Das Ende kam einvernehmlich. Nicht mit einem Knall. Nicht laut und schnell, sondern schleichend. Nach elf Jahren hat sich die Indie-Popband „LVNG“ getrennt. Wie nimmt man von etwas Abschied, das das Leben füllte? Und was macht das mit jungen Menschen, wenn das gemeinsame Projekt verschwindet?
Auf einmal war alles vorbei. Es hat keinen Streit gegeben, aber es tut weh, bis heute. Zuletzt war noch ein Video zu sehen. Fünf junge Menschen, die mit dem Rücken zur Kamera eine Straße entlanglaufen. Stumm in Richtung Horizont.
Das Ende kam einvernehmlich. Nicht mit einem Knall. Nicht laut und schnell, sondern schleichend. Nach elf Jahren. Nach elf Jahren, in denen sich jeder der fünf jungen Menschen zurückgenommen hat, um gemeinsam etwas zu erreichen. Fünf Musiker, die ihr erstes Konzert in der Provinz spielten, später auf Deutschlandtour gingen und Videos in der Hauptstadt Indonesiens drehten. Aber wie nimmt man von etwas Abschied, das das Leben füllte? Und was macht das mit dem Miteinander, wenn das gemeinsame Projekt verschwindet? Ein Besuch bei der Band LVNG.
Katharina Würzberg, Johannes Würzberg, Karlo Röding, Katrin Röding und Simon Holzinger, alle Mitte bis Ende 20, gehen nun getrennte Wege, zumindest musikalisch. Denn Katharina und Johannes sowie Karlo und Katrin sind jeweils Geschwister. Sie alle wuchsen in nächster Nähe auf, in Neufinsing, einer in Eichenried. Beides liegt im Landkreis Erding, ländliches Oberbayern. „Das Stärkste an uns ist der Zusammenhalt“, sagt Karlo. Trotzdem ist es jetzt erst einmal aus. Was bleibt, sind die Erinnerungen, die Musik – und die Sticker, die sie in den Club-Toiletten der Republik verteilt haben.
Anfang März sitzen vier der Bandmitglieder zusammen in einem Zoom-Call. Wer Katharina, Katrin, Karlo und Simon zuhört, könnte meinen, die Band hätte sich nie aufgelöst. Die eine springt dem anderen bei, wenn dieser sich beim Sprechen verhaspelt. Erzählen sie von ihren Touren und Reisen, verlieren sie sich in Anekdoten: der Auftritt in der verqualmten Shisha-Bar. Die absurd kalte Wohnung in Berlin. Die Spielhalle in Indonesien, in der ihnen ihr Rucksack gestohlen wurde, weil der Aufpasser ihn im erstbesten Moment irgendwo ablegte. Sie lachen viel. Bald zusammen aufzutreten, das können sie sich – die Pandemie jetzt mal außen vor – aber nicht vorstellen. Eine Anfrage würden sie ablehnen, sagt Katharina, lockige braune Haare, dunkle Brille.
Wer die Geschichte von LVNG erzählt, der kann von den Erfolgen schreiben. Den Sprungbrett-Wettbewerb des Feierwerks, den Tassilo-Kultur-Preis der SZ, den Newcomer Contest Bayern, all das gewannen sie, dann noch der Auftritt in Québec und die Touren. Ein anderer Weg, diese Geschichte zu erzählen, geht über die Musik – und er fängt 2009 im Schulbus an. Karlo, gerade erst mit der Familie aus dem Raum Aschaffenburg ins Münchner Umland gezogen, sieht Johannes, der eine Gitarre mit sich trägt. Aus der kleinen Frage, ob man mal zusammen Musik machen wolle, wurde rasch mehr.
Katharina und Katrin stießen hinzu, Simon dann auch. The Living, so hießen sie damals, spielten einen verträumten, leicht süffigen Indie-Pop, hatten kleine Support-Gigs und traten beim Rock am Weiher in Finsing auf, Dorffestatmosphäre pur. Musik wurde ihr Thema, die beiden Geschwisterpaare redeten untereinander über kaum etwas anderes mehr, so erzählen sie das heute. Katharina und Johannes’ kleine Schwester verkaufte Merch.
Der Sprungbrett-Wettbewerb 2014, da sind sie sich rückblickend einig, war ihre Rampe: „Der erste Auftritt mit professioneller Technik“, sagt Karlo, grauer Pulli, rote Base-Cap. Dann noch in München, das so viel mehr Möglichkeiten versprach als das Land – und wohin es die meisten Bandmitglieder später auch zog. Angeschlossen die erste Deutschlandtour. Planung, Booking, alles selbst organisiert.
„Es ist nicht an einem Streit zerbrochen, sondern, weil nichts mehr ging.“
2018, mit dem Release der Kimono-EP, wurde alles anders. The Living hießen nun LVNG, die Musik wurde elektronischer, kosmopolitischer. Das Video zu Kimono haben sie in Jakarta gedreht, der Hauptstadt Indonesiens, zehn Millionen Einwohner auf einer Fläche kleiner als Hamburg. Es folgten weitere EPs – und dann, im Frühjahr 2020, kein weiterer Wandel der Band, sondern ein Eingeständnis: Am 1. Mai trafen sich die fünf und waren sich einig darin, die Band aufzulösen. „Es ist nicht an einem Streit zerbrochen“, sagt Katharina, „sondern, weil nichts mehr ging.“
Sie saßen früher oft zusammen, haben überlegt, wo es hingehen soll. „Es war immer eine gemeinsame Entscheidung und deswegen, denke ich, verstehen wir uns auch alle heute noch gut“, sagt Katrin, weißer Pulli, lange schwarze Haare. Alles andere wäre auch ziemlich unglücklich, wenn man denn schon verwandt ist.
„Wir haben versucht, es jedem recht zu machen. Wir haben uns dabei selbst verloren.“
Bei einem dieser Treffen, 2019 war das, seien sie durch gewesen, sagt Karlo. Die Band war da schon lange mehr als Fünf-Freunde-machen-Musik, es hing ein Manager mit dran, ein Label, ein Produzenten-Team, ein Tontechniker, ein Fotograf, seit Kurzem auch eine Bookerin. Besser wurde die Stimmung nicht, im Gegenteil. „Wir haben versucht, es jedem recht zu machen. Wir haben uns dabei selbst verloren“, sagt Katrin. Und Simon: „Es ging musikalisch auseinander, weil wir uns nicht 100 Prozent einig waren, wo wir hinwollen.“ The Living fingen an, als alle in der Schule waren und die Musik viel Raum einnehmen konnte. LVNG hörten auf, als andere Dinge wichtig wurden. Einkommen, Miete, Beruf, die Frage, wo und wie man überhaupt leben möchte. „Wir haben viele unserer eigenen Ziele zurückgestellt für die gemeinsamen Ziele“, sagt Karlo.
Fragt man sie heute, wie sie sich nach dem Treffen im Mai 2020 fühlten, kommen sie immer wieder auf ein Wort zurück: traurig. Katrin, den Kopf auf ihren Arm gestützt, als suche sie Halt, sagt: „Manchmal bin ich immer noch traurig, wenn ich mir unseren LVNG-Account anschaue.“ Live-Auftritte, das Zusammen- und Unterwegssein, Ziele zu verfolgen, all das vermisse sie, sagt Katharina, die anderen nicken. Simon spricht von der Band als einer „kleinen Familie“, die sich da getrennt hat.
Den beiden Geschwisterpaaren ist das gemeinsame Gesprächsthema weggebrochen. Klar, Karlo und sie sprechen noch viel, sagt etwa Katrin, aber nicht mehr so wie früher. Über LVNG konnte man immer reden.
„Musik ist Teil von uns allen geworden“, sagt Karlo. Das zeigt sich auch heute noch: Simon, bei dem man Gitarren an den Wänden hängen sehen kann, unterrichtet Musik und spielt vielleicht bald wieder in einer Band. Katharina studiert jetzt Musik- und Kulturmanagement, nach einem Abschluss in Politikwissenschaften. Karlo, der Sänger und Texter, schreibt auch heute noch. Katrin sagt: „Wäre die Band nicht gewesen, wäre ich nicht die, die ich jetzt bin.“
Niemand möchte ausschließen, dass sie noch mal gemeinsam spielen, nicht bald, aber irgendwann. Vielleicht sogar unter altem Namen. Erst einmal ist LVNG allerdings abgemeldet, also die Gesellschaft bürgerlichen Rechts gleichen Namens, die sie betrieben haben. Was noch aussteht ist eine „Schlussbilanz nach dem Betriebsvermögensvergleich“ für das Finanzamt. Papierkram, ein sehr deutsches Ende.
LVNG
Stil: Indie-Pop
Besetzung: Katrin Röding (Schlagzeug, Background-Gesang), Katharina Würzberg (Keyboard, Klavier, Synthesizer), Simon Holzinger (Gitarre, Background-Gesang), Johannes Würzberg (Bass), Karlo Röding (Gesang, Gitarre)
Größte Erfolge: Münchner Band des Jahres 2014, Bester Newcomer Bayerns 2017
Besondere Auftritte: Reeperbahnfestival 2018, Sound Of Munich Now 2014 + 2018
Seit: 2009
Bis: 2020
Internet: www.youtube.com/user/TheLivingVideos/videos
Von Max Fluder