Tina Chau ist Comedienne – leider immer noch eine Seltenheit
Das Publikum fängt an zu klatschen, bevor Tina Chau auf die Bühne kommt. Bevor sie das Mikro in die Hand nimmt. Bevor sie an diesem Sonntagabend auch nur ein Wort sagt. Es ist Anfang Januar im Provisorium in Haidhausen: Natan Bilga, Moderator des Comedy-Open-Mics „Rührei auf Ex“, hat Tina angekündigt, da setzt der Applaus schon ein, wird lauter, als sie ins Scheinwerferlicht tritt. Wohl kaum jemand im Publikum weiß, wer Tina ist. Aber sie klatschen dennoch. Weil sie wissen, dass sie die einzige Frau an diesem Abend ist, bei acht Auftretenden. Tinas Auftritt ist kurz, vielleicht viereinhalb Minuten später verschwindet sie schon wieder in Richtung Bar. Erneuter Applaus.
Seit vergangenem Sommer tritt Tina Chau, 20, bei Comedy-Open-Mics in München auf. Zwei Wochen nach dem Abend in Haidhausen sitzt sie in einer kleinen holzvertäfelten Kammer in einer Bibliothek und spricht über die Münchner Comedy-Szene: „Teilweise gibt es Wochen, in denen im Line-up keine Frau ist“, sagt sie. Auf fünf, sechs neue männliche Comedians komme vielleicht eine Comedienne. Weibliche Hosts und Moderatorinnen von Comedy-Open-Mics gibt es kaum in München. In Foren im Internet stößt man auf Beiträge wie: „Wieso sind Frauen nicht lustig?“
Tritt Tina auf, sticht sie hervor, obwohl sie auf der Bühne nicht wild gestikuliert oder Grimassen schneidet. „Ich merke auch, dass es Aspekte gibt, bei denen ich mich bewusst klein mache“, sagt sie. Durch Kleidung etwa: Meist trägt sie schlichte, einfarbige Tops und Jeans. Nichts Ausgefallenes, nichts betont Weibliches. „Ich glaube, viele Frauen haben durch ihre Erziehung, durch gesellschaftliche Bedingungen eine höhere Hemmschwelle, sich vor anderen hinzustellen, sich zu zeigen“, sagt Tina, die Arme verschränkt auf dem Tisch liegend. Aber immerhin: Sie denkt, dass da ein Bewusstsein wächst. Dass die meist männlichen Hosts versuchen, zu reagieren. Auch Serien greifen das Thema auf. Beispielsweise geht „The Marvelous Mrs. Maisel“, eine US-Produktion, über eine jüdische Hausfrau, die in den 1960er-Jahren eine Comedy-Karriere einschlägt, dieses Jahr in die vierte Staffel.
Aufgewachsen ist Tina in Straubing, für ihr Studium, Amerikanistik, zog sie nach München. Comedy-Bühnen? So etwas gebe es in Niederbayern nicht, sagt sie. Comedy-Shows schaute sie sich deshalb im Internet an: viel Felix Lobrecht, auch Hannah Gadsby, eine australische Comedienne, die viel darüber spricht, was es heißt, eine Frau zu sein, und auch: eine Frau auf der Bühne.
In München besuchte Tina dann verschiedene Open-Mics, saß aber immer nur im Publikum. Bis zu einem Abend bei „Lola Land“, dem ehemaligen Comedy-Open-Mic in der Lola Bar im Glockenbachviertel. Da war noch ein Platz frei, sie wurde gefragt, ob sie mal ans Mikro wolle. Wollte sie. „Ich bin da eher zufällig reingerutscht“, sagt sie und klingt leicht erstaunt. Comedy als Beruf, das könnte sie sich vorstellen. Vielleicht kein Solo-Programm, aber im Hintergrund, als Schreiberin.
„Ein guter Witz“, sagt Tina, „ist nicht vorhersehbar.“ Und sie sagt auch: „Ich will, dass die Leute über etwas lachen, in das ich Gedanken gesteckt habe.“ Auf Ideen für ihre „Bits“, einzelne Bausteine für die Auftritte, kommt sie im Alltag. Einmal ist ihr beim U-Bahnfahren ein Sonnebrillenträger, Typ gutgeschnittenes Hemd, gegenüber gestanden. Es war Nacht, der Waggon und der Bahnsteig waren beleuchtet. Die Sonnenbrille nahm der Mann trotzdem nicht ab. So etwas notiert sich Tina im Handy, mehr als 2000 Wörter hat sie schon gesammelt. Und es werden immer mehr. Über ihre Bits sagt sie: „Ich glaube, man kann nie zufrieden sein mit seinem Material. Und wenn man es ist, dann hört man auf.“
Ein Thema lässt Tina auf der Bühne bewusst aus: ihre vietnamesischen Wurzeln. „Was viele deutsche Comedians mit Migrationshintergrund machen, ist: sehr viel über ihre Herkunft reden“, sagt sie. Fast die Hälfte des Programms bestehe dann aus solchen Witzen. Klischees und Stereotype würden dadurch reproduziert. Wieso werden solche Witze immer noch aufgeführt? Tina schweigt, überlegt, lässt sich Zeit mit einer Antwort. Dann sagt sie: „Wenn sich die Person auf die Bühne stellt, sagt: ‚Ich bin Comedian, lacht darüber‘, dann ist das oft eine Befreiung für das Publikum.“ Es glaubt dann, lachen zu dürfen, auch wenn der Comedian Vorurteile bedient. „Ich möchte dieses Vorgehen nicht pauschal verurteilen. Nur frage ich mich: Hast du noch etwas anderes, worüber du reden kannst?“
Max Fluder