Akademie-Studentin Anne Kodura (Foto: Laetitia Vancon) hat einen Dokumentarfilm über Flüchtlingskinder gedreht: ,,Ödland‘‘ erzählt subtil die Lebensumstände von Asylbewerbern in Deutschland – jetzt häufen sich die Preise.
von Veronika Christine Dräxler
Die Filmemacherin Anne Kodura sitzt auf einer Bank draußen vor dem Café Fortuna in der Nähe des Rosenheimer Platzes. In der einen Hand hält sie eine Flasche Club Mate und in der anderen eine selbst gedrehte Zigarette. Anne, 26, studiert Medienkunst an der Akademie der Bildenden Künste, aber dort ist sie selten. Das Jahr über ist Anne von Filmfestival zu Filmfestival gereist, innerhalb Deutschlands und auch nach Polen und Mexiko. Ihr Dokumentarfilm ,,Ödland – Damit keiner das so
mitbemerkt‘‘ hat sein Debüt Anfang des Jahres auf der 63. Berlinale
gefeiert. Dort war er für den Gläsernen Bären nominiert. Beim
Oaxaca-Filmfest in Mexiko hat ,,Ödland‘‘ den Preis des besten
Nachwuchs-Dokumentarfilms erhalten. Im Oktober hat Anne den Open
Eyes-Jugendjury Preis des Nürnberger Filmfestivals der Menschenrechte
für ihren Film überreicht bekommen. ,,Ödland‘‘ erzählt subtil die
Lebensumstände von Asylbewerbern in Deutschland – aus der Perspektive
von Flüchtlingskindern.
Nach ersten Radiobeiträgen für den freien Sender Radio Corax in ihrer
Heimatstadt Halle wechselt sie zum Film. Anfangs sammelt sie als
Regieassistentin bei unterschiedlichen Projekten Erfahrung. Bei einem
Dreh lernt Anne das Asylheim Möhlau und seine Bewohner kennen. ,,Zu
meiner Schulzeit bin ich mit der Straßenbahn auch auf dem Weg in die
Schule an einem Flüchtlingsheim vorbeigefahren. Ich habe mich manchmal
gefragt, wie es den Menschen dort geht, aber habe mich nicht
tiefergehend damit beschäftigt. Die Heime sind ja auch nicht gerade
präsent in unserer Gesellschaft‘‘, bemerkt sie. Erst während der Arbeit
am Filmset habe sie gesehen, was dort eigentlich vor sich gehe. ,,Ich
habe dann angefangen, mich dafür zu interessieren, wollte wissen, was
mit den Menschen dort ist, wie lange sie schon hier in dem Plattenbau
untergebracht sind und was sie für eine Geschichte haben‘‘, beschreibt
Anne. Während dieser Zeit sei ihr aufgefallen, dass nur die Kinder
draußen spielten, die Erwachsenen aber so gut wie nie die Wohnungen
verlassen hätten. ,,Das ist mir im Gedächtnis hängen geblieben. Ich habe
viel darüber nachgedacht und überlegt, wie ich das filmisch angehen
kann. Für mich war schnell klar, dass ich diese Geschichte aus der
Perspektive der Kids erzählen will‘‘, sagt sie.
Als schwierig stellt sich eine Drehgenehmigung heraus. Aufgrund
negativer Presse dürfen keine Journalisten mehr auf das Gelände.
Fotografieren ist verboten. ,,Mit der Heimleitung habe ich dann
ausgemacht, dass ich erst mal die Kids kennenlerne und schaue, ob das
überhaupt etwas für mich ist‘‘, verrät Anne. Ein Dreivierteljahr lang
fährt sie daraufhin unermüdlich immer wieder ins Asylheim. Spricht mit
den Familien und Kindern. Eines Tages habe sie dann zu den Kindern
gesagt: ,,So jetzt drehen wir einen Film, habt ihr Lust?‘‘ Sie bekommt
die Drehgenehmigung – mit genauen Auflagen: Filmverbot in den Wohnungen
und keine Aufnahmen von Müll. So ganz daran halten sich Anne und ihr
Kameramann Friede Clausz, 27, nicht. 2011 verbringen die beiden die
Sommerferien mit Muhammad, Mustafa, Aya und deren Freunden. Die Kamera
ist auf Augenhöhe der Kinder immer mit dabei, aber so zurückhaltend,
dass diese sie vergessen zu scheinen.
Aya El Noumeiri. Foto: Friede Clausz
Muhammad und Mustafa Ali. Foto: Friede Clausz
Muhammad Ali. Foto: Friede Clausz
Inmitten der fast schon idyllischen Natur entstehen unschuldige Dialoge, die von einer zaghaften Auseinandersetzung der Kinder mit ihrer
Herkunft und den Umständen zeugen. Die Erwachsenen sind im Film so gut
wie ausgeklammert, nur kurze Schnitte aus der Erwachsenenwelt
unterbrechen die der Kinder. So erzählen die Mütter ihre Sorgen zu einem
wiederkehrenden monotonen Bild von Windrädern. Zitate aus dem
ausländischen Fernsehen, dem deutschen Wetterbericht und Standbildern
aus den engen Wohnungen fügen dem Film eine weitere Dimension hinzu.
,,Die Flüchtlingsfamilien leben in einem gefängnisähnlichen Zustand in
so einem Heim‘‘, sagt Anne. Bei der staatlichen Duldung warten hier
Familien teilweise mehr als zehn Jahre, bis die Behörden eine endgültige
Entscheidung treffen. Solange sich dieser Status nicht ändert, dürfen
die Asylbewerber teilweise nicht arbeiten und haben keinen Anspruch auf
einen Deutschkurs. Eine Abschiebung ist nicht ausgeschlossen. ,,Diese
Umstände heißen für mich, dass Asylbewerber hier nicht in Frieden,
sondern in ständiger Angst leben und mit dem Gefühl, nicht erwünscht zu
sein‘‘, stellt Anne fest. Insbesondere bei den Kindern habe sie
interessiert, wie sich die Situation ihrer Eltern auf sie auswirke.
Anne besucht die Kinder immer noch hin und wieder, hat sie mit auf
die Berlinale und das Osnabrücker Filmfest genommen – sie skypen
regelmäßig, es hat sich fast schon ein familiäres Verhältnis entwickelt.
,,Für mich war es eine sehr gute Erfahrung, mit den Kids zu arbeiten,
es ist eine starke Freundschaft entstanden. Auch wenn es mich oft
erschüttert und depressiv gestimmt hat, was den Flüchtlingen zugemutet
wird. Davor hatte ich noch keinen Bezug dazu, das war mir fremd – jetzt
kümmern wir uns umeinander‘‘, berichtet sie.
Das Asylheim Möhlau wurde im Januar 2013 geschlossen. Die Kinder zogen mit ihren Familien in eigene Wohnungen.
Weitere Infos: www.oedland-film.de.