Nackt um die Welt

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Deutsche sind spießig. Deutsche trennen Müll. Deutsche bügeln Handtücher und Unterhosen. „That is sooo typically German“, sagt auch Jessica. Was die junge Schwedin damit meint: Dass Deutsche sich ständig nackig machen.

Bisher dachte ich, das Einzige, was so richtig deutsch ist, sei es, Dinge als „so richtig deutsch“ zu bezeichnen – wenn man eben gerade kein anderes Schimpfwort parat hat. Dann lerne ich Jessica kennen. Jessica ist eine Schwedin mit orientalischen Wurzeln, die ihr Medizinstudium in Ungarn absolviert hat. Ich finde, das macht sie zu einer würdigen Vertreterin der globalen Gemeinschaft. Kathi und ich dagegen sind Münchnerinnen mit ostdeutschem Migrationshintergrund. Und wir sind deutsch. So richtig deutsch.

„That is sooo typically German“, stöhnt Jessica beim Abendessen. Das sagt sie öfter. Meistens wissen wir nicht mal, was wir jetzt wieder gemacht haben. Unser Fehler des heutigen Abends? Wir haben auf Jessicas Einladung, sie am nächsten Tag in die Pinakothek zu begleiten, damit geantwortet, was wir bereits vorhaben. Kathi zum Beispiel plant eine groß angelegte WG-Mülltrennungsaktion – noch so was Deutsches! Darum geht es Jessica aber nicht. Unsere Vertreterin der globalen Gemeinschaft bemängelt, dass Deutsche, wenn man ihnen etwas anbietet, sofort ihre gesamte Lebensgeschichte ausbreiten würden. Und das, obwohl es allgemein anerkannt sei, dass ein unverbindliches „Yeah, cool“ die adäquate Antwort auf so ziemlich jedes Angebot sei. Kathi und ich sehen uns an. Da haben wir wieder was gelernt!

Überhaupt: Jessica eröffnet uns eine ganz neue Welt deutscher Stereotypen fernab von Handtüchern auf Liegestühlen und Tennissocken in Sandalen. Zum Beispiel: Dass Deutsche sich ständig nackig machen. Bereits der Englische Garten hat Jessica nachhaltig verstört. Unsere Ausführungen über FKK-Kultur an der Ostsee und den Freikörper-Sportverein in der Nähe von Fürstenfeldbruck geben ihr den Rest. „Why do Germans always have to get naked?“, fragt sie entgeistert. Langsam nimmt vor meinem inneren Auge ein ganz neues Bild des Deutschen im Ausland Gestalt an: Ich sehe nackte Menschen an den touristischen Sehenswürdigkeiten dieser Welt, die, immer wenn verstörte Einheimische ihnen Kleidungsstücke anbieten, beginnen ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Bei dieser Vorstellung verspüre ich schon fast ein bisschen Patriotismus. Über Schwedinnen mit orientalischen Wurzeln aus Ungarn lässt sich im Allgemeinen übrigens Folgendes sagen: Sie neigen zu Pauschalisierungen.

Von Susanne Krause