Bereits in der Schule war Lukas Illig, 26, Klassenclown und verarbeitete den Stufentratsch zu Ein-Mann-Shows. Heute arbeitet er hauptberuflich als Witzeschreiber. Aber kann man auf Knopfdruck lustig sein?
Kein einziger echter Witz. In eineinhalb Stunden. Kann das wahr sein? Kann man nicht zumindest ein bisschen Humor erwarten? 90 Minuten erzählt Lukas Illig, 26, über seinen Beruf. 90 Minuten, und nichts führt zu einem Gag. Das überrascht. Lukas ist hauptberuflich Witzeschreiber.
Dass er später einmal mit Humor sein Geld verdienen würde, war lange nicht klar. Nach dem Abitur studierte Lukas erst einmal Theaterwissenschaften. Ein Talent für Witze hatte er aber schon in seiner Kindheit. Bereits in der Schule spielte Lukas den Klassenclown, verarbeitete den Stufentratsch zu Ein-Mann-Shows und unterhielt so seine Mitschüler. „Ich habe damals einfach schon gemerkt, dass es ein unglaublich schönes Gefühl ist, wenn die Leute lachen“, sagt er.
Lukas trägt einen lachsfarbenen Pullover und eine graue locker sitzende Jogginghose. Sein Gesicht wird von einer schwarzen Kastenbrille eingerahmt und an seinem Finger trägt er einen Ring, den man auf den ersten Blick für ein Familienerbstück halten könnte – es handelt sich aber um Modeschmuck. Während Lukas spricht, ist er ständig in Bewegung. Er wippt unaufhörlich auf seinem Bürostuhl auf und ab, dreht sich halb um sich selbst und gestikuliert viel. „Ich habe relativ früh gemerkt, dass ich ein furchtbar aufgedrehtes Kind bin“, sagt er.
Weil seine Einlagen vor der Klasse so gut ankamen, produzierte er mit 14 sogar seine erste eigene Late-Night-Show, angelehnt an die berühmten Abendsendungen aus den USA. Wirklich durchgestartet ist die aber nie. Wie auch, Lukas war Talkshowhost, Produzent und einziger Zuschauer in einem.
Inzwischen hat er sein Publikum aber gefunden. Heute unterhält Lukas mit seinen Witzen die Zuschauer des Formats „Walulis Daily“ auf Youtube. In den zwischen sechs- bis zehnminütigen Videos bespricht Grimme-Preisträger Philipp Walulis tagesaktuelle Themen. Begleitet wird die Sendung mit zusammengeschnittenen Videos, bewusst aus dem Kontext gerissenen Zitaten, lustigen Bildmontagen und klassischen Witzen. Als zum Beispiel Klimaaktivisten den Dannenröder Forst besetzen, um den Ausbau der A 49 zu verhindern, zeigt Walulis in seiner Sendung einen Beitrag der Hessischen Rundschau, der sich mit den Anfängen des Bauvorhabens auseinandersetzt. Ein Interview aus den Sechzigerjahren mit dem damaligen Bundesverkehrsminister Georg Leber wird eingespielt. Leber blickt in die Kamera und beteuert, dass die Anbindung von Marburg nach Kassel so zügig wie möglich begonnen wird. Der Einspieler endet. Walulis schaut in die Kamera und sagt trocken: „Tja, wer nach Kassel will, ist selber schuld.“ Den Witz hat Lukas geschrieben. Fragt man ihn aber spontan nach einer Kostprobe seines Humors, schweigt er lieber. Hängt ihm die Frage mittlerweile zum Hals heraus, weil er sie zu oft von Freunden gehört hat? Statt zu antworten, beginnt Lukas einen langen Monolog über seinen Beruf als Witzeschreiber und warum dieser Job nichts mit Witzen im Alltag zu tun hat.
„Es gibt einen Unterscheid zwischen lustig sein, mal einen Witz erzählen und dem, was ich mache“, sagt er dann. Der liegt darin, dass Lukas eben nicht mal auf Anhieb witzig sein muss, sondern jeden Tag in einem bestimmten Kontext. Schließlich gibt es ein festes Drehbuch, versehen mit ungefähr 15 Platzhaltern für Witze, die Lukas füllen muss. Er selbst würde es aber wahrscheinlich nicht so beschreiben. Für ihn ist das einfach das „Set-up“.
Sobald das Drehbuch vorliegt, muss alles sehr schnell gehen. Denn zwischen dem Zeitpunkt, an dem Lukas das Script geschickt bekommt, und der Deadline liegen meist nur wenige Stunden. Lustig sind die Arbeitsbedingungen also nicht wirklich. Eine Garantie, dass es seine Witze in die Sendung schaffen, gibt es auch nicht. Schließlich müssen seine Witze nicht nur ihm, sondern auch der Redaktion und dem Moderator gefallen und sich gegen die Ideen seiner drei bis vier Kollegen durchsetzen. Da gewinnt dann der Witz, den das Team lustiger findet. Oder der besser zum Moderator passt.
An einem guten Tag braucht Lukas eine halbe Stunde, um das Drehbuch zu füllen. Aber manchmal „läuft es auch einfach nicht“, sagt er. Wenn das passiert, muss er sich darauf verlassen, dass der Rest seines Teams gerade lustiger drauf ist. Humor funktioniert eben nicht auf Knopfdruck. Auch nicht für Lukas.
Im allerschlimmsten Fall gibt es aber immer auch ein festes Handwerkszeug, auf das er sich verlassen kann. Humortheorie nennt sich das. Feste Regeln, nach denen, wie Lukas sagt, fast alle Witze aufgebaut sind. Die heißen dann zum Beispiel Dreierregel oder L-Form. Das sind Muster, auf die er zurückgreifen kann, wenn ihm sonst gerade nichts einfällt. Die Erklärung liefert er auch gleich selbst: „Du musst eine Situation etablieren, am besten so, dass es wo hinführt und dann abbiegen“, sagt er. Die überraschende Wendung macht die Szene erst witzig.
Viel hat sich laut Lukas nicht verändert, wenn er an seine Anfänge als Klassenclown oder selbsternannter Late-Night-Show-Host zurückdenkt. Allerdings, „kann ich heute von meiner Arbeit zumindest mein Zimmer bezahlen“, sagt er. Das liegt auch daran, dass Lukas viel Glück hatte, wie er sagt. Im Gegensatz zu den meisten Witze-Schreibern arbeitet er nicht als freier Angestellter, sondern fest in der Redaktion. Er wird also nicht wie viele in der Branche pro Witz bezahlt. Trotzdem: „Am Ende des Tages ist es ein Job“, sagt er.
Auch wenn es nicht jeder Mensch schafft, Witzeschreiber zu werden, ist Lukas davon überzeugt, dass in allen Menschen eine lustige Seite steckt. „Ich glaube, dass die meisten Menschen viel lustiger sind, als sie denken“, sagt er. Wer glaubt, dass er lustig genug ist und versuchen möchte, einen Beruf als Gag-Schreiber zu ergattern, kann sich nicht auf eine klassische Ausbildung verlassen. Denn der Einstieg in diesen Job ist bei allen in der Branche unterschiedlich. Eine Akademie für Witzeschreiber gibt es auch nicht. Wer denkt, er hätte das nötige Rüstzeug, „muss sehr selbstbewusst sein und sich einfach bewerben“, sagt Lukas. Auch da hatte er Glück. Durch seine Arbeit beim Ausbildungssender M 94.5 wurden Produktionsfirmen von selbst auf ihn aufmerksam.
In seinem Zimmer erinnert überraschend wenig an seinen Beruf. An den Wänden hängen keine gewollt lustigen Sprüche und die Möbel sind allesamt weiß und von Ikea. Nur ein paar Gegenstände auf seinem Kleiderschrank lassen erkennen, dass Lukas mit Witzen sein Geld verdient. Hier steht ein mit Photoshop bearbeitetes Bild, das ihn zusammen mit Harvey Weinstein zeigt – man, ist das schlecht gealtert – und ein Cowboyhut aus Plastik. Alles Andenken an vergangene Projekte. „Ich werde auch nicht aufhören, mir Andenken vom Set mitzunehmen, irgendwann wird wohl mein ganzes Zimmer voll sein mit dem Müll“, sagt er. War das ernst gemeint oder doch ein Witz? Wenn ja, war es der erste echte in den 90 Minuten.
Von Laurens Greschat