „Almanya“ fällt, tauchen ein Bruder, eine Tante oder irgendwelche Familienmitglieder, deren Bezeichnung mir zu kompliziert zum Lernen waren, in Solingen, Berlin oder Nürnberg auf. Oder aber man hat selbst in Deutschland gelebt, wie der ältere türkische Herr im Park, der sich mit einem „Menschenskind“ als ein „Kölsche Jeck” vorstellt.

Aber auch ohne Verwandte oder Vergangenheit in Deutschland sind Gemeinsamkeiten schnell gefunden. Während wir am Bazar darauf warten, dass unser Nachmittagssnack fertig gebraten wird, fragt mich der Verkäufer nach unserer Herkunft. Beim Stichwort „Almanya“ deutet er zu seiner Tochter: Sie arbeite bei einer deutschen Baumarktfirma. Als ich antworte, dass meine Eltern für dieselbe Firma gearbeitet haben, ist er ganz aus dem Häuschen. Er ruft seiner Familie am anderen Ende des Standes die Neuigkeit zu und mir wird etwas zu Essen angeboten. Ich gehöre ja jetzt quasi zur Verwandtschaft. Wahrscheinlich gibt es dafür im Türkischen sogar ein Wort.

Von Susanne Krause

Revierkämpfe im WG-Flur

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„Durch siegreiche Schlacht erobert!“ Dieser Eintrag im Grundbuch gilt heute nicht mehr. Dennoch ist der Münchner Wohnungsmarkt, ja gar einzelne Flächen in Wohngemeinschaften, hart umkämpft . Manchmal muss man sich sogar gegen die WG-Katze zur Wehr setzen…

Ich gerate immer an Männer mit Waffen. In meinem Bekanntenkreis finden sich Herren mit Degen, ein Armbrust-Besitzer sowie ein Typ, der seine neunschwänzige Peitsche mit auf Zugreisen nimmt. Abgesehen von der Peitsche, die zumindest noch im Hobbykeller zum Einsatz kommen kann, sind derlei Gerätschaften im sicherheitstechnisch überversorgten München, sagen wir mal: anachronistisch. Duelle um Haus, Hof und Ehre lohnen sich heute nicht mehr, wo der Wechselkurs für Ehre ähnlich wie der Euro einen Rekordtiefstand erreicht hat und „durch siegreiche Schlacht erobert“ nicht mehr als gültiger Eintrag im Grundbuch zählt. Ist vielleicht auch nicht das Schlechteste: Der Münchner Wohnungsmarkt ist schon anstrengend genug, ohne dass man sein WG-Zimmer gegen Anstürme obdachloser Studienanfänger mit Morgensternen verteidigen müsste.

Man sollte sich jedoch nicht zu sehr in Sicherheit wiegen: Judith hat diesen Fehler gemacht. Jetzt steckt sie mitten in einem Kampf um ihr Territorium: Die WG-Katze hat Judiths Bett zu ihrem Revier erklärt. Und von dem neu zugezogenen Pudel wird sie abends beim Heimkommen mit feindseligem Kläffen begrüßt. Sie wohne hier jetzt schon drei Jahre und lasse sich in ihrer eigenen Wohnung nicht anbellen, schreit Judith den Pudel an. Gut möglich, dass Judith sich in diesem Moment eine Armbrust wünscht. Wobei man Tiere eigentlich mit ihren eigenen Waffen schlagen sollte, finde ich. Stichwort: Duftmarke. Judiths Einwand, dass ihre zweibeinigen Mitbewohner zu Revierkämpfen gegen sie ansetzen würde, sobald sie in den WG-Flur pinkelt, erscheint freilich berechtigt.

Es bleiben dem modernen Menschen eben nicht viel mehr Möglichkeiten, seine Wut auszuleben. Wobei einer der Waffenbesitzer in meinem Freundeskreis dann doch ein Druckventil gefunden hat: Wenn aus der Spelunke unter seinem Schlafzimmer bis in die Morgenstunden dieselben drei Akkordeon-Akkorde erklingen, wenn dazu die osteuropäischen Nachbarn bereits seit einer Woche Polterabend veranstalten und in dem besetzten Haus gegenüber die Horde grölt, gibt er mit seiner Schreckschusspistole gerne mal einen Warnschuss in die Nacht ab.

Von Susanne Krause

Nackt um die Welt

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Deutsche sind spießig. Deutsche trennen Müll. Deutsche bügeln Handtücher und Unterhosen. „That is sooo typically German“, sagt auch Jessica. Was die junge Schwedin damit meint: Dass Deutsche sich ständig nackig machen.

Bisher dachte ich, das Einzige, was so richtig deutsch ist, sei es, Dinge als „so richtig deutsch“ zu bezeichnen – wenn man eben gerade kein anderes Schimpfwort parat hat. Dann lerne ich Jessica kennen. Jessica ist eine Schwedin mit orientalischen Wurzeln, die ihr Medizinstudium in Ungarn absolviert hat. Ich finde, das macht sie zu einer würdigen Vertreterin der globalen Gemeinschaft. Kathi und ich dagegen sind Münchnerinnen mit ostdeutschem Migrationshintergrund. Und wir sind deutsch. So richtig deutsch.

„That is sooo typically German“, stöhnt Jessica beim Abendessen. Das sagt sie öfter. Meistens wissen wir nicht mal, was wir jetzt wieder gemacht haben. Unser Fehler des heutigen Abends? Wir haben auf Jessicas Einladung, sie am nächsten Tag in die Pinakothek zu begleiten, damit geantwortet, was wir bereits vorhaben. Kathi zum Beispiel plant eine groß angelegte WG-Mülltrennungsaktion – noch so was Deutsches! Darum geht es Jessica aber nicht. Unsere Vertreterin der globalen Gemeinschaft bemängelt, dass Deutsche, wenn man ihnen etwas anbietet, sofort ihre gesamte Lebensgeschichte ausbreiten würden. Und das, obwohl es allgemein anerkannt sei, dass ein unverbindliches „Yeah, cool“ die adäquate Antwort auf so ziemlich jedes Angebot sei. Kathi und ich sehen uns an. Da haben wir wieder was gelernt!

Überhaupt: Jessica eröffnet uns eine ganz neue Welt deutscher Stereotypen fernab von Handtüchern auf Liegestühlen und Tennissocken in Sandalen. Zum Beispiel: Dass Deutsche sich ständig nackig machen. Bereits der Englische Garten hat Jessica nachhaltig verstört. Unsere Ausführungen über FKK-Kultur an der Ostsee und den Freikörper-Sportverein in der Nähe von Fürstenfeldbruck geben ihr den Rest. „Why do Germans always have to get naked?“, fragt sie entgeistert. Langsam nimmt vor meinem inneren Auge ein ganz neues Bild des Deutschen im Ausland Gestalt an: Ich sehe nackte Menschen an den touristischen Sehenswürdigkeiten dieser Welt, die, immer wenn verstörte Einheimische ihnen Kleidungsstücke anbieten, beginnen ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Bei dieser Vorstellung verspüre ich schon fast ein bisschen Patriotismus. Über Schwedinnen mit orientalischen Wurzeln aus Ungarn lässt sich im Allgemeinen übrigens Folgendes sagen: Sie neigen zu Pauschalisierungen.

Von Susanne Krause

Die Socken der anderen

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Umzüge machen selten Spaß. Denn bevor die Freude auf das Neue beginnen kann, muss das Alte erst noch hergerichtet werden. Schließlich ist die alte Wohnung die neue Behausung für jemand anderen – und leider auch umgekehrt. Eine wirklich tückische Austauschbeziehung…

Eine neue Wohnung ist ein neuer Anfang. So hell und leer und unbefleckt. Der Zauber so einer neuen Wohnung lenkt sogar von der Einsicht ab, dass die neue eigene Behausung fast immer auch die alte Behausung von irgendjemand anderem ist. Und dass man sich bei keiner Tätigkeit so gut im Pfuschen übt wie beim Ausziehen.
Am Tag der Zimmerübergabe schütte ich einen ganzen Eimer dreckiges Putzwasser über den Teppichboden. Dabei war gerade alles perfekt hergerichtet: Ich habe mit der billigsten Farbe auf den sichtbaren Wandstücken herumgepinselt. Ich habe die wackeligen Möbel mit Holzleim und Fugenmasse so präpariert, dass sie zumindest die nächsten drei Stunden nicht zusammenbrechen werden. Die Kulisse für die Abnahme durch die Vermieterin steht. Wären da nicht die fünf Liter Putzwasser auf dem Teppich. Eine Stunde später habe ich etwas gelernt: Wohnungsübergaben erfordern neben Pfuschen und Schauspielerei auch ein wenig Glück – die Vermieterin hat bei der Inspektion des Zimmers ihre Schuhe anbehalten. Und der Nachmieter? War sicher beeindruckt! Was so nach Putzmittel riecht, kann nur sauber sein.

Aber wer gerade umzieht, ist meist viel zu beschäftigt mit seinem neuen Anfang in schlecht geweißelten vier Wänden. Ziemlich gering ist da die Lust, sämtliche Spuren der bisherigen Existenz aus einer Wohnung zu tilgen, in der, selbst wenn sie leer ist, noch immer überall verstaubte Socken und Ladekabel auftauchen, deren zugehörigen Geräte man nie besessen hat. Aber dank gehetzter Last-Minute-Aufräum-und-Entsorgungsaktionen findet man für gewöhnlich nur manchmal hinter Schränken und in Kellerecken Lebenszeichen seiner Vormieter. Außer man zieht in eine alteingesessene WG. Dann findet man den Keller vor lauter alten Schränken nicht. Der Keller von Kathis neuer Wohngemeinschaft beherbergt Möbelstücke aus 13 Jahren WG-Geschichte, darunter auch einen Kühlschrank und ein massives Ledersofa. Ich bin ja überzeugt, dass man mit ein bisschen Spachtelmasse und weißer Farbe schon dafür hätte sorgen können, dass der ganze Krempel kaum mehr auffällt. Kathi ist dann aber doch für die Variante mit dem Wertstoffhof.

Von Susanne Krause

Digitale Großfahndung

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Das Leben ist eine Suche in der Endlosschleife. Morgens ist es der Autoschlüssel, mittags das Handy und abends der lang ersehnte Mr. Right. Und für besonders fleißige Sucher gibt es noch das SETI – das Institut für die Suche nach extra-terrestrischer Intelligenz.

Irgendetwas sucht man immer; Schlüssel, Fernbedienung und Handy sind nur die Klassiker. Mal ehrlich: Festnetzanschlüsse sind doch in erster Linie dafür da, das Mobiltelefon in der Sofaritze zu lokalisieren. Leider hinken Schlüssel und Fernbedienung der technischen Entwicklung hinterher. Sie lassen sich nicht anrufen. Ich habe es probiert! Und auch wenn man über solche psychischen Defizite ungern spricht: Ich bin sicher nicht die einzige, die – nachdem bei aller morgendlichen Hektik endlich das Handy im Altpapier geortet wurde – versucht hat, damit den Schlüsselbund zu kontaktieren.

Wer zur Abwechslung mal was anderes suchen möchte als seinen Schlüssel, für den eröffnet das Internet neue Möglichkeiten – bis hin zur digitalen Großfahndung nach dem vermeintlich perfekten Partner. Ich suche seit neuesten per Internet nach etwas, das fast so schwer zu finden ist wie Mr. Right und mein Autoschlüssel: Ich suche nach Außerirdischen. SETI (das Institut für die Suche nach extra-terrestrischer Intelligenz) horcht hinaus in die kosmische Geräuschkulisse, um herauszufinden, ob uns nicht ein paar Alien per Funk „Hallo“ sagen möchten. Und weil das Weltall größer ist als die Leistung seiner Computer, freut sich SETI über jeden Menschen, der mit ein bisschen Rechnerkapazität beim Suchen hilft. Also: Über wirklich jeden!

Denn das Institut stört sich nicht mal daran, dass ich nach seiner Definition nicht als intelligentes Wesen durchgehe: Für SETI ist intelligent, was einen Radiofunksender bauen kann. Es ist somit wahrscheinlicher, intelligentes Leben im All zu finden als in meinem Freundeskreis: gute Erfolgsaussichten also! Gefunden habe ich bis jetzt leider trotzdem noch keinen Außerirdischen (auch wenn ich bei ein paar Anzeigen für Dating-Portale das Gefühl hatte, meinem Ziel schon recht nahe zu sein, aber das ist eine andere Geschichte).

SETI sucht übrigens nicht einfach aus einer Laune heraus nach Aliens, sondern weil die Betreiber fest daran glauben, dass Außerirdische mit ihren überlegenen Technologien all die Probleme unserer kleinen Welt lösen können. Und auch ich bin zuversichtlich, dass Wesen, die es schaffen, uns bei all den Myriaden von Planeten ausfindig zu machen, zumindest die Lösung für eine brennende Frage der Menschheit bereit halten: Wie man eigentlich Dinge findet, deren Telefonnummer man nicht hat.

Von Susanne Krause

Freiheit oder Vollpension?

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Wieder bei den Eltern Zuhause einziehen, ins alte Kinderzimmer. Ein Albtraum. Doch das hat auch seine Vorteile: Wäsche bügeln, Kakao anrühren – und sich die Haare föhnen lassen. Ein Plädoyer für “Hotel Mama”

Ellen versucht sich nach dem Abendessen aus der Küche zu schleichen – möglichst unauffällig, damit ihre Mutter nicht merkt, dass sie sich vor dem Aufräumen drückt. Doch der Fluchtplan ist absurd. Das Faszinierende für Ellen ist jedoch, dass er heute aus einem anderen Grund irrwitzig ist, als er es noch vor zehn Jahren gewesen wäre. Während damals klar war, dass man Mamas Hausarbeitsattacken nicht entkommt, erkennt Ellen heute: Ihrer Mutter ist das vollkommen egal. Mama erwartet überhaupt keine Hilfe.
Wieder zu Hause bei den Eltern einziehen – da holen die meisten Menschen tief Luft und setzen ein mitleidiges Gesicht auf. Muss ganz schön schwierig sein, sagen sie dann. Wahrscheinlich, weil derlei Umzüge oft nicht den erfreulichsten Anlass haben. Dass es nicht ganz so schwierig sein könnte, ahne ich zum ersten Mal, als mein Bruder vorübergehend wieder zu Hause wohnt und ich beobachte, wie Mama vom Frühstückstisch aufsteht, um ihrem ausgewachsenen Elektrotechniker das fehlende Kakaopulver zu holen. Mein Bruder isst genüsslich weiter. Er hat schneller durchschaut als Ellen, dass zurückgekehrte Kinder von sämtlichen häuslichen Pflichten entbunden sind.

Im Leben ist es so: Erst ist man klein und niedlich, und Mama kümmert sich um alles. Dann wird man größer, ist nur noch so lala niedlich und soll im Haushalt mithelfen. Woraufhin man irgendwann auszieht und – jetzt kommt das Verblüffende –, wohl wieder so viel kindliche Niedlichkeit zurückgewinnt, dass Mütter gar nicht mehr davon abzubringen sind, einem die Wäsche zu bügeln, den Kakao anzurühren und (kein Witz, selbst erlebt) die Haare zu föhnen. Zieht man in dieser Phase seines Lebens wieder zu den Eltern, stehen die Chancen gut, eine Art Vollpension zu erleben, wie man sie nie für möglich gehalten hat.

Freiheit und Unabhängigkeit wirken mit frisch gebügelter Wäsche gar nicht mehr so beeindruckend. Als Ellen die Zusage für ihr WG-Zimmer bekommt – und somit wieder ihr Kinderzimmer verlassen kann –, ist ihre erste Reaktion dennoch Freude. Darauf folgt jedoch der Schock und die quälende Frage: Was mache ich ohne meine Mama?

Von Susanne Krause

Kommune der Kartoffelkinder

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Beste Freundinnen schmieden Pläne, wie sie ihr Leben gemeinsam verbringen können. So wie Antonia und Anna: mit einer Kartoffelkinder-Kommune. Ob das gut gehen kann?

Mit der Familienplanung kann man ja nicht früh genug beginnen. Anna und Antonia überlegen sich schon mit 17 einen genauen Plan. In ihrem Ferienjob als Kartoffelernterinnen bleibt den beiden genug Zeit, die Details auszuarbeiten und einen Freundschaftspakt zu schließen: Später werden sie einmal zur selben Zeit Kinder bekommen. Und drei Jahre darauf werden dann ihre kleinen Schwestern – wiederum Teilzeit-Kartoffelernterinnen und gut befreundet – ebenfalls Nachwuchs in die Welt setzen. Denn dann, so der Plan, werden all diese synchronisiert gezeugten Kinder glücklich miteinander im Garten eines gemeinsamen Hauses spielen. Alles wird genau so sein wie damals, als Klein-Anna, Klein-Antonia und die dazugehörigen kleinen Schwestern durch einen Gemeinschaftsgarten tollten. Und später werden die Kinder Kartoffeln ernten, genau wie ihre Mütter.

Antonia hat mir oft von diesem Pakt erzählt, auch lange bevor Anna abtrünnig wurde. Da war ich schon ein wenig skeptisch, wie das funktionieren soll, so ganz ohne schriftliche Vereinbarungen über die genauen Konditionen; also darüber, wie lange im Voraus die Vertragspartnerin jeweils über geplante Schwangerschaften zu informieren sei und wo dann dieses gemeinsame Haus mit Garten stehen würde. Nun, knapp sieben Jahre nach dem Abkommen, ist es endgültig gebrochen: Antonia lebt als kinderloser Single in Bayern, während Anna und ihr Freund eine Wohnung in Österreich bewohnen. Ohne Garten. Dafür mit einem kleinen Mädchen, das niemals eine gleichaltrige Freundin mit Antonias Erbanlagen haben wird.

So idyllisch die Vorstellung dieser Kartoffelkinder-Kommune auch gewesen sein mag, vielleicht hat man mit 17 doch noch Träume, die nicht ganz zu Unrecht an der Realisierung scheitern. Über den Vertragsbruch ist Antonia inzwischen ganz froh. So muss sie nicht selbst auf den potenziell noch sehr fernen Zeitpunkt warten, an dem sie sich für Kinder bereit fühlt, um hin und wieder ein besonders niedliches Exemplar im Arm zu schaukeln. Und wer weiß: Vielleicht wird das mit der Kommune ja doch noch etwas. Vielleicht mit weniger Kindern im Garten als geplant, dafür aber mit einem großen Kartoffelacker.

Von Susanne Krause

Verspätete Heiratsanträge

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Eine Frage ist zu meiden: Und, was machst Du so? Nur dann können Klassentreffen durchaus Spaß machen. Etwa wenn Klassenlehrer ehemalige Schülerinnen fragen, ob sie jetzt schon anderen Männern hinterhertrauern.

Meine bleibendste Erinnerung an Veronika aus der Schulzeit ist, wie sie mich in der Dreizehnten beim Handball zu Boden getackelt hat. Näher als an diesem Tag sind wir uns eigentlich die ganze Schulzeit über nicht gekommen. Jetzt, fünf Jahre später, macht sie mir in dieser düsteren Kneipe einen Heiratsantrag. Und ich hatte gedacht, Klassentreffen wären eine öde Veranstaltung!

Für besonders langweilig hielt ich die Klassentreffen, die man veranstaltet, wenn die Schulzeit noch nicht so weit zurückliegt, als dass man in angemieteten Sälen mit Platzkärtchen über die grausigen Gören und Lebenspartner der ehemaligen Klassenkameraden tuscheln könnte. Noch ist meine Abschlussklasse in einem Alter, in dem man sich einfach während der Weihnachtsferien in einer Kneipe trifft und niemand glatzköpfige Babys oder Ehemänner dabei hat. Weil die obligatorische Frage: „Und, was machst du so?“ in diesem frühen Stadium noch selten zu großen Überraschungen führt, war ich auch seit Jahren auf keiner dieser Partys. Ich wollte die wirklich bahnbrechenden Veränderungen abwarten. Vielleicht ist ja jetzt, nach über vier Jahren die Zeit dafür?

Heute Abend lerne ich einiges über Klassentreffen. Unter anderem, dass ein höfliches „Und, was machst du so?“ einfach die falsche Frage ist. Mein Lehrer heißt Leo und verhört bereits beim ersten Bier Veronika, ihres Zeichens die einzige Verheiratete unter uns (und damit irgendwie auch die einzige mit einer bahnbrechenden Veränderung): Ob sie den anderen Männern hinterher trauere; für wann die Kinder geplant seien; und ob ihr Angebeteter beim Antrag auf die Knie gefallen wäre. Die letzte Frage provoziert eine kleine dramatische Performance, bei der Veronika den Antrag für uns nachstellt. Merke: Klassentreffen können Spaß machen.

Gegen Ende des Abends stehe ich – einen Dreiviertelliter Weinschorle im Blut und einen Viertelliter Bier auf der Strumpfhose – mit den Rauchern am Eingang der Kneipe. Leo fragt, wer von uns allen sich am meisten verändert habe. Und ich bin ratlos. Abgesehen von ein paar mehr Bärten wirken auf mich eigentlich all meine Klassenkameraden so wie früher. Geändert hat sich nur eines: Ich habe erkannt, dass das nicht öde sein muss. Eigentlich ist es vielmehr irgendwie angenehm vertraut.

Von Susanne Krause