Allein unter Kühen

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Es sind lange Tage, an denen Davids Schritte durch menschenleere Universitätsflure hallen. Sein Freunde: verreist oder beschäftigt. Und David verzweifelt daran. Vielleicht sollte er lieber auf eine einsame Alm gehen – dort kann es geselliger sein.

Allein zu Hause tut man die wunderlichsten Dinge. David beispielsweise spricht dann mit meinem Stoffeichhörnchen Trudi. Deshalb habe ich sofort die wildesten Assoziationen, als eine Freundin mir von ihrem Bekannten erzählt, der den Sommer ganz alleine auf einer Alm verbringt. Ich stelle mir einen unrasierten Kerl mit irrem Blick vor, der fernab von jeglicher Zivilisation den Kühen Blumenkränze flicht und ihnen alle Hits von Modern Talking vorsingt.

David ist schließlich schon nach einer knappen Woche allein in der Münchner Innenstadt ziemlich durch den Wind. Eine Sommerwoche, in der nicht nur ich im Urlaub bin, sondern auch all seine Freunde heillos beschäftigt sind oder untergetaucht. Lange Tage, an denen seine Schritte durch menschenleere Universitätsflure hallen. Nur einmal knüpft David Kontakt mit einem anderem Lebewesen: Eine kleine schwarze Katze liegt auf einem Fensterbrett in der Nähe seines Büros. Gerade haben die beiden Freundschaft geschlossen, da taucht doch noch ein Mensch auf: der Hausmeister. So endet die Bekanntschaft zwischen David und der Katze. Er sieht ihr noch hinterher, als sie nach draußen getragen wird. David seufzt. Immerhin wartet zu Hause noch Trudi, das Plüscheichhörnchen, auf ihn.

Wie mag da erst – statt einer Woche Alleinsein mitten in München – ein Sommer-Isolation auf einer Alm bei Berchtesgaden aussehen! Als meine Freundin bei der Hütte ankommt, um den Einsiedler kurzzeitig aus seiner Einsamkeit zu erlösen, haben da die ersten Kühe bereits Mittelohrentzündungen und Blumenallergien? Will der Eremit seinen Besuch gar nicht mehr gehen lassen, weil er fürchtet, dass die Kühe („Ganz besonders Nora!“) gerade eine Verschwörung gegen ihn aushecken? Alles falsch. Die Wahrheit sieht so aus: Der Alm-Öhi kann sich vor Besuch gar nicht retten. Ständig kommen Freunde und Bekannte, alle paar Tage wird eine Grillparty gegen die Einsamkeit geschmissen. Da bleibt gar keine Zeit, um Marotten zu entwickeln.

Zur Selbstfindung ist so ein Alm-Aufenthalt offensichtlich nicht zu gebrauchen. Man sollte lieber während der Sommerferien zu Hause bleiben, wenn man Einblick in die dunklen Ecken des eigenen Bewusstseins erhalten möchte. Zu diesem Zweck verleihe ich Trudi übrigens auch gern stundenweise.

Von Susanne Krause