Suche Zimmer, keine Liebe

Nein, man ist kein schlechter Mensch, wenn man Leute, die man zum ersten Mal sieht, ihren Namen tanzen lässt. Ist doch deren Schuld – sie wollen schließlich das WG-Zimmer haben…

Selbstpräsentation ist alles. Das gilt für Vorstellungsgespräche. Das gilt für Flirtversuche und erste Dates. In München gilt dieser Slogan jedoch insbesondere für die Beschaffung von Wohnraum. Denn Singles und Jobs gibt es hier ja quasi im Überfluss – Zimmer, in die man diese Singles nach Feierabend auf einen Kaffee einladen könnte, sind jedoch rar.

Zu allem Überfluss ist es viel schwieriger, sich als idealer Mitbewohner zu präsentieren, als den perfekten Bewerber für Büro, Beziehung oder Bettgeschichte zu geben. Denn die Ansprüche an den Lover, Liebsten oder Lohnbuchhalter sind meist sehr viel klarer umrissen. Als Mitbewohner hingegen muss man oft recht widersprüchliche Eigenschaften vereinen: ein locker-cooler Typ sein, der sich strikt an den Putzplan hält, etwa. Oder eine partyfreudige Wochenendheimfahrerin, die eine Waschmaschine in die Wohnung mitbringt. Klar ist eigentlich nur eins: Dass man als Mitbewohner unkompliziert sein muss. Da steht man dann also in einer fremden Küche, lächelt nett und versucht möglichst unkompliziert zu wirken, um bald ein Fach in diesem Kühlschrank zu ergattern – aber auch nicht so unkompliziert, dass sich nach Abzug des zwanzigsten Interessenten überhaupt niemand mehr an einen erinnert. Eigentlich ziemlich hoffnungslos.

Viele Menschen, die Zimmer vergeben, haben deshalb schnell erkannt, dass Besichtigungen und WG-Castings kaum dazu taugen, den idealen Mitbewohner ausfindig zu machen und sie zu reinen Spaßveranstaltungen erklärt. Warum sonst sollte etwa Anne auf einer Besichtigung ein Selbstporträt anfertigen, wenn nicht, damit ihre potenziellen neuen Mitbewohner endlich all die Allmachtsfantasien ausleben konnten, für die sie bisher nie das passende Druckmittel hatten. Nach all den frustrierenden Stunden, die man als Münchner bereits auf Wohnungsbörsen und WG-Besichtigungen verbracht hat, ist eigentlich das Einzige, was zumindest im Nachhinein ein wenig Genugtuung verschafft, einmal im Leben selbst Horden verzweifelter Wohnungssuchender dazu anzustiften, Bier zur Besichtigung mitzubringen und sie dann ihren Namen tanzen zu lassen. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es nicht lange, bis man sich plötzlich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“. Weitere Kolumnen gibt es im Internet unter der Adresse http://jungeleute.sueddeutsche.de/tagged/ Bei-Krause-zu-Hause