Laura Jenni, 20, synchronisiert japanische Animes
Von Annika Kolbe
Es wird leise. Der Countdown läuft. Laura atmet tief ein. Ein letzter Blick auf den Bildschirm, ein letzter Atemzug. Sie beginnt zu sprechen. „Taki!“, ruft sie. „Mitsuha“, kommt es zurück. Lauras Stimme wird mit jedem Rufen höher. Mitsuha läuft, Laura auch. Sie passt die Bewegungen der Rolle an – doch sie bleiben ganz weich und im Rhythmus. Jedes Geräusch des Atmens sitzt. „Taki, Taki, Taki du bist es“, spricht Laura mit brüchiger Stimme. Mitsuha hat Tränen in den Augen. Sie weint, wirkt ganz zerbrechlich. Cut.
Laura wischt sich ihre Tränen von der Haut und lächelt dem Regisseur zu. Zurück in ihrer Welt. Laura Jenni, 20, ist Synchronsprecherin. Um die Intensität der Handlung nachempfinden zu können, versetzt sich Laura in die Rollen: „Manchmal nehmen mich Szenen auch emotional ganz schön mit“, sagt sie.
Doch auf ihre Rollen kann sie sich nie vorbereiten. „Meistens weiß ich zwar grob, wen ich sprechen werde, doch das Synchronbuch mit meinem Text sehe ich im Studio das erste Mal. Ich gleiche den Text mit dem Take ab. Dann geht es auch schon los“, sagt sie. Ein Take ist eine Sequenz der Aufnahme. Es kann ein Räuspern sein. Oder auch ein Monolog.
Seit Laura sechs Jahre alt war, spricht sie Filme und Serien. Wenn sie sich an ihren ersten Job erinnert, lächelt sie. „Der Text wurde mir vorgelesen. Um meinen Einsatz nicht zu verpassen, wurde ich angetippt.“ Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Filme und Serien aus den unterschiedlichsten Bereichen hinzu. Eine Ausbildung als Synchronsprecherin hat Laura nicht. „Durch die Zusammenarbeit mit anderen Sprechern und Regisseuren konnten wir uns austauschen und voneinander lernen“, sagt Laura.
Die Synchron-Szene in Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern relativ groß. In München gibt es etwa 150 professionelle Sprecherinnen und Sprecher. In Skandinavien beispielsweise werden englische Realverfilmungen gar nicht erst synchronisiert. Auch in Deutschland wird es immer populärer, englische Serien und Filme im Originalton zu hören. Eine Ausnahme bilden animierte Filme und Serien.
In dem Film „Your Name. Gestern, heute und für immer“ spricht Laura die Hauptrolle Mitsuha. „Your Name“ war der bislang weltweit erfolgreichste Anime. Animes sind in Japan produzierte Zeichentrickfilme, die das Pendant zum japanischen Comic, dem Manga, bilden. In Deutschland sind Animes zwar nicht so populär wie in Japan, haben aber eine sehr feste Fan-Community. Häufig lernen Anime-Fans sogar Japanisch, da sie mit der deutschen Synchronisation unzufrieden sind.
Doch bei Laura und „Your Name“ war das anders. Laura durfte mit ihren Kollegen von „Your Name“ sogar Autogrammstunden und „Meet and Greets“ geben. Die Sprecherin war ganz aufgeregt und konnte kaum schlafen. Zwar bekommt sie immer wieder mit, wie Anime-Fans auf Plattformen über die Auswahl der Sprecher diskutieren, doch Fans hautnah zu erleben und ein positives Feedback zu erhalten, war für Laura neu und aufregend. Eine solche Bestätigung für ihre Arbeit zu bekommen, ist natürlich etwas ganz besonderes – vor allem für Sprecher.
Im Anime-Bereich ist die Stellung von Sprechern anders als in Realverfilmungen. Normalerweise stehen Synchronsprecher immer im Schatten der großen Stars, der Schauspieler. Diese Besonderheit mag an der Animation liegen. Die Fans können sich nicht, wie in Realverfilmungen, in den Schauspieler hineindenken. So identifizieren sie sich mit den Sprechern. Außerdem handelt es sich bei Animes um ein „Nischenprodukt“. Das erfordert einen stärkeren Zusammenschluss. Auch J-Pop wird immer beliebter in Deutschland. Animes werden durch den japanischen Pop getragen. Wie auch der durchaus bekanntere K-Pop (Korean-Pop) stellt J-Pop eine Verbindung zwischen der asiatischen und westlichen Kultur dar.
Eine große Herausforderung für Laura ist die Sprache. Laura spricht kein Japanisch, Animes sind aber in dieser Sprache. Die Synchronsprecherin orientiert sich an der Lautstärke, der Betonung der japanischen Sprecher und den Anweisungen des Regisseurs. Es gibt für synchronisierte Filme und Serien Synchronregisseure. Bei „Your Name“ war dieser Regisseur Halbjapaner und Halbdeutscher, was die Arbeit deutlich leichter machte.
Vor allem die Abwechslung gefällt Laura in ihrer Arbeit. „Sobald das Mikrofon läuft, betone ich alles, was ich sage, stärker und verstelle meine Stimme. Ich passe die Tonlage dem Genre an.“ Laura spricht neben Animes auch Zeichentrickfilme, wie Toy Story, und Realverfilmungen, wie den Horrorfilm „Insideous“.
Der Unterschied zwischen Animes, Zeichentrickfilmen und Realverfilmungen ist immens. „Animes sind viel lauter als Zeichentrickfilme und Realverfilmungen“, sagt Laura. Außerdem bewegen sich in animierten Filmen die Münder der Figuren weniger als in Realverfilmungen. Doch Emotionen glaubhaft durch ihre Stimme zu transportieren, hält Laura in animierten Filmen für viel schwieriger. Denn die Mimik und Gestik lässt sich bei allen animierten Filmen weniger als in Realverfilmungen einordnen. Bei Menschen lassen sich Emotionen dann doch leichter lesen. Empathisch mit den Rollen umzugehen, jeden Tag eine neue Figur sprechen zu dürfen und viele weitere Herausforderungen, machen das Synchronsprechen für Laura zum Traumberuf.
Foto: Tim Jenni