Pöbeln und Poesie

Erst rumbrüllen, dann nachdenklich werden. Poetry-Slammer Yannik Sellmann, 22, überzeugt durch lautstarke Komik. Der amtierende Münchner Stadtmeister wollte ursprünglich Richter werden, doch das Jura-Studium bricht er nach vier Semestern ab

Yannik Sellmann spricht laut und schnell. Zu laut und zu schnell für ein normales Gespräch. Doch auf der Bühne ist genau das sein Markenzeichen geworden: Wenn der junge Poetry-Slammer seine Texte vorträgt, dann schreit er. Schreit. Und schreit. Und schreit. Schreit im Höchsttempo Gedanken in den Raum über die Unfähigkeit, die eigenen Gefühle auszudrücken, über Filme wie „La La Land“, die eine perfekte Welt erzählen, während man selbst „auf dem Bett sitzt, Cornflakes aus der Packung isst, Formel-1-Rennen schaut“ und darauf wartet, dass am bunt gefärbten Horizont eine Lebensvision auftaucht, die sich erfüllender anfühlt als das vermeintliche Glück der dauer-singenden und dauer-tanzenden Hauptfiguren.

Was er da schreit und wie er das schreit, kommt beim Publikum gut an: 2016 war Yannik bayerischer Meister im Slammen, 2017 kam der 22-Jährige ins Stechen der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften, vergangenen Herbst hat er zudem Alex Burkhard den Titel des Münchner Stadtmeisters abgerungen. Rund 80 Auftritte hatte der Wortkünstler 2017, war auf Tour in ganz Deutschland unterwegs. Man kann sagen, Yannik ist erfolgreich.
 Geplant war eine derartige Karriere nicht: Als er 2014 aus seiner Heimat Hamm in Nordrhein-Westfalen zum Jura-Studium nach München kommt, will er noch Staatsanwalt werden. Oder Richter. Doch anstatt Paragrafen zu pauken, schließt Yannik sich einer Improtheatergruppe an. Seine Impro-Kollegen nehmen ihn mit zu Münchens wohl bekanntestem Poetry-Slam im Substanz. Als er dort die auftretenden Poeten sieht, ist Yannik angefixt. Er erinnert sich: „Da habe ich gedacht: Das könnte was für mich sein“, sagt er. Beim Einstieg geholfen habe ihm damals auch seine neue Heimat München, denn die Stadt biete zahlreiche Formate, bei denen junge Slammer sich ohne Druck ausprobieren können.

In der Tat geht auch Yannik bei einer solchen Veranstaltung zum ersten Mal auf die Bühne: Er trägt sich in die offene Liste der Kiezmeisterschaft im Westend ein, einem Slam, bei dem jeder spontan mitmachen kann, egal wie erfahren er ist. „Es hatte keine wirkliche Fallhöhe. Viele treten hier zum ersten Mal auf, es kann auch schlecht sein. Das hat mich einfach ermutigt, dort mitzumachen“, sagt er rückblickend.

Danach geht für ihn alles sehr schnell. Der Jungpoet findet Anschluss in der lokalen Slammer-Szene, schafft es in nur zwei Jahren zu den ganzen großen Veranstaltungen und Meisterschaften. Eine Blitzkarriere. Aber während es auf den Slambühnen für ihn steil bergauf geht, steht das Studieren hinten an. Öde wirken Themen wie EU-Recht auf einmal, derentwegen er einst Jurist werden wollte. Yannik sieht sich nicht mehr im Beruf des Anwalts und bricht nach vier Semestern sein Studium schließlich ab.

Doch je größer der Erfolg als Slammer, umso mehr steigt der innere Druck, nicht immer mit den selben Werken auf die Bühne zu gehen, kein „One-Hit-Wonder“ sein zu wollen, sondern neue Texte zu produzieren und sich facettenreich zu präsentieren. „Man muss Ergebnisse liefern“, sagt Yannik. Der junge Mann sieht das aber in erster Linie als Ansporn an sich selbst – auch weil es ihn langweile, permanent das Gleiche vorzutragen.

In den Texten, die Yannik schreibt, thematisiert er auch Persönliches: So slammt er etwa über seine Krankheit. Seit er 12 Jahre alt ist, leidet er unter chronischen Psychosen. Das prägt. Welche Medikamente nimmst du? Wie fühlt es sich an, mit so einer Diagnose aufzuwachsen? Diese Fragen hört Yannik oft. Einige der Antworten verdichtet er in seinen Texten. „Ich schäme mich nicht für meine Krankheit und bin da auch offen, aber ich passe natürlich auf, dass ich den Leuten auf der Bühne nur das von mir zeige, was ich ihnen auch zeigen möchte“, sagt der Slammer. Für ihn sei es wichtig, diese Grenze zu wahren, das Publikum nicht „emotional zu erpressen“, wie er es formuliert. Wie viel gebe ich von mir preis? Was bleibt besser privat? Solche Sachen beschäftigen ihn. „Es gab auch Texte, wo ich erst auf der Bühne gemerkt habe, dass ich das doch lieber nicht erzählen möchte. Dann lässt man es halt wieder.“ Denn Mitleid erregen, das will Yannik auf keinen Fall. „Was ich verhindern will, ist, dass die Leute sagen: Der hat eine Psychose, wie schade, und deshalb gebe ich ihm eine gute Bewertung. Daher versuche ich zu vermeiden, mich selbst in die Opferrolle zu drängen.“

Dabei hilft auch, dass Yannik sich auf der Bühne oft selbst ironisiert, denn viele der Pointen, die er herausbrüllt, zielen auf ihn als Person ab. Die Figur des schreienden Mannes, die er dabei so gerne spielt, findet er selbst unheimlich witzig, gibt er zu. „Es ist in mir so ein Drang, Witze an die Leute zu bringen, auf der Bühne lustig sein zu wollen“, sagt Yannik. Das funktioniert, je nach Publikum, unterschiedlich gut. „Als ich das erste Mal in NRW aufgetreten bin, habe ich erst gemerkt, dass mein Humor von dort kommt und meine Texte da auch besser aufgenommen werden.“ In München habe er sich anfangs erst mal an den bayerischen Humor gewöhnen müssen. „Ich kann das nicht genau beschreiben, aber man lacht hier generell weniger – und auch über andere Dinge. Und: Der Humor ist derber.“

Derb, das sind seine Arbeiten nicht. Denn genau dort, wo sie es werden könnten, nach all dem Geschrei, der Heiserkeit, des Sich-in-Rage-Slammens, steigt Yannik aus, wird leise, im Ton wie in den Gedanken, die er vorträgt. „Yannik-Sellmann-Formel“, nennen das seine Freunde. Erst rumschreien und dann die Kurve zum Tiefsinnigen, zum Nachdenklichen kriegen. Für den jungen Slammer ist dieser Bruch wichtig, denn: „Ich möchte den Leuten etwas mitgeben außer nur Lacher.“

In dieser Doppelbödigkeit, die irgendwo zwischen absoluter Komik und absoluter Traurigkeit schwankt, scheint ein Potenzial zu liegen, das nicht nur vom Slam-Publikum geschätzt wird: Auf Einladung von BR 2 macht Yannik seit diesem Frühling mit seinen Slammerkollegen Johannes Lenz und Philipp Potthast den Podcast „Weekly Rewind – der slam-poetische Wochenrückblick“, nebenher hat er in den vergangenen Jahren zudem bei der Produktionsfirma Walulis TV gearbeitet, die die Medienformate des Comedian Philip Walulis produziert. Dort hat man ihm nun ein zweijähriges Volontariat angeboten.

Sollte Yannik diesen Job antreten, würde er nicht mehr so häufig als Slammer auftreten können wie bisher. Das weiß er. Vollständig vom Slam abkehren will er nicht. Muss er vielleicht auch nicht. Die Münchner Poetin Fee etwa zeigt, dass zwei Lebenspläne unter einen Hut passen: Seit Herbst studiert sie Operngesang in Berlin, dennoch steht sie in ihrer freien Zeit nach wie vor als Slammerin auf der Bühne. Es gibt sie also, die Möglichkeit beides zu machen. „Ich muss eben sehen, wie viel Slam in mein Leben passt“, sagt Yannik.

Foto: Stephan Rumpf

Text: Carolina Heberling

Band der Woche: Manatees Fight Club

Manatees Fight Club hat sich sowohl dem Grunge als auch dem Indie verschrieben. In ihren Songs mischen sie soziale Themen mit surrealen Szenen, denn “der Spaß sollte bei der Musik nie fehlen und ein bisschen Selbstironie hat noch keiner Band geschadet”.

Dass Popmusik richtig lustig wird, ist selten. Außer im Hip-Hop, der es durch seine bisweilen sowieso recht theatrale Form ermöglicht, dass die Musiker auf der Bühne zu Kunstfiguren werden. Im Indie-Rock hingegen ist Humor, vor allem einer, der sich auch einmal gegen den Künstler selbst richtet, eher schwierig. Denn Indie möchte den Hörer berühren, ihn mitnehmen, sein Seelenleben durchrütteln. Dass einem Künstler, der sich selbst nicht ernst nimmt, so etwas gelingt, ist außergewöhnlich. Doch im Grunge gab es Anfang der Neunzigerjahre Bands, denen das gelang. Etwa Nirvanas wesentlich unbekanntere Zeit- und Stilgenossen Mudhoney oder die Supersuckers schafften es, sich selbst auf die Schippe zu nehmen und dabei gleichzeitig zu vermitteln, dass sie es mit ihrer Musik durchaus ernst meinen.

Nun ist in München eine Band aufgetaucht, die als Selbstbeschreibung einen Text aus dem Kindler Tier-Lexikon wählt: „Manatees (zu deutsch Manatis) sind Säugetiere und gehören zu den Seekühen. Sie sind sehr friedliche, neugierige und zutrauliche Tiere. Ihr Leben besteht aus Essen, Schlafen und mit Artgenossen Schmusen“, schreibt die Band Manatees Fight Club auf ihrer Homepage. Doch Kuschelrock hat hier keiner zu erwarten, denn folglich seien diese süßen Seekühe für die fünf Musiker die richtigen Lebewesen, die sie in die Kampfarena illegaler Tierkämpfe schicken würden. Zumindest mit ihrem Bandnamen und dem Bandlogo, in dem eben jene Tiere in blutrot gefärbtem Wasser zum Zweikampf antreten.

Willkommen in dem schrägen Universum, in dem sich das Quintett stilistisch positioniert. Sänger Michael Seitz und Gitarrist Felix Weißl sind für die Texte verantwortlich. Soziale Themen wie Straßenarmut oder Depression mischen sie mit absurden Songideen und surrealen Szenen: „Der Spaß sollte bei der Musik nie fehlen und ein bisschen Selbstironie hat noch keiner Band geschadet“, erklären sie. Doch wenn man das dann als eine Mischung aus Grunge und den Libertines musikalisch vorgetragen hört, zeigt sich die Kehrseite: Schwere und verlangsamte Gitarrenriffs treffen auf tief-röhrenden Gesang, Moll-Harmonik und Mitteilungsbedürfnis brechen sich an zur Schau gestellter Slacker-Attitüde und einer zelebrierten Outsider-Rolle. Die Musik von Manatees Fight Club schwingt permanent zwischen Würde und Loser-Einstellung. Das führt zu einer Ironie, die der von Becks Slacker-Hymne „Loser“ sehr viel näher ist, als den ironischen Distanzierungen, die die Popwelt von 2000 an erfuhr.

Drei Songs haben Manatees Fight Club, die sich Anfang 2017 in ihrer jetzigen Besetzung zusammenfanden, bislang aufgenommen. Die Musik ist präsent und drückend produziert. Derzeit suchen sie ein Label und planen, ein Album aufzunehmen. Doch neben dieser klassischen Herangehensweise drückt auch da wieder dieser spezielle Humor aus postpubertärem Jungswitz und einer wohltuenden Verweigerungshaltung durch: „When you go out, don’t be yourself“ singen sie und schreiben Nirvanas Wunsch „Come as you are, as you were, as I want you to be“ weiter. Dabei halten sie sich nicht mit Kleinigkeiten auf, sondern veröffentlichen ein Manatees Fight Club Memory-Spiel zum Ausdrucken, das sie mit einer ähnlichen Vehemenz bewerben wie ihre Musik.

Stil: Grunge/Indie
Besetzung: Michael Scheitz (Gesang), Johannes Knebl (Lead-Gitarre), Felix Weißl (Rhythmus-Gitarre), Martin Berger (Bass), Bernhard Geiger (Schlagzeug)
Aus: München/Altötting
Seit: 2017

Text: Rita Argauer

Foto: Michael Scheitz

Zeichen der Freundschaft – Von Humor

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Zwei Jungs, die ein ganz spezieller Humor miteinander verbindet. Der kommt nicht bei jedem gut an, der Freundschaft tut das aber keinen Abbruch. 

Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Pierre und ich schleichen uns unauffällig aus der Küche. Wir holen unsere
Jacken aus dem Wohnzimmer, schließen die Haustür auf, und sind weg. Wir sind
ein Stockwerk tiefer angekommen, als die Tür wieder aufgeht. „Wo geht ihr denn
hin?“, schreien die beiden Mädels aufgeregt. „Erigieren!“, rufen wir im
Einklang. Wir kichern, und laufen weiter.

Etwa eine Stunde vorher. Samstagabend, kleine WG-Party im Westend. „Tut mir echt
leid Alter“, murmelt Pierre, „hätte ich das gewusst, dann hätte ich dich echt
nicht hergeschleppt.“ Ich reagiere nicht, er kann ja nichts dafür. Plötzlich
fängt er an zu Grinsen. Das ist meist ein schlechtes Zeichen – nämlich ein
Zeichen dafür, dass gleich eine sehr dumme Aussage seinen Mund verlassen wird.
„Okay, Frage: Was macht ein König?“. Er räuspert sich. Mittlerweile sind seine
Mundwinkel fast an den Ohren angekommen. Pierre hat einen sehr distinkten Humor
– man könnte sagen, irgendwo weit hinter der Grenze des guten Geschmacks. Ich
grinse auch schon. Ich habe keine Ahnung was kommt, aber ich lache auch meistens
erst da, wo andere schon die Augen verdrehen. „Keine Ahnung“, antworte ich. Ich
lasse mir meine Vorfreude auf die kommende Aussage nicht anmerken. „Er regiert,
er regiert, er regiert!“ Wir prusten los, wie pubertäre Achtklässler. Geil,
mentale Notiz wird gemacht. Daraus lässt sich irgendwann was machen.

Die WG-Bewohnerinnen haben mittlerweile festgestellt, dass unsere Ecke
deutlich unterhaltsamer ist als der Rest der Party. Sie gesellen sich zu Pierre
und mir, das Schuljungengekicher hat es ihnen wohl angetan. „Jungs, wir wollen
mitlachen!“, sagt die Eine. Für Pierre ist das natürlich kein Problem. Ich
hingegen sehe das Problem kommen – darüber wird hier außer uns keiner lachen.
Zu spät, der Gute ist schon in seiner Routine. „Okay, Frage: Was macht ein
König?“ – „Wie was macht ein König?“ – Geht ja schon gut los. Aber Pierre merkt
es nicht, er will die Pointe loswerden. „Er regiert, er regiert, er regiert!“ –
Wir prusten wieder los. Was witzig ist, bleibt witzig. „Versteh ich nicht“,
sagt die Eine. Damit ist der Witz nun tot. „Ja, er regiert halt. E-RI-GIERT!
Das kennst du doch, oder?“ Wir prusten weiter. Ich stell mir die britischen
Royals vor – verlieren ja alle schon die Haare vom ständigen regieren.
Testosteron, und so.

Die Mädels haben keine Lust mehr. Pierre und ich stellen fest, dass uns auf
dieser Party nichts mehr hält. Hier werden wir keine Freunde finden, zumindest
nicht die Art von Freundschaft, die uns zusammenhält. Je mehr wir uns gemeinsam
in sozialen Situationen aufhalten, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass wir
leicht speziell sind. „Stimmt doch gar nicht“, schlussfolgert Pierre, „aber wer
über regierende Erektionen nicht lachen kann hat meine Anwesenheit nicht
verdient!“ Wir schleichen uns unauffällig aus der Küche. Wir holen unsere
Jacken aus dem Wohnzimmer, schließen die Haustür auf, und sind weg.

Von: Matthias Kirsch