Marius Herrmann, 21, ist ein AFOL – ein Adult Fan Of Lego. Er verdient mit Modellen aus Legosteinen Geld – und er wird regelmäßig für Vorträge auf Messen gebucht
Schlagwort: Hubert Spangler
Träum, Raver, träum
Hypnotic Techno: David Nowotny und sein Kollektiv IO veranstalten Schlafkonzerte. Wenn die Show vorbei ist, werden die Gäste geweckt und zurück in den Alltag geschickt
Band der Woche: Packed Rich
Beatproduzent Alexis Boettcher versucht, keinen Sound nachzuahmen, nur ein Gefühl zu replizieren.
Neuland: Rate-Magazine
Der Schaffensprozess eines Künstlers ist nicht zu unterschätzen. Daher gibt Christoph Kyri, 21, diesem in seinem neuen Magazin Raum, um sich zu präsentieren und Kritik zu erhalten.
Neuland: „It’s a small world“-Projekt
Mit ihrem Projekt „It’s a small world“ schafft die Münchnerin Julianna Varga, 20, die Verbindung zwischen Biologie und Fotografie. Und begeistert Nicht-Wissenschaftler für die Besonderheiten der Natur unter dem Mikroskop.
Neuland: System Test
Die Skeng!-Crew stellt unter dem Namen „System Test“ jetzt die erste Stunde ihrer Club-Reihe jungen Bassmusik-Produzenten zur Verfügung – die können dort ihre Musik vor Publikum ausprobieren.
Neuland: Overthinker Mob
Hubert Spangler gründet das Pop-Up-Label „Overthinker Mob“, mit dessen Hilfe es möglich sein wird, musikalisches Material anonym unter dem immer gleichen Zahlencode zu veröffentlichen.
250 Zeichen Wut: Gestresste Busfahrer
Anorak, Schal, Mütze und Handschuhe sind ein Muss im Winter. Meistens geht man nur raus, wenn es nötig ist. Traut man sich dann doch mal raus, steht man bibbernd an der Bushaltestelle …und wartet vergebens auf den Bus.
Wenn andere die Arbeit ablegen, steigt bei ihnen der Stressspiegel auf das Tageshoch: Busfahrer fallen dem Berufsverkehr zum Opfer. Genervte Fahrgäste im Nacken, der Zeitplan ist schon längst überschritten. Mein vollstes Verständnis für eure Eile. Kein Verständnis aber dafür, dass ihr in der Hektik manche Haltestellen „überseht“… Ich hoffe, im Winter lasst ihr niemanden stehen.
Text: Hubert Spangler
Von Freitag bis Freitag: Unterwegs mit Hubert
Unser Autor erlebt diese Woche eine bunte Kultur-Mischung. Auf dem Plan steht ein Besuch im MMA, die Eröffnung von The Lovelace und anerkennendes Nicken im Container Collective.
Freitag – Ich
scrolle. „Wir verlosen 3×2 Freikarten“ –
Ich scrolle weiter. „Wir verlosen Gästeliste-Plätze – zum Mitmachen einfach diesen
Post teilen oder kommentieren“. Übliche Posts in Facebook-Events. Nichts könnte
mir gerade egaler sein. Nicht, weil ich noch nie etwas gewonnen habe, sondern
weil ich mir sofort reflexhaft die überteuerten Vorverkaufskarten gesichert
habe. Schon vor Monaten. Kode9 kommt nach München. Es wäre ungerecht den
Hyperdub-Gründer einem Genre zuzuordnen, versucht er doch sich stetig neu zu
erfinden. Bassmusik fasst sein Spektrum aber recht treffend zusammen. In
irgendeinem meiner 37 offenen Tabs läuft seine Musik via Youtube-Autoplay. Ich
stelle mir vor, wie er zehn Jahre später in einem Interview von seinem
legendären Auftritt in München erzählt, von Jungs in weißen Hemden und in der
tobenden Meute eingequetschten Damen in Highheels.
Der Griff nach dem weißen Hemd scheint am Samstag schon nachvollziehbarer. In inszenierter Hotel-Umgebung feiert
„The Lovelace“ sein „Grand Opening“. Meinen Beinen ist nach gestern nicht mehr
nach Hüpfen. Paulaner Spezi im Anschlag, ich verschwinde in einer Ecke und
verfolge das Programm: In einem halben Dutzend Räumen finden Akustik-Konzerte,
DJ-Sets, „Celebrity Ping Pong“ und Standup-Comedy statt.
Es ist Sonntag
und ich habe endlich den Kickflip auf dem Skateboard raus. Meine Beine quälen
mich. Ich schalte die Playstation 2 aus und schleppe mich zum Container
Collective. Der Skateboarding München e.V. veranstaltet heute einen „Cash For
Tricks Jam“. Insgesamt 1000€ Preisgeld gibt es für die besten Tricks zu gewinnen.
Hier und da nicke ich den Skatern nach ihren Tricks anerkennend zu, so wie ich
es auch immer mache, wenn ich Leuten hochkonzentriert beim Schachspielen
zusehe. Ich habe keine Ahnung von Schach.
Im Kino am Isartor findet schon seit dem 6. Und noch bis zum
17. September das „Fantasy Filmfest“ statt. „Fantasy steht hier nicht für
Drachen, Feen und verwunschene Wälder, sondern für Fantasie, Innovation und
Skurrilität“. Der verzweifelte Versuch der Veranstalter nicht wie eine
Freakshow zu wirken. Stattdessen verspricht das Programm am Montag atemlose
Thriller, obskure Sci-Fi Träumereien, harte Horrorschocker und gefühlvolle
Arthausperlen. Ich stehe in einer breiten Schlange vor Kinosaal 2. Meine
Strumpfhose zwickt etwas im Schritt. Vorsichtig sehe ich mich um. Es lohnt sich
Facebook-Events gründlich durchzulesen. Ich bin der Einzige im Elfenkostüm.
Ich scrolle und scrolle. Leider weiß ich weder Dienstag noch Mittwoch etwas mit
mir anzufangen. Facebook schafft es auch nicht mich zu inspirieren. In den
vergangenen Tagen habe ich sowieso viel mehr Geld ausgegeben, als ich sollte.
Um
keinen Preis darf ich mir am Donnerstag den
Freier-Eintritt-bei-Zusage-Deal für Rant & Rave im Harry Klein durch die
Lappen gehen lassen… Mein Häkchen ist gesetzt.
Freitag. Wie
schafft das MMA es, so kontrastreiche Veranstaltungen unter ein Dach zu
bekommen? Obscure Shape ist heute gebucht. In der Youtube-Kommentarsektion wird
der Newcomer gern als „The best thing in techno at the moment“ gehandelt. Meine
Freunde treffen sich zum Vorglühen.
Ich sitze derweil schon seit einer Stunde im MMA und lausche
der Oper Carmen. Richtig: In den selben Räumlichkeiten, in denen es gleich aus
den Lautsprechern scheppert, führe ich mir Georges Bizets Werk zu Gemüte. Im
Carmen-Ensemble spielen und singen Asylsuchende Künstler Seite an Seite mit
professionellen Opernsängerinnen und -sängern. Auch ein Chor aus
Flüchtlingskindern singt. Fang jetzt nicht an zu heulen, deine Leute wollten
jeden Moment auftauchen…
Bei jedem Versuch meine Kumpanen statt dem Vorglühen zur Oper
zu motivieren hatte ich nur Spott geerntet. „Der Elias hat ne neue Anlage, wie
kannst du dir das entgehen lassen?“ Ich frage mich, ob ich die Zeit nicht doch
mit meinen Freunden hätte verbringen sollen.
In der Halle bricht Klatschen aus. Mein Handy vibriert: „Kommen
nicht rein, Einlass-Stop“.
Auf dem Weg nach draußen antworte ich: „Wie könnt ihr euch
das entgehen lassen?“. Zwar werde ich Obscure Shape heute auch nicht mehr
spielen hören, aber die genervten Gesichter meiner Freunde heitern mich nach
dem Drama um Carmen wieder auf.
Text: Hubert Spangler
Foto: Privat
Wer es in München schafft, der schafft es überall
Silviu Slavu
alias Top Shotta spielt UK-Bass – damit durfte der 23-Jährige im legendären Boiler Room auflegen.
München – Es ist eng. Der ganze Körper ist nass. Es ist eine Mischung aus Eigen- und Fremdschweiß, plus dem Kondenswasser, das von der Decke auf die Tanzfläche tropft. Zudem ist im Club auch noch das Licht gedimmt, man lässt sich von der Masse um einen herum zu wilden Sprungeinlagen mitreißen – jedes Mal, wenn der Bass einschlägt. Hier ist jeder für sich selbst und lässt sich von den bebenden Tieftönen massieren. Mutige Gäste treten eine Armlänge an die eigens für das Event aufgestellte Wand aus Lautsprechern und Subwoofern heran. Dort gleicht die Massage eher einem Durchrütteln.
Von dem Geschehen auf der Tanzfläche bekommt Top Shotta gar nichts mit. Nicht nur, weil der DJ mit den Augen die CD-Player fixiert, sondern vielmehr, weil sein Pult absichtlich mit dem Rücken zum Publikum steht. Der 23-Jährige tritt heute im Boiler Room auf. Der Boiler Room ist kein Club – die ursprünglich überschaubare Eventreihe aus UK hat sich zu einer der einflussreichsten Tastemaking-Plattformen für elektronische Underground-Musik entwickelt. Das Konzept ist schlicht: Vielversprechende, aber noch unbekannte Künstler sowie etablierte Acts spielen ihre Musik vor laufender Kamera. Das Event wird live im Internet gestreamt. So erklärt sich auch die merkwürdige Anordnung von DJ-Pult und Publikum – alles soll im Bild sein.
Sonst findet der Boiler Room in Städten wie Los Angeles, Berlin oder London statt. Umso größer ist die Ehre für Top Shotta, die Münchner Bassmusik-Szene auf das internationale Radar zu bringen. 34 000 Zuschauer verfolgen das Event live im Web. Top Shotta, der mit bürgerlichem Namen Silviu Slavu heißt, steht kurz vor dem Durchbruch – und das mit Musik, bei der man meinen würde, sie würde in München nicht auf fruchtbaren Boden stoßen. UK-Bass heißt die Musikszene, mit der sich Silviu am meisten identifiziert. Dunkle, ruppige Klänge sind kennzeichnend.
Ortswechsel: Top Shotta sitzt in der Sonne und schenkt Sekt nach. Nicht in Gläser, sondern in Plastikbecher. Der Sekt ist vom Discounter. Er steht auf und geht zurück in den umfunktionierten Schiffscontainer des Webradios „Radio 80000“, in dem der Münchner seine eigene wöchentliche Sendung hat: die „Ruffhouse Radio Show“. „Ruffhouse“ startete 2013 als vierköpfige DJ-Crew. Der Name steht für House- und Technoproduktionen mit schroffer Klangästhetik. „Kein glatt poliertes und einfallsloses Zeug“, sagt er.
Der Leitfaden war es, allerlei elektronische Musik zu spielen, die nur auf Sidefloors oder gar nicht in Clubs zu hören war. Aus dem Konzept der Crew wurde eine Eventreihe, später eine Plattenfirma. Mittlerweile veröffentlichen Künstler von Helsinki bis Osaka ihre Musik auf Ruffhouse. noch in diesem Jahr kommt der erste Vinyl-Release.
Neben Radio 80000 vertritt Top Shotta Ruffhouse auch im Londoner Radar Radio. „Wenn die Show nachträglich hochgeladen wird, erreicht man Leute, die man sonst nicht erreichen würde“, sagt er. Ganz abgesehen davon ist Radio für ihn einfach ein wöchentliches Vergnügen. „Man kann dort aufdrehen und mit den Mandems auflegen.“ Mit Mandems meint er den Rest seiner Crew, UK-Jugendsprache. Er steckt tief in seiner Szene.
Silviu fiel in jungen Jahren schon auf, dass er mit der Musik, die andere hörten, nichts anfangen konnte. Was ihn viel mehr beschäftigte, war der Soundtrack seiner Computerspiele. Aus Neugier legte er einmal eins dieser Spiele in einen Discman ein. Er fand heraus, dass man so die Tonspur abspielen kann. „Wenn man kein Internet hat, wird man kreativ“, sagt er. Seine Kindheit verbrachte Silviu in Rumänien. Um im Netz zu surfen, musste man damals ins Internetcafé gehen. Später in Deutschland wird das Internet zum Katalysator für seinen breit gefächerten Musikgeschmack.
Es stellt sich heraus, dass einer seiner Klassenkameraden ähnlich musikaffin ist. Jener Schulfreund stellt den Kontakt zwischen Top Shotta und dem Münchner Basswerkstatt-Kollektiv her. Die Jungs überrumpeln Silviu, überreden ihn aufzulegen. Er sucht nach Wegen, sich aktiver in der Szene zu etablieren und wagt den Schritt zum Musikmachen. „Auflegen alleine reicht heutzutage nicht mehr, um in der Szene Fuß zu fassen“, sagt er. „Jeder kann sich heute für minimale Investitionen einen Controller und Software holen, dadurch hat das Handwerk an Wertschätzung verloren.“
Insgeheim erhofft sich Silviu, als Top Shotta und mit seinem Label langfristig finanziell unabhängig zu machen. Gleichzeitig weiß er, dass er es mit seiner Art von Musik sehr schwer hat, die Massen zu erreichen.
Aus dem Radio-Container ertönt ein Track, den Silviu kennt. In der Ruffhouse-Radio-Show sind gerade zwei Gast-DJs am Werk. Er eilt hinein und plärrt im Jamaika-UK-Slang eine Ansage ins Mikrofon. In und um den Container herum haben sich ein Dutzend Mandems versammelt. Auf diesen Track scheinen sie besonders anzusprechen, zumindest tanzen die meisten. Es gibt genug Menschen, die diese Musik und die Szene, die sie umgibt, verstehen. Eine Willkommenskultur kann man München gegenüber neuen Szenen aber leider nicht nachsagen. Deswegen finden Events nur in kleinen Clubs, am Stadtrand oder illegal statt. Top Shotta und die Ruffhouse-Gang schaffen es gerade, aus
den Grenzen der Stadt auszubrechen: Wer es in München schafft, der schafft es überall.
Text: Hubert Spangler
Foto: Lucas Bergmüller