Schmalztiegel München

Moll, wohin man auch hört: Moll-Akkorde. Gespielt auf Akustik-Gitarren. In München, so der Eindruck, gibt es plötzlich so viele junge Singer-Songwriter wie noch nie. Erlebt die Melancholie eine neue Blüte? Haben die Musiker keine Lust mehr auf eine Band? Oder fehlt ihnen einfach nur der Proberaum? Wir haben uns mal in der Stadt umgehört.


Saguru
Christian Rappel, 22, liebt ausgefallene Wörter. Er hat sogar einmal ein Wörterbuch durchforstet und ein paar Koryphäen herausgeschrieben. Seine Songtexte schreibt der Singer-Songwriter aber eigentlich von der Musik ausgehend: Indem er beim Gitarrespielen Silben und Wörter singt, nach Alliterationen oder Reimen sucht, die zur Melodie passen – bis sich irgendwann alles fügt. „Aber wenn mir beim Songschreiben mal gar nichts einfällt, packe ich diese Liste mit den abgefahrenen Wörtern aus“, sagt Chris und lacht. Einer seiner Favoriten: „lugubrious“, zu Deutsch „schwermütig, wehmütig“. Ein bisschen melancholisch sind seine Songs – denn sein Soloprojekt Saguru war ursprünglich ein Genre-Ausgleich zu seiner Indierock-Band: Mit den Red Indicators spielt Chris seit seiner Schulzeit in Prien und wollte nach dem Abitur so richtig mit ihnen durchstarten. Doch wie das so ist, zog jedes Bandmitglied in eine andere Stadt. „Das war extrem deprimierend“, sagt der Musiker mit den auffallend blauen Augen. Dieser Frust war aber auch Inspiration für sein Singer-Songwriter-Projekt: Seit 2016 arbeitet er vor allem an seiner Solokarriere, spielt bei zahlreichen Open Stages und knüpft dabei Kontakte. Mit Erfolg: Inzwischen wurde er von einem Produzenten entdeckt und nimmt in dessen Studio auf. Diese Songs will er nach und nach veröffentlichen, auf Tour gehen – das hält er für nachhaltiger, als einen YouTube-Hit zu landen. „Natürlich habe ich auch Selbstzweifel. Manche Songs habe ich schon fünf Mal aufgenommen und dann doch wieder verworfen. Aber ich habe noch nie daran gedacht, die Musik hinzuschmeißen.“ Stattdessen hat Chris einen Notfall-Plan: für ein Label arbeiten – an der Schnittstelle zwischen Musik und BWL, was er gerade auch studiert.




Melli Zech
„Ohne Musik wäre ich nicht, was ich bin.“ Dieser Satz mag abgedroschen klingen, bei Melli Zech,18, trifft er allerdings zu, denn ihr Weg zur Musik ist bewegend: Als Baby hatte sie Leukämie, später stellte man fest, dass sie fast taub war – doch Melli besiegte beides. Um das Hören und die Leistungsfähigkeit für die Schule zu trainieren, empfahl ihr ein Lehrer, ein Instrument zu lernen. Seitdem spielt sie Gitarre. Mit zwölf gab sie ihr erstes Konzert, nach dem Tod ihrer Großmutter schrieb sie den Song „I will meet you in heaven“. Und auch heute singt die Liedermacherin viel über Liebe und Verlust: „Ich schreibe immer Texte über Themen, die mich bewegen. Dadurch gebe ich viel von mir preis, aber das Wichtigste ist, authentisch zu bleiben.“ Da es immer Sängerinnen gebe, die besser seien als sie selbst, sei es ihr umso wichtiger, jedem Song ihren eigenen Charakter zu verleihen, sagt sie. Darum spielt die selbstbewusste Frau mit den roten Haaren auch alleine: „Es ist schwierig, Musiker zu finden, die Bock auf regelmäßiges Proben und Konzerte mit geringer Gage haben.“ Eine Band zu haben, reizt Melli trotzdem, aber nur als Begleitung, „eher im Hintergrund, so wie bei Liann“. Das Musikmachen gibt ihr Kraft und die Möglichkeit, ihre Gefühle auszudrücken. Über ihre überwundene Krankheit hat sie bisher aber keinen Song geschrieben, weil sie das einfach noch nicht in Worte fassen könne. Lampenfieber habe sie kaum noch, sagt Melli, außer bei der Release ihrer ersten EP im Januar. In einem Song darauf, „Waiting for a better day“, singt sie erstmals auch auf Deutsch. „Ich will noch viel experimentieren, vielleicht mal etwas Rockigeres machen“, erzählt sie. Ob sie von der Musik leben will? „Ich weiß es nicht. Ich möchte nicht davon abhängig sein, dass jedes Konzert ausverkauft ist.“ Darum macht sie eine Ausbildung zur Sozialpädagogin – denn auch bei Kindern mit Musik kann man viel bewirken, das weiß Melli aus eigener Erfahrung.

 


Margaux

Die junge Frau mit dem Bob und den markanten Augenbrauen ist halb Französin, halb Amerikanerin – aufgewachsen ist Margaux Suinat, 18, aber in München. Gerade hat sie ihr Abitur gemacht, an der internationalen Schule, wo sie vor Jahren zum ersten Mal ihre eigenen Songs performte. „I was surprised that people liked it“, sagt sie über das durchweg positive Feedback zu ihrem ersten Auftritt. Denn sie war zwar lange im Chor, aber das Ukulele- und Gitarrespielen hat sie sich mit 15 selbst beigebracht. Kurz darauf fing sie an, Songs zu schreiben: über „youth and growing up“, sich selbst und ein bisschen über Liebe – Themen, die einen in dem Alter eben beschäftigen. Seit zwei Jahren spielt sie bei Open Mics in München. Da sind die meisten Musiker zwar älter als sie, aber mit ihrer offenen Art konnte sich Margaux trotzdem schnell ein Netzwerk aufbauen und kam so an ihre ersten Gigs. „Ich hatte echt Glück, da reinzufinden. Die Münchner Szene ist sehr bereichernd“, sagt sie. Trotzdem geht Margaux jetzt erst einmal vier Jahre ans Bard College in New York. Das Studium dort funktioniert nach dem „liberal arts“-System, bei dem man von Musik über Philosophie bis hin zu Politik sämtliche Kurse belegen kann. Interdisziplinarität findet Margaux für ihre geplante Musikerkarriere sehr wichtig: „Ich will mich nicht nur auf einen Bereich beschränken. Durch den Einblick in andere Materien eröffnen sich mir sicher neue Perspektiven für’s Songwriting.“ Man müsse ohnehin sehr kreative Wege finden, um Lieder zu schreiben, zu denen jeder einen eigenen Zugang findet. Dem will sich Margaux während ihres Studiums widmen. Ihre Eltern unterstützen sie – solange sie sich auch einen Back-up-Plan hat: Wenn das mit der Musik nicht klappt, will sie was mit Politik machen. Aber eigentlich ist es ihr Plan, später „definitely“ eine Band zu haben: „Ich finde, mit einer Band könnte ich noch viel mehr aus meinen Liedern machen.“

 

Seda
Seda braucht keinen Künstlernamen. Die Kunst steckt bereits in ihrem Namen: „Seda“ kommt aus dem Türkischen und bedeutet so viel wie „Stimme“ oder „Ton“. Hatten die Eltern da etwa schon eine Vorahnung? „Ich habe keine Musikerfamilie“, sagt die Seda Yagci, 23, aus München. „Die Musik war schon immer präsent und ein Thema.“ Als Jugendliche nahm Seda Keyboardunterricht. Heute möchte sie mit ihrem Solo-Projekt als Singer-Songwriterin durchstarten. Ihre Debüt-EP „Spilled Thoughts“ erschien Anfang dieses Jahres bei Sun King Music, dem Label bei dem unter anderem auch die Münchner Band The Whiskey Foundation zu finden ist. Seda steht noch am Anfang ihrer Karriere. Sie hat sich bewusst dafür entschieden. Sie weiß: „Für mich ist das mehr als nur ein Hobby. Entweder ich lande auf der Bühne oder unter der Brücke“, sagt sie und grinst. Dass Musikmachen mehr als nur ein schöner Zeitvertreib für sie ist, hat Seda mit 17 auf dem Berklee College of Music in Boston herausgefunden. „Dort ist man nur von anderen Musikern umgeben, man lebt das richtig. Da war mir schnell klar, dass ich die Musik zu meinem Beruf machen möchte“. Seda wurde dort für ein Musikstudium genommen – begonnen hat sie dieses aber nie „Es war einfach viel zu teuer“, sagt sie. Also studiert sie an der Deutschen Pop Tontechnik und Musikproduktion, „damit ich meine Sachen selbst aufnehmen kann“. Und was ist, wenn das mit der Musik doch nicht klappt? Die Singer-Songwriter-Szene in München ist groß, man muss sich auch abheben von der Masse. Seda sieht das gelassen und zielstrebig: „Einen Plan B gibt es nicht. Ein Plan B wäre nur eine Ausrede. Es ist leichter, wenn man einen Plan A hat. Rückschläge gibt es immer wieder, aber wer hart arbeitet, erntet auch Erfolg“, sagt sie. Und dann wäre da noch ihre Stimme: ein bisschen kratzig, ein bisschen soulig – der Wiedererkennungswert ist da. Meistens steht sie lässig in T-Shirt, Jeans und Sneakern auf der Bühne, da wird nicht viel beim Outfit herumgekünstelt. Ihr wird nachgesagt, sie sei eine Mischung aus Amy Winehouse und Ed Sheeran. „Die Welt geht gerade den Bach herunter – ich möchte, dass Leute kommen, um Spaß zu haben. Die Musik soll etwas mit ihnen machen“, sagt sie. Ihre Songs sind übrigens „alle hundertprozentig aus meinem Leben gegriffen“. Zu intim? „Auf meinem Album gibt es nur eine Strophe, die ich am Ende doch nicht aufgenommen habe.“

 

Elena Rud
Nachts ist die Stimmung einfach besser. „Man ist da viel mehr bei sich“, sagt die Singer-Songwriterin mit den braunen, schulterlangen Haaren und dem Nasenpiercing, Elena Rudolph, 23. „Die Nachtstimmung passt vielleicht zu der Musik, die ich mache“, sagt sie. Auf ihrer Facebook-Seite beschreibt sie ihre Musik als „Melancholic-Love-Shit“. Sie möchte Emotionen in Worte fassen. Die Menschen sollen ihre Songs hören und dabei sagen können: „Genauso habe ich mich gefühlt.“ In ihren selbstgeschriebenen Songs geht es also viel um die Liebe. Ist das nicht schon längst langweilig geworden? „Eigentlich bin ich nicht so ein romantischer Mensch. Aber die Liebe ist ein Thema, das immer aktuell ist. Ich nehme das aber mit Humor und Selbstironie.“ Deshalb der Zusatz „Shit“.
Neben der Musik arbeitet die 23-Jährige als Barkeeperin und studiert Germanistik und Philosophie. Ist ihr das alles also gar nicht so ernst? „Man ist Künstler und braucht die Kunst, aber man ist auch eine Privatperson, die Geld braucht und leben muss“, sagt Elena. Es sei außerdem ein falscher Ansatz zu sagen, man wolle berühmt werden. „Klar ist es nicht nur mein Hobby, ich will Leute erreichen“, sagt Elena. Seit ungefähr einem Jahr ist sie solo mit ihrer Musik unterwegs. „Als Singer-Songwriter ist man deshalb ja noch lange nicht egozentrisch, nur weil man alleine Musik macht. Es hat auch praktische Gründe. Proberäume für Bands kosten oft viel Geld“, und alleine kann Elena immer proben: zu Hause. Meistens spielt sie dann ihrem Mitbewohner vor. Von der Musik leben kann sie aber nicht. „Ich bin realistisch und studiere und arbeite nebenbei. Trotzdem investiere ich jede freie Minute in die Musik.“ Selbstzweifel dürfe man als Singer-Songwriter nicht haben, denn „Angst hemmt einen am Ende nur“, sagt sie. Und dann sind da ja auch noch Familie und Freunde, die vielleicht manchmal ein ganz anderes Bild von Elenas musikalischer Tätigkeit haben: „Ich glaube, für meine Eltern ist das mit der Musik eine verrückte Welt, mit der sie sich nicht so identifizieren können. Meine Freunde sehen das ganze irgendwie glamouröser. Die Realität ist aber: viel kostenlos spielen für eine Breze und ein Bier.“

 

 

Siona
Singer-Songwriter-Musik ist Lagerfeuermusik. Lieder, die jeder einfach so mitsingen kann. „Das ist so eine schlimme Aussage. So klischeebehaftet“, sagt die Singer-Songwriterin Siona Sokul. Natürlich sei es ja auch ganz nett und schön so am Lagerfeuer, mit Gitarre und Freunden, aber „Singer-Songwriter können doch viel mehr als einfach nur „Wonderwall“ covern“, sagt sie. Siona covert deshalb lieber „The fools who dream“, ein Song aus dem Film „La la Land“ – auf ihrem Instagram-Account bekommt sie dafür viele Komplimente in den Kommentaren. In dem Video sieht man nur sie selbst mit der Gitarre – ihre Stimme so warm wie das Licht in ihrem Wohnzimmer. Viele Songs schreibt sie natürlich auch selbst und lässt sich dabei vom Leben inspirieren. „Es geht in meinen Songs immer wieder um Liebe, Freundschaft und Weiterentwicklung im Leben. Immer schwingt die Hoffnung mit, dass am Ende alles gut wird“, sagt sie. Für die junge Frau ist es nicht immer leicht, genug Zeit in ihre Leidenschaft zu investieren „Ich würde gerne eine EP aufnehmen“, sagt sie. Siona arbeitet hauptberuflich in einer Eventagentur. Den ganzen Tag organisiert und plant sie viel in ihrem Job, allerdings „fällt es mir schwer, diese Art von Organisation in meine Musik einzubringen, besonders, was Auftritte betrifft“. Und trotzdem ist die Musik für Siona doch so viel mehr als nur ein Hobby. „Ich will das schon mein ganzes Leben lang machen, ich möchte den Menschen etwas Schönes geben“, sagt sie.

 

Text: Ornella Cosenza und Anna-Elena Knerich

Fotos: Robert Haas, Frederik Roever, Nicholas Wilkie, privat, Max Saufler, Charlotte Starup