Verspätete Heiratsanträge

image

Eine Frage ist zu meiden: Und, was machst Du so? Nur dann können Klassentreffen durchaus Spaß machen. Etwa wenn Klassenlehrer ehemalige Schülerinnen fragen, ob sie jetzt schon anderen Männern hinterhertrauern.

Meine bleibendste Erinnerung an Veronika aus der Schulzeit ist, wie sie mich in der Dreizehnten beim Handball zu Boden getackelt hat. Näher als an diesem Tag sind wir uns eigentlich die ganze Schulzeit über nicht gekommen. Jetzt, fünf Jahre später, macht sie mir in dieser düsteren Kneipe einen Heiratsantrag. Und ich hatte gedacht, Klassentreffen wären eine öde Veranstaltung!

Für besonders langweilig hielt ich die Klassentreffen, die man veranstaltet, wenn die Schulzeit noch nicht so weit zurückliegt, als dass man in angemieteten Sälen mit Platzkärtchen über die grausigen Gören und Lebenspartner der ehemaligen Klassenkameraden tuscheln könnte. Noch ist meine Abschlussklasse in einem Alter, in dem man sich einfach während der Weihnachtsferien in einer Kneipe trifft und niemand glatzköpfige Babys oder Ehemänner dabei hat. Weil die obligatorische Frage: „Und, was machst du so?“ in diesem frühen Stadium noch selten zu großen Überraschungen führt, war ich auch seit Jahren auf keiner dieser Partys. Ich wollte die wirklich bahnbrechenden Veränderungen abwarten. Vielleicht ist ja jetzt, nach über vier Jahren die Zeit dafür?

Heute Abend lerne ich einiges über Klassentreffen. Unter anderem, dass ein höfliches „Und, was machst du so?“ einfach die falsche Frage ist. Mein Lehrer heißt Leo und verhört bereits beim ersten Bier Veronika, ihres Zeichens die einzige Verheiratete unter uns (und damit irgendwie auch die einzige mit einer bahnbrechenden Veränderung): Ob sie den anderen Männern hinterher trauere; für wann die Kinder geplant seien; und ob ihr Angebeteter beim Antrag auf die Knie gefallen wäre. Die letzte Frage provoziert eine kleine dramatische Performance, bei der Veronika den Antrag für uns nachstellt. Merke: Klassentreffen können Spaß machen.

Gegen Ende des Abends stehe ich – einen Dreiviertelliter Weinschorle im Blut und einen Viertelliter Bier auf der Strumpfhose – mit den Rauchern am Eingang der Kneipe. Leo fragt, wer von uns allen sich am meisten verändert habe. Und ich bin ratlos. Abgesehen von ein paar mehr Bärten wirken auf mich eigentlich all meine Klassenkameraden so wie früher. Geändert hat sich nur eines: Ich habe erkannt, dass das nicht öde sein muss. Eigentlich ist es vielmehr irgendwie angenehm vertraut.

Von Susanne Krause