Unsere Autorin Ornella genießt den Herbst. Bei schlechtem Wetter geht es für sie zu Kunstaustellungen oder Filmtagen, bei schönem Wetter spaziert sie durch einige ihrer Lieblingsorte in München.
Von Ornella Cosenza
An diesem Wochenende trage ich zum ersten Mal wieder einen Strickpulli. Es herbstelt in München. Während auf der Theresienwiese, nicht weit von meiner Wohnung, statt Bierzelt, Riesenrad und Rollercoaster eine Corona-Teststation zu finden ist, versuche ich meine Freizeit möglichst so zu gestalten, dass ich viel Abwechslung und wenig Menschen um mich herum habe. Eigentlich auch nicht anders als sonst, denn ich mag Menschenansammlungen sowieso nicht.
Ich schaue aus dem Fenster: grau und Regen. Heute also wohl eher kein Herbstspaziergang. Ich entscheide mich für zwei thematisch sehr unterschiedliche Ausstellungen. Ich starte am heutigen Freitag im Farbenladen des Feierwerks und sehe mir die Ausstellung „Geschlossene Gesellschaft“ an. Die Bilder, die in dieser Ausstellung zu sehen sind, wurden von Mai bis Juli 2020 während der Ausgangsbeschränkung in München aufgenommen. Sie zeigen die verlassenen Partytempel der Stadt, genauso wie verwaiste Bars und Boazn. Die zweite Ausstellung, die ich mir an diesem Tag ansehen werde, behandelt ein anderes Thema: die NSU-Morde. Im BayernForum kann man von Montag bis Freitag die Ausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“ ansehen. Besonders ist, dass hier im ersten Teil der Ausstellung der Fokus auf die Biografien der Ermordeten gelegt wird. Ein Aspekt, der viel zu oft in den Hintergrund rückt.
Auch am Samstag muss der Spaziergang noch warten. Deshalb räume ich meine neuen Bücherregale endlich ein. Vor Kurzem bin ich umgezogen und über die Hälfte meiner Bücher waren noch bei meinen Eltern gestapelt. Abends habe ich Lust auf einen Film. Im Gasteig finden gerade die Baltischen Filmtage statt und heute läuft um 20 Uhr der Film „Wonderful Losers. A different World“, ein lettischer Dokumentarfilm aus dem Jahr 2017 über den Giro d’Italia, vor allem über die Begleitmediziner bei diesem Radsportrennen.
Am Sonntag hoffe ich auf gutes Wetter. Ich bin zwar noch nie ein Wiesn-Fan gewesen und gehöre zu denen, die nicht traurig sind, dass dieses Jahr kein Oktoberfest stattfindet. Auch wenn das für die Wirte natürlich überhaupt nicht gut ist. Es gibt aber etwas, das ich seit meiner Kindheit liebe: gebrannte Mandeln. Deshalb spaziere ich zur Theresienwiese, wo der „Mandelhans“ seinen Stand trotzdem aufgebaut hat. Mandeln naschen ganz ohne Bierleichen und Lärm – ich finde das herrlich! Von der Theresienwiese aus geht es Richtung Isar, durch das Schlachthofviertel in den Südfriedhof. Hier hat man mitten in der Stadt seine Ruhe und kann sogar die Gräber berühmter Persönlichkeiten, zum Beispiel das von Carl Spitzweg, entdecken. Im Anschluss schlendere ich dann noch rüber nach Untergiesing, um mir im Rosengarten eine ruhige Ecke zu suchen und dort zu lesen.
Es gibt ein Wort, das hört man derzeit besonders oft: Krise. Um die Kultur in der Krise geht es am heutigen Montagabend auch im Volkstheater. Künstler:innen sprechen mit Politiker:innen, und versuchen Lösungen für Kunst- und Kulturschaffenden in Zeiten den Pandemie zu finden.
Am Dienstag bin ich etwas unentschlossen, aber vermutlich werde ich meine Entscheidung vom Wetter abhängig machen. Sollte es regnen, gehe ich zur Ausstellung „Carriers“ in den Kunstarkaden. Hier zeigen die sieben Münchner Künstler:innen Xenia Fumbarev, Jonghoon Im, Hyesun Jung, Stefan Kerns, Pfeifer & Kreutzer und Merlin Stadler Arbeiten, die in ihrer Gesamtheit in einer sehr gelungenen Biennale gebündelt wurden, auch wenn der künstlerische und thematische Ansatz der einzelnen Künstler:innen durchaus unterschiedlich ist. Bei gutem Wetter mache ich einen Abstecher zum Turn Table Tennis im Import Export. Wer es noch nicht kennen sollte: Turn Table Tennis ist eine monatlich stattfinde Open-Decks-Veranstaltung für DJs, ganz egal, ob erfahren oder Neueinsteiger. Während man dem Sound lauscht, kann man außerdem Tischtennis spielen. Aufgrund der aktuellen Situation gibt es hier Hygiene-Regeln, diese check ihr am besten vorher, um dann entspannt ein Tischtennis-Match starten zu können.
Wenn es am Mittwoch immer noch kalt und regnerisch sein sollte, stört mich das nicht weiter. Denn für heute habe ich wieder eine Ausstellung auf dem Programm. In der Lothringer 13 in Haidhausen startet die Ausstellung „AfroDiaspora 2.0 // presents: At the borderlines of belonging // Grenzlinien des Daseins“. Ausgehend von einer Auseinandersetzung mit Audre Lordes Worten: “If I didn’t define myself for myself, I would be crunched into other people’s fantasies for me and eaten alive” zentralisiert die Ausstellung künstlerische Positionen Schwarzer Münchner:innen anhand von Poesie, Fotografie und Videografie. Die Kunstwerke zu den Themen Identitäten, Zugehörigkeiten und Lebensrealitäten sind Ergebnisse von kollektiven und intersektionalen Aushandlungen Schwarzer Münchner Akteur:innen, Künstler:innen und Aktivist:innen. Mit dabei ist zum Beispiel auch die junge Poetry Slammerin Hanaa Abdella, über die mein Kollege Max Fluder schon berichtet hat. Abends findet außerdem ein HipHip Jam im Olympiastadion auf der Open Air Sommerbühne statt (Tickets muss man sich vorher kostenlos sichern). Mit dabei sind zum Beispiel Waseem, Amewu, Irocc und die Sankowa Crew.
Langsam neigt sich die Woche dem Ende zu, und siehe da: Heute ist schon Oktober. Ich frage mich, wo die ganze Zeit hin ist. Gut, die Monate zwischen März und Juni … was war da gleich nochmal? Ich komme mit dem Rhythmus seit Corona nicht mehr ganz mit. Um meine diffusen Gedanken zu ordnen (oder eher, um meine Gedanken ein bisschen stiller zu schalten), gehe ich ins Haus der Kunst. Dort ist der erste Donnerstag im Monat immer mit freiem Eintritt und das sogar bis 24 Uhr. Ich bin gespannt auf die Werke von Michael Armitage. Auch hier gilt natürlich: Mund- und Nasenbedeckung nicht vergessen. Vielleicht kann es zu Wartezeiten aufgrund der begrenzten Besucherzahl kommen. Ich freue mich trotzdem auf den Abend.
Das Wochenende starte ich am Freitag mit Kaffee und Kuchen im Hexenhäusl Gans Woanders in Giesing. Wenn das Wetter gut ist, fahre ich mit dem Radl nach Giesing – und vielleicht kann ich dann auch draußen sitzen. Falls nicht, ist es drinnen schön kuschlig. Außerdem lockt es mich in die Natur. Und weil ich keine Lust auf Bahnfahren habe, radle ich nach Trudering und mache eine Naturdusche im Truderinger Wald. Wenn man Glück hat, sieht man hier sogar Rehe.