Fotos ohne Verpflichtung

Luciano Pecoits, 17, dokumentiert in München den Skate-Lifestyle – auf der Straße wie auf Partys. Derzeit ist er mit seinen Fotos in der “10 im Quadrat”-Ausstellung im Farbenladen des Feierwerks zu sehen.

Überall im Raum verteilt sind Menschen. Die einen richten ihren Blick starr an die Wand, die anderen reißen sich aus ihrer Denkerpose, um zur nächsten Wand zu schlendern und die dort hängenden Fotografien zu betrachten. Als gäbe es einen abgemachten Verhaltenskodex, geht jeder im Farbenladen im Uhrzeigersinn nacheinander alle Wände ab – nur, dass es da diese eine Gruppe gibt, die den Raum kreuz und quer, ohne ersichtliches System abbummelt. Unter ihren Armen klemmen Skateboards. Augenscheinlich haben sie sich wenig Mühe gegeben, sich modisch dem Rest der Gäste anzupassen. Warum auch – vermutlich haben sie zuvor den sonnigen Nachmittag am Skatepark verbracht. 

Wo man schon mal da ist, kann man sich die Bilder der anderen Fotografen ja auch mal ansehen, tatsächlich ist „die Gäng“, wie sie sich liebevoll nennen, aber nur für die Werke ihres Freundes Luciano da. Luciano Pecoits ist der einzige ohne Skateboard unter ihnen. Er ist 17 und der jüngste Fotograf, der für für die Ausstellung „10 im Quadrat“ ausgewählt wurde.

Szenenwechsel: In einer kleinen Münchner Bar fließt der Alkohol in Strömen. Heranwachsende, die bis auf wenige Ausnahmen alle Kappen und Mützen tragen, tanzen hemmungslos. Mit weißer Schlaghose und Stehkragen schüttelt ein als Elvis verkleideter Gast seinen Kopf zur Musik. Hinter der Bar rockt ein gleichaltriger in einem stereotypischen Hartz-4-Jogginganzug, während auf einem Sofa ein Junge den unteren Teil seines Bauchs freimacht, um sich spontan selbst ein Tattoo zu stechen. Mittendrin: Luciano, der das Ganze mit seiner kleinen, analogen Point-and-shoot-Kamera dokumentiert. „Es ist schon fast eine Art Zwang, das zu dokumentieren, was ich erlebe“, sagt er: „Immer wenn ich durch meinen Ordner mit Negativen blättere, wird mir klar, dass es das Richtige ist, so ein Zeugnis anzufertigen.“ Luciano vermutet aber, dass die Situationen, die er fotografiert, für Außenstehende gehaltlos seien. Fraglich ob das Understatement ist, oder ob er von der Skate-Szene wirklich so übersättigt ist. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Szenefremde den Skate-Lifestyle einfach nicht verstehen. 

Er selbst skatet jetzt seit zwei Jahren. Skaten ist für ihn ein Spiel aus Liebe, Sucht und Hass. „Warum sollte man sich mehrere Stunden an irgendwelchen Stufen zerhauen, erfolglos nach Hause gehen, um sich am nächsten Tag erneut die Stufen herunterzuschmeißen?“ Skaten ist die Suche nach dem Extremen – und der Perfektion.
Luciano stoppt immer wieder seinen Erzählfluss, sucht nach Formulierungen, die dem, was er für die Skatekultur empfindet, gerecht werden. Zu sehen, wie jemand solch eine ehrliche Leidenschaft dafür empfindet, ist in der Reminiszenz an die Jahre um 2010 herum erfrischend. In München war man zu dieser Zeit nur dann cool, wenn man seine Klamotten aus Skate-Shops bezog.

Heute ist „SHRN“ der Laden für die leibhaftigen Skater Münchens. Für Luciano ist der Shop ein zweites Zuhause oder der „Hangout Spot Nummer 1“, wie er sagt. Sein Archiv an Fotos ist primär für ihn selbst bestimmt, für SHRN-Plakate macht er aber ab und zu mal eine Ausnahme. Zurück im Farbenladen: Lucianos Freunde sind zu Besuch. Dass sie seine hier ausgestellten Bilder in die Mangel nehmen, nimmt er ihnen nicht übel: „Es ist nicht ihr Genre. Und meine Arbeiten für das Projekt entsprechen nicht meinen anderen Bildern, überhaupt nicht: Die Fotos sind sauber, ziemlich strukturiert und es mangelt ihnen an Intimität“, sagt der 17-Jährige. Dabei legt er auf Intimität so viel Wert wie auf Authentizität. Selbst wenn seine Freunde zum Spaß mal eine absurde Pose oder Grimasse machen, repräsentiere das immer noch etwas Echtes. „Meine Fotos zeigen die Beziehung zwischen mir und jemand anderem.“ Für die Ausstellung musste er Menschen fotografieren, die er zu diesem Zeitpunkt nicht kannte. Für Luciano war es eine besonders schwere Aufgabe, diese Menschen „echt“ darzustellen. Seine Komfortzone ist eben das tägliche Abhängen mit seiner Gang, wo Bilder ohne Verpflichtung entstehen.

Luciano ist gerade im Abiturstress. In seinem Abiturjahrgang machen sich alle wild Gedanken, was in naher Zukunft aus ihnen wird. Für ihn selbst beantwortet sich die Frage mit einem auffälligen Selbstverständnis. „Auf jeden Fall wird weiter geskatet. Und das dokumentiert.“ Im Moment sucht er für die Zeit nach dem Abi nach Fotoassistenz-Jobs oder Praktika. „Ich würde gern mehr über Fotografie lernen, um das Geschehen besser dokumentieren zu können“, sagt er. Und wieder dreht sich alles ums Skaten.

Text: Hubert Spangler

Foto: Luciano Pecoits

Von Freitag bis Freitag: Unterwegs mit Hubert

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An ausgefallenen Musik-Acts scheint unser Autor gefallen gefunden zu haben. Er sieht und hört sich Ströme, Panda Dub und Bam Bam live an.

Heute wird mir der Spiegel vorgehalten. Überspiele ich ihn
doch sonst recht gekonnt, zeigt sich der Chaot in mir heute in vollem Glanz.
Seit Wochen – Ach was – Monaten freue ich mich, dass „The XX“ am heutigen Freitag nach München
kommen
, aber ein Ticket kaufen? Immer wenn ich gerade dazu bereit bin, kommt
etwas gewaltig Wichtigeres dazwischen: Oh schau mal  – ein Video von einem Esel, der auf zwei Beinen
laufen kann…

Wenigstens wird mir unfreiwillig die Entscheidung
abgenommen, wo ich meinen Abend verbringe. Finden an einem Tag parallel zwei
Events statt, auf die ich mich im Vorfeld gefreut habe, plagt mich der Gedanke daran,
mich für die falsche Veranstaltung entschieden zu haben den ganzen Abend. An
The XX werde ich heute gar nicht mehr denken müssen. Exakt zentriert stehe ich
heute im Ampere auf der Tanzfläche, um die beste Soundqualität abzubekommen. Vielleicht wippe ich etwas hin und her,
aber zum Tanzen bin ich zu konzentriert. Es legt kein durchschnittlicher DJ mit
zwei CD-Playern auf, sondern „Ströme“ liefern ein analoges Live-Set. Man stelle
sich zwei Geeks vor einer Ikea-Billy-Regal-großen Gerätschaft vor. Sie drücken
und drehen wild an Knöpfen, stecken Kabel um und behalten zwischen den hunderten
bunten Kabeln und Lichtern den Überblick. Hinten kommen komplexe
Techno-Arrangements raus.

Im Halbdunkeln trete ich am Samstag mit aller Kraft in die
Pedale meines Fahrrads. Verschwitzt und verzweifelt versuche ich die nächste
S-Bahn zu erwischen, doch ich versage. Die Stammstrecke ist auch noch gesperrt: Meine
Freunde müssen ohne mich vorglühen. Etwas pampig treffe ich im Awi auf die
angetrunkene Meute. Für die “groooovy classics” von VELI und VIWO hat sich die
Anreise gelohnt.

Mit Rest-Tinnitus wache ich irgendwann im Laufe des Sonntags
auf. Hoffentlich kann ich bis zum Abend wieder hören. In dem Dokumentarfilm “Drei von Sinnen”,
den ich mir heute Im Neuen Maxim ansehen will, geht es um drei Jungs, die auf ihrer
Reise vom Bodensee zum Atlantik in einem Experiment abwechselnd auf das Hören, Sehen
und Sprechen verzichten.

Warum gibt der Montag so selten was her?

Die wöchentliche Dosis Bahnwärter Thiel hole ich mir am
Dienstag
bei der Dublab Session, präsentiert von PULS. Das Webradio Dublab macht es sich wöchentlich
zur Mission, „spannende Nischen, Labels, Produzenten und Genres auf[zu]spüren
und diese den interessierten Hörern weltweit näher[zu]bringen“. Ich bin
gespannt.

Es macht mich etwas stutzig, dass ich einer der zwei
einzigen bin, die bislang zu dem Konzert am Mittwoch zugesagt haben. Das Trio um James
Brandon Lewis
liegt musikalisch irgendwo zwischen experimenteller Improvisation
und akademischem Jazzmainstream. Der andere, unbekannte Zuhörer und ich werden
uns angesichts unserer guten Musikgeschmäcker wertschätzend zunicken. Eine Hand nachdenklich am Kinn, das rechte
Bein wippt im Takt – Die Jazzpose passt, um dem Geschehen auf der Bühne zu
lauschen.

In der Roten Sonne kann man am Donnerstag einem eher ungewöhnlichen
Live-Act in der DJ-Kanzel sein Gehör schenken: Bam Bam –The Mechanical Sequencer.
Ein Konstrukt, das einer Mischung aus Rasenmäher und Xylophon gleicht, aus dem
am Ende ansprechende Musik kommen soll… Ich bin skeptisch, lasse mich aber gern
eines Besseren belehren.

Es gab eine Zeit, zwischen CD und Spotify, in der besonders
innovative Künstler, ihre kompletten Alben auf Youtube hochgeladen haben. Mutig,
dachte man sich damals noch. In Erinnerung geblieben ist mir aus dieser Zeit
Panda Dub. Der Franzose hat mich mit seinen sphärischen Dub- und Reggae-Sounds früher
Nacht für Nacht in den Schlaf gewogen. Von Zeit zu Zeit wirkt seine Musik in
schlaflosen Nächten immernoch narkotisierend. Ich hoffe, ich werde das Ampere am
Freitag
zu seinem Konzert nicht früher verlassen müssen.

Text: Hubert Spangler

Bild: David Fragomeni

Neuland: Swann Windisch

„Companion“ – So nennt der 18-jährige Swann Windisch die Begleitgedichte, die er für Musikstücke schreibt.

Swann Windisch, 18, schreibt Gedichte. Begleitgedichte für Musik. Er nennt sie „Companion“, die jüngsten sind für die EP „Birth By Sleep“ des Future-Bass-Produzenten Mindsight entstanden. Unter dem Pseudonym Swann Winther versucht er dabei, die Gefühle des Musikers in Worte zu fassen. „Musik kann Gefühle einfangen und für Fremde zugänglich machen, mit Worten kann man das Ungesagte sichtbar machen“, sagt Swann.

In einer Phase, in der Swann emotional durcheinander war, hat seine Leidenschaft ihren Ursprung: Um den Kopf frei zu bekommen, riet ihm ein Freund zu musizieren. Der Lernprozess erschien ihm zu langwierig, sodass er Stift und Papier in die Hand nahm und einfach losschrieb. Zuerst verschickte er an Freunde kleine Texte, in denen er Vorkommnisse reflektierte. „Die Texte sind immer abstrakter geworden“, sagt er. Mittlerweile verarbeitet er durch das Niederschreiben alles, was ihn beschäftigt, beeindruckt oder verängstigt.
 Eines Abends war Swann bei Mindsight zu Besuch. Der Musiker war gerade dabei, einen Track zu produzieren und deswegen unansprechbar. Um sich die Zeit zu vertreiben, fing Swann einfach an aufzuschreiben, was die Situation hergab. Der erste „Companion“ war entstanden. Für Swann steht als nächstes eine Zusammenarbeit mit dem Berliner Soundcloud-Wunder Trails an.  


Text: Hubert Spangler

Foto: Mark Backhaus

Beat-Battle

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Eine Gruppe Junger Münchner um Philipp Nadler gibt mit den ‘SampleSlams’ Nachwuchs-Musikproduzenten Eine Bühne. Diese funktionieren wie Poetry Slams, nur haut man sich hier keine Texte um die Ohren, sondern Musik.

Auf der Bühne stehen Musiker, aber das Publikum dreht ihnen den Rücken zu. Sie lauschen gerade der Jury. „Mir war der Mix im Low-End ein bisschen zu matschig“, sagt Juror Simon Lobenheimer. Low-End? Matschig? Die knapp 200 Zuhörer nicken zustimmend, jeder scheint zu verstehen, was gemeint ist, dabei wirkt die Menge gar nicht wie nerdiges Fachpublikum: Vom Technokopf bis zum Baggyhosen-Kopfnicker sind die Leute bunt gemischt.

Es ist kein 08/15-Clubabend, es ist Sample Slam. Hier messen sich junge Musikproduzenten. Es ist wie bei einem Poetry Slam, nur hauen sich hier die Teilnehmer keine Texte um die Ohren, sondern Beats.
Hinter einem Berg an Musik-Equipment und Kabeln, die sich zu einem wirren Salat schlängeln, blicken ein paar konzentrierte Köpfe hindurch. Dem ein oder anderen zeichnen Schweißperlen das Lampenfieber ins Gesicht. Es sind allesamt Schlafzimmer-Produzenten, also unentdeckte Produzenten, deren Studio sich oft auf dem Schreibtisch den Platz mit Uni-Kram teilen muss.

Einen Qualitätsunterschied zu etablierten Produzenten hört man keinesfalls. Einen Monat vor dem Auftritt wurden ihnen Soundschnipsel zur Verfügung gestellt, aus dem jeder Künstler vier fertige Tracks produziert hat. Mit diesen Tracks gilt es sich an diesem Abend zu messen. Den Konkurrenzcharakter untereinander spüre man, sagt Simon Zyrene, einer der Teilnehmer, „trotzdem hat jeder Spaß daran, mit den anderen auf den Abend hin zu arbeiten. Jeder ist gespannt, was die anderen aus dem Material gemacht haben“. Die fertigen Tracks lediglich abzuspielen ist den Teilnehmern nicht erlaubt. Die Werke müssen live im Duell eins gegen eins performt werden.
Für den Zuschauer sieht es aus, als würden sie vor Apparaten wild an Knöpfen drücken und drehen, tatsächlich setzen sie in Echtzeit das Vorproduzierte zu fertigen Musikstücken zusammen.

Die Initiatoren, eine Gruppe junger Münchner um den Gründer Philipp Nadler, haben es geschafft, die Glockenbachwerkstatt angenehm voll zu bekommen. Sie wollen mit dem Sample Slam keinen finanziellen Profit schlagen. Sie wollen jungen Musikern eine Bühne bieten, sie wollen nicht Jahre darauf warten, dass sich die Auftrittssituation in München durch Initiativen der Stadtverwaltung verbessert.

Beim Sample Slam winken den Gewinnern Sachpreise. Der erste Platz darf sich aber nicht nur über ein Upgrade seines Heimstudios freuen: Als Gewinner ist er automatisch für den nächsten Slam in der nächsten Stadt nominiert. Es passiert also durchaus mal, dass ein Schlafzimmer-Produzent sein Können in bedeutenden Clubs wie der Berliner Berghain-Kantine, oder der Distillery in Leipzig zeigen darf. Sein Netzwerk erweitert sich dadurch ungemein. Das Netzwerken ist in der Grundidee des Slams fest verwurzelt: „Es ist immer wieder lustig zu hören, wer jetzt was mit wem zu tun hat. Genau deswegen machen wir das Ganze“, sagt Philipp Nadler. Dem Initiator ist der gemeinnützige Charakter besonders wichtig. Es geht hier nicht ums Geld, darum ging es in seiner Vergangenheit lange genug: Nachdem er erfolgreich seinen BWL-Master absolviert und sich als Unternehmensberater etabliert hat, bemerkte er, dass dies nicht alles in seinem Leben sein konnte. Es sollte in seinem Leben mehr als materialistische Werte geben, deswegen kündigte er. Es gibt Bilder, auf denen er Sekunden nach seiner Kündigung, den Mittelfinger zeigend, den Fahrstuhl herunterfährt. Er entscheidet sich, wieder von Null anzufangen. Er widmet sich fortan der Musik, studiert Audio-Engineering. „In der Zeit meines Studiums habe ich die besten Leute kennengelernt“, sagt er. Einige dieser Bekanntschaften sind heute ein Teil der Sample-Slam-Crew.

Als nächstes Ziel haben die Münchner sich gesetzt, die Beat-Battles häufiger zu veranstalten, die Qualität weiter auszubauen. Demnächst starten sie eine Crowdfunding-Kampagne, um größere Künstler für das Rahmenprogramm buchen zu können. Alles mit der Absicht, das Publikum für die Newcomer wachsen zu lassen. 

Bis hierhin waren es weder ein ausgefuchster Businessplan noch eine gewitzte Werbestrategie, die dafür gesorgt haben, dass der Slam so gut ankommt – es ist einzig das Konzept und die Euphorie der Macher, die auf das Umfeld abfärbt.

In diesem Jahr stehen noch vier Städte an. Neben Berlin, Heidelberg und Leipzig ist München die nächste Station. Am 6. April wird dort der Bahnwärter Thiel zur Spielwiese für sechs frische Beat-Schrauber.


Text: Hubert Spangler

Foto: Felix Brodowski

Von Freitag bis Freitag: Unterwegs mit Hubert

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Neben seinem eigenen Geburtstag feiert unser Autor auch noch zu 4 Jahren Milla und dem Closing-Event des Bahnwärter Thiels.
Neben Netflix schaut er auch noch Videoprojektionen von Easy!upstream und kann sich auf Geheimtipps der HFF

freuen.

Döner oder Subway? Als ich erleichtert die Uni verlasse, fängt mein Wochenende bereits mit dem ersten Dilemma an. Ich erinnere mich, noch keine konkreten Pläne für die nächsten sieben Abende geschmiedet zu haben, noch nicht einmal für meinen runden Geburtstag morgen. Es ist wieder eines dieser Wochenenden, an denen man sich am liebsten dreiteilen würde, um keines der spannenden Events zu verpassen.

Facebook meldet mir für den heutigen Freitag zu sieben Veranstaltungen zugesagt zu haben. Tatsächlich – heute fängt das zweitägige „4 Jahre Milla“ Geburtstagsevent an, bei dem ich mich am meisten auf die Band Akere freue. Das Münchner Trio performt abstrakten Hip-Hop. Konventionellere Kopfnicker-Beats bieten im Anschluss die Jungs von Bumm Clack.
Bis hier hin fühlt sich mein Plan genial an, hätte ich nur nicht im Hinterkopf, dass heute auch das Programm vom Digitalanalog Festival 2016 startet. Im Zuge dessen finden im Gasteig aufwändige audiovisuelle Darbietungen genau nach meinem Geschmack statt. Das Ganze kostet keinen Pfennig Eintritt.
Ich werde heute wohl Pendeln müssen.

Am Samstag sollte ich angesichts meines 20. Geburtstages eine Party schmeißen. Wie ich mich kenne, werde ich mich bis zum späten Nachmittag nicht zu Planungen motivieren können. Auf diese Art habe ich bereits die Feierlichkeiten zu meinen 16. und 18. Geburtstagen verbummelt. Realistisch nehme ich mir morgen vor, mich spontan zwischen noch einem Tag Digitalanalog oder der Langen Nacht der Münchner Museen zu entscheiden.

Sollte das Museum-Hopping nicht zu exzessiv gewesen sein, genieße ich am Sonntag ein letztes Mal die entspannte Eisenbahnkulisse des Bahnwärter Thiels vor der Hochschule für Film und Fernsehen. Mit dem Bahnwärter-Thiel-Closing-Event verabschiedet sich der Eisenbahnwagon von seiner aktuellen Haltestelle, um zu einem neuen, noch unbekannten Standort aufzubrechen. Ich kann den Tag endlich ohne Zwiespalt genießen.

Am Montag angekommen, nehme ich mir vor – verwöhnt von den Veranstaltungen der vorangegangenen Tage, den Tag kulturlos zu Hause zu verbringen und die Zeit in meine Bildung zu investieren. Wie gesagt – ich nehme es mir vor. Alternativ dazu, würde das junge Künstlerkollektiv Easy!upstream in der Tiefgarage vom Schwabinger Tor im Zuge des Events „Coral North“ großformatige Installationen und Videoprojektionen zur Schau stellen. Leider werde ich am Montag mit Lernen beschäftigt sein.

Dienstag. Endlich. In der Muffathalle findet das Konzert vom elektronischen Ein-Mann-Orchester Dub FX statt. Die Vorfreude darauf bringt mich fast zum Platzen. Der Beatboxer aus Melbourne erzeugt live zwischen wirrem Kabelsalat, Loop- und Effektgeräten Beats, von denen man nie ahnen würde, dass sie ursprünglich aus dem Munde eines Menschen kamen.

Voraussichtlich wird sich mein Mittwoch darauf belaufen, mich per Netflix und anderen, ausschließlich legalen Streamingdiensten auf das am Donnerstag folgende Seriencamp vorzubereiten. Die Hochschule für Film und Fernsehen zeigt mit umfassendem Rahmenprogramm „Deutschlandpremieren, Geheimtipps und Entdeckungen aus der ganzen Welt“, mit anschließenden Diskussionen. Das Festival ist über die gesamte Dauer von drei Tagen kostenlos.

Auch der kommende Freitag lässt es sich nicht nehmen, das Wochenende laut anzukündigen. Der „Großmeister des Grooves“, Moodyman spielt im MMA ein Detroit Techno Set. Das unschlagbare Line-up wird an jenem Abend vervollständigt von Bambounou und Bartellow. Je nach Stimmung könnte es mich allerdings auch ins Sunny Red, zu „Reduction #15“ ziehen, wo Underground-Größen des Dubs ihre bebenden Basslines zum Besten geben.
Nach einer so ereignisreichen und entscheidungs-intensiven Woche erübrigt sich wenigstens die Döner- oder Subway-Debatte. Mein Geldbeutel wird mir vor der Uni raten, ein Brot für später zu schmieren.

Von: Hubert Spangler

Foto: David Fragomeni

Neuland: Eigene Beats

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Der Beat-Produzent Clap Cotton aka Hans Schoetz will zusammen mit Florian Malzer aka Flow One am Bass im Winter ein Album herausbringen. Das Besondere: Bei der Produktion kamen keine Samples zum Einsatz. 

Clap Cotton hatte bereits den bayerischen Mundart-Rapper Bbou für seinen Internet-Hit „Aromatherapie“ mit dem Beat versorgt. Die Botschaft der Macher und des Albums: Beats können auch ohne Fremdmaterial warm und oldschool klingen.

Das ist deshalb so neu, weil es bei Hip-Hop-Instrumentalen auf Youtube oder Soundcloud immer um die Frage der „Sample-ID“ geht: Welches ursprüngliche Musikstück hat der Beat-Produzent „gesampled“, also aus welchem Song hat er Klangschnipsel gezogen, um diese dann für seinen Track neu zu arrangieren? Die Praktik ist im Hip-Hop gang und gäbe. Viele Produzenten riskieren so für den warmen Sound alter Jazz- oder Soulplatten eine Urheberrechtsverletzung, wenn sie nicht für die verwendeten Elemente bezahlen.

Einen Teaser zu dem Albun gibt es bereits auf Youtube: „Clap Cotton x Flow One – Beat tape teaser #1“ – ganz ohne Samples, versteht sich. 

Von:  Hubert Spangler

Foto: Tomek Czochanski

Band der Woche: Bloomfeld

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Beats sind die Welt von Hubert Spangler, der seit 2012 als Bloomfeld in München seine Musik produziert. Im Gegensatz zu Beats, die normalerweise als Unterlage für Raps dienen, steht Bloomfelds Musik für sich:  „Um Collabos mit Rappern habe ich mich, um ehrlich zu sein, noch nie bemüht.“

Es ist ein brutales Bild: Ein Gesicht, anstelle der Lippen ein Reißverschluss, schmerzhaft ins Fleisch gegraben, so stellt man sich das zumindest als Betrachter vor. Eine äußere Sperre, die verhindert, dass das Sprechorgan Laute von sich gibt. Doch irgendwie passt das Bild in dieser Radikalität des versperrten Mundes, der nur von außen wieder geöffnet werden kann. Es ist ein Statement, das der Beat-Bewegung gut steht. Denn hier geht es nicht um die sich – wenn auch etwas drogenbenebelt – vehement äußernden Beatniks der Sechzigerjahre, hier geht es um Popmusik, die sich der leitenden Funktion einer Gesangsstimme völlig entzogen hat.

Ein wenig ist es auch eine Schicksalironie, dass einer der Beat-Köpfe in München von seinem siebten Lebensjahr an frühe musikalische Erfahrungen im Tölzer Knabenchor sammelte, um dann der Vokalmusik umso stärker den Rücken zu kehren. Nun bringt der mittlerweile 19-jährige Hubert Spangler Tracks heraus, die etwa „Silent Beauty & Beast Opus“ heißen, und garniert dieses File auf seiner Soundcloud-Seite mit eben jenem Bild vom Reißverschluss-versperrten Mund.

Bloomfeld nennt er sich als Musiker. Und auch hier blitzt wieder ein kleiner, vielleicht fieser Kommentar durch – immerhin prägen Jochen Distelmeyers Wortkaskaden die deutsche Indie-Klassiker-Band Blumfeld in einem ganz erheblichen Maß. Auf Wortkaskaden kann man bei Huberts Musik lange warten, denn der Beatproduzent hat sich auch von den Rappern entfremdet. Die sind bis vor kurzem Hand in Hand mit der Entwicklung neuer Beatmusik gegangen: Der Beat als groovende, pumpende Unterlage für die Worte. „Um Collabos mit Rappern habe ich mich, um ehrlich zu sein, noch nie bemüht“, erklärt hingegen Hubert, seine Musik sei ohnehin oft recht komplex, sodass sie vom Gerappten ablenken würde und im Großteil der Fälle gar keinen Raum für eine Stimme lasse.

Anders herum ist diese Emanzipation der Beats von der Stimme bei Hubert ein musikalischer Genuss. Denn seine Beats sind keine stoisch gleichbleibenden Loop-Phrasen, seine Beats blühen voll musikalischer Ideen. Da entwickeln sich Motive aus Rhythmus- und Harmoniefragmenten, da verwandeln sich die perkussiven Klänge innerhalb der Tracks – die ganz bewusst nicht als Songs bezeichnet werden können, denn singen tut hier ja niemand, die aber in ihrer Ausarbeitung über die Skizzenhaftigkeit, die dem Wort Track als einfache Soundspur inne liegt, weit hinausgehen. Denn das sind richtiggehend ausgearbeitete Werke, die der junge Musiker da auf seiner Soundcloud-Seite veröffentlicht.

Synkopen und rhythmische Verschiebungen, die dem Vier-Viertel-Takt-Diktat anarchisch ins Gesicht lachen, gibt es etwa im Stück „3x Bumm“, das mit den Fragmenten einer klassischen Gesangsstimme beginnt, die aber von den Dominanz des Beats überrollt wird. Brutal ist das, wären die Klänge von Hubert nicht so charmant, dass man ihnen gerne folgt und über das Abwürgen der Stimme schnell hinwegsieht. Deutlicher ist diese Bewegung noch in „Close to Jolene“. Das Flehen der ursprünglichen Version von Dolly Parton zerbrachen schon die White Stripes in ihrer Version zu wütendem Frust. Hubert besticht in seiner Version mit den rührseligen Harmonien des Originals, über welches das Wort „Jolene“ wie die Erinnerungssplitter an früher textgetragene Songs gestreut wird. Instrumental Hip-Hop nennt er seine Musik. Hubert bekam einst ein billiges Keyboard geschenkt und begann von da an, damit die verquersten Klänge zu produzieren. Die Szene in München wächst jedoch, etwa im Milla oder im Kiddo, wo mittlerweile regelmäßig Beat-Abende und -Battles veranstaltet werden. 

Stil: Beat / Instrumental
Hip-Hop
Besetzung: Hubert Spangler
Aus: München
Seit: 2012
Internet: www.soundcloud.com/bloomfeld

Von: Rita Argauer

Foto: Privat