Vertraute Töne

image

Dudelsack, Trompete oder Klavier: In der Stadt erfährt man von seinen Nachbarn oft nur, wann sie worauf welche Lieder erklingen lassen. 

Der Inhaber der Dönerbude unter Rosalis Wohnung ist neidisch. Wenn das Dudelsackgedudel beginnt, kann Rosali sich ihre Doktorarbeit unter den Arm klemmen und damit in die Staatsbibliothek umziehen. Er selbst kann leider nicht seinen Dönerspieß schnappen und ihr folgen. Er ist den Musikübungen des Nachbars hilflos ausgeliefert.

In der Stadt weiß man für gewöhnlich nicht viel von seinen Nachbarn, aber man weiß, welche Instrumente sie spielen – leider meist erst nachdem man eingezogen ist. Ich selbst habe Glück: Über mir spielt nur jemand sehr professionell Klavier. Max’ Wohnheimnachbar hingegen übt nicht ganz so versiert Marschlieder auf seiner Trompete – und das bevorzugt am frühen Morgen oder späten Abend. Blasinstrumente sind sowieso besonders gefährlich. Ich werde nie verstehen, warum man Grundschulkinder massenweise Blockflöte lernen lässt – das einzige Instrument, das nicht mal dann gut klingt, wenn man es auch wirklich spielen kann.

Wie gesagt: In der Stadt erfährt man von seinen Nachbarn oft nur, wann sie worauf welche Lieder erklingen lassen. Trotzdem hat man bald das Gefühl, sehr viel mehr über diese Menschen zu wissen. Das beginnt beim Geschlecht: Max und Rosali sprechen im Bezug auf die Dudelsack- und Trompetenklänge immer unmissverständlich von ihrem Nachbarn im Maskulin, ich hingegen habe – gar nicht mal bewusst – beschlossen: Die melancholischen Klavierstücke von oben stammen von einer jungen Frau. Inzwischen bilde ich mir ein, ihr Lieblingslied zu kennen und Rückschlüsse auf ihre Stimmung ziehen zu können. Eigentlich sind wir fast schon alte Freundinnen.

Und dann kommt der Putzlappen. Oh, dieser wundervolle Putzlappen, der aus ihrer Wohnung segelt und auf dem Fensterbrett meines Mitbewohners landet – endlich ein Anlass zum Klingeln! Die Rückkehr meines Mitbewohners bringt jedoch die Ernüchterung. Ein Mann habe aufgemacht, sagt er, sehe ein bisschen aus wie ein Rocker. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

image

Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.

Bitte noch einmal „Atemlos“

Über 40 Leute sind zur ersten Probe des Chors „Anchora“ aus Freising gekommen. Im Programm hat der Jazz- und Pop-Chor unter anderem Lieder von den Backstreet Boys und den Monday Tramps. Ein Interview mit dem Chorleiter Lukas Maier.

Freising – Lukas Maier, 23, hat gemeinsam mit Mimi Neumair, 24, vor einem Jahr in Freising das junge Chor-Projekt „Anchora“ ins Leben gerufen. Er arrangiert die Stücke und sitzt am Klavier, sie dirigiert. Das Konzept ist einfach, der Andrang jedoch so groß, dass die beiden Musik-Lehramtsstudenten sich inzwischen zu einem Aufnahmestopp gezwungen sehen.

SZ: Ihr leitet einen kostenlosen Chor für junge Menschen – eigentlich nichts Ungewöhnliches. Wie erklärt ihr euch den riesigen Ansturm?
Lukas Maier: Ganz ehrlich: Wir können uns das selbst nicht erklären. Die erste Probe haben wir nur über Facebook angekündigt, und es kamen schon 40 Leute. Und von Woche zu Woche wurden es mehr. Bei 100 Mitgliedern mussten wir irgendwann sagen: Okay, piano, mehr geht nicht.

Was bringt all diese Menschen zu euch?
Die meisten unserer Mitglieder haben das musische Gymnasium in Freising besucht, an dem wir beide unseren Abschluss gemacht haben. Das sind Menschen, die neun Jahre lang Musik als Hauptfach hatten.

… und dann nach dem Abschluss plötzlich nicht mehr musizieren?
Genau. Mimi und ich haben nach dem Abitur an der Schule als Assistenz für die Chorwochen gearbeitet und kennen deshalb Ehemalige aus ganz verschiedenen Jahrgängen. Bei einigen habe ich mir gedacht, dass sie später Musik zum Beruf machen würden. Aber viele studieren jetzt etwas ganz anderes, kommen nicht mehr zum Singen oder finden einfach nicht den Chor, der sie anspricht.

Und ihr wollt diese Lücke schließen.
Als Chor-Assistenz konnten wir beide viel Erfahrung sammeln. Das hat uns das Selbstbewusstsein gegeben zu sagen: Okay, jetzt probieren wir es.

Was ist bei euch so anders als an anderen Chören?
Viele Mitglieder sagen, es sei viel ansprechender, wenn Menschen im eigenen Alter den Chor leiten – professionell, aber auch locker – und sich jeder direkt mit einbringen kann. Ich kann die allgemeine Stimmung bei den Proben aufgreifen und Arrangements nach Geschmack des Chores umsetzen. So kam es auch dazu, dass ich mich irgendwann der Mehrheit gebeugt habe und „Atemlos“ von Helene Fischer arrangiert habe.

Wirklich? Die wollen allen Ernstes Helene Fischer singen?
Ja, das liebt der Chor. Ich werde nicht zulassen, dass wir das in unser nächstes Konzert einbauen, das ist für mich als Musiker zu demütigend. Aber das ist immer das Zuckerl am Ende der Proben: „Dürfen wir noch einmal Helene Fischer rocken?“ – „Ja, okay …“

Wie sieht euer Repertoire abseits von Helene Fischer aus?
Wir sind ein Jazz- und Popchor. Bei unserem ersten Konzert haben wir zum Beispiel Backstreet Boys, den Pokémon-Titelsong und das Volkslied „Die Gedanken sind frei“ in komplett neuer Fassung gesungen – aber auch ein Arrangement der Münchner Band Monday Tramps.

Interview: Susanne Krause

Neuland

image

Wie Physik funktioniert, erklärt  Moderator und Physikabsolvent Philip Häusser, 26, bald im neuen Format Gr!ps auf ARD-alpha. Das ist allerdings nur eines seiner Projekte, ab Oktober promoviert er in Computer Science.

„Wenn man ein Jahr weg war, ist es gar nicht so leicht, wieder durchzustarten“, sagt Philip Häusser über das Fernsehbusiness. Dabei übernimmt der 26-Jährige nach seinem Physikmaster in den USA nicht nur wieder seine Moderatorenrolle bei dem RTL-Jugendwissensmagazin Yolo, sondern hat bereits die erste Folge für ein neues Format abgedreht: In Gr!ps erklärt er demnächst auf ARD-alpha, wie Physik funktioniert. Selbst beschreibt Philip Häusser das Format als „Telekolleg in jung und cool“: „Wir wollen die Experimente machen, die für den Unterricht zu aufwendig und gefährlich sind“, erklärt der Physikabsolvent, der die Folgen nicht nur präsentiert, sondern auch inhaltlich mit vorbereitet. Von Oktober an widmet er sich erst einmal weiterhin hauptberuflich seiner akademischen Karriere und macht seinen Doktor in Computer Science. „Ich finde so vieles interessant und kann mich oft schwer entscheiden“, sagt er. „Die Promotion gibt mir sowohl Sicherheit als auch die Freiheit, weiterhin verschiedene Projekte nebenbei zu machen.“  


Text: Susanne Krause

Foto: Roman Schweda

image

Videospielbösewicht (m/w) gesucht

image

Judith müsste eigentlich Bewerbungen schreiben, aber leider ist das mit den beruflichen Zielen nicht mehr ganz so einfach wie in den Grundschul-Freundebüchern.

Judith müsste eigentlich Bewerbungen schreiben – Erwachsenenkram. Stattdessen sitzen wir mit einer Flasche Wein vor meinem Fernseher und zocken uns durch meine Sammlung von Videospielen der Neunzigerjahre. Die Neunziger wirken dabei plötzlich wie ein goldenes Zeitalter, in dem Berufswünsche wunderbar vage bleiben durften, uns pixelige Grafik in Staunen versetzte und überhaupt nichts verdächtig erschien an einem italienischen Klempner, der vollgedröhnt mit bunten Pilzen den Kampf gegen eine boshafte Riesenschildkröte aufnimmt.

Heute müssen Wunschträume gegen konkrete Pläne eingetauscht werden und die Frage „Was will ich werden“ taucht auch abseits von Grundschul-Freundebüchern auf. Als wir damals in Schreibschrift unsere beruflichen Ziele unter unsere Lieblingsfarbe und das Lieblingsessen auf die Zeilen krakelten, wirkte das alles noch sehr viel einfacher. Hilfreich war sicher, dass Achtjährige im Schnitt nur rund 15 verschiedene Berufe kennen: Astronaut, Krankenschwester, Fußballprofi – ja. Head of Global Supply Chain Management – eher nein.

Wenn es dann wirklich ernst wird, erscheint die Auswahl allerdings riesig. Das liegt vielleicht auch an der allgemeinen Verwirrung: Man ertappt sich plötzlich dabei, nicht nur bei allen möglichen Berufen zu überlegen, wie der Arbeitsalltag wohl so aussehen mag, sondern auch bei den absolut Unmöglichsten. Während ich mit meinem Schwert auf einen pixeligen Gegner einkloppe, frage ich mich, wie viele Wochenstunden man mit der Weltvernichtung wohl beschäftigt ist. Es dauert peinlich lange, bis mir auffällt, dass der Satz „Videospielbösewicht (m/w) gesucht“ nie in Stellenanzeigen auftaucht.

Vielleicht hat Judith deshalb noch nicht mit der Suche begonnen. Schon im ersten Semester hat sie angekündigt, ihre Fächerkombi qualifiziere sie in erster Linie zur Sektenführerin. Noch so eine Stelle, die selten ausgeschrieben wird – und noch viel seltener in Grundschul-Freundebüchern auftaucht. Immerhin kann man uns einen Erfolg nicht nehmen: Wenn unsere Grundschul-Ichs wüssten, dass wir jetzt so lange aufbleiben dürfen, wie wir wollen, um Chips zu futtern und Videospiele zu spielen, wären sie ziemlich stolz auf uns. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

image

Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.

Gerangel um das Pin-up-Girl

image

Das Zusammenleben ist nicht immer einfach – ausgesteckte elektrische Zahnbürsten oder Pin-up-Girl-Poster am Kühlschrank können auch schon mal zum Dauerstreitpunkt werden, solange keiner nachgibt.

Die Welt – widewidewitt – als Wunschkonzert klang damals bei Pippi Langstrumpf noch verblüffend einfach. Im Laufe des Erwachsenwerdens zeigt sich jedoch: Das Weltgeschehen in die Hand zu nehmen, ist in etwa so schwierig, wie die Eltern davon zu überzeugen, man brauche dringend ein zahmes Äffchen als Haustier. Es ist schließlich schon schwer genug, seine Weltvorstellungen in der eigenen Villa Kunterbunt zu verteidigen.

Da wäre etwa Julias Poster: Ein Pin-up-Girl in einer Fünfzigerjahre-Waschküche. Das schmückt ihren Kühlschrank – zumindest immer dann, wenn ihre französische Mitbewohnerin das Bild nicht gerade abgehängt hat. In der Welt der Mitbewohnerin hängen keine nackten Frauen am Kühlschrank, wenn sie Herrenbesuch empfängt. Sobald dieser wieder von dannen gezogen ist, stellt Julia, widewidewitt, ihre Welt wieder her. Allerdings nie für lange, ehe das Spiel von vorn beginnt. Und sowieso: Julias Weltbild der Französin als sexuell befreite Frau ist unwiderruflich längst futsch.

Auch Lukas ficht einen stummen Kampf in seiner Wohnung aus. Eigentlich sind er und sein Mitbewohner sich in allem einig. Sie leben in einer harmonischen Männer-WG ganz ohne Reibereien. Wäre da nicht Lukas’ Zahnbürste. Im Grunde ist an ihr nichts Verwerfliches: Sie steht im Bad auf seiner Seite der Ablage und steckt in seiner Steckdose, um den altersschwachen Akku geladen zu halten. Wie Julias Pin-Up-Poster hält sie jedoch niemals lang die Position. Egal, wie oft er sie einsteckt: Wenn Lukas von der Uni heimkommt, ist seine Steckdose leer. Warum? Das kann er nicht sagen. Harmonische Männer-WGs haben deswegen keine Reibereien, weil man so etwas einfach nicht anspricht. Stattdessen setzt Lukas lieber zu einem stummen Gegenschlag an und steckt die elektrische Zahnbürste seines Mitbewohners ein. Man verändert die Welt eben in kleinen Schritten.

Pippi Langstrumpf sänge übrigens ganz sicher ein anderes Lied, wenn sie nicht allein in ihrer Villa Kunterbunt leben würde. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

image

Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.

Ruhe ist relativ

image

Manas aus Delhi ist zum ersten Mal in München und wieder bestätigt sich: München ist eigentlich ein Dorf. Umgekehrt fühlen sich all die bayerischen Landkinder hier plötzlich großstädtisch.

München ist bekanntlich ein Dorf. Das fällt besonders Menschen auf, die – im Gegensatz zu München – aus einer Großstadt kommen. Etwa der jungen Frau aus Berlin, die sich ganz entzückt zeigt, welche ruhige Ecken es hier doch gibt. Das Kompliment gilt allerdings nicht dem alten Südfriedhof oder den Schwabinger Seitengässchen, sondern fällt mitten auf der Fraunhoferstraße. Ruhe ist relativ. Noch so ein ruhiges Örtchen: der Marienplatz. Menschenleer. Findet zumindest Manas. Auch dass er vom Alten Peter aus bis an den Rand der Stadt sehen kann, verwirrt den jungen Mann. Wen die erste Fernreise von Delhi nach München führt, der hat wohl wirklich eher das Gefühl, einen Ausflug aufs Land zu unternehmen.

Umgekehrt fühlen sich all die bayerischen Landkinder hier plötzlich großstädtisch. Bevor sie fürs Studium hergezogen sind, kannten sie von der Stadt nur den Marienplatz (so viele Menschen!!!), von dem aus der Familienverband zweimal im Jahr zu einer Shopping-Tour in Richtung Stachus aufbrach. Oft erfolgt erst nach dem Umzug die Entdeckung, dass es ein München jenseits von Stachus und Marienplatz gibt – München also sogar noch größer ist als erwartet. In punkto Ortskenntnis unterscheiden sich zugezogene Speckgürtelkinder bisweilen nur minimal von Touristen – auch wenn sie wohl niemals die amerikanische Familie toppen, die eine Rhein-Kreuzfahrt von München nach Neuschwanstein buchen wollte.

Tourist Manas war zwar bereits in Neuschwanstein (wenn auch nicht per Kreuzfahrt), aber weder an der Isar noch im Englischen Garten. Geht gar nicht, finde ich. Als zugereistes Landkind sind das für mich natürlich die Zentren Münchens. Hier kommt meine soziale Prägung durch: Freiluftbesäufnisse machen die Essenz einer Dorfjugend aus. Ich bin mir aber unsicher, ob ich Manas guten Gewissens ins Grüne schicken kann, wenn es ihm schon am Marienplatz einsam wird. Immerhin bestellt er gerade sein zweites Bier und freut sich, dass das genauso funktioniert wie in seinem Lehrbuch, damals im Goethe-Institut.

Den ersten Schritt, sich an das hiesige Dorfleben anzupassen, hat er also getan. Wie der Rest der Anpassung vonstattengeht, darauf darf ich noch gespannt sein. Nachdem Manas von seiner ersten Auslandsreise ins heimelig wuselnde Delhi zurückgekehrt ist, steht fest: Er zieht fürs Studium nach München. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

image

Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.

 

Thomas Eder: Bayerischer Landtag

image

Der Landtag ist der erste Ort in München, den Thomas Eder kennen gelernt hat. Bei einem Spaziergang mit einer Freundin taucht das Gebäude fast gespenstisch aus dem Nebel auf.

Fotoausstellungen bedeuten Thomas Eder nicht viel. Der Zugang zu fremden Bildern fällt dem 23-Jährigen schwer, weil Fotografie für ihn selbst hauptsächlich eine Erinnerungshilfe ist, eine Möglichkeit, Momente für später zu konservieren.

Wie etwa den Abend, als er nach Jahren wieder auf das Maximilianeum trifft. Der Landtag ist der erste Ort in München, den der Niederbayer damals bei einem Schulausflug kennengelernt hat. Bis es ihn nach seinem Umzug für ein Studium der Printmedien wieder hierher verschlägt, dauert es jedoch mehrere Jahre. Dann taucht das Gebäude beim Spaziergang mit einer Freundin fast gespenstisch aus dem Nebel auf. Susanne Krause

Verschwörung des Patriarchats

image

Ist die Art, wie man seine Wohnung einrichtet genetisch bedingt? Ali und ihr Freund spalten mit ihrem neuen Perserteppich auf jeden Fall die Geschlechter…

Ich glaube ja: Die Art, wie man die Wohnung einrichtet, ist nicht genetisch bedingt. Ich weiß, Autoren von Büchern über schlecht einparkende Frauen und nicht zuhörende Männer würden mir da bestimmt widersprechen. Die Argumentation geht dann in etwa so: Schon damals, als Männer auf die Jagd gingen und Frauen in der Höhle auf ihre Rückkehr warteten, dekorierten sie das Heim mit Trockenblumensträußen und ärgerten sich über herumliegende Mammutpelz-Socken. Deswegen habe ich mir zwei Millionen Jahre später auch ein Sofa mit Blümchenmuster statt eines mit Mammutpelz-Überzug gekauft. Ganz logisch.

Über solche Argumentationen haben wir uns immer lustig gemacht. Ali und ich waren in der Oberstufe das Emanzen-Dreamteam. Mittlerweile hat die Genetik Ali eingeholt. In dem Wohnzimmer ihrer Pärchenwohnung liegt ein evolutionsbiologisches Fundstück: ein Perserteppich. An sich ist an ihm nichts Besonderes. Er ist in erster Linie groß. Und, na ja: gemustert. Viel mehr Adjektive möchte ich ihm gar nicht zuordnen – aus Angst meinen Gastgebern zu nahezutreten. Genau das ist jedoch bereits Teil seiner Spezialkraft: Alis Riesenperserteppich spaltet die Geschlechter. Das begann bereits mit Ali und ihrem Freund. Sie hat sich inzwischen mit dem Objekt auf dem Höhlenboden arrangiert – warme Füße sind ja, rein evolutionsbiologisch betrachtet, auch was Feines.

Nun erlebt Ali jedoch bei Besuchern immer wieder dasselbe Spiel. Frauen schweigen zunächst und merken irgendwann vorsichtig an: mhh, ja, ein Perserteppich also. Männer hingegen brechen in Begeisterungsstürme aus: der Perserteppich, hey, macht den Raum gleich viel gemütlicher. Das Emanzen-Dreamteam steht vor – oder vielmehr auf – einem Rätsel. Denn dass die männliche Vorliebe für Perserteppiche bereits im Kindergartenalter anerzogen werde, ist genauso albern wie die Erklärung, sie sei ein genetisches Erbe unserer Höhlenmenschenzeit. Bleibt wohl nur eine Erklärung: Verschwörung des Patriarchats. Zu welchem Zweck? Da nehmen wir gern Vorschläge entgegen. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

image

Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.

Luxus in der Bruchbude

image

Mit dem Wort „Luxus“ verbindet jeder etwas anderes. Gerade als Student lernt man die kleinen Dinge wertzuschätzen. Um alle Wohnträume zu erfüllen, kann bereits eine neue Leuchtstoffröhre ausreichend sein.

Bei dem Wort „Luxus“ denkt man an tiefer gelegte Limousinen, Privatjets und Lofts mit Dachterrasse. Um eines vorweg klarzustellen: Ich bewohne kein Luxusloft. Trotzdem fällt sofort das L-Wort, als Leonie zum ersten Mal meine WG-Küche betritt. Luxus bedeutet in diesem Fall aber keineswegs vergoldete Armaturen oder Hightech-Geräte. Nein, Ziel von Leonies Neid sind lediglich knapp eineinhalb Meter Arbeitsplatte und ein alter Gasherd mit ganzen vier Kochplatten. Vier! Und einem Ofen drunter. Als Student wird man genügsam.

Die Küche in Leonies Apartment besteht aus einer Spüle, die nahtlos in zwei Herdplatten übergeht, Kühlschrank und einem Oberschrank mit wackeligen Regalbrettern – Standardausstattung vieler Studentenbuden. Es ist nicht verwunderlich, dass sich das Klischee vom Studenten, der nicht kochen kann, hartnäckig hält: In einer Ein-Quadratmeter-Küche geraten selbst für versierte Sterneköche Würstchen mit Bratkartoffeln zu einer logistischen Herausforderung. Besonders wenn die vom Wohnheim beauftragten Handwerker beim Reparieren des Oberschranks die einzige Lampe des Kochkämmerchens lahmgelegt haben. Zwar gibt es Menschen, die für ein Dinner im Dunkeln viel Geld hinblättern. Max hätte aber dann doch lieber den Luxus, die Würstchen in seiner Pfanne von den Kartoffeln unterscheiden zu können. Vielleicht hatte schon Voltaire Probleme mit der Beleuchtung seiner Bratwürstchen, als er Luxus zu einer „sehr notwendigen Sache“ erklärte.

Bei dem Wort „Luxus“ denkt man eher selten an das Studentenleben. Aber wahrscheinlich begeht man gerade damit einen riesigen Fehler. Denn nie wieder wird Luxus so billig sein. Da Max’ klappriger Oberschrank vom Studentenwerk durch ein etwas größeres, weniger windiges Exemplar ersetzt wurde und seine neue Leuchtstoffröhre etwas heller strahlt als die alte, wirkt er so zufrieden, als wären nun all seine Wohnträume erfüllt. Und auch Leonies Neid gegenüber meiner traumhaften Einbauküche weicht kulinarischer Verzückung, als ich ihr zum Mittagessen eine Artischocke serviere – Luxus pur aus dem Aldi-Sonderangebot. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

image

Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.

Die Panik vor dem Klingeln

image

Wir kennen sie: die Menschen, die uns auf eine riesen Unordnung im WG-Zimmer vorbereiten und das einzige Chaos ein ungemachtes Bett ist. Wer das Schlimmste prophezeit, kann nur postiv überrachen. Psychologen nennen dieses Phänomen Sandbagging.

Wir alle haben sie gehasst: Diese eine Mitschülerin, die nach jeder Prüfung lautstark gejammert hat, dass sie ganz sicher eine Fünf bekommt, bis sie eine Woche später die zweitbeste Arbeit der Klasse in Empfang nehmen konnte. Psychologen nennen dieses Phänomen Sandbagging. Wer das Schlimmste prophezeit, kann nur positiv überraschen – selbst wenn er dabei allen furchtbar auf den Senkel geht.

Johannes plant offenbar eine besonders große Überraschung, während er versucht, mich auf dem Weg zu seiner Wohnung abzuhängen. Nachdem ich den Termin für die Matinee-Vorstellung verplant habe, beschließen wir kurzfristig, die Filmvorführung zu ihm nach Hause zu verlagern. Auf dem Weg legt er mir gerade zum vierten Mal dar, dass es dort aber nicht aufgeräumt sei und sucht nach fadenscheinigen Ausreden, um sich einen Vorsprung zu verschaffen. In Wahrheit – ich habe es bereits geahnt – reichen natürlich die dreißig Sekunden, die er früher aus dem Aufzug steigt, um die eine herumliegende Hose im Zimmer aufzusammeln und für beinahe tadellose Ordnung zu sorgen. Note: 1-. Ich bin nicht sonderlich überrascht: Menschen, bei denen zuhause wirklich das Chaos herrscht, fühlen sich darin zu wohl, um andere vorzuwarnen.

Nervös wird hingegen der Rest der Menschheit bei Besuch, vor dem man die eigenen vier Wände nicht mehr inszenieren konnte. Auch wenn es keiner gern zugibt: Die letzten fünf Minuten bevor es an der Tür klingelt sind reserviert, um das Buch auf dem Nachttisch auszutauschen, den Politikteil statt der Kontaktanzeigen oben auf den Zeitungsstapel zu legen und noch fix andere Musik einzulegen. Besuch ist eigentlich eine nette Sache, fühlt sich aber immer ein bisschen an wie einst die Zimmerkontrolle im Schullandheim. Dabei prüfen die wenigsten Freunde – ja nicht mal besonders penible Eltern – was sich an Dreck unter dem Bett verbirgt. Bei Johannes entdecke ich den Staub unter dem Sofa auch nur unabsichtlich, als wir es näher vor den Bildschirm rücken. Ehe ich Gelegenheit habe, ihn davon zu überzeugen kann, dass Staub unter Möbelstücken, die man sonst nie verrückt, ein ganz normales Phänomen ist, holt er schon die Kehrschaufel aus der Küche. Bestimmt ist er erleichtert, dass er mich auf das Schlimmste vorbereitet hat. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

image

Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.