Ein Banjo als Altersvorsorge

Jetzt schon an die Rente denken? Viel zu früh – aber vorstellen kann man es sich ja schon mal, wie man im Alter auf der Veranda sitzt und Banjo spielt

Wenig zu haben macht weniger Arbeit. Zumindest muss man sich dann keine Gedanken machen, ob man nicht langsam erwachsen genug sein könnte für Aktienfonds, Riester-Rente oder exotische Versicherungen abseits von Haftpflicht und Krankheitsschutz. Eine Hausratsversicherung etwa. Zwar beunruhigt es Anna ein wenig, dass, wenn sie sich ausschließt, der Hausmeister ihre Tür mit einer Drahtschlinge öffnen kann, die er durch den Briefkastenschlitz friemelt. Aber andererseits gibt es bei ihr sowieso nichts Wertvolles zu holen, um das man sich wirklich Sorgen machen müsste – geschweige denn, das es zu versichern lohnte.

Ähnlich absurd wirkt es, mit Mitte zwanzig über die Altersvorsorge nachzudenken. Was meine Pläne zur Rente betrifft, beschränken sie sich bisher darauf, mir zu überlegen, welches Instrument ich im Ruhestand lernen möchte. Vor Kurzem wurde das Akkordeon von dem Banjo abgelöst. Irgendwann sitze ich dann in einem Schaukelstuhl auf meiner Veranda, kaue auf Strohhalmen und zupfe an einem Banjo herum wie die alten Männer in Westernfilmen. 

Ich weiß, es ist noch ein bisschen hin bis zu meiner Rente. Trotzdem juckt es mich unheimlich in den Fingern, als in den Kleinanzeigen dieses Banjo auftaucht. Ein sehr schönes Banjo in einem schönen Banjo-Koffer. Zu einem nicht ganz so günstigen Banjo-Preis. Es geht mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf. Aber wenn ich genug Geld für das Banjo habe, müsste ich es dann nicht vernünftigerweise in Aktienfonds oder eine exotische Versicherung investieren? 

Am Abend klage ich Sören mein Leid, er kennt sich aus mit Aktienfonds und Geldanlage. Ein Banjo sei doch kein Neuwagen, erklärt er mir , das verliere nicht so schnell an Wert. Vielleicht könnte ich es irgendwann sogar mit Gewinn weiterverkaufen. Banjos als Wertanlage! Altersvorsorge kommt mir plötzlich ziemlich cool vor. Nur müsste – wenn ich mein WG-Zimmer in einen Banjo-Tresor umwandle – wahrscheinlich doch auch eine Hausratsversicherung her.

Susanne Krause

Frage der Perspektive

Klein sein hat auch Vorteile. Etwa, dass man nicht sieht, wie dreckig der Schirm der Deckenlampe eigentlich ist… 

Max ist groß. Er ist sogar so groß, dass er den Schirm meiner Deckenlampe von oben sieht. Ich selbst bin fast 35 Zentimeter kleiner. Ich bin so klein, dass mir noch nie in den Sinn gekommen ist, dass Deckenleuchten auch eine Oberseite haben. Bis heute, als Max mir eröffnet, dass auf dem Schirm der Küchenlampe eine dicke Fettschicht ist. 

Kleine Menschen werden gern belächelt, weil sie nicht an das oberste Regalbrett kommen, ohne dabei furchtbar albern auszusehen. Oder weil man Dinge über ihrem Kopf hochhalten kann, so dass sie nicht dran kommen und anfangen, beleidigt auf der Stelle zu hüpfen. Dabei hat klein zu sein bedeutende Vorteile: Wer klein ist und große Schränke hat, braucht keinen Keller. Ganz im Gegensatz zu Lampen ist mir bei Schränken schon länger bewusst, dass sie eine Oberseite haben. Dorthin werfe ich gerne Dinge, die ich nie wieder brauchen werde, aber nicht wegschmeißen will. Denn kaum bin ich von meinem Stuhl heruntergestiegen, sind sie auf ewig verschwunden. 

Perspektive ist eine faszinierende Sache. Heute jedoch fällt mir auf, dass ich bei der Sache mit der Perspektive ein wichtiges Detail vergessen habe: Nicht jeder Mensch hat meine Perspektive. Für Max ist die Ansammlung schmieriger und verstaubter Blumenübertöpfe auf meinem Küchenschrank gar nicht unsichtbar. 

Große Menschen sind schon arm dran: Sie stoßen sich nicht nur bei Burgbesichtigungen ständig den Kopf, sondern müssen ihren Ramsch in den Keller bringen und mit Dreck leben, der für uns platzsparend gewachsene Menschen gar nicht existent ist. Und auch wie vorbildlich sauber meine Hängeschränke von unten sind, wird Max wohl nie erfahren. Als ich ihn bitte, mir die Schere zu geben, die wenige Zentimeter vor ihm direkt unter dem Oberschrank von einem Haken baumelt, beginnt er stattdessen wie wild die ganze Küche abzusuchen. Zumindest dass Schränke auch eine Unterseite haben, kann man ab einer gewissen Größe offenbar ausblenden.

Susanne Krause

Lernen von Sokrates

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Den Geisteswissenschaften wirft man gerne vor, zu theorielastig zu sein. Dabei bringen sie einem viel übers Leben bei – etwa, dass verwirrtes Herumgeschlurfe einfach dazugehört.

Geisteswissenschaftliche Studiengänge haben den Ruf, man würde dabei nichts über das wahre Leben lernen. Mein Bruder nennt sie deshalb
gern Geisterwissenschaften. Von wegen: Sie sind überhaupt die einzigen
Studiengänge, die den demografischen Wandel unserer Gesellschaft erlebbar
machen.

Da wäre etwa Sokrates, der Seniorenstudent. Sein Alter
kennen wir genauso wenig wie seinen richtigen Namen. Sokrates spukt wie ein
Geist durch die Geisteswissenschaften. Er kommt stets zehn Minuten zu spät
gebückt in den Hörsaal geschlurft. Im Laufe der nächsten halben Stunde wechselt
er mindestens drei Mal den Platz und verlässt die Vorlesung dann, ehe sie
vorbei ist. Sokrates erinnert uns daran, dass verwirrtes Herumgeschlurfe kein
Phänomen ist, das allein Erstsemestern vorbehalten ist, sondern auch uns
irgendwann ereilen wird. Studenten technischer Fächer bleibt diese wichtige
Lektion bis ins hohe Alter verwehrt.

Nur ist das eigentlich eine Lektion, die man während des
Studiums so gar nicht auf dem Stundenplan haben möchte. Seniorenstudenten sind
deshalb nicht die beliebtesten Kommilitonen. Sie haben viel zu viel Zeit, um
alle guten Plätze zu besetzen, ehe man gerade noch pünktlich in den Saal
gehetzt kommt. Die Wartezeit nutzen sie dazu, sich abwegige Fragen auszudenken.
„Kann man Ente unter Vogel subsumieren?“, zum Beispiel. Judith und ich erinnern
uns noch sehr gut an dieses Rätsel aus dem ersten Semester.

Inzwischen hat Judith ihr Studium der Geisterwissenschaften
abgeschlossen und bewirbt sich für die Promotion. Währenddessen spukt sie an
der Uni herum. Wir hätten wohl nie gedacht, dass es so schnell gehen kann, aber
Judith ist schon mit Mitte zwanzig zur Seniorenstudentin geworden: Sie sitzt in
ihrer Freizeit auf einem der guten Plätze in einem Literaturseminar über
Menschenfresser und rollt fleißig mit den Augen, wann immer Studenten völlig
abwegige, zeitverschwendende Fragen stellen: Wann die Prüfung sei, zum
Beispiel. Wen interessiert gleich noch mal das wahre Leben?

Von Susanne Krause

Backe, backe Masterplatz

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Es klingt nach einem Masterplan: Wer wieder im Hotel Mama eincheckt, sollte genügend Zeit haben, um die Abschlussarbeit zu schreiben. Wenn da nur nicht der Backofen wäre… 

Ein Haus, das man nicht putzen muss, zudem Vollpension und Wäscheservice: Sich für die Abschlussarbeit wieder zu Hause einzuquartieren, klang für Leonie nach idealen Voraussetzungen für konzentriertes Schreiben. In ihrem Freundeskreis ist sie nicht die Erste, die für die Bachelorarbeit im Hotel Mama eincheckt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Es geht keine Zeit für Waschen, Putzen, Kochen und Einkaufen drauf. Noch dazu bietet die Einöde rund um Leonies Elternhaus wenig Möglichkeiten, sie von ihren sorgfältigen politischen Analysen abzuhalten. Soweit der Plan, legt Leonie mir dar. Jetzt muss sie nur noch anfangen zu schreiben.

Als wir uns das nächste Mal treffen, schenkt Leonie mir drei Kekse. Es sind nicht irgendwelche Kekse, es sind Kalligrafie-Kekse: Schneeflocken von perfekt gleichmäßiger Dicke, die mit einem komplizierten, exakt symmetrischen Muster aus weißem Guss und aufgeklebten Zuckerkügelchen überzogen sind. Natürlich sind es drei verschiedene Schneeflocken, wir wissen ja: Keine Schneeflocke gleicht der anderen. Sonst wäre Leonie wahrscheinlich auch zu schnell fertig geworden mit ihrem Prokrastinationsgebäck.

Es ist ein ungeschriebenes Gesetz: Hausarbeit scheint niemals so dringend zu sein wie dann, wenn man eigentlich fundierte wissenschaftliche Gedanken zu Papier bringen sollte. Die meisten Studenten verbringen dann den Großteil ihrer Zeit damit, Fenster zu putzen oder die Armaturen zu entkalken. Da Leonies Elternhaus weder genug verkalkte Hähne noch verschmierte Fenster hergibt, muss sie eben backen. Ziemlich dringend, natürlich – Politik muss warten, wenn der Spritzbeutel ruft! Leonies Fähigkeiten im Dekorieren von Gebäckstücken entwickeln sich sehr viel schneller weiter als das unliebsame Dokument auf ihrem Laptop.

Nur ihr schlechtes Gewissen kann in der Wachstumsrate gerade noch so mithalten. War da nicht eigentlich ein Masterplatz und eine Karriere, auf die sie hinarbeitet? Ich beruhige Leonie und verweise auf unseren gemeinsamen Plan B: ein Café eröffnen. Dafür bereitet sie sich gerade mustergültig vor. Und wenn sie weiter zu Hause wohnt, kann man davon irgendwann vielleicht sogar leben.

Von Susanne Krause

Tiefkühlpizza zum Frühstück

Bei Krause zu Hause: Die Anonymität der Großstadt ist für niemanden faszinierender als für Menschen, die in der Provinz aufgewachsen sind. Oder: Nur Menschen vom Land sind so naiv, sich davon Positives zu erwarten.

Mamas stecken mit der Föhn-Lobby unter einer Decke: Für beide sind nasse Haare das Übel schlechthin. Gemeinsam erhalten sie den Mythos, dass Erkältungsviren nicht etwa über die Atemwege oder Schleimhäute, sondern bei kaltem Wetter über nasse Haarspitzen in den Körper gelangen. Zum Glück sieht Mama nicht, dass ich mit nassen Haaren Semmeln holen gehe.

Dafür meckert die Bäckereiverkäuferin, ich solle nicht mit feuchten Haaren nach draußen. Davon bekomme ich – nein, keine Erkältung, sondern: Kopfschmerzen. Nicht sofort, aber so in zehn Jahren. Wie man über eine so lange Zeitspanne ausmachen kann, dass meine Kopfschmerzen gerade auf diesen Samstagmorgen zurückzuführen sind, ist mir schleierhaft. Ich lächle nett, während mir die Verkäuferin erläutert, warum junge Menschen nie auf gute Ratschläge hören. Und ich naives Ding vom Dorf habe einmal geglaubt, dass mich, sobald ich von daheim aus- und in die Stadt gezogen bin, niemand mehr belehrt, ich solle nicht mit nassen Haaren ins Freie gehen.

Wenigstens kann die Verkäuferin es nicht meiner Mutter stecken – das wäre auf dem Dorf längst passiert. Warum auch sonst sollte es uns Landkinder irgendwann in die Stadt getrieben haben, wenn nicht für die Freiheit, dienstags am Nachmittag in Badelatschen zum Supermarkt an der Ecke zu schlurfen, um Tiefkühlpizza und Red Bull zum Frühstück zu kaufen – und das völlig unbehelligt von der Föhn-Lobby! Die Anonymität der Großstadt ist für niemanden faszinierender als für Menschen, die in der Provinz aufgewachsen sind. Während ich auch nach jahrelanger Abwesenheit im Dorfladen meiner Heimat dazu aufgefordert werde, mir etwas aus den Süßigkeitengläsern auszusuchen – und das mit Mitte zwanzig! –, ignoriert der übellaunige Besitzer des Pizzaservices unter meiner Wohnung in Giesing meinen Stammkunden-Status rigoros. So rigoros, dass ich mir einreden kann, so oft husche ich doch gar nicht im Schlafanzug nach unten, um mir überteuerte Erdnussflips zu kaufen. Über nasse Haare schimpft er übrigens nie. Ein wenig einsam fühle ich mich ja da schon. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es nicht lange, bis man sich plötzlich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“. Weitere Kolumnen gibt es hier.

Suche Zimmer, keine Liebe

Nein, man ist kein schlechter Mensch, wenn man Leute, die man zum ersten Mal sieht, ihren Namen tanzen lässt. Ist doch deren Schuld – sie wollen schließlich das WG-Zimmer haben…

Selbstpräsentation ist alles. Das gilt für Vorstellungsgespräche. Das gilt für Flirtversuche und erste Dates. In München gilt dieser Slogan jedoch insbesondere für die Beschaffung von Wohnraum. Denn Singles und Jobs gibt es hier ja quasi im Überfluss – Zimmer, in die man diese Singles nach Feierabend auf einen Kaffee einladen könnte, sind jedoch rar.

Zu allem Überfluss ist es viel schwieriger, sich als idealer Mitbewohner zu präsentieren, als den perfekten Bewerber für Büro, Beziehung oder Bettgeschichte zu geben. Denn die Ansprüche an den Lover, Liebsten oder Lohnbuchhalter sind meist sehr viel klarer umrissen. Als Mitbewohner hingegen muss man oft recht widersprüchliche Eigenschaften vereinen: ein locker-cooler Typ sein, der sich strikt an den Putzplan hält, etwa. Oder eine partyfreudige Wochenendheimfahrerin, die eine Waschmaschine in die Wohnung mitbringt. Klar ist eigentlich nur eins: Dass man als Mitbewohner unkompliziert sein muss. Da steht man dann also in einer fremden Küche, lächelt nett und versucht möglichst unkompliziert zu wirken, um bald ein Fach in diesem Kühlschrank zu ergattern – aber auch nicht so unkompliziert, dass sich nach Abzug des zwanzigsten Interessenten überhaupt niemand mehr an einen erinnert. Eigentlich ziemlich hoffnungslos.

Viele Menschen, die Zimmer vergeben, haben deshalb schnell erkannt, dass Besichtigungen und WG-Castings kaum dazu taugen, den idealen Mitbewohner ausfindig zu machen und sie zu reinen Spaßveranstaltungen erklärt. Warum sonst sollte etwa Anne auf einer Besichtigung ein Selbstporträt anfertigen, wenn nicht, damit ihre potenziellen neuen Mitbewohner endlich all die Allmachtsfantasien ausleben konnten, für die sie bisher nie das passende Druckmittel hatten. Nach all den frustrierenden Stunden, die man als Münchner bereits auf Wohnungsbörsen und WG-Besichtigungen verbracht hat, ist eigentlich das Einzige, was zumindest im Nachhinein ein wenig Genugtuung verschafft, einmal im Leben selbst Horden verzweifelter Wohnungssuchender dazu anzustiften, Bier zur Besichtigung mitzubringen und sie dann ihren Namen tanzen zu lassen. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es nicht lange, bis man sich plötzlich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“. Weitere Kolumnen gibt es im Internet unter der Adresse http://jungeleute.sueddeutsche.de/tagged/ Bei-Krause-zu-Hause

Fürs Leben verlernen wir

Wie war das gleich mit der Zellteilung? Und dem Subjonctif? Wenn die minderjährigen Erstsemester in die Hörsäle strömen, merkt so mancher Mittzwanziger, wie viel er schon vergessen hat.

Nach dem Abitur sagte ein Lehrer zu Johannes, jetzt habe er die höchste Allgemeinbildung. Von nun an gehe es nur mehr bergab. Klingt völlig absurd. Wozu dann all die Mühe? Wozu noch ein Studium? Und doch: Es stellt sich als wahr heraus. Das Leben und vor allem das Studium lehrt uns zwar viel, der französische Subjonctif, das Schalenmodell des Atoms und die sechs Phasen der Zellteilung sind jedoch bald so passé, dass es als Leistung zählen kann, sich überhaupt noch zu erinnern, dass man dieses Wissen einst besessen hat. Die Sehnsucht, wie einfach in der Schule doch alles war, stammt also daher, dass nach profunder Lernstoff-Amnesie Erinnerungen an eine Zeit bleiben, in der man Freistunden mit Süßigkeiten am Kickertisch verbracht hat.

So wohlwollend Mittzwanziger sich ihre eigene Schulzeit ausmalen, so unbarmherzig trifft es die nachfolgende Schülergeneration. Sie ist uns unheimlich. Da wären diese minderjährigen Erstsemester an unseren Unis, die uns – G8 sei Dank – bereits bei Studienbeginn eine wichtige Erfahrung der Arbeitswelt voraus haben: das erste Burnout. Und dann sind da noch diese Schwärme von Kindern, die – obwohl sie uns nur bis zum Bauch gehen –, bessere Smartphones haben als wir. Ein bisschen Mitleid schwingt mit: Sie haben nie „Räuber und Gendarm“ im Innenhof gespielt wie wir einst (also, wenn wir wieder Fernseh- und Game-Boy-Verbot hatten). Wahrscheinlich überwiegt jedoch der Neid, dass sie mit ihren kleinen Fingern Touchpads viel effektiver bedienen können und noch nicht vergessen haben, welche Tiere Winterschlaf halten.

Als ich letztens beim Deutschen Museum in eine Wandertagshorde gerate, fragt mich ein blonder Junge, was ich am Samstagabend vorhabe. Warum? Er würde gern mit mir essen gehen. Sein Freund – er deutet nach rechts – sei zwar schwul, er aber noch frei. Zugegeben: Vom Interesse jüngerer Männer fühle ich mich geschmeichelt. Solange sie noch nicht ausgewachsen sind, erkundige ich mich aber nach dem Alter. Er ist elf. „Frag mich in zehn Jahren noch mal“, rufe ich ihm zum Abschied zu. Zu spät fällt mir ein, welche Chance ich mir damit verbaut habe: in sieben Jahren endlich mal wieder mit einem Mann mit bester Allgemeinbildung auszugehen. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.

Krumme Dinger

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Kampf gegen den Schönheitswahn: Zwei junge Münchner Projekte setzen sich mit verschiedenen Ansätzen dafür ein, dass auch ungewöhnlich geformtes Obst und Gemüse seinen Weg auf den Teller findet.

Möglichst glatte Haut, nicht zu viele Rundungen, Normalgröße – der Schönheitswahn macht auch vor Gemüse keinen Halt. Für Normabweichler hat das drastische Konsequenzen: Zu kleine Kartoffeln werden untergepflügt, krumme Gurken aussortiert, mehrbeinige Karotten in Biogasanlagen verheizt. In München setzen sich derzeit zwei Projekte intensiv mit diesem Thema auseinander – auf ganz unterschiedliche Weise: Ugly Fruits gründet einen gemeinnützigen Verein, um Aufklärungsarbeit zu betreiben, Etepetete hingegen macht als GmbH unförmig gewachsenes Gemüse zum Geschäftsmodell.

Stefan Kukla, 23, hat bei seiner Recherche für Ugly Fruits mit vielen gesprochen: mit Groß- und Kleinbauern, Verbänden, Handelsvertretern und Konsumenten. Ursprünglich führte der Student diese Recherchearbeit durch, um ein funktionierendes Geschäftsmodell zu entwerfen, wie die „hässlichen Früchte“ doch ihren Weg in die Supermarktregale finden könnten. Stefan Kukla und Linda Martin, seine Kommilitonin im Fach „Management nachhaltiger Innovationen“, knüpfen damit an das Projekt dreier Berliner Designer an, die als Diplomarbeit medienwirksame Kampagnen gegen die Verschwendung der Ernte entworfen hatten – diese dann jedoch zugunsten der Gründung einer eigenen Agentur in der Schublade verschwinden ließen.

Nach vielen Gesprächen rund um das Problemgemüse steht für Stefan jedoch fest: „Es lohnt sich nicht, etwas auf den Markt zu schmeißen, ehe das Bewusstsein dafür gebildet ist.“ Die meisten Menschen, mit denen er gesprochen hat, fänden diese Art von Lebensmittelverschwendung zwar „irrsinnig“, sobald man sie ihnen darlege. Von sich aus hätten sie jedoch wenig Problembewusstsein. Stattdessen werde der Schwarze Peter hin- und hergeschoben: Verbraucher verweisen auf EU-Normen gegen krumme Gurken, die bereits 2009 abgeschafft wurden. Supermärkte berufen sich auf die Ansprüche der Kunden. „Bei den Handelsvertretern kam ich mir immer vor wie ein Zeuge Jehovas, der ihnen einen Wachturm andrehen wollte“, erzählt Stefan – und das, obwohl eine französische Supermarktkette gerade mit der Kampagne „inglorious fruits and vegetables“ Erfolg hat. Kreative Marketingkampagnen und Rabatte sorgten dafür, dass das zum Antihelden stilisierte Abweichler-Gemüse in manchen Märkten sogar ausverkauft war. Bis sich solche Szenen hierzulande abspielen, sieht Ugly Fruits noch Aufklärungsbedarf.

Auf der Abschlussveranstaltung der Startrampe, einem Förderprogramm für gemeinwohlorientierte Projekte, das auch Ugly Fruits unterstützt, verkündet Stefan schließlich der versammelten nachhaltigen Szene Münchens die Kehrtwende: „Warum machen wir eigentlich eigenbrötlerisch unser Ding? Gründen wir doch einen Verein!“ Statt selbst Gemüse zu vertreiben, soll nun Ziel sein, Aufklärungsarbeit zu leisten und bestehende Initiativen besser zu vernetzen.

Während Ugly Fruits sich – zumindest vorerst – der Aufgabe widmet, die Gesellschaft für die Problematik zu sensibilisieren, sind die Gründer von Etepetete überzeugt, dass bereits jetzt der richtige Zeitpunkt ist, das Thema von der wirtschaftlichen Seite anzugehen. Die jungen Männer wollen Ausschussobst und -gemüse von Höfen aufkaufen und als Abo-Öko-Kiste sowie weiterverarbeitet als vegane Soßen und Suppen an den Kunden bringen. Auch sie sind überzeugt: „Wenn man wirklich etwas bewegen will, muss man beim Gemüsegärtner ansetzen.“ Anfang nächsten Jahres sollen ihre Produkte auf den Markt kommen. Bis dahin werden die drei Teammitglieder unzählige Gespräche geführt und viele Nachtschichten beim Gemüseschälen in der angemieteten Großküche geschoben haben.

Die Unternehmensgründer von Etepetete selbst passen in so gar keine Öko-Kiste: Carsten Wille und Chris Hallhuber, 25, studieren BWL, Georg Lindermair, 24, ist Immobilienkaufmann. Noch verfolgen die drei ihre Pläne nebenbei. Langfristig wollen sie das krumme Gemüse zum Beruf machen, einem, der „Sinn, Lust und Spaß macht“, wie Georg es ausdrückt. Damit knüpfen Carsten und Georg (Foto: Carolin Galler) an einen Plan an, der bis in die gemeinsame Schulzeit zurückreicht: „Wir wollten schon immer etwas zusammen auf die Beine stellen“, erzählt Carsten. Durch eine Dokumentation seien sie auf das Thema Lebensmittelverschwendung aufmerksam geworden und hätten nach einigen Überlegungen die Geschäftsidee entwickelt.

In erster Linie sind die jungen Männer Unternehmer. In der GmbH steckt schließlich viel Erspartes, Geld von Freunden und Familie und – so hoffen die Gründer – bald auch Investitionen durch eine Crowdfunding-Aktion. Dennoch wirken Georg und Carsten unsicher, wo sie sich auf der Skala zwischen Überzeugung und Profit positionieren sollen, um erfolgreich zu sein. Hin und wieder rudern sie bei Aussagen zurück, sind besonders wachsam, nicht aufgrund ihres kaufmännischen und betriebswirtschaftlichen Hintergrunds in eine Schublade gesteckt zu werden. Fest stehe jedoch für sie, dass ein solides Geschäftsmodell die Basis dafür sei, etwas zu bewegen: „Wenn wir wirklich der tonnenweisen Verschwendung entgegentreten wollen, macht das nur Sinn, wenn wir uns das Ziel setzen, im großen Stil zu wirtschaften. Und natürlich langfristig als Firma bestehen“, erklärt Carsten.

Peter Sutor, Leiter des „Instituts für Ernährungswirtschaft und Märkte“ in der Bayrischen Landesanstalt für Landwirtschaft, begrüßt die Verwendung von Gemüse mit Schönheitsfehlern. „Die Verbraucher wissen oft nicht, wie naturbelassene Ware ausschaut und lehnen sie in der großen Masse ab“, sagt der Diplom-Agraringenieur. Er sieht in der Arbeit von Ugly Fruits und Etepetete daher eine Erziehungsmaßnahme zu einer größeren Wertschätzung von Nahrungsmitteln. Das Hauptproblem im Bezug auf Lebensmittelverschwendung verortet er jedoch in Privathaushalten, nicht auf dem Feld. Um die Vergeudung zu reduzieren, müssten, so Sutor, vor allem die Verbraucher weniger Obst und Gemüse wegwerfen – es macht laut einer Forsa-Umfrage in Deutschland mehr als 40 Prozent der Haushaltsabfälle aus, die sich zumindest teilweise vermeiden ließen.

Rettung benötigen nicht nur die dreibeinige Karotte auf dem Feld, sondern vor allem die überreifen Tomaten zu Hause im Schrank. Gerade die Arbeiten der Designer von Ugly Fruits zeigen jedoch: Als Galionsfigur einer Bewegung für weniger Verschwendung eignen sich exzentrisch geformte Rüben weit besser als angedrückte Norm-Tomaten. Susanne Krause

Gemüsefotos: Lauthals, Ugly Fruits

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GUTES TUN IN MÜNCHEN – 4 PROJEKTE

Nachhaltig: rehab republic
Auf Probleme im Bereich Nachhaltigkeit aufmerksam machen und Handlungsalternativen aufzeigen – aber nicht als Moralapostel, das ist das Ziel von rehab republic. Der Münchner Verein hat schon „Schnibbelpartys“ und „Clubmobs“ organisiert, schickt sogar T-Shirts um die Welt. Für dieses Engagement ist das Team gerade mit einem Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet worden.

Gönnerhaft: Swop
Ein Charity-Flohmarkt zum Mitnehmen – oder kurz: Swop. Sechs junge Münchner haben die App entwickelt, dem aktuellen Verschenk-Trend folgend: Über die Plattform kann jeder gebrauchte Dinge verschenken, anstatt sie wegzuwerfen, und sich natürlich auch selbst beschenken lassen. Gegen eine kleine Spende, das ist der Clou, der Swop gleich doppelt weltretterlich macht.

Wegweisend: alternativ unterwegs
Kein normaler Stadtführer sondern eher ein veganer: „alternativ unterwegs“. Amelie Bauer und Fabian Lieke wollen mit ihrem Team alternative Lebensgestaltung in München leichter machen. Online und bald auch gedruckt präsentieren sie zum Beispiel Bioläden, Flohmärkte und eben vegane Restaurants. Die Redaktionssitzungen finden in einer Gartenlaube statt – alles alternativ.

Kollektiv: Fairteiler
Foodsharing, ganz analog. Fair-Teiler sind Orte, an denen Lebensmittel verschenkt werden können. Offline, real, inzwischen auch mehrfach in München. Im Prinzip ist so ein Fair-Teiler eine kollektive Speisekammer, aus der sich jeder bedienen kann. Das Ziel ist naheliegend: Lebensmittelverschwendung vermeiden, stattdessen lieber Essen neu „fairteilen“.

Geschirr spülen 2.0

Könnten schon bald Roboter die Weltherrschaft an sich reißen? Etwas dubios ist er jedenfalls, der Staubsaugroboter von Johannes und Verena.

Das goldene Zeitalter des Buchdrucks neigt sich dem Ende zu. Wenn das Gutenberg wüsste: In meinem Freundeskreis sind Verena und Johannes die einzigen, die noch gedruckte Lexika verwenden – aber auch nur, weil die Online-Version nicht dazu taugt, sie unter die Sofa-Beine zu schieben. Warum das gesammelte Wissen der Menschheit unter ihren Couch-Füßen lagert? „Weil der Staubsaugroboter sonst nicht unters Sofa passt“, erklärt Johannes.

Für mich hat ein Staubsaugroboter mehr etwas von einem Zwergpinscher als von einem Haushaltsgerät: Er dackelt planlos durch die Wohnung, hinterlässt dabei schon mal Dreck in den Ecken und muss regelmäßig entleert werden. Klar, Besen sind in etwa so old school wie der Brockhaus in Leinen, aber bis jetzt haben sie meine Wohnungen noch immer recht sauber gehalten. Wenn es nach meinem Mitbewohner ginge, hätten wir jedoch einen Haushaltsroboter. Nicht nur zum Saugen, sondern auch zum Entkalken von Armaturen und zum Fensterputzen. Fürs Erste ist Sören aber auch damit zufrieden, wenn ich das übernehme. Während ich das Geschirr spüle, führt er mit Max am Küchentisch Debatten über Roboter. Genauer gesagt über Baxter. Baxter kostet nicht viel mehr als ein Mittelklassewagen und lässt sich ohne große Programmierkenntnisse darauf abrichten, einfache Fließbandarbeiten zu verrichten – oder „Vier gewinnt“ zu spielen. Ob er auch den Abwasch erledigen könnte, frage ich von der Spüle. Die Roboterfraktion am Tisch schüttelt den Kopf. Nein, viel zu kompliziert. Max zeigt mir Videos, auf denen Baxter Kaffee kocht und T-Shirts faltet. Für jemanden, der Fließbandarbeit verrichten soll, ist der Roboter ziemlich lahm.

Da wir jedoch gerade noch darüber philosophiert haben, wie viel passiert ist, seit wir pixelige Spiele auf backsteinförmigen Handys für den letzten Schrei hielten, wirkt es gar nicht besonders utopisch, dass bald Androiden unsere Tassen spülen. Sören ist sogar überzeugt, dass sich Roboter in naher Zukunft darauf so sehr weiterentwickeln, dass sie die Menschheit als unnötige Dreckverursacher entlarven und bekämpfen. Klingt gruselig, aber immerhin: So hoch entwickelte Wesen leiten vielleicht – nachdem sie uns aus unseren Wohnungen vertrieben haben – endlich eine Renaissance des Buches ein. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.

Striptease für 90 Euro

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Mietminderung, Striptease, kein Internet, Mieterhöhung. Es ist schon so eine Sache mit den Renovierungen.

Zuerst war da das Geld: Neunzig Euro weniger Miete im Monat müsse ich ihm in den nächsten drei Monaten zahlen, erklärt mir mein Mitbewohner – Mietminderung wegen der Renovierungen am Haus. Mein erster Gedanke: Yeah, mit neunzig Euro mehr im Monat kann man ziemlich viel Schokolade, Cocktails und Kinobesuche finanzieren. Und ich bin eh den ganzen Tag unterwegs, was stört da das bisschen Baustelle. Als ich am nächsten Morgen nur in Unterwäsche meinen Vorhang aufziehe, um auf das Thermometer an meinem Balkon zu schauen, zucke ich zusammen: Ich bin nicht allein. Das Gerüst ist bereits so weit hochgezogen, dass die Bauarbeiter auf Höhe meiner Fenster stehen. Ich ziehe den Vorhang schnell wieder zu. Aber okay: Neunzig Euro für zwei Sekunden strippen ist ja ein faires Preis-Leistungsverhältnis.

Sören kann über all das noch gut lachen – sein Fenster ist nach hinten raus, da passiert noch nicht viel. All das ändert sich an dem Abend, als ich im Treppenhaus den Zettel mit der Aufschrift „Wir stellen morgen mal kurz das Licht im Hausflur ab“ nur mithilfe meiner Handybeleuchtung lesen kann. Als ich schließlich im Dunkeln den Schlüssel in die Wohnungstür gefriemelt habe, empfängt mich mein Mitbewohner mit der Nachricht, dass die Bauarbeiter nicht nur das Licht im Treppenhaus, sondern auch das Internet lahmgelegt haben. Sören nennt sie übrigens nicht „Bauarbeiter“, er benutzt Namen, die man an dieser Stelle nicht drucken kann. Ohne Internet ist Sören nur noch ein Drittel Mensch und verliert außerdem stündlich Geld, weil er nicht an seinen Internetfirmen basteln kann. Das Gegenteil von meinem 90-Euro-Strip also.

Sören fährt zum Internetanschluss seiner Eltern, während ich mit einem Kochlöffel meinen Rosmarin in Sörens Sektkühler umtopfe – mein Balkonkasten muss laut Baugesellschaft plötzlich ganz dringend verschwinden. Neunzig Euro wirken plötzlich gar nicht mehr wie viel Schokolade, Cocktails und Kinobesuche. Vor allem weil wir ahnen: Sobald die Bauarbeiter unser Haus fertig demoliert, äh, renoviert haben, wird das als Anlass für eine Mieterhöhung genommen. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.