München, 25.10.2018 / Foto: Robert Haas Marius Herrmanns baut für Gaming-Firmen wie Konami oder Playstation Modelle von Charakteren aus Videospielen detailgetreu aus Legosteinen nach.

Ein Leben aus dem Baukasten

Marius Herrmann, 21, ist ein AFOL – ein Adult Fan Of Lego. Er verdient mit Modellen aus Legosteinen Geld – und er wird regelmäßig für Vorträge auf Messen gebucht


Von Hubert Spangler

Zunächst lächeln sie etwas irritiert. Dann sind die Menschen, mit denen Marius Herrmann, 21, belanglos bei einer Party quatscht, erst einmal sprachlos. Am Ende überwiegt aber meist die Begeisterung. Wenn Marius in einen Smalltalk gerät und das Gespräch an den Punkt kommt, was er denn so mache, muss Marius Momente der Fassungslosigkeit überstehen. Er blickt in verdutzte Gesichter, wenn er erzählt, dass er sich mit etwas beschäftigt, dass der allgemeinen Auffassung nach Sprösslingen zum Spielen gilt. Er macht das nicht aus Langeweile. Er verdient Geld damit. Er bekommt Geld dafür, dass er Figuren baut. Aus Lego-Steinen.

Klar, diese Irritation ist schnell verflogen. Irgendwann verstehen die Gesprächspartner, was Marius wirklich macht, und die Skepsis wandelt sich in positive Reaktionen. „Die Leute sind dann sehr interessiert daran, wie meine Modelle entstehen“, sagt Marius. „Dadurch, dass fast jeder Erinnerungen ans Lego-Bauen hat, werden positive Assoziationen an die Kindheit geweckt. Die Leute erzählen mir dann oft, was sie als Kind gebaut haben oder bauen wollten.“

Fotos: Marius Herrmann

Manchmal hat Marius, der BWL studiert, sogar das Gefühl, ein wenig beneidet zu werden, dafür, dass er den Kindheitstraum vom Lego-Bauen nie wirklich abgelegt hat. Und man erinnere sich: Auf manchen Lego-Verpackungen stand groß eine Altersempfehlung von 12 bis 99 Jahren.

Marius macht gerade Karriere damit, Lego-Modelle zu bauen. Marktgrößen wie Sony geben bei ihm Modelle in Auftrag, er wird für Vorträge auf Messen gebucht. Den Schaffensprozess hinter seinem jüngsten Modell hat der Gaming-Gigant Konami in einem Zeitraffer-Video auf Youtube dokumentiert und wirbt damit für sein neuestes Videospiel „Zone Of The Enders“. Der Roboter, den Marius dabei gebaut hat, ist „Jehuty“: einer der Charaktere aus dem Spiel.

Zuerst baut Marius den Torso, danach entsteht der Kopf – und dann wachsen die Arme und Beine aus seinem Körper heran. Marius sitzt an seinem Arbeitstisch und lässt eine Figur entstehen, eine Skulptur. Einen Roboter, der mit seinen aggressiven Gesichtszügen in den Raum starrt. Gesichtszüge, die ein bisschen an eine gereizte Wespe erinnern.

Mit seinen 21 Jahren
ist er einer der jüngeren
Protagonisten der Community

Detailtreue hat bei Marius Arbeiten einen hohen Stellenwert. Das Schwierige dabei: Er verwendet Lego-Steine für seine Kreaturen. Und das bedeutet, ihm sind die Formen, die er verwerten kann, vorgegeben – das fordert viel Geschick, vor allem die Fähigkeit, um die Ecke zu denken.

Marius war schon früh in der Lego-Community aktiv. Mit zehn Jahren besuchte er die ersten Lego-Ausstellungen und Community-Events. „Ich habe mich immer mit Lego-Fans umgeben, die deutlich älter waren als ich“, sagt er. Das hat ihm zu verstehen gegeben, dass Lego ein legitimes Hobby und nicht speziell Kindern vorbehalten ist.

Die Szene, in der Marius sich bewegt und in der er sich zu einem Protagonisten hochgearbeitet hat, ist vielschichtig – „AFOL“ nennen sich Leute wie er: „Adult Fan Of Lego“. AFOLs bauen nicht unbedingt selbst Modelle, sie können auch mit Teilen oder Bausätzen handeln, oder einfach nur interessiert sein und Events besuchen. Die Community ist organisiert in registrierten Lego User Gruppen (RLUG). 300 Gruppen werden von Lego anerkannt und subventioniert. Marius selbst ist Gründungsmitglied von „Bricking Bavaria“ – mit mehr als 100 Mitgliedern eine der größten deutschen Gruppen.

Mit seinen 21 Jahren ist er immer noch einer der jüngeren Protagonisten der Community, trotzdem – oder vielleicht deswegen – respektiert die Öffentlichkeit seine Werke. Er wurde zur deutschen Comic Con nach Stuttgart und zur EGX, einer großen Gaming-Messe, nach Berlin eingeladen, um dort eine Auswahl seiner Modelle auszustellen. Zudem wurde er dort für einen Vortrag gebucht. „Ich bin auf den Entstehungsprozess der Modelle eingegangen und habe meine Gedankengänge erklärt. Außerdem habe ich darüber gesprochen, wie Lego und Videospiele sich perfekt ergänzen. In beidem geht es darum, fantastische und neue Welten zu erschaffen“, sagt er. „Ich liebe es, über das Lego-Bauen zu sprechen und hoffe, damit mehr Leute dazu zu inspirieren.“

Marius baut hauptsächlich Replikationen aus der Gaming-Welt. Er sieht sich selbst wie einen Architekten, der die Idee seines Auftraggebers in eine greifbare Form bringt. So übersetzt er die Gedanken, die sich ein Spieleentwickler zu seinem Charakter gemacht hat in die Lego-Welt. Und das ist genauso Kunst, wie wenn ein Maler ein Stillleben malt. Die komplexeste seiner Figuren, der Bahamut aus Final Fantasy, ist eine Arbeit aus mehr als 10 000 Steinen. Fast einen Meter groß. Ein halbes Jahr hat Marius daran getüftelt. Zu seinem Workflow gehört es zunächst, Referenzmaterial zu sammeln. Bilder, anhand derer er sich zu ersten Prototypen inspirieren lassen kann. Danach muss er einige Zeit dafür investieren, passende Steine in passenden Farben zusammenzusuchen und diese zu bestellen.

Die Figuren baut er in
seinem Zimmer, ein Atelier kann
er sich noch nicht leisten

Eine wichtige Aufgabe als Brick-Artist ist es, auf dem neuesten Stand zu bleiben, welche Steine es im Lego-Sortiment gibt. Er schätzt, dass pro Jahr grob 3000 Steine dazukommen. Hat er seine Teile zusammen, fängt er aktiv zu bauen an – in seinem Zimmer, ein Atelier kann er sich noch nicht leisten. Auch deswegen hat er im Vergleich zu anderen Lego-Bauern viel weniger Steine zu Hause und bestellt sie erst, nachdem er sich sicher ist, sie zu brauchen.

Zwei Bücherregale mit Kleinteil-Magazinen und zwei Kisten voll mit Teilen blockieren sein Zimmer. Außerdem versucht er alle seine Modelle, auch die in Auftrag gegebenen, zu behalten. „Es ist einfach was ganz anderes, ein Modell auf Bildern zu zeigen, als es live ausstellen zu können“, sagt er und ist still, als würde vor seinem inneren Auge gerade einer seiner Roboter lebendig werden. Live ausgestellt gibt es seine Werke und die seiner Kollegen von Bricking Bavaria dieses Jahr noch im MOC Veranstaltungscenter vom 16. bis 18. November. Wer Marius dort in einen Smalltalk verwickeln will, wird kein Problem haben, ein Gesprächsthema zu finden.

Titelfoto: Robert Haas