Sie wollen nur tanzen

Techno-Kollektive laden zum Rave in wechselnde Off-Locations, zum Beispiel in einen Wald, auf Wiesen oder unter Brücken. Erlaubt ist das nicht. 

Wer alternativ raven will, sollte sich das Wochenende weitestgehend frei halten. Auch spät am Abend hilft es, spontan zu sein und das Smartphone in Reichweite zu haben. Erst circa zwei Stunden vor Beginn werden die Koordinaten zur Party über private Verteiler verschickt. Die Zahlen verbreiten sich nun wie ein Lauffeuer von Smartphone zu Smartphone, stets mit der Botschaft: „Pssst … Keep it secret!“

Münchner Techno-Kollektive laden zum Rave in wechselnden Off-Locations. Zum Beispiel in Waldabschnitten, unter Brücken oder anderen freien Flächen in und um München. Eine kleine Lichtung im Wald. Eine von bunten Lichtern durchzuckte Dunkelheit. Hunderte tanzende Menschen. „Wir fühlen uns im Wald und auf der Wiese zu Hause“, sagt DJ Otto Underground, 28, Hauptorganisator bei „Techno ist Familiensache“. Und DJ Benni Zimmer, 20, einer der beiden Gründer von „Bushbash“, fügt hinzu: „Aber wir versuchen stets, Spots zu finden, an denen wir keine Anwohner stören.“

Organisation, Aufbau und Abbau sowie Musik und Technik geschehen auf Eigeninitiative. „Wir sind total für Party Green“, sagt Otto. „Wenn wir einen Rave veranstalten, sind die Plätze danach sauberer als davor.“ Bei ihrer allerersten Kollektiv-Party vor acht Jahren, so erzählt er, hatten sie am Eingang ein großes Schild aufgestellt. „Wir beißen nicht, wir wollen nur tanzen!“

Getanzt wird zu Techno in all seinen basslastigen Variationen: von Hardtech bis Techhouse und Deephouse. Diese Partys erfreuen sich einer immer größer werdenden Beliebtheit in der jungen Münchner Feiergemeinde. Es gibt nur einen Haken: Die Raves sind oft illegal und werden nicht selten von der Münchner Polizei aufgelöst. Die Gründe: keine Mietverträge für die Locations, keine Ausschankgenehmigungen, keine Veranstaltungsanmeldungen. Auch deswegen treten die Mitglieder der Kollektive „Bushbash“ und „Techno ist Familiensache“ in der Öffentlichkeit nur mit ihren DJ-Namen in Erscheinung.

Wie sehr sie im Vorfeld auch aufpassen, ihre Partys verstoßen gegen Vorgaben und Beschlüsse der Stadt München. Aber sind diese Feiern wirklich ein großes Problem? „Für uns ist das kein wirklich großes Thema“, sagt Sven Müller von der Pressestelle der Polizei München. „Es sind Einzelfälle. Viele Partys bekommen wir vermutlich gar nicht erst mit, weil es keinem auffällt oder es niemanden stört.“ Das sei halt dann so. Bei Lärmbeschwerden fahre die Polizei zum beschriebenen Ort und prüfe den Vorfall, sagt Müller. „Ist die Feier auf öffentlichem Verkehrsgrund, also eine Sondernutzung, ist es ein Hausfriedensbruch oder eine Ruhestörung? In der Regel sind alle Beteiligten immer einsichtig und gehen woanders hin.“ Logisch: Keines der Kollektive will es sich mit der Polizei verscherzen.

Ohne diese Party-Kollektive wäre München ein Stück weit langweiliger. Beliebte Clubs schließen, der Rest wird immer unbezahlbarer. Vor allem für Studenten mit wenig Geld. „In den Münchner Techno-Clubs heißt es, wie in fast allen großen Städten, es sollen immer große DJ-Namen auftreten – und das lässt natürlich die Eintrittspreise nach oben schießen“, sagt DJ Mario Merkur, 30, von „Techno ist Familiensache“. „Aber viele Besucher wollen gar nicht unbedingt immer nur die großen Namen hören.“ Die Mietpreise steigen, also müssten auch die Clubbesitzer ihre Preise nach oben treiben. Die Folge: Kommerz statt Kultur, ein Teufelskreis. „Es gibt hier eigentlich nur definierte politische Kultur“, sagt DJ Otto Underground. „Die Stadt ist nicht auf der Seite von Subkultur – alles, was keine Umsätze macht, ist hier nicht gerne gesehen.“

Aber es geht auch anders – unkonventionell und illegal: organisierte Underground-Partys im Freien. Ohne Eintrittspreis, bis es hell wird. „Für uns steht das Unkommerzielle im Vordergrund, ein Rave für Freunde und deren Freunde“, sagt DJ Carl S, 20, vom Kollektiv „Bushbash“. „Uns geht es bei unseren Partys darum, die absolute Atmosphäre für den geringsten Preis zu erzeugen“, ergänzt DJ Otto Underground. Bei ihren Raves wollen die Kollektive genau das Gegenteil einer Club-Atmosphäre generieren. „Techno-Open-Air-Partys erzeugen auch einfach ein Freiheitsgefühl – du hast nicht diese Beschränkung von einem Club, der auf einmal voll ist“, sagt Otto. „Und die Leute, die zu uns kommen, haben auch Lust auf dieses Abenteuer mit der verstecken Location. Du wirst als Besucher Teil des Ganzen.“

Aber geht das nicht auch legal? Warum mieten sie nicht ein Grundstück, auf dem dann nach Lust und Laune geraved werden könnte? „Bei den Pachtbeträgen hier könnte man dann gleich wieder nur mit einem Club auf diesem Grundstück über die Runden kommen. Und dann könnte man den Leuten auch schon wieder nichts Günstiges bieten“, sagt DJ Mario Merkur. „Der Optimalfall wäre es, jemand mit einem Privatgelände, einem freien Waldstück oder so hätte Mitleid mit uns und würde sagen: Hier, tobt euch aus, Jungs!“. In Berlin funktioniere so was ja auch.

Zumindest war es dort früher so, mittlerweile schaut es auch in der Hauptstadt düster aus. „Auch in Berlin gibt es gerade das Problem, dass der urbane Raum immer mehr eingegrenzt wird“, sagt Felix Garcia, 26, Mitglied des Berliner Techno-Kollektivs „Berlina für Techno“. Durch stetigen Neubau gebe es immer weniger Freiräume, wo man niemanden störe. „Denn auch wir wollen natürlich im Einklang mit Natur und Mensch feiern“, sagt Felix Garcia. Der Wohnungsbau stehe also im Konflikt mit den illegalen Partys dort. „Aber auch wir sehen natürlich die Notwendigkeit von mehr Wohnraum“, sagt er. „Die Innenstadtbezirke sind komplett zu – nach 20 Minuten ist da die Polizei da und beendet die Sache. Daher gibt es illegale Partys nun auch eher in den Randbezirken.“ In den vergangenen fünf Jahren habe sich die Berliner Underground-Party-Szene ziemlich verändert. „Die Techno-Clubs hier haben nur noch selten etwas mit Subkultur zu tun.“

Trotzdem gibt es auch ein Licht am Ende des Berliner Techno-Tunnels: Non-Profit-Veranstaltungen sollen bald relativ unkompliziert genehmigt werden können, Freiflächen dafür will die Berliner Politik bereitstellen. Auch in München gibt es solche freien Locations. Man denke nur mal an die alten Siemens-Bürogebäude oder den stillgelegten Bahnhof Olympiastadion. Aber München wolle kein Party-Image wie Berlin, sagt zumindest DJ Otto Underground. „Diese Raves werden schlichtweg nicht toleriert, weil sie nicht ins Bild passen“, meint er.

Doch die Flucht nach Berlin kommt für die Crews nicht in Frage. „Wir können die Feiernden hier doch nicht im Stich lassen, wir müssen etwas bewirken“, sagt DJ Benni Zimmer.

 

Text: Amelie Völker

Fotos: Techno ist Familiensache