Zehn junge Fotografinnen und Fotografen treffen auf zehn junge Menschen mit Bühnenerfahrung.
Das Ergebnis: „10 im Quadrat Volume 3“ – eine Ausstellung der Junge-Leute-Seite im Farbenladen des Feierwerks
Von Ornella Cosenza
Die Frühlingssonne scheint weich durch den weißen Vorhang in Özgün Turguts WG-Zimmer. Perfekte Lichtverhältnisse. Auf einem Hocker nimmt Hamid Nikpai Platz. Ein weißes Laken ist hinter ihm an der Wand aufgespannt. Reden kann er nicht. Der Tesafilm verhindert es. Wie eine Schnur hat Özgün ihm den Klebestreifen mehrmals um den Kopf geklebt. „Atmen kannst du, oder?“, fragt Özgün. Er beugt sich kurz vor zu Hamid, die Kamera hat er schon in der Hand. Gleich geht das Shooting los. Hamid und Özgün sind sich heute zum ersten Mal begegnet. Özgün ist angehender Fotograf und Hamid ist kein professionelles Model – er steht normalerweise als Comedian Hani Who auf der Bühne. Die beiden jungen Männer sind in diesem Jahr Teil der Ausstellung „10 im Quadrat Vol. 3“ der Junge-Leute-Seite der SZ.
Zehn junge Fotografinnen und Fotografen. Zehn junge Künstlerinnen und Künstler. Die Mission: Jeder Fotograf muss jeden Künstler einmal porträtieren. So entstehen am Ende 100 Bilder. Wie die Fotografen dabei kreativ arbeiten und welches Konzept sie zur Umsetzung ihrer zehn Aufnahmen verwenden, steht ihnen frei. Die Ausstellung steht in diesem Jahr zum dritten Mal unter dem Motto „10 im Quadrat“. Eine Besonderheit gibt es jedoch: Mit dabei sind Maria und Klara Wördemann. Sie sind Zwillingsschwestern und studieren beide Schauspiel an der Otto-Falckenberg-Schule.
Sieht man also ganz genau hin, wird man bei der Ausstellung elf Künstler entdecken statt zehn. Und manchmal eben auch ein Porträt mehr. Fotografin Kaj Lehner beispielsweise hat sich bewusst dafür entschieden, die Schwestern getrennt zu fotografieren – auch, weil ihr Konzept den Fokus sehr auf die Persönlichkeit der Künstler legt: „Ich habe alle Künstler an einem individuellen Ort fotografiert, an dem sie ihre Gedanken sortieren und ganz für sich sein können. Jeder hat hier unterschiedliche Interpretationen und Auffassungen.“
Özgün wiederum fotografiert Maria und Klara gemeinsam für ein Foto. Sie bekommen eine beigefarbene Seidenstrumpfhose. Jede schlüpft mit dem Kopf durch eines der beiden Strumpflöcher. Schauspielkollege Nick Romeo Reimann hat ein Kondom bekommen – auch über den Kopf. Und Azeret Koua durfte ihren Kopf in ein mit sprudelndem Wasser gefülltes Aquarium tauchen. Özgüns Fotoserie für die Ausstellung wirkt still und gleichzeitig laut. Auf den Aufnahmen scheinen die Models aus ihrer Haut ausbrechen zu wollen. Es gelingt ihnen nicht. Oder etwa doch? „Mir ging es in meinem Konzept um die äußeren Einflüsse, wie Kultur, Gesellschaft, Religion, Sexualität und all die anderen Dinge, die uns daran hindern zu wachsen, um herauszufinden, wer wir sein möchten“, sagt Özgün. Das Narrativ seines Konzepts hat jeder junge Mensch einmal durchlebt – auch er selbst: „Ich bin in Saal an der Donau, einem bayerischen Dorf, aufgewachsen. War im Fußballverein. Habe mich dort nicht richtig wohlgefühlt. Etwas war in mir, das einfach anders war. Ich wollte Künstler sein“, sagt er. Aber so richtig ausleben, das Innere nach außen lassen, das ging nicht. Mit 15 Jahren kam er dann zur Fotografie und merkte: Das war es, was er machen möchte. Dennoch studierte er erst BWL – weil man das halt so macht. Nach zwei Semestern bricht er ab, macht ein Praktikum bei einem Fotografen. Heute ist er glücklich, diese Entscheidung getroffen zu haben. Ausbrechen und Ankommen.
Die Hindernisse, oder das, was das Ausbrechen erschwert, symbolisieren in den Porträts die Gegenstände, die Özgün den Models gegeben hat. „Jedes Shooting war eine Erfahrung für sich“, sagt Özgün. Mit der Thematik seines Konzepts konnten sich einige der Models identifizieren, was dazu führte, dass es gelegentlich zu langen, persönlichen Gesprächen nach den Shootings kam. „Mit Hani habe ich im Anschluss eines der längsten Gespräch gehabt“, sagt er.
Erst kennt man sich nicht, dann ist man sich plötzlich nah. Auch bei Mara Fischers Fotos geht es um die Persönlichkeit der Künstler. Während sich Azeret Koua vor einer blauen Fotowand in der Hochschule München von einer Yoga-Pose in die nächste begibt, knipst Mara immer wieder. „Es geht nicht unbedingt um das Gesicht, sondern um das, was die Leute sonst so machen. Sie anders darzustellen, als sie sonst auftreten“, sagt sie. Dass man das Gesicht nicht ganz sieht, gehört zum Konzept. Azeret kennt man als Schauspielerin, Feministin, Regisseurin, Performerin. Sie hat einen Podcast und bloggt. „Die wenigsten wissen von mir, dass ich Yoga mache“, sagt Azeret.
Die Models sind junge Musiker, Schauspieler oder Comedians – professionelle Erfahrung als Fotomodel haben sie nicht. „Ich bin nun viel sicherer vor der Kamera und habe viel gelernt in Sachen Mimik und Ausdruck“, sagt Singer-Songwriterin Melli Zech. Sich kennenlernen und voneinander lernen – die Wechselwirkung zwischen den Porträtierten und den Fotografen beim Projekt „10 im Quadrat“ steht in diesem Jahr ganz klar im Vordergrund: Fotografin Sophia Cararra bat jedes Model darum, ein handgeschriebenes Zitat zum Shooting mitzubringen, mit dem sich die jeweilige Person identifizieren kann. Am Ende wurde das Zitat in das Porträt mit eingearbeitet. „Bei den Gesprächen über Identität mit den Künstlern denkt man auch mehr über sich nach“, sagt Sophia.
Auf Instagram posteten Models und Fotografen fleißig Outtakes von den Fotoshootings. Anders als bei Instagram werden vom 4. Mai an im Farbenladen nicht nur Oberflächlichkeit gezeigt und virtuelle Herzen verteilt, vielmehr wird der Blick auf die Tiefe der Charaktere gelenkt. Ganz nah ran. Ohne Filter. Digital und analog. Manchmal auch mit extra Pinselstrich. Und da kann aus 100 schon mal 101 oder mehr werden.
10 im Quadrat Volume 3
Zehn junge Fotografen treffen auf zehn junge Menschen mit Bühnenerfahrung. Das Ergebnis: 10 im Quadrat Volume 3. Das ist der Titel der Ausstellung der Junge-Leute-Seite der SZ, die den Mai über im Farbenladen des Feierwerks, Hansastraße 31, zu sehen ist. Die Fotos stammen von Eileen Aolani, Sophia Carrara, Mara Fischer, Arr Hart, Annika Hölscheidt, Kaj Lehner, Ewelina Bialoszewska, Simon Mayr, Quirin Siegert und Özgün Turgut. Die Porträtierten sind: Schauspieler Bless Amada, Musiker Xavier D’Arcy, Schauspielerin Azeret Koua, Rapper Manekin Peace (Swango), Musikerin Klara Rebers (Umme Block), Schauspieler Nick Romeo Reimann, Musikerin Elena Rudolph (Elena Rud), Comedian Hani Who, die Schauspielerinnen und Zwillingsschwestern Maria und Klara Wördemann sowie Musikerin Melli Zech.
Samstags hat die Galerie von 16 bis 22 Uhr, sonntags von 16 bis 20 Uhr geöffnet. Vernissage ist am Samstag, 4. Mai, von 19 Uhr an. Ein Rahmenprogramm mit junger Literatur und Musik gibt es an jedem dieser Tage.
Das Programm
Samstag, 4. Mai, 19 bis 22 Uhr, Vernissage mit Packed Rich und anderen.
Sonntag, 5. Mai, 16 bis 20 Uhr, mit den Comedians Hani Who, Nikola Ljubic und Nick Schmid sowie dem Singer-Songwriter Jakob Mühleisen. Und: Umwelt-Talk „Am Freitag retten wir die Welt“.
Samstag, 11. Mai, 16 bis 22 Uhr, mit der Singer-Songwriterin Melli Zech und den Literaten Maximilian Weigl, Tonio Kroeger und Josephine Frey.
Sonntag, 12. Mai, 16 bis 20 Uhr, mit der Singer-Songwriterin Elena Rud, den Poetry-Slammern Trulla, Anna Lena Sachau, Karim Schwalb, Max Osswald sowie Bastian Vogel und dem Nachtleben-Talk: „München, wo sind deine jungen Veranstalter?“
Samstag, 18. Mai, 16 bis 22 Uhr, mit den Bands Fleur en Fleur, where we linger sowie den Beatboxern Madox, Trash Beatbox, Phil Harmony und Vega.
Sonntag, 19. Mai, 16 bis 20 Uhr, mit dem Singer-Songwriter VLEMING, den Comedians Michael Mauder und Anuschey und dem LGBTQI*-Talk „Wie tolerant ist München?“
Samstag, 25. Mai, 16 bis 22 Uhr, mit der Band Swango, Improtheater und dem Talk „Wohnst du schon oder suchst du noch?“
Sonntag, 26. Mai, 16 bis 20 Uhr, Finissage mit dem Singer-Songwriter Xavier Darcy.
Foto: Catherina Hess