München steckt voller kleiner Geschichten. Ob in der U-Bahn, zu Hause oder auf Veranstaltungen – unsere Autorin Ornella lässt sich von diesen Geschichten treiben. Und lässt euch daran teilhaben
Manchmal frage ich mich, wie viel Zeit ich eigentlich in U-Bahnen und S-Bahnen verbringe. Vor allem im Winter, wenn ich das Fahrrad stehenlasse. Ich kann Kälte überhaupt nicht leiden. Einen Vorteil hat das aber, wenn ich U-Bahn fahre: Ich kann lesen und manchmal tauche ich so sehr ab, dass ich vergesse, dass ich aussteigen muss. Und nicht nur die Buchseiten absorbieren mich, sondern auch die Menschen, die in der U2 oder U5 oder U3 um mich herum stehen und sitzen. Es gibt doch manchmal nichts Spannenderes als Gesprächsfetzen von anderen Menschen. Und dann geht es erst richtig los: Ich spinne mir in meinem Kopf Geschichten zu diesen Leuten zusammen: Wo fahren sie hin? Was machen sie jeden Tag? Wann haben sie sich das letzte Mal einsam gefühlt?
Wenn die Allltagsroutine mich wieder so richtig im Griff hat, dann retten mich Geschichten. Die, die ich mir selbst zusammenreime aus Kleinigkeiten, die mir passieren, und die, die ich in Filmen oder Büchern finde.
Auch diese Woche flüchte ich mich in Geschichten. Am Freitag starte ich im Kösk, wo die erste Geschichte wartet, die durch Fotografie, Film und Tanz erzählt wird. „Danach – Kurzfilm, Fotoaustellung, Konzert und Tanz“ – hier wird jede Ebene des Geschichtenerzählens abgedeckt. Die Künstlerinnen Masha Mollenhauer, Noah Böhm, Cosma Joy, Sandra Julia Reils und Alexandra Paal laden zu einer Filmpremiere, einer Fotoausstellung, Konzert und Tanz ein. In ihrer Kunst teilen sie Gedanken und Gefühle über Trauma, Einsamkeit, Unsicherheit, Selbstwahrnehmung und Selbstermächtigung: Masha Mollenhauer mit der Premiere ihres Kurzfilms „ Danach“ und ihrer Fotografie, Cosma Joy durch ihre Musik mit einer Tanzperformance von Alexandra Paal.
Am Samstag stehen zwei Termine an, die ich mir nicht entgehen lassen möchte: Das junge Kollektiv FreeMindMonaco veranstaltet eine Ausstellung mit unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstlern in der Margot-Kalinke-Str. 3. Um 19 Uhr geht es los und ich weiß noch absolut nicht, was mich hier erwarten wird, aber umso besser. Wer hingehen möchte, schaut am besten auf dem Instagram Profil von FreeMindMonaco vorbei – und schreibt dem Kollektiv eine Nachricht. Dann bekommt man die Details zum Event.
Im Lucky Who findet heute außerdem ein Event von These Girls statt: Femme Fatale. Ein besonderer Abend für alle jungen Frauen aus München und Umgebung. Hier gibt es zum Beispiel einen „girls only panel talk“ zum Thema Selbstakzeptanz und Selbstliebe mit Linda Nübling. Nach dem Talk hat man die Möglichkeit sich mit anderen Frauen zu vernetzen, sich locker zu unterhalten. Leckere Drinks und Finger Food sorgen dafür, dass man den ganzen Abend über Energie hat, denn: von Mitternacht an steigt dann eine Party mit female DJs. Jungs sind nach Mitternacht übrigens auch herzlich willkommen. FEMME FATALE ist also Panel Talk, get together und Party in einem. Geschichten von Frauen für Frauen, sozusagen.
Den Sonntag verbringe ich erst einmal lesend im Bett (Lektüre aktuell: Zadie Smith – „Freiheiten“). Später treffe ich mich mit Freunden. Es gibt wieder Geschichten. Dieses Mal bewegt. Wir gehen in den Gasteig. Dort finden die Mittelmeer-Filmtage statt. Man hat hier die Möglichkeit, Filme zu sehen, die sich immer in irgendeiner Form um Menschen und Geschehnisse im Mittelmeerraum drehen. Heute Abend läuft: Poisonous Roses.
Am Montag geht es zur Alten Utting. Dort findet abends eine Lesung der Munich Bookster („Frischer Wind! Junge Texte unter Deck“) statt. Das sind Studierende der Buchwissenschaft an der LMU. Zusammen mit Münchner Autorinnen und Autoren stellen die Buchwissenschaftler deren neuen Texte vor. Dazu gibt es Live-Musik.
Der Dienstag wird poetisch. Geschichten in Versen mit einem bestimmten Rhythmus. Beim ersten Isarslam im neuen Jahr treten nicht nur Münchner Poetry-Slam Größen wie Philipp Potthast und Yannick Sellmann auf, sondern auch Slammer aus Hannover oder Duisburg.
Ich habe euch vorgewarnt, ich werde mich von Geschichten absorbieren lassen. So auch am Mittwoch, wieder auf der Alten Utting, dafür mit anderen Lesenden, wie zum Beispiel Sophia Fritz. An diesem Abend findet eine Kurzgeschichten-Lesung und die Release Party des HFF München Literatur Zines Kopierwerk statt. Los geht es um 19 Uhr im Maschinenraum der Alten Utting.
Es ist Donnerstag. Zuerst steht heute Abend unsere wöchentliche Konferenz an, in der wir uns überlegen, welche Geschichten wir euch Woche für Woche zum Lesen in die Zeitung schreiben. Im Anschluss und weil schon fast wieder Wochenende ist, packe ich mir Amelie, damit sie ein bisschen Abwechslung bekommt von ihrer Masterarbeit und wieder unter Menschen kommt, und gehe mit ihr ins Haus der Kunst. Heute Abend steigt dort eine Party in Kooperation mit dem CHARLIE: Ready for 2020 – Exhibition Opening, Concert and Party. Ich schalte mein Handy aus, tanze mit Kollegin Amelie, und ich rate meinem Kollegen Max, sein Handy auch zu Hause zu lassen, oder es aus dem SZ Hochhaus zu werfen und sich uns anzuschließen und mitzutanzen. Manchmal muss man eben auch die eigene Geschichte weiterschreiben, oder sie tanzen. Ist ja auch egal.
Freitag. Endlich Wochenende. Ich komme früher aus der Arbeit raus. Und weil ja jeder seine eigene Geschichte schreibt, schreibe ich heute an meiner weiter. Was mache ich? Ich caste potenzielle Mitbewohnerinnen. In der Hoffnung, dass ich eine geeignete Person finde, die mit meiner Leidenschaft für Tagträume und Geschichten im WG-Leben klar kommt, gehe ich am Abend noch ins Filmmuseum und sehe mir etwas von Alfred Hitchcok an. Auf dem Heimweg in der U-Bahn sehe ich mir dann wieder die Menschen in München an und male mir Geschichten zu ihren Leben aus.
Ornella Cosenza