Molekularkunst

Malen mit Körperflüssigkeiten: Sandra Bejarano Gil studierte in Madrid Fine Arts, an der Akademie der Bildenden Künste in München lernte sie den Umgang mit Tabus.

Das Blut fließt in die Ampulle. So schnell, dass die junge Frau in Schwarz sechs weitere Ampullen an den Schlauch hängt. Dessen anderes Ende steckt in einer Nadel im Arm von Sandra Bejarano Gil, 27, die, nur mit einem weißen Hemd bekleidet, auf einem Tisch liegt. Nach der Blutabnahme steht sie auf und stellt diverse Utensilien, Karaffen und Schälchen auf das weiße Tischtuch. Wie bei einer Zeremonie beginnt Sandra, das Blut mit verschiedenen Pulvern und Flüssigkeiten zu präparieren. Dann zieht sie das rote Gemisch in eine Spritze und spritzt es auf einen Löffel, den sie in einer gelatineartigen Masse schwenkt, bis sich aus dem Blut eine haselnussgroße Kugel bildet.

Die Technik, mit der die junge Künstlerin arbeitet, heißt Molekularküche. In der Gastronomie wird damit die Textur von Speisen verändert – doch Sandra verwendet: Blut, Urin, Sperma, Spucke, Schweiß, Fingernägeln oder Vaginalsekret. „Ich zeige das, was die Leute nicht sehen wollen, was sie ekelt, beschämt – und trotzdem irgendwie fasziniert“, sagt Sandra. Denn sie legt Wert auf eine ästhetische Präsentation: Wie Kaviar präsentiert sie auf einem weißen Keramikteller kleine glibberige Kügelchen aus Vaginalsekret, eine andere Arbeit zeigt eine elegante Porzellanschüssel mit einer Portion Spaghetti aus Blut. Sandra sagt „E-spaghetti“ – ein Relikt ihrer spanischen Muttersprache, in der ihr manchmal ein Wort herausrutscht, wenn sie besonders enthusiastisch von etwas erzählt. „Viele Leute fragen oft neugierig, ob man das essen kann – bis sie erfahren, woraus die Sachen gemacht sind.“ Ältere Frauen seien dann schockiert, jüngere Frauen hingegen eher begeistert, dass Sandra ein Tabuthema wie Menstruationsblut in Szene setzt. Männer würden meist lachen, weil sie immer etwas Sexuelles assoziieren. Diese Ambivalenz zwischen Attraktion und Ekel, zwischen Faszination und Scham interessiert die Künstlerin.

Sandra kommt aus Madrid, wo sie Fine Arts studierte. Die künstlerische Ausbildung in Spanien sei sehr klassisch gewesen, erst während ihres Erasmus-Semesters in München habe sie sich mit anderen Ausdrucksformen als Zeichnen und Malen beschäftigt: „Hier sind Kunststudenten komplett frei, bekommen Raum und Zeit für ihre eigenen Projekte“, sagt sie. Darum begann sie nach ihrem Abschluss in Spanien 2013 noch ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München. Auf die Idee mit den Körperflüssigkeiten kam Sandra nach einer Performance, bei der sie in einer Wanne voll Rotwein badete – bis sie ein Sanitäter nach zweieinhalb Stunden rausholte: „Ich mag solche Grenzerfahrungen und Tabubrüche. Warum also nicht echtes Blut statt Wein?“ Auf die Frage, ob sie schon immer so offen mit Tabus umging, antwortet die Künstlerin sehr bestimmt: „Nee, gar nicht, überhaupt nicht!“ Erst in der Kunst verliere sie ihre Scham, und auch ihr Freundeskreis aus der Akademie helfe dabei: Da fand es niemand seltsam, dass sie für ihre Arbeit jahrelang ihre Fingernägel sammelte, oder sie einen guten Freund um einen Becher Sperma bat. Über das Sperma-Kunstwerk habe ihr Vater nichts wissen wollen, erzählt Sandra und lacht. „Meine Mama meinte auch öfter: ,Kannst du nicht einfach mit Farben malen wie jeder normale Künstler?‘“ Dennoch unterstützen ihre Eltern, beide Anwälte, sie immer.

Trotz ihres Septum-Piercings und ihrer extrovertierten Art hat Sandra Bejarano auch etwas sehr Ernstes an sich. Es beschäme sie, dass sie immer noch nicht finanziell unabhängig von ihren Eltern sei, sagt sie. Seit Jahren arbeitet sie in der Gastronomie, doch ihr Plan war es, einen kreativen, festen Job zu haben und nebenher Kunst zu machen. Nach ihrem Diplom im Februar machte sie ein Bühnenbild-Praktikum an der Staatsoper, das ihr durchaus viel Spaß machte. Sie habe gutes Feedback bekommen, aber eben keine Aussicht auf eine richtige Stelle – und außerdem habe sie sechs Tage die Woche nur gearbeitet. Das klassische Künstler-Dilemma, sagt Sandra: „Wenn du eine Arbeit hast, läuft die Kunst nicht, und wenn die Kunst läuft, hast du kein Geld.“

Auch über ihre Kunst selbst reflektiert Sandra viel. Die soll kein masochistisch-provokatives „Herumwerfen mit Blut“ sein, sondern für sie einen Sinn ergeben: „Ich hinterfrage immer, warum ich genau jetzt diese Flüssigkeit wähle.“ Als ihr kürzlich eine Freundin anbot, mit ihrer Muttermilch zu arbeiten, lehnte Sandra Bejarano ab: „Mutterschaft ist noch nicht mein Thema.“ Ihre Stimme wird brüchiger, als sie erzählt, dass sie eigentlich schon irgendwann Kinder wolle – doch wenn sie realistisch sei, wisse sie nicht, wie sie das bewerkstelligen solle: „Ich will meinem Kind die gleiche Sicherheit bieten, die meine Eltern mir gaben. Gleichzeitig will ich auch unbedingt meine Kunst machen.“ Die aufzugeben komme nicht in Frage. Darum jobbt sie weiterhin im Café und bewirbt sich nebenher für Projekte, Ausstellungen und Preise – auch im Ausland. Eigentlich will sie aber in München bleiben: „Ich gehe immer noch gern in die Akademie, hier trifft man immer jemanden zum Reden oder auf ein Bier. Außerdem liebe ich die Isar, ich weiß, total Klischee.“ Sandra lacht. Weil sie für ihre Diplomarbeit einen Preis bekam, präsentiert sie jetzt ihre Arbeit bei der Debütanten-Ausstellung im MMA – Mixed Munich Arts.

Text und Foto: Anna-Elena Knerich