Max Scherer und Philipp Link, Filmstudenten der HFF, sammeln altes Filmmaterial aus ganz Europa und lassen junge Autoren neue Geschichten dazu schreiben
Von Max Fluder
Klack. Der Projektor startet. Müht sich ab. Es rattert, und der Filmstreifen surrt durch die Maschine. Das Bild flackert. Auf einem roten Hintergrund erscheinen zwölf Sterne und bilden einen Kreis, das Symbol der Europäischen Union. Als Einspielmusik ertönt – leicht verfremdet – die „Ode an die Freude“, Beethovens „9. Symphonie“, die Europahymne. Das Intro lässt viele kurze Szenen aufeinander folgen: zwei Liebende, eine Stadt, ein Hafen, eine Landstraße. Berge und Steilküsten sind auch dabei.
Jeder der 28 Spots des Filmprojekts „Europe, old love“ beginnt mit diesem collagenhaften Einstieg.
Es folgen sehr persönliche Blicke auf die Länder Europas. Produziert werden die Filme von Philipp Link, 28, und Max Scherer, 28, zwei Studenten an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF), die zusammen mit ihrem Kommilitonen Tobias Blickle Ende 2017 das Filmkollektiv „Gute Zeit Film“ gründeten. Die Idee hinter dem Projekt ist folgende: Junge Drehbuchautoren aus ganz Europa verfassen 28 Liebesbekenntnisse an die EU, eines für jeden Mitgliedsstaat. Das Bildmaterial besteht nicht aus gestellten Aufnahmen aus der Gegenwart, sondern alten 8-Millimeter-Filmrollen mit Home-Videos und Urlaubsfilmchen. Die fertigen Spots werden auf der Internetseite old-love.eu und dem gleichnamigen Instagram-Account veröffentlicht.
Jeder der Filme erzählt eine kleine Geschichte. Es sind Erinnerungen an Urlaube in Nizza und der italienischen Küste oder an einen Ostersonntag in Österreich. Englische Untertitel geben die Handlung wieder, es gibt allerdings auch eine Audiospur – in Landessprache.
Um an das Material zu gelangen, haben die beiden Studenten einiges auf sich genommen. Rund ein Jahr lang suchten sie nach alten Filmrollen, die sie für ihr Projekt verwenden können. Home-Videos gelangen selten in Archive, die Fundorte fallen dementsprechend aus: Flohmärkte, Antiquariate und sogar der Hausmüll. Bislang sind es schon 3850 Meter, beziehungsweise 835 Minuten Rohmaterial. Aus einigen Ländern fehlt ihnen trotzdem noch Material. „Das Baltikum ist sehr schwierig“, sagt Max, „das war damals noch Sowjetunion und hatte eine nicht so ausgeprägte Filmerkultur. Und Bulgarien, aber da bin ich mit einem Sammler gerade dran.“
Das Zelluloid müssen die beiden vorher sichten. Ist ja auch manchmal skurriles Zeug dabei. So war etwa bei einem Film zehn Minuten lang nur ein Esel zu sehen. Das ausgewählte Material wird digitalisiert und anschließend an die Drehbuchautoren geschickt. Nicht mehr als acht Minuten Film erhält jeder von ihnen. „Wir schauen, was die Autorinnen und Autoren in diesem Material sehen. Das einzige, was wir ihnen vorgeben, ist der Deckmantel der Liebe“, sagt Max. Eine ungewöhnliche Situation: Nicht aus der Textgrundlage wird ein Bild gestaltet, sondern die Bilder schaffen ihren eigenen Text.
Für Max und Philipp war seit Langem klar, dass sie etwas zum Thema Europa machen wollen. Ihr jüngstes Projekt, ein Film über eine Liebesbeziehung zwischen zwei Erasmus-Studenten, ging schon in eine ähnliche Richtung. „Ein reines Europawahl-Ding wollten wir nicht machen“, sagt Max. Das Projekt spiegelt das Europabild der beiden wider: „Das, was für uns Europa ausmacht, ist das Alte, die Tradition aus den verschiedensten Ländern, aber auch die Zukunftsperspektive.“ Neue Geschichten zu alten Filmen; 8-Millimeter-Format auf Instagram.
Die veraltete Technik zu verwenden hat persönliche Gründe. Max’ Vater ist ein Liebhaber des Super-8-Films und hat diese Leidenschaft an seinen Sohn weitergegeben – mit dem dazugehörigen Projektor und einer Handvoll Filmrollen. Das Format ermöglicht den beiden einen Blick in die Lebenswelt von damals, da es überwiegend von Privatpersonen genutzt wurde. Auch wenn in Max’ Kindheit Super 8 schon nicht mehr aktuell war, gibt es dennoch Aufnahmen mit diesem Format. Es sind seine ersten Versuche auf dem Fahrrad oder im Garten. Einbauen wollen Max und Philipp die eigenen Aufnahmen allerdings nicht.
Mit „Europe, old love“ erfüllen sich die beiden den Wunsch, „europäischer zu arbeiten“. Durch Austauschprogramme der HFF und private Kontakte haben sie einen Freundeskreis, der sich über ganz Europa erstreckt; von Amsterdam bis Athen. Die Zeit reicht jedoch nie, um zusammen einen ganzen Film zu produzieren. Dafür brauche es mindestens ein Jahr. Das Projekt gibt ihnen die Möglichkeit, all ihre Bekanntschaften einzubinden und neue Kontakte zu knüpfen. Die Autoren und vor allem die Sprecher kommen aus dem europäischen Ausland. Noch sind für einige Länder Lücken im Plan: „Eine Produzentin aus Amsterdam sucht dort jetzt für uns einen Sprecher. So versuchen wir, Freundschaften zu pflegen“, sagt Max. Es gebe keinen absoluten Weg. „Kennst du jemanden, der jemanden kennt, der auf Italienisch übersetzen kann oder Korrektur lesen kann?“, über solche Fragen werden Kontakte geknüpft. Das Fernziel sei aber die europäische Vernetzung.
Die Filmreihe startete am zehnten Mai, das Datum wurde bewusst gewählt. Ein Tag zuvor, am neunten Mai, ist Europatag. Zu Ostern erschien bereits ein Teaser, die Österreich-Episode. Den Text dazu verfasste Lukas März, ebenfalls Student an der HFF und auch in anderen Projekten aktiv, wie etwa einem filmischen Aufruf zur Wahl. Für ihn ist die Gemeinschaft der Filmschaffenden zentral: „Dass viele verschiedene Leute an Episoden gearbeitet haben, die dann alle zu einem Projekt zusammenfließen, stärkt auch irgendwie das Zusammengehörigkeitsgefühl – auch in diesem Sinne irgendwie ein europäisches Projekt.“
Drei der 28 Spots sind bereits zu sehen, Kroatien, der letzte der Spots, soll am 22. Dezember veröffentlicht werden. Bis dahin werden auch immer wieder Sonderepisoden gezeigt. Zum Tag der deutschen Einheit, zum Brexit, wenn er denn kommt, passend hinterlegt mit einer Scheidung, aber auch zu Wimbledon, dem größten europäischen Tennisturnier. Max und Philipp werden einige der Episoden im Juni auf der BoBiennale in Bochum präsentieren, vielleicht auch auf weiteren Kunstfestivals in verschiedenen Ländern. Durch den Austausch mit den Autoren könnten auch weitere Projekte angestoßen werden. „Vielleicht wendet sich jemand an uns und sagt, er habe Material aus Nordafrika oder Amerika. Dann machen wir halt was dazu“, sagt Max. Es wären Impulse aus einem europäischen Netzwerk.
Foto: Tobias Blickle, Gute Zeit Film