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Wird schon halten

Noch im Mai hatte die Band Youth Okay einen Haufen Holz und einen großen Plan: Aus dem Traktorunterstand von Leos Opa sollte ein Studio werden. Während der Bauarbeiten entstand auch ihr Set für „Sound of Munich Now“

Von Laura Wiedemann

Leo und Daniel sitzen in einer Traktorschaufel. Hinter ihnen viel Grün und eine große Scheune aus Holz. Ein Traktorunterstand. Macht die Band Youth Okay jetzt Landwirtschaft? Nein. Das nicht. Doch was die Münchner mitten in der Natur am Rand von Mannheim vorhaben, ist ebenso wenig naheliegend. „Ein kleines Studio“ – „Kreativoase“ – „Dings“, sagen Sänger Daniel Fahrländer und Posaunist Leonard Schulz, kurz Leo, lachend in die Kamera. Sie haben viele Namen dafür, was hier bald entstehen soll.

Über Videos auf Instagram teilen sie die Bauarbeiten mit ihren Fans. Unbeirrt, so wirkt es, machen sie sich ans Werk. Wo jetzt noch Holz, Traktoren und andere Gerätschaften stehen, soll bald schon ihr neues Studio sein. Großes handwerkliches Wissen bringe keiner von ihnen mit, sagt Trompeter Christoph Treuberg, „wir wollten alles selber machen und dachten uns von Anfang an: Wird schon halten“. Gehalten hat es nicht immer. Mal drohte die Studiotoilette unter dem 1000-Liter-Wassertank zusammenzubrechen, mal passte das große Tor nicht in den Rahmen. Dann mussten Youth Okay wieder von vorne anfangen.

Die jungen Münchner haben viel über Pläne und Zukunftsentwürfe für diesen Ort diskutiert. Von der Idee, ein Aufnahmestudio zu bauen, seien alle begeistert gewesen, sagt Bassist Jakob von Andrian. Auf einen Arbeitstitel einigten sie sich dann doch noch schnell: „Wir nennen es Künstleroase, weil wir dort hinfahren, nicht um zu arbeiten, sondern um kreativ zu sein.“

Aufgeregt erzählen Youth Okay von ihrem neuen Projekt. Gerade haben sie ihre „Sound of Munich Now“-Live-Session in der Kranhalle des Feierwerks eingespielt – genauso wie 19 andere Bands. Vom 2. November an wird Tag für Tag eines der dort aufgenommenen Videos unter soundofmunichnow.de veröffentlicht. Für Youth Okay war der Gig im Feierwerk ihr erster Auftritt seit Langem. Umso nervöser waren sie. Bevor es zur Aufnahme in die Halle ging, ermutigten sie sich mit einem Schlachtruf.

Sie spielten dann ein ganz besonderes Set, ruhiger als sonst. Eine Woche lang hatten sie dafür in ihrer „Künstleroase“ in Mannheim verbracht, hatten geprobt, an Songs gefeilt. Dort, wo früher immer Leos Großvater an seinen Traktoren gearbeitet hatte. Für die Musiker ist es ein Ort mit Geschichte. „Immer wenn wir in der Nähe waren, haben wir hier einen Halt eingelegt und haben bei Leos Opa übernachtet“, sagt Sänger und Gitarrist Daniel Fahrländer. „Der ist oft mitten in der Nacht aufgestanden, um uns noch persönlich in Empfang zu nehmen.“ Dann habe er sie mit einem Glas Rotwein begrüßt, Geschichten erzählt und sie zum gemütlichen Beisammensein an eben diesem Traktorunterstand eingeladen. Und auch auf Konzerten habe er sie oft besucht. Inzwischen ist er gestorben. „Er war ein sehr lebensfroher Mensch. Ihm würde mit Sicherheit gefallen, was wir dort machen“, sagt Daniel. Dass Leos Familie der Band diesen Ort überlassen hat, und dort jetzt ihre Musik entstehen kann, dafür sind sie dankbar.

Wenn sie hier sind, verbringen sie ihre Zeit intensiver zusammen, sagt Jakob. Können sich nur auf sich und ihre Musik konzentrieren. Schnell mal zum Essen nach Hause fahren, kurz noch nach der Arbeit vorbeischauen – das geht hier nicht. Sie haben sich ganz bewusst für diesen Ort fernab von München entschieden. „Auch Mannheim hat dazu beigetragen, uns als Band nochmal anders zu reflektieren.“, sagt Jakob. Dafür musste neben Proberaum und Aufnahmestudio auch eine Art Wohnraum entstehen. Acht Schlafplätze haben sie auf einem Podest über ihre Do-it-yourself-Gesangskabinen gebaut. Anders als erwartet, haben sie fast alles, was sie für den Rohbau brauchten, auf dem alten Traktorunterstand gefunden. Frontmann Daniel reißt die Augen weit auf, als er von ihren Fundstücken erzählt, die sie schon bei den Aufräumarbeiten entdeckten. „Da lag eine komplette Spülzeile. Noch frisch verpackt“, sagt er, „sowas hatte uns noch gefehlt.“

Was sie nicht fanden, finanzierten sie größtenteils über die Unterstützerplattform Patreon. Schon vor ihrem Bauprojekt sei ihnen klar gewesen, dass es ihr Ziel sein muss, Musik auf einem möglichst klimaneutralen Weg zu produzieren. Aber das kostet erstmal Geld. Und in Zeiten des Coronavirus, ohne Live-Auftritte, Tour oder Festivals, ist das gerade knapp. Mit Patreon wollen sie die fehlenden Einnahmen wenigstens etwas ausgleichen. Zwischen drei und hundert Euro können Fans und Freunde monatlich spenden. Zum Dank bekommen sie zusätzliche Videos von Youth Okay. Neben Akustik-Sessions können ihre Unterstützer zum Beispiel an einem Rhythmus-Workshop bei Schlagzeuger Leander Widmoser teilnehmen. „Darüber haben wir uns sogar schon eine Solaranlage für unser Aufnahmestudio finanzieren können. Das ist ziemlich cool“, sagt Daniel.

Schon ihr nächstes Album soll im neuen Studio entstehen. Bisher haben sie hier nur geprobt, die Bauarbeiten haben sich doch länger gezogen als erwartet. Vieles mussten sich Youth Okay erst selbst beibringen. Ein sogenannter Diffusor sollte die Raumakustik in den Aufnahmekabinen verbessern. Wie so etwas gebaut wird? Sie fragten erstmal bei Freunden, die in Tonstudios arbeiten, nach und machten sich dann mit Hilfe von Youtube-Tutorials ans Werk. Mit dem Ergebnis sind die Musiker zufrieden. Alles scheint zu funktionieren, zu ihrer eigenen Überraschung. Trompeter Christoph sagt: „Ich hätte uns das ehrlicherweise nicht zugetraut.“

Umso größer ist die Vorfreude, das erste Mal im eigenen Studio zu arbeiten. Und auch sonst erzählen Youth Okay voller Begeisterung von ihren Plänen für die Zukunft. Dann wollen sie ihren Schaffensort mit anderen teilen. Jakob sagt: „Auf lange Sicht ist es das Ziel, dass verschiedene Künstler, nicht nur Musiker, diesen Ort nutzen können sollen.“ Genug Platz gebe es. Schon jetzt seien oft Freunde, Familie oder Crewmitglieder dabei. Für Youth Okay soll es ein Ort werden, der zusammenbringt. Ein Ort, der Raum für Kreativität lässt, und fürs Schaffen. Jetzt fehlt ihnen nur noch ein Ofen für den Winter.