Selbstfindung in der Baumkrone

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Über manche Menschen muss man sich einfach lustig machen. Weil sie es provozieren. So wie Stefan, der an Verschwörungstheorien glaubt und ein Ökoverächter ist. Doch manchmal überkommt auch ihn die Liebe zur Natur…

Mir wird ja oft vorgeworfen, ich würde mich über alles und jeden lustig machen. Das stimmt zwar, ist aber nicht ganz fair. Denn was dabei gern unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass es einem damit häufig auch viel zu leicht gemacht wird. Wenn mir Andreas zum Beispiel erzählt, das Märchen von den bösen Abgasen sei nur ein Vorwand der Regierung, die Benzinsteuer maßlos hochzutreiben.

Überhaupt. Verschwörungstheorien. Stefan hat da eine ganz eigene: Eine unbekannte Macht versuche seit nunmehr mehr als fünfzig Jahren, die Gesellschaft nach und nach unter dem Deckmantel der Sozialpädagogik zu verweichlichen. Alles habe mit der antiautoritären Erziehung begonnen, zu der unbescholtene Eltern in den 60er Jahren ja geradezu geprügelt worden seien – der Anfang einer systematischen Unterwanderung der guten alten Rohrstockmentalität hin zu einer schier unerträglichen Eso-Öko-Peace-Gesellschaft. Was Stefan von Leuten hält, die in ihrer Freizeit Bäume umarmen, um die Seele der Natur in sich widerhallen zu spüren, kann man sich denken.

Und so stehe ich also gemeinsam mit fünf Polizeibeamten unter einem alten Ahornbaum in Laim und frage mich, ob dieser Tag noch ein bisschen verrückter werden kann: Oben im Geäst sitzt Stefan, der Ökoverächter, und weigert sich, seinen Platz in der Baumkrone zu räumen. Es ist der Baum vor seinem Elternhaus, auf den er als Kind schon immer geklettert ist und der auf Anordnung des KVR gefällt werden soll. Geht gar nicht, findet Stefan und klammert sich inbrünstig an seinen alten Gefährten. Wer seinen Baum wolle, der müsse vorher schon an ihm vorbei, ruft er zu uns runter.

Nach drei Stunden ziehen die Beamten unverrichteter Dinge von dannen, gefällt wird hier heute gar nichts mehr. Ich klettere zu Stefan in die Äste. Es sei wirklich ein guter Baum, sage ich. Stefan legt seinen Arm um mich. Dann machen wir uns über Andreas und seinen lächerlichen Abgas-Fetisch lustig. Manchmal hat man es aber auch einfach zu leicht.

Von Lisi Wasmer