Tabitha Nagy

Leben nach Corona

Es wird sie geben, eine Zeit nach Corona – bis dahin halten unsere Autoren und Autorinnen hier fest, was sie besonders vermissen und worauf sie sich am meisten freuen.
Von Tabitha Nagy
Ich liege auf einem Steg, die Sonne scheint auf meinen Rücken. Ich spüre, wie sich die Strahlen langsam in meine Haut einbrennen. Bald muss ich mich wohl umdrehen. „Kannst du mir den Rücken einschmieren?“ Den Geruch von Sonnencreme mag ich nicht. Sonnenbrand allerdings noch weniger. Kurz überlege ich, ob ich nicht doch einfach mein großes, leichtes Tuch über mir ausbreiten soll, welches ich zur Sonnenabwehr im Sommer oft dabei habe. Es platscht, Wasser spritzt, kalte Tropfen landen auf meiner gewärmten Haut und ich zucke kurz zusammen. Ein Kind ist ins Wasser gesprungen. Diese Szene spielt sich schon seit Monaten in meinem Kopf ab. Ein Tag im Sommer am See. Einer wie so viele andere. Wir schwimmen, lassen die am Ufer bratenden Menschen und die planschenden Kinder hinter uns. Bald sind wir alleine und das Wasser riecht nicht mehr nach Menschen und Sonnencreme. Der See ist groß, weit, tief. Wir schwimmen immer weiter; an den Booten vorbei. Es ist fast wie eine Erinnerung – und dann doch nicht. Es ist verschwommen, dann wieder glasklar, doch passiert ist es so nie. Klar, ich war schon oft schwimmen, an verschiedenen Orten, mit ganz unterschiedlichen Menschen – allerdings immer in einer Gruppe, das gehört für mich dazu. Alleine macht mir ein solcher freier Tag einfach keinen Spaß. Tagträume habe ich oft, viele – wie auch dieser – fliegen mir zu, meist während ich einer alltäglichen Aufgabe nachgehe, oder auch auf einem meiner Spaziergänge, die ich gerne und fast täglich mache. Andere webe ich mir selbst, sie helfen mir bei schweren Entscheidungen Szenarien durchzuspielen, mich abzulenken, oder auch vergangene Situationen neu und mit einer gewissen Distanz zu betrachten. In beiden Fällen bestehen sie aus meinen Erinnerungen, aus meinen Wünschen, aus meinen Ängsten. Dieser Tagtraum ist unklarer, er wirkt verschleiert. Es ist nicht klar, mit wem und wo genau ich hier gerade bin. Vielleicht ist es auch nicht wirklich wichtig. Es ist ein Traum vom Sommer, von einem unbeschwerten Tag am See mit Freunden. Der Geruch von Grillkohle, die Kühle des Sees, das Gleißen der Sonne. Ich schließe meine Augen und sehe die Farbe meiner Lider. Jemand hat bayerische Spielkarten mitgebracht. Wir spielen Watten. Ich verliere, wir lachen, ich lehne mich an einer Schulter an. Die Sonne hat mich müde gemacht. Wir gehen noch mal schwimmen. „Ah, kalt!“, als wir in den See waten kommt es zur Wasserschlacht. Keiner weiß, wer angefangen hat. Ist auch egal. Wir trocknen uns in der letzten Wärme, während die Sonne untergeht. Am kommenden Wochenende gehe ich, zum ersten Mal in diesem Jahr, schwimmen. Aber nur mit einer kleinen Gruppe und auf Distanz. Ich sehne mich danach, dass dieser Tagtraum Wirklichkeit wird, dass wir uns wieder ohne Sorgen umarmen, und die Rücken mit Sonnencreme einschmieren können. Bis dahin blicke ich mit geschlossenen Augen zur Sonne, betrachte die Farbe meiner Lider und werde dieses Wochenende wohl mein Tuch zum Schutz vor der Sonne mitnehmen.