Emotionen und Melancholie

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Wir porträtieren an dieser Stelle bis zur Vernissage alle 20 mitwirkenden KünstlerInnen unserer Ausstellung
“10 im Quadrat Reloaded”
 im Farbenladen – mal Fotograf, mal
Modell. Heute: Musikerin Verena Lederer.

Einen sicheren Job als Redakteurin hat Verena Lederer, geboren
1992, gekündigt, um sich voll auf die Musik konzentrieren zu können. Sie war
die Sängerin bei The New Colossus, nun startet sie mit ihrem Soloprojekt Klimt
durch. „The New Colossus war sehr sphärisch und gitarrenlastig“, sagt Verena.
„Klimt ist weniger experimentell und ich würde es als Dark-Soul-Pop bezeichnen,
aber die Melancholie bleibt.“ Sie steckt gerade mittendrin, die EP fertig zu
machen, die am 23. März im Lost Weekend veröffentlicht wird.

Neben der Musik studiert Verena Musikwissenschaft an der
Hochschule. „Bei mir gibt es im Leben momentan nichts anderes als die Musik“,
sagt sie. „Musik ist für mich die Freiheit, sich auszudrücken.“ In ihren Songs
geht es unmittelbar um Emotionen und sie findet es faszinierend und schön, wenn
sie mit ihrer Musik etwas in den Menschen auslösen kann.

Ihr größtes Vorbild ist der ehemalige Gitarrist der Red Hot
Chili Peppers: John Frusciante. Seit sie 16 Jahre alt ist, vergeht kein Tag, an
dem sie nicht dessen Musik lauscht. Sie mag es, wie experimentell und „crazy“
er Gitarre spielt. Manchmal kann Verena nachts nicht schlafen. Deshalb fing sie
an, zu malen. Inzwischen hat sie sechs Leinwände zusammen und hofft, ihre
Kunstwerke bald im Lost Weekend ausstellen zu können.

Indessen hängen aber erst einmal Fotos, auf denen Verena selbst
zu sehen ist, im Farbenladen aus: „Vor der Kamera zu sein ist natürlich anders
als vor Publikum im Mittelpunkt zu stehen. Es geht in dem Moment nur darum, wie
du auf dem Foto aussiehst. Deine Kunst kann dir da nicht helfen. Das kann
manchmal einfacher sein, manchmal schwieriger. An manchen Tagen fühle ich mich
schön, an manchen eben nicht. Wenn ein Shooting an einem schlechten Tag
vereinbart ist, ist die Selbstsicherheit dahin. “

Text: Lena Schnelle

Foto: Julie March

Band der Woche: Ad Nemori

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Typisch Metal ist die Band Ad Nemori nicht: melancholisch suchend und nach innen gekehrt. Die Texte thematisieren zwischenmenschliche Werte und achtvollen Umgang mit der Umgebung. Dazu eine fast symphonische Form der Musik.  Fertig ist der Achtsamkeits-Metal.

Die Pop-Welt hält doch immer wieder lustige Phänomene bereit. Etwa die deutschen Charts. Klickt man sich durch die ersten 20 Plätze der Albumcharts, finden sich etwa Helene Fischers Weihnachtsalbum, Andrea Bergs Abenteuer-Lebens-Album oder Roland Kaisers Altherrenfantasie-Album. Klar, Deutschland gilt seit jeher als Nation mit eher mäßigem Musikgeschmack. Doch dazwischen tauchen mit einer ziemlichen Konstanz alte Metalbands auf: Etwa Iron Maidens „The Book of Souls“, diese Woche frisch eingestiegen auf Platz fünf. Platz zwei belegt ein Live-Album von Black Sabbath und bis vergangene Woche war Metallicas „Master of Puppets“, deren Durchbruchsalbum von 1986, auf Platz zwölf. Es ist eine Neuveröffentlichung und Sammler-Edition, aber dennoch: Alter Metal hat in Deutschland eine ähnliche Fanbasis wie Schlager. Das ist zumindest einmal interessant, wenn man bedenkt, dass Metal im Ursprung mal eine laute und ganz und gar nicht gefällige Gegenbewegung zum Pop und insbesondere auch zur heilen Schlagerwelt war.

Auch die jungen Metaller heutzutage schreien noch, geben sogenannte Growls von sich. Doch ein Blick auf die Münchner Band Ad Nemori zeigt, dass die roh-reduzierte Gewalt und gleichzeitig tickende Präzision, die Metallica auf „Masters of Puppet“ erfanden, beinahe vierzig Jahre später einem anderen Anspruch gewichen ist. Der Metal von Ad Nemori wirkt nach Innen gekehrt, gibt sich melancholisch suchend anstelle der rohen Wut. Das Sextett schafft eine beinahe symphonische Form dieser Musik, in der die Growls und das Blast-Schlagzeug, in der die Breakdowns und die rhythmisch punktierten Gitarrenriffs den sphärischen Klangflächen gleichwertig gegenüber stehen. Ihre 2016 erschiene EP „Pyre“ beginnen sie mit Naturgeräuschen, aus denen sich eine sanft gezupfte Gitarre hinaus schält, die noch über eine ganze Weile dahin klimpern darf, von einer Keyboardlinie und einem zurückgelehnten Schlagzeug begleitet, bevor ein Schrei dazwischen fährt und man das zu Hören bekommt, was man gemeinhin unter Metal versteht. „Unsere Songs thematisieren immer wieder zwischenmenschliche Werte und Ideale sowie einen achtvollen Umgang mit allem in unserer Umgebung“, erklärt die Band, die ihre Musik als einen Anstoß zur heute „oft vernachlässigten Selbstreflexion“ sehe. Man wolle weder, dass sich die Menschheit selbst zerstört, noch, dass der Planet „gegen die Wand“ gefahren werde.

So spielen Ad Nemori also schon rein ideell gesehen in einer anderen Liga als die alten Herren, die derzeit die deutschen Albumcharts bevölkern. Deren sei ihre damalige Wut gegönnt, die hat es da gebraucht, das ist keine Frage. Doch der Achtsamkeits-Metal von Ad Nemori könnte unserer Gegenwart nicht besser entsprechen. Und so sanft, ja beinahe feingliedrig ist diese Musik auch komponiert. Dem Gegrowle von Sänger Raphael Weller stehen in diesen Songs die Keyboards gegenüber, die immer einen schwebenden Gegenpol zum Tiefen und Finsteren bieten, das dieser Musik eigentlich substanziell inne liegt. Die Musik von Ad Nemori gerät folglich in einen permanenten Gegensatz: Das Erhabene der Keyboards wird gegen die Schreie ausgespielt. Die sanft geschlagenen Glitzer-Becken reiben sich an dumpfer Double-Bassdrum-Raserei. Und dabei geschieht etwas Spannendes: Ad Nemori benutzen bekannte Metal-Codes wie die langen Haare, die schweren Gitarren und die harte Musik, sie wissen aber längst, dass diese Codes keine einzige Wahrheit mehr sind. Und so arbeiten sie damit, führen die musikalischen Gedanken fort und fügen neue hinzu. Gerade erarbeiten sie das für ein ganzes Album und suchen einen neuen Schlagzeuger. 

Stil: Achtsamkeits-Metal
Besetzung: Raphael Weller (Gesang), Stephan Preißner (Gitarre),
Oliver Pagel (Gitarre), Marco Oberbacher (Bass), Milos Ilic (Keyboard), Schlagzeug aktuell vakant
Aus: München
Seit: 2011
Internet: www.adnemori.bandcamp.com

Text: Rita Argauer

Foto: René Richter

Traunstein, du musst nicht traurig sein

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Wiederkehrende Gesichter,
Nebelmaschinen und eine Trompete. Beim Sound of Traunstein Now stellen sich
fünf Bands aus Oberbayern dem Münchner Publikum. Und beweisen, dass es
musikalisch überhaupt kein qualitatives Stadt-Land-Gefälle gibt.

Die roten Schuhe gleiten
über den dreckigen Boden der Kranhalle. Mal nach rechts, dann wieder einige Schritte
vorwärts, zur Bühne hin. Die dazugehörenden Beine, verpackt in
bordeaux-farbenen Jeans, sind seltsam verschlungen. Der junge Mann, vielleicht
Ende Zwanzig, vielleicht Anfang Dreißig, tanzt, tänzelt leichtfüßig. Seine Arme
bewegen sich wild im Rhythmus von Fendt’s „slowmotion pop“, die Bewegung hat
etwas von Mick Jagger. Der einsame Tänzer steht bezeichnend für die Kurve die
das Sound of Traunstein Now mit dem Auftritt von Fendt nimmt. Es wird ruhiger,
selbstbewusster. Aber auch düsterer, vielleicht sogar etwas traurig.

Mit Fendt, The Marble Man
und Allaend North werden die Künstler älter, einige spielen für zwei
verschiedene Bands, und auch das Publikum verändert sich. Die erste Reihe tanzt
nicht mehr wild, sondern eben in sich gekehrt. Oder setzt sich ganz hin, hört
zu. Zwischen Noise und Melancholie werden mit Fendt und Sänger Fricko Friese
die Solos länger, die Beschäftigung mit den Zuschauern kürzer. Die fühlen sich
dennoch abgeholt, ob einsame Tänzer oder gemeinsame Lauscher.

Auch dass The Marble Man
nach anderthalb Jahren ohne Live-Konzert nichts verloren hat, daran hat niemand
gezweifelt. Experimente sind immer noch gerne gesehen, sei es eine E-Gitarre
mit Bogen spielen oder ein Schlagzeug zu zweit. Mit sehr präsentem Keyboard und
einer melodischen Note, die gut tut, nimmt man das Tempo aus dem Abend. Die
Kranhalle wird zum Gegenstück zur Hansa39. Das Selbstbewusstsein in den eigenen
Sound ist in jeder Note zu spüren, und das Publikum weiß die Erfahrung und
Reife zu schätzen.

Gut tut auch, dass mit
Allaend North zum Abschluss des Sound of Traunstein Now die erste Künstlerin
auftritt – bis kurz vor 0 Uhr war die Moderatorin als einzige Frau auf der
Bühne. Anna’s (The Unused Word) enorm kraftvolle, tiefe Stimme dringt durch das
Feierwerk und füllt die Halle ein letztes Mal. Spannende Drumsolos und die
Vielseitigkeit der beiden Sänger bleiben in Erinnerung, genau wie der barfüßige
Kontrabassspieler und die ungeschickten Songansagen. Doch auch die Traurigkeit,
die sich durch die Auftritte von The Marble Man und Allaend North gezogen hat,
bleibt hängen. Ist es Traunstein, das diese Noten aus den Künstlern zieht? Oder
liegt es an der Generation, die das „new weird bavaria“ geprägt hat?

Zu Beginn des Festivals
im Münchner Feierwerk ist von Traurigkeit zumindest nichts zu spüren. Color
Comic und Heischneida, beide junge Bands, beide sehr verschieden, wollen sich
eher dem Publikum ankündigen. Nur zwei Songs braucht der Schlagzeuger von Color
Comic, dann fliegen die ersten Drumsticks. Sie bleiben auf der Bühne liegen.
Das mitgereiste Traunsteiner Publikum, so scheint es, johlt auf. Die
Dschungel-Drums sind gemütlich und sehr gut, der Insel-Indie-Sound sehr
melodisch. Dem Auftritt fehlt etwas die Energie, auch wenn sich Gitarrist,
Drummer und Frontmann (mit Marco-Wanda-ähnlichen Moves) reichlich Mühe geben.
Es ist aber auch nicht leicht direkt vor einem geladenen Bündel Oberbayern
aufzutreten.

Denn mit Heischneida
kommt der Abend richtig in Fahrt. Dank ausufernder Nebelmaschine sieht man
davon erstmal nichts, hört aber reichlich. Ob Rocknummer oder Ska, die sechs
Jungs heizen dem Publikum im Handumdrehen ein. Mitmachaktion, Trompetensolo,
dann wird Akustikgitarre gegen Akkordeon getauscht. Selten hat eine Band die
Kranhalle so vielseitig, und doch so kraftvoll, zum Tanzen, Hüpfen, Mitsingen
gebracht. Auch die jüngeren Traunsteiner Bands beweisen, dass sie sich vor
München nicht verstecken müssen. Wer zwischen Songs dann noch mit
oberbayrischem Slang so zum Lachen bringt wie der mächtig vollbärtige Wenz
Karger, hat alles dabei. Dass sie die Traunsteiner Melancholie trotzdem auch
draufhaben, beweist Heischneida mit ihrer Abschlussnummer. „Magdalena“
durchbricht die gute Laune und die Band beweist ganz viel Gefühl. Und die
Trompete, diese wunderbar präsente Trompete, trägt den Widerspruch von Energie
und Melancholie durch den ganzen Abend.

Text und Foto: Matthias Kirsch

Band der Woche: LaPrêle

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Alex Laprell geht für sein Debütalbum “The Mirror” den klassischen Singer-Songwriter-Weg. Der war jedoch nicht ganz absehrbar: eigentlich wollte er Operngesang studieren. Wie gut, dass er sich irgendwann eine Gitarre zugelegt hat.

Graf von Krolock ist ein finsteres Wesen. Klar, immerhin ist der auch so etwas wie der Anführer im „Tanz der Vampire“. Das bringt die Figur dann allerdings auch in einen kleinen Konflikt, denn Krolock ist in seiner ganzen Blutgier und Finsternis auch ein bisschen komisch. In Roman Polanskis Film genauso wie im darauf basierenden Musical. Der„ Tanz der Vampire“ ist ein Extremfall, dort wird das Horror-Genre mit einer Komödie vermischt. Doch darin zeigt sich auch bisschen das allgemein Seltsame an Musicals. Diese Nachfolger der Operetten vermischen einfache Musik mit größtem Drama, was – wenn es gelingt – die höchste Kunst der Popmusik ist. Doch wenn es daneben geht, kippt die Musik schnell in künstliche Theatralität und Kitsch.

Wenn man sich das Debütalbum „The Mirror“ von Alex Laprell, alias LaPrêle, anhört, ist das Komischste daran die Vorstellung, dass diese feine Stimme einst besagten Grafen von Krolock sang. In einer Schulaufführung des Musicals sang er das Vampir-Oberhaupt. Zu dieser Zeit hatte Alex im Gymnasium Musikleistungskurs mit dem Schwerpunkt Gesang, eine Ausbildung im klassischen Fach folgte. Doch dann entschied sich Alex, der ursprünglich auch Operngesang studieren wollte, aber doch für Jura. „Nach dem Abi stand ich kurz davor, Operngesang zu studieren, aber mein Herz hat einfach nicht genug für die Klassik geschlagen. Und mir war auch der Erwartungsdruck in der Branche zu hoch“, sagt er. Erst viel später, während des Studiums, habe er sich dann eine Gitarre zulegt und sich das Spielen selbst beigebracht. Jetzt schreibt er Popsongs, die aber den theatralischen Geist seiner früheren musikalischen Prägung in sich tragen. Dabei ist es jedoch nicht so, dass Alex über seine Musik groß angelegte Geschichten erzählen würde. Er schreibt Musik mit lyrischen Texten, die mehr eine Stimmung hervorrufen, als durch eine konkrete Handlung tragen.

Die Theatralität liegt bei Alex im Detail, genauer in seiner Stimme. Denn dieser hört man an, dass sie einst dafür ausgebildet wurde, über kleine Nuancen und das Timbre zu psychologisieren, ja, mit der Stimme eine Rolle zu erschaffen. Alex kann so etwa seine Stimme zittern lassen, dass sich sofort eine große Unsicherheit in der Musik verbreitet, wie von jemandem, der mit der Welt hadert. Nie jedoch klingt es, als sei Alex in seiner Gesangstechnik unsicher. Diese feine Differenzierung zwischen dem Sänger Alex und der Stimmung, die der Sänger über seinen Gesang transportieren will, gelingt ihm dabei ziemlich gut.

Auf seinem Album, dass er gemeinsam mit seinem Freund Dominik Schmidt produziert hat, dient das besonders dazu, eine recht düstere Stimmung zu erzeugen. „Ich bin ein nachdenklicher Typ, und viel von der Düsterheit der Melodien und Texte spiegelt innere Themen wider, die ich in den vergangenen Jahren bearbeitet und aufgelöst habe“, sagt er. Textlich zeigt sich das dann etwa im Song „Home“, der auf den Satz hinaus läuft, das Gefühl von Heimat oder Zuhause sei ihm unbekannt. Oder „The coin has two sides“, in dem die Zeile „Enjoy the pain“ wieder und wieder gesungen wird. Am Anfang erscheint das etwas seltsam, weil er die Emotionen in seine Stimme presst, die dann bisweilen ein wenig jaulend klingt. Sobald man sich daran jedoch gewöhnt hat, entwickelt die Musik einen ähnlich wohlig-leidenden Sog wie das Conor Oberst bei den Bright Eyes hatte. Wenn die Arrangements, deren Grundgerüst meist aus einer einfach geschlagenen Akustik-Gitarre bestehen, dann mit Saxofon, Horn und E-Gitarre, sowie um zweite Stimmen ergänzt werden, bekommt die Musik eine Dimension, die über einfache Songwriter-Strukturen weit hinausgeht. 

Stil: Düster-Folk
Besetzung: Alexander Laprell (Songwriting, Gesang, Gitarre, Synthesizer), Dominik Schmidt (Produktion, Mixing, E-Gitarre, E-Bass, Drums, Synthesizer), und Gastmusiker
Aus: München
Seit: 2013
Internet: www.laprele.de

Text: Rita Argauer

Foto: Denise Stock