Lag es am Lockdown? Oder an den fehlenden Möglichkeiten, etwas zu unternehmen? Während der Corona-Pandemie haben sich in München eine Reihe von jungen Magazinen gegründet: feministisch, antirassistisch, gesellschaftskritisch – Besuche in vier Redaktionen
Die Corona-Pandemie hat viele Bereiche der Kultur hart getroffen. Es gibt aber auch Lichtblicke. In den vergangenen Monaten wurden in München eine Reihe von jungen Magazinen gegründet. Lag es am Lockdown? An der damit verbundenen Langeweile? Wir haben uns bei vier Magazinen umgehört.
Unter dem Brennglas
Haltung zeigen. Das ist oft leichter gesagt, als getan. Deshalb haben die drei Studierenden Matilda Poche, 21, Josef Forster, 22, und Jonas Heintschel, 22, das Print-Magazin Truth or Consequences gegründet. Darin stellen sie auf 140 Seiten in Fotostrecken, Interviews und Texten ausgewählte gesellschaftspolitische Themen vor. „Tendenziell sind wenige Themen in dem Magazin, die wir nicht schon seit längerer Zeit selbst in sozialen Medien verfolgen und unterstützen“, sagt Jonas. Darunter fallen etwa die Initiative „Sirkhane Darkroom“ des aus Syrien geflüchteten Fotografen Serbest Salih, der heute Kindern in der Türkei Analogfotografie beibringt. Oder „Stories of Her“, eine Initiative gegen sexuelle Belästigung und Diskriminierung von Frauen. Ihnen wollen die Studierenden abseits sozialer Medien bewusst eine physische Plattform bieten. „Durch ein Printmagazin verschafft man Themen eine längere Wertigkeit als durch ein Onlinemagazin“, sagt Josef. So setzen sie einen Kontrapunkt gegen die Schnelllebigkeit sozialer Medien. Denn dort, wo Themen zwar für eine kurze Zeit eine sehr hohe Aufmerksamkeit genießen würden, seien sie ebenso schnell auch wieder vergessen, sagt Jonas.
Ihr Plan sei daher, in einer zweiten, ein Jahr später erscheinenden Ausgabe von Truth or Consequences an die Themen der ersten Ausgabe anzuknüpfen. „Wir wollen ein Update über die Projekte geben, darüber, was in diesem Jahr passiert ist“, sagt Josef. Matilda fügt hinzu: „Die Projekte und die Personen, über die wir berichten, die wachsen ja auch. Es wäre schön, wenn man diesen Prozess begleitet.“ Dabei sollen die vorgestellten Themen die innere Haltung der drei Studierenden widerspiegeln: „Wir wollen über Bildsprache und Text klar kommunizieren: Wer sind wir? Welche Themen liegen uns am Herzen und worauf wollen wir ein Brennglas richten“, erklärt Jonas. Um das Magazin „so persönlich wie möglich“ zu gestalten, nummerierten sie jedes der 500 Stück händisch durch und legten jeweils einen zusätzlichen, signierten Print aus Jonas’ Fotostrecken bei. Das Magazin ist erhältlich im Internet unter der Adresse www.truth-or-consequences.de.
Lisa Miethke
Liebesbriefe an das Kino
Als München Anfang vergangenen Jahres in den Lockdown ging, verloren die Spielfilmregiestudentinnen Sarah Ellersdorfer und Carlotta Wachotsch, 26, eine ihrer Leidenschaften: den wöchentlichen Filmklub an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF), den sie leiten. Weil sie sich trotzdem weiterhin mit Filmen auseinandersetzten wollten, gründeten sie ihre eigene Zeitung: Die Revü – Flugblatt für Cinephilie.
Dabei entstand das Magazin aus einem klassischen Corona-Problem: der Monotonie des Lockdowns. Um der zu entgehen, begann Carlotta sich Filme anzusehen, die sie schon länger anschauen wollte – solche, die nicht jeder kennt, und solche, die für Filmschaffende gewissermaßen zur Grundausbildung gehören. Aber etwas fehlte der jungen Frau: „Ich hatte das Gefühl, dass ich niemanden habe, mit dem ich mich über Film austauschen könnte“, sagt Carlotta. Denn viele der Filme sind jenseits des kleinen Kreises an Filmschaffenden in München relativ unbekannt. Diesen Umstand wollen Carlotta und Sarah nun mit ihrem Magazin ändern. „Wir wollen, dass Filmliebe kein Diskurs der Intellektuellen ist oder bleibt, sondern, dass Filmliebe etwas Inklusives ist“, sagt Sarah.
Unter anderem deswegen schreiben die Autoren in ihrem Magazin ihre Texte als Essays. Diese Form erlaubt es den Autoren, „angstfrei zu schreiben, und schafft einen persönlicheren Zugang zu den Filmen“, sagt zumindest Carlotta. Ihr Magazin ist daher kein klassisches TV-Magazin, das Filme bewertet, sondern gleicht eher einer Sammlung kleiner Liebesbriefe an das Kino und einzelne Filme. Auch kennt das Magazin der beiden jungen Frauen keine Alters- oder Genregrenzen. Aktuelle Kinofilme stehen Seite an Seite mit altbekannten Klassikern und Dokumentarfilme neben großem Erzählkino. Und das hat einen Grund: „Dass ein Film 70 Jahre alt ist, sagt gar nichts darüber aus, wie aktuell oder modern er ist“, sagt zumindest Sarah.
Auch wenn ihr Magazin in der Pandemie entstanden ist, wollen die beiden nicht damit aufhören, wenn sie vorbei ist – im Gegenteil: „Unser Team wächst gerade und wir haben viel vor in den kommenden Monaten“, sagt Carlotta. Weitere Informationen im Internet unter https://revu-heft.de
Laurens Greschat
Bunt statt weiß
Mit hoch erhobener Faust und ernstem, aber sicherem Blick steht die schwarze Frau da. Sie wirkt stolz und entschlossen. Dieses Bild ist auf dem Cover-Backprint des Magazin of Color zu sehen, gestaltet von Joanne Heller und Manuel Kreuzer. Das Magazin of Color ist ein Solidaritätsprojekt und rassismuskritisches Magazin, das von BIPoC für BIPoC geschrieben worden ist – also von Black, Indigenous, People of Color.
„Repräsentation und Empowerment waren ein großer Fokus von Anfang an. Vor allem Repräsentation ist sehr wichtig. Wie man selbst dargestellt wird, beeinflusst ja nicht nur, wie andere Menschen einen sehen, sondern auch, wie man sich selbst sieht“, schildert Akosua Abrefa-Busia, 19. Sie und Pia Ihedioha, 22, sind die Gründerinnen und Herausgeberinnen, Anna Fischer, 25, ist in der Redaktion und arbeitet am Marketing.
„Der Kernaspekt des Magazins ist, dass man sich auch wiederfindet in den verschiedenen Artikeln“, erklärt Anna. Wichtig ist dabei, dass die Autorinnen und Autoren keine Retraumatisierung erfahren und auch keine bei anderen auslösen wollen. Das Magazin soll als eine Plattform dienen, die nicht-weiße Menschen repräsentiert. In 18 Texten werden in unterschiedlichen Formen (Gedichte, Rezensionen, Artikel) Themen wie political correctness, Aktivismus und Erfolgsgeschichten von BIPoC aufgegriffen. Begriffe wie „White Passing“ und „Colorism“, die in diesem Kontext oft zu hören und zu lesen sind, werden erklärt. Beispielsweise gibt es auch ein Gedicht namens „Dear Black Child“, das Pia an ihr jüngeres Ich geschrieben hat, um nicht nur sich selbst, sondern auch anderen BIPoC Mut zu machen.
Bis Anfang Januar 2021 ist das Magazin zu einem zwölfköpfigen Team gewachsen, das sich größtenteils nur online kennt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stammen aus Passau, Landshut und München. Die Corona-Pandemie sorgt für Isolation und das Fehlen des sozialen Miteinanders – keine Frage –, doch Pia, Akosua und Anna sind nicht sicher, ob das Magazin zustande gekommen wäre, wenn Corona nicht gewesen wäre.
Bisher gab es eine Menge positiver Rückmeldungen, weshalb das Team sehr motiviert ist, an einer zweiten Ausgabe zu arbeiten. Das Magazin ist erhältlich unter magazinofcolor.de
Francesca Rieker
Generation Z
Buh statt Bravo. Lilly Düstersiek, 22, veröffentlicht das Magazin Buuh! mit feministischem, kritischem und unabhängigem Content. Dabei sollen Sorgen und Gedanken der Generation Z besprochen, Probleme aufgezeigt und geradezu ausgebuht werden. Das Magazin soll aber auch eine Plattform für politische und soziale Diskussionen werden – als eine Art Safe Place.
Seit Januar 2021 veröffentlicht die Studentin nun mit Hilfe von weiteren Autorinnen und Autoren wöchentlich neue Texte für ihr Online-Magazin. Seit kurzem hat Lilly Hilfe in der Chefredaktion: Laura Ziegler. Die 23-Jährige studiert Film- und Medienkulturforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München und arbeitet gerade an ihrer Masterarbeit. „Wir haben alle die gleiche Ansicht und sind alle feministisch. Aber es ist nicht so, dass wir ein Magazin sind, das sich nur um Feminismus dreht. Es spielt in alle Facetten des Lebens. Und in alle politischen Ebenen“, beschreibt Laura das Magazin.
Lilly studiert Romanische Sprachen in München. Wie so viele junge Mädchen las auch sie früher Jugendmagazine. „Als ich älter wurde, dachte ich mir: Ich will keine fragwürdigen Körperbilder vermittelt bekommen und keine fragwürdigen Vorbildfunktionen unterstützen“, sagt sie. Also begann sie sich mit Feminismus auseinanderzusetzen. „Dann kam der Wunsch für Themen, die in meinem Freundeskreis kursieren und zu denen ich viele Gedanken loswerden wollte, eine Plattform zu haben“, sagt Lilly. Doch der passende Zeitpunkt ließ auf sich warten – bis Corona.
Im März 2020 traf sich die Redaktion zum ersten Mal. Im September ist dann der Instagram-Account online gegangen, im Oktober dann die Internetseite. Dass aus ihrem Hirngespinst eine so große Sache wird, hätte Lilly nicht gedacht. „Es ist extrem überwältigend. Am Anfang war da doch die Angst, dass es nicht funktioniert. Auch noch, als wir schon bei der Umsetzung waren. Aber mittlerweile arbeiten wir alle so gut zusammen. Das macht mich wirklich extrem stolz“, sagt sie voller Inbrunst. Für die Zukunft wünschen sich Lilly und Laura, ihr Magazin drucken zu können. Weitere Infos unter www.buuh.online.
Celine Weiser