„Ich habe Angst, dass wir nur die Jugendlichen bleiben, die es versuchen“: Antonia Richter und Leopold Waldstein, beide 17 Jahre alt, wollen zeigen, dass sie ein ehemaliges Werksgelände in ein Kunstareal verwandeln können
Von Viktoria Molnar
Der Flur zieht sich durch das gesamte Stockwerk. Die Wände sind weiß gestrichen. Links und rechts gehen Türen ab. Der übliche Anblick eines Großraumbüros. Es riecht nach Farbe. Der Blick folgt dem Teppich entlang bis zum Ende des Flurs. Er mündet in einem Raum: In der Mitte türmen sich Tapeten- und Teppichreste. Der Boden ist übersät von Farbklecksen. Mitten im Gang stehen Lautsprecher auf dem Boden, daneben eine Weinflasche umringt von Pappbechern. Sechs Leute sitzen auf dem Boden. Sie essen Pizza aus Kartons und hören Musik. Die Stimmung ist ausgelassen.
Antonia Richter und Leopold Waldstein sind zwei von ihnen. Sie sind beide 17 Jahre alt und verkörpern die Generation Z: modebewusst, Digital Natives und von den Erwachsenen unterschätzt. Leopold ist lässig gekleidet, trägt Jeans-Weste über grünem Pulli und dazu eine Sonnenbrille. Er spricht langsam und wählt seine Worte bedacht. Antonia bildet seinen Gegenpol. An ihren Armen klimpern Armbänder und sie trägt eine lockere Hose in Schlangenoptik. Sie spricht aufbrausend. In jedem Wort schwingt Leidenschaft mit.
Entr’acte, das Projekt, an dem die beiden arbeiten, hat Antonia initiiert. Eine Ausstellung auf dem früheren Siemens-Betriebsgelände in Giesing. Ihre Idee: Jeden Raum von einem anderen Jugendlichen gestalten lassen. Die zentrale Frage dabei: „Was wollen wir in unserer Gesellschaft verändern?“ Sie und Leopold haben dafür eine Gruppe von 20 Jugendlichen zusammengebracht. Die meisten sind in der Oberstufe, einige schreiben in gut einem Monat Abiturprüfungen. „Die meisten von uns kannten sich vor dem Projekt nicht. Wir sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Die Kreise mischen sich, das macht es so spannend“, sagt Antonia. Der Gebäudekomplex soll danach zu einem Co-Working-Space umgebaut werden. Sie dürfen einen Teil bespielen, der komplett abgerissen wird. 640 Quadratmeter, die sie frei gestalten können. Sie dürfen alles machen: Wände einreißen, Teppiche rausreißen. Sie haben die künstlerische Freiheit zu machen, was ihnen in den Sinn kommt.
Der Begriff Entr’acte kommt aus dem Französischen. Wie die Musik zwischen den Akten eines Schauspiels wollen sie die Stimmung zwischen den Nutzungen auflockern. „Unser Projekt soll genau das sein: das Zwischenspiel von alter und neuer Nutzung“, sagt Leopold. Seit zwei Monaten werkeln sie an dem Projekt, am 30. April ist die Vernissage. Die Ausstellung geht vier Tage.
Die einzelnen Raumkonzepte sind sehr unterschiedlich. Jeder Künstler setzt sich ganz anders mit der Fragestellung auseinander. Ein Raum ist vollgehängt mit Umzugskartons. Sie sind bemalt. Von einem Punkt des Raumes ergeben sie ein zusammenhängendes Bild. Bewegt man sich, so zerfällt das Bild in einzelne unabhängige Kunstwerke. Der Künstler nennt das Konzept „Out-Of-The-Box“.
Laura ist ebenfalls 17, sie will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Sie trägt ihre hellblonde Haare schulterlang. Ihre Brille verleiht ihrem lockeren Auftreten eine gewisse Seriosität. In weniger als einem Monat macht sie ihr Abitur und findet trotzdem die Zeit und Motivation bei Entra´cte mitzuwirken. Auch bei ihr ist anzumerken, wie wichtig ihr die Sache ist. Lauras Raumkonzept dreht sich um BDSM. Klingt unpassend für eine 17-Jährige. Zeigt aber auch, dass sich Jugendliche für andere Dinge interessieren, als Erwachsene annehmen. „Ich will den uninformierten Betrachter damit konfrontieren, dass es bei BDSM um mehr geht, als um das banale Sexuelle. Um das Spiel von gezieltem Kontrollverlust und Dominanz, um das Machtverhältnis in zwischenmenschlichen Beziehungen“, erklärt Laura.
Wenn die drei jungen Menschen reden, merkt man, wie viel Leidenschaft in diesem Projekt steckt. Aber auch wie viel Druck. Während der vier Ausstellungstage wollen sie inspirieren. Sie haben Angst, den Erwartungen nicht gerecht zu werden. Vor allem ihren eigenen. „Die Erwachsenen haben sowieso keine, da kann man auch nicht enttäuschen“, sagt Antonia. „Wir haben jetzt diese Chance bekommen, etwas Großes zu machen, obwohl wir 17 sind und kein Studium haben. Ich habe Angst, dass wir nur die Jugendlichen bleiben, die es versuchen. Ich will zeigen, dass wir es auch wirklich können“, sagt sie. Was Antonia und Leopold dabei von vielen unterscheidet, ist die Reife, mit der sie sich ihrer Angst stellen: Die Selbstzweifel unterdrücken und einfach machen. Der Rest wird sich schon ergeben.
Die Idee für Entr’acte ist auf ähnliche Weise entstanden: Antonia war in einer Zwischennutzung in Pasing, dem alten Verwaltungsgebäude eines Supermarkts. In einer Ausstellung, in der jeder Raum sein eigenes Konzept hatte. Sie fand die Idee gut, in der Umsetzung hatte sie sich aber mehr erwartet. „Ich habe keinen stringenten Zusammenhang in der Ausstellung gesehen. Aber vielleicht kann ich das noch nicht so beurteilen. Ich bin ja erst 17.“ Noch am selben Tag hat sie einen Brief mit ihren Ideen aufgesetzt, ohne zu wissen, wo sie das hinbringen wird. Einfach mal machen, die Einstellung einer ganzen Generation. „Ich hatte am Anfang nicht die Hoffnung, dass mich jemand ernst nimmt, ich habe die Idee ja selbst nicht ernst genommen.“ Sie hat den Brief dann an alle möglichen Bekannten geschickt. Frei nach dem Motto: Vielleicht findet sich ja jemand.
Der jetzige Besitzer des Gebäudes ist ein Bekannter ihrer Eltern. Leopold und Antonia hatten Glück, der Bekannte las den Brief und stellte ihnen das Gebäude zu Verfügung. „Er hat uns von Anfang an begleitet und vor allem Angst und viel Verantwortung im Bezug auf die Auflagen abgenommen“, sagt Leopold. Denn: Das größte Hindernis bei Zwischennutzungen ist die Angst der Gebäudeeigentümer, ihren Einfluss auf die Fläche zu verlieren. Ärger mit den Zwischenmietern, die sich zu sehr in den Ort verliebt haben und alles dafür geben, um bleiben zu dürfen. Das aktuelle Beispiel: der Kampf um das Mixed Munich Arts, ein Club in dem alten Heizkraftwerk an der Katharina-von-Bora-Straße in der Maxvorstadt. Der Pachtvertrag war von Anfang an auf fünf Jahre ausgelegt. Trotzdem starteten zwei der Stammgäste eine Petition, um für den langfristigen Verbleib des Clubs zu kämpfen. Von ihnen gut gemeint. Aber: Solche Aktionen können Hausbesitzer abschrecken.
Mit Entr’acte haben Antonia und Leopold eine Plattform für Themen wie diese geschaffen. „Das Raumkonzept muss nicht sonderlich tiefgründig sein, es geht uns mehr um die Möglichkeit, unsere Meinung sagen zu können“, sagt Antonia. Es wird ihnen schwerfallen, das Gebäude nach der Finissage zu verlassen, weil es für sie viel mehr geworden ist als nur ihr Projekt. Ein Ort, an dem sie gerne ihre freie Zeit verbringen. An dem sie Freunde treffen. Wo sie hingehen, wenn sie auch mal alleine sein wollen.
Fotos: Stephanie Waldstein