Foto: Gino Dambrowski
München, 02.10.2020 / Foto: Gino Dambrowski Thema: Geschichtsstudent / Benjamin Franz / History’s Bricks / München

Löwenherz aus Legosteinen

Der Geschichtsstudent Benjamin Franz stellt historische Ereignisse mit Bauklötzen nach. In seinem Blog zeigt er, warum das anderen Modellbauern nicht immer gut gelingt.

Von Moritz Richter

Einsam sieht man König Richard Löwenherz durch einen dunklen Nadelwald stapfen. Er trägt weder Krone noch Zepter, sondern nur einen braunen Umhang mit einer Kapuze, die er tief in sein Gesicht gezogen hat. Der englische Herrscher ist nach einem Kreuzzug auf dem Weg zurück in seine Heimat. Da dieser Weg ihn allerdings durch das ihm feindlich gesinnte Herzogtum Österreich führt und er dort eine Gefangennahme fürchten muss, ist er als einfacher Pilger verkleidet unterwegs. Ohne viel Hab und Gut, nur von einem Pferd begleitet, versucht er auf diese Weise unerkannt das Gebiet zu durchqueren.

Das Besondere an dieser Szenerie: Sie ist kleiner als ein DIN-A-4-Blatt und besteht einzig und allein aus Legosteinen. Jedes Detail ist aus den kleinen, bunten Bauklötzen zusammengesetzt. Gebaut und erdacht hat die Darstellung der Münchner Geschichtsstudent Benjamin Franz. Der 24-Jährige betreibt seit Januar 2019 den Blog „History’s Bricks“. Hier stellt er historische Ereignisse mit Legosteinen nach, diskutiert aber auch fremde Geschichtsdarstellungen mit Lego kritisch. Es geht ihm um mehr als nur Bauweise oder Ästhetik der Lego-Modelle. In seinen Analysen macht er deshalb auch mal die fehlende Repräsentation von weiblichen historischen Figuren oder eine verfälschende Abbildung des Kolonialismus zum Thema. „In dem Blog schlage ich gewissermaßen eine Brücke zwischen meinem wissenschaftlichen Wissen, das ich mir im Geschichtsstudium angeeignet habe, und der Lego-Community“, sagt Benjamin.

Der Modellbau mit Legosteinen war schon früh seine Leidenschaft. Wenn Benjamin über sein Hobby spricht, merkt man das sofort. Trotz Brille, Dreitagebart und Geheimratsecken wirkt er dann ein wenig wie ein glückliches Kind, das stolz sein neues Spielzeug präsentiert. Nur dass die meisten Kinder wahrscheinlich wesentlich weniger Lego-Steine besitzen. Bis an die Decke stapeln sich die Kisten mit den nach Farbe und Form sortierten Klötzen eine ganze Wand entlang. Mit dieser Leidenschaft ist Benjamin aber bei Weitem nicht allein. Die Anzahl der erwachsenen Lego-Fans ist erstaunlich groß. Wie viele Menschen auch nach ihrer Kindheit noch privat an ihren Lego-Modellen basteln, ist schwer abzuschätzen. Doch Ausstellungen und Veranstaltungen rund um die Plastikbausteine florieren, allein die Legofan-Messe „Bricking Bavaria“ lockt beispielsweise jedes Jahr Zehntausende Besucher an. Auch im Internet hat sich eine rege Community aus AFOLs – kurz für die gängige Selbstbeschreibung „Adult Fan of Lego“ – entwickelt, die ihre Eigenkreationen in diversen Sozialen Netzwerken mit anderen teilen. Vor allem auf den Plattformen Flickr und Instagram bekommen die MOCs (My Own Creation), wie die Modellbauer ihre Kreationen aus Lego oftmals nennen, viel Reichweite und Zuspruch.

Nachgebaut wird dabei alles, was man irgendwie nachbauen kann, von real existierenden Orten über Fantasy-Figuren bis eben hin zu historischen Ereignissen. Gerade letztere sind zwar häufig sehr detailverliebt und mit extrem viel Aufwand dargestellt, werden dann aber ohne Kontextualisierung oder zusätzliche Informationen im Internet präsentiert. Bei Lego-Modellen von ägyptischen Pyramiden oder einer mittelalterlichen Schlacht mag das vielleicht nicht so wichtig sein. Bei Nachbauten von Konzentrationslagern und heroischen Darstellungen von Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg werde es allerdings schnell problematisch, meint Benjamin. „Meistens ist das dann die Folge von mangelndem Geschichtsbewusstsein, das auch durch die popkulturelle Darstellung in Filmen und Computerspielen geprägt ist“, sagt er. „Der Anteil der Hardcore-Nazis, die das absichtlich so darstellen, ist in der Community relativ gering.“

Benjamin stieß schon als Jugendlicher über Flickr auf diese Community. Damals war er hauptsächlich am Sammeln von Sets und Figuren interessiert. Und während seine Freunde auch dabei blieben oder irgendwann ganz die Finger von den Legosteinen ließen, wurde Benjamin neugierig und tauchte immer weiter in die Welt der historischen Lego-Modelle ein. Er fing damit an, sich in die gezeigten historischen Ereignisse einzulesen und landete so bei der Kombination aus Lego und Geschichte. Dies war mit ein Grund für sein Geschichtsstudium.

Dort lernte Benjamin noch einmal einen anderen Blick auf Geschichte und ihre Präsentation kennen. Er begann, die Darstellungen und Geschichtsbilder, die in der Lego-Community vorherrschend waren, immer mehr infrage zu stellen und kam so schließlich auf die Idee für seinen Blog. „Ich hab das Potenzial gesehen, auf der einen Seite meine eigenen Ideen mit Lego selbst zu verwirklichen und damit noch mal einen anderen Zugang zu Geschichte zu finden“, erklärt Benjamin. „Und gleichzeitig auf der anderen Seite die Darstellungen der Lego-Community zu hinterfragen und sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen.“

Diese Auseinandersetzung erfolgt bei Benjamin aber nicht nur anhand einzelner Bauten, sondern führt ihn durchaus auch zu grundlegenderen Fragen: Welche Geschichtsbilder lassen sich aus den Modellen ableiten? Was wird gezeigt und was wird weggelassen? Wie lässt sich Geschichte authentisch darstellen und warum wollen Menschen geschichtliche Ereignisse überhaupt mit Lego inszenieren? Benjamin glaubt, dass sich hier nur ein Verhalten zeigt, das Menschen jederzeit an den Tag legen. „Aus meiner Sicht versuchen Menschen immer ihre Umwelt und Erfahrungen, die sie gemacht haben, zu verstehen“, sagt Benjamin. Gerade Legosteine seien dafür besonders geeignet. „Sie sind als Medium den meisten von uns schon seit unserer Kindheit vertraut.“ Das sehe man zum Beispiel auch daran, dass es jetzt während der Corona-Krise auf einmal viele Modelle gegeben habe, bei denen der Figur das Klopapier gefehlt habe.

Grundsätzlich gebe es aber viele verschiedene Motivationen, warum auch erwachsene Menschen immer noch mit Lego spielen und eigene Modelle entwickeln. Manche würden einfach nur den Stress von der Arbeit loswerden wollen, andere kreativ eigene Welten erschaffen und wieder andere durch ihre Modelle auf für sie wichtige Themen aufmerksam machen wollen. Diese Themen können dann auch mal Umweltschutz, der Kampf gegen Rassismus oder eben die Erinnerung an ein historisches Ereignis sein.

Benjamin selbst baut meist zur Entspannung und natürlich oft mit geschichtlichem Kontext. So hat er beispielsweise auch schon den Fall der Berliner Mauer oder die Novemberpogrome aus dem Jahr 1938 aus Legosteinen nachgebaut. Dazu schreibt er auf seinem Blog dann noch einen längeren Text über Entstehung und Hintergrundgeschichte des Modells. Meistens baut er dabei allerdings nicht einfach drauf los, sondern plant sie erst einmal digital mit einem speziellen Programm am PC. „Das ist einfach deutlich effizienter, außerdem habe ich da wirklich alle existierenden Steine zur Verfügung und bin nicht in meinen Möglichkeiten begrenzt“, erklärt er. Manchmal werden die Modelle am PC dann aber auch so groß und umfangreich, dass er sie allein schon aus Platzgründen überhaupt nicht mehr umsetzen kann.

Das Feedback, das Benjamin auf seine Blog-Artikel und die Modelle, die er auch auf Instagram und Flickr präsentiert, erhält, ist meistens positiv. Nur manchmal bekommt er den Vorwurf zu hören, das sei doch nur Kinderspielzeug und er solle doch aufhören, alles gleich so zu politisieren. Dem entgegnet Benjamin, dass er gar nichts politisiere. „Es war schon immer eine politische Frage, wie wir die Geschichte darstellen und abbilden“, sagt er. „Deswegen war Lego auch schon immer politisch.“