Von Laurens Greschat
Die vergangenen Wochen im Hausarrest (gefühlt) waren gerade für mich als Freund der elektronischen Musik eine enorme Herausforderung. Allzu oft ertappte ich mich dabei, wie ich in Tagträume abdriftete, die mich in die Welt der Tanzflächen entführten. Mit dem Feierngehen verhält es sich für mich ähnlich wie mit Zigaretten, von denen ich eigentlich gerade versuche loszukommen: Die Abstinenz führt zu Entzugserscheinungen, die die ganzen digitalen Angebote zwar mindern, aber nie wirklich ersetzten können – ein bisschen wie Nikotinkaugummis für Raucher halt. Nachdem also in den vergangenen Wochen, Corona-bedingt, der Klubbetrieb nahezu stillstand, kommt er jetzt aber mit den Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen so langsam wieder ins Rollen. Für mich der Startschuss, mit Vorsicht wieder auszugehen und die Angebote zu genießen, die das Münchner Nacht- und Kulturleben so zu bieten hat.
Um mich nach der viel zu langen Pause wieder an den Ausgebetrieb zu gewöhnen, starte ich am Freitag erst mal mit Radio 80k, die mich von acht bis 20 Uhr mit kostenloser Musik versorgen, mit dabei unter anderem eine Live-Performance der Münchner Pianistin und Komponistin Sophia Jani von 18 bis 2o Uhr, mit einer Mischung aus zeitgenössischer Klassik und Ambient. Anschließend zieht es mich – trotz bewölkten Himmels – in den Bahnwärter Thiel zum Prosecco Retreat in den Biergarten. Etwas riskant, denn der Biergarten hat nur bei gutem Wetter geöffnet. Hier versorgt mich Darai Lama, von 17 bis 22 Uhr mit Down-Tempo Flow-House. Aber nicht vergessen: Die Pandemie ist noch nicht vorbei! – deshalb Masken auf und erst abziehen, sobald man am Tisch angekommen ist.
Am Samstag treibt es mich dann in zu einem ganz besonderen Abendessen. Mit dabei ist meine Freundin, mit der ich von 18 Uhr an in den Blitz-Garten einkehre. Dann legt hier der italienische DJ und Produzent Stenny auf, der inzwischen fester Teil des Münchner Labels der Zenker Brothers ist. Während des Essens bespielt Stenny mit Breakbeat intensivem Elektro die Gäste und erzeugt so die hoffentlich perfekte musikalische Untermalung für alle, die keine Freunde von stillen Abendessen sind. Allerdings wird es warscheinlich voll. Vergesst also nicht, euch vorher einen Tisch zu reservieren.
Auch ein weiteres kulinarisches Event kann ich mir nicht entgehen lassen: das am Sonntag im Rahmen der dezentralen CSD-Pride-Week stattfindende Frühstück bei Miss Lillys in der Oefelestr. 12. Schlecht fühlen muss ich mich trotz opulentem Weißwurstfrühstück dennoch nicht, denn ein Euro pro Mahlzeit, gehen als Spende an die Münchner Regenbogenstiftung.
Montags überkommt mich meist ein kleines emotionales Tief. Ich kann zwar wieder Livemusik hören. Tanzen – sonst meine wöchentliche Therapiestunde – ist aber bei keiner der Veranstaltungen drin – nur sitzen und zuhören. Ich entschließe mich daher, mir jemanden zu suchen, dem ich mein Leid klagen kann. Wie praktisch, dass Autorin und Regisseurin Doris Dörrie genau das richtige Programm parat hat. Vom 5. bis zum 7. Juli bietet sie in mehreren Telefonzellen auf der Wiese vor der Filmhochschule München ihr offenes Ohr, für all jene an, die ihr ihre Probleme, Ängste und Sorgen mitteilen wollen. „Zuhören“ nennt sich die Installation und jeder ist zwischen 14 und 20 Uhr eingeladen mit jemandem zu reden, der macht, was mich die vergangenen Wochen deprimiert hat – einfach sitzen und zuhören.
Hoffentlich gestärkt, durch den emotionalen Beistand, fahre ich am Dienstag in die Gegend zwischen Leonrodstr. und Ysenburgstr. Hier bieten Kulturtreibende – die wirtschaftlichen Hauptleidenden der Corona-Krise – ein kostenloses Straßenkonzert für Anwohner an. Kulturlieferdienst nennt sich die Aktion. Spenden sind gerne gesehen und können per PayPal überwiesen werden. Da ich allerdings kein Anwohner bin, werde ich mir die Musik im Livestream anschauen, denn wird die Veranstaltung zu groß, muss sie aufgelöst werden.
Mittwoch kommt dann die langersehnte Tanzmöglichkeit. In der Roten Fabrik wird ein Trance-Tanz angeboten. Das ist zwar kein Klubevent, erzielt aber möglicherweise die gleiche Wirkung, wie acht Stunden Dauertanzen im Harry Klein. Von 20 Uhr an werde ich hier hoffentlich erst mit Meditation und Gesprächsrunde aufgelockert, um mich danach für anderthalb Stunden in Trance zu tanzen. Am Ende fühle ich mich dann hoffentlich so, als wäre es 9 Uhr morgens und ich würde gerade aus den Tiefen eines stickigen Klubs in die warme Münchner Morgensonne entlassen.
Am Donnerstag steht eine Veranstaltung an, die ich mir schon lange im Kalender vorgemerkt habe. Da ich mir vor Kurzem meinen Arm gebrochen habe, der jetzt in einem Baby-blauen Gips steckt und einfach nicht durch meine Hemdsärmel passen will, wird es Zeit, meinen Kleiderschrank aufzustocken und mit Klamotten im XXL-Format zu bestücken, durch die sogar mein Ungetüm von Gips durchpasst. Außerdem kann man sich hier grandios für die hoffentlich kommende Festivalsaison eindecken. Also ab auf die Praterinsel zum Vintage-Popup-Store. Wer sich vorher online anmeldet, spart sich die drei Euro Eintritt und eventuelle Wartezeiten.
Nach dem intensiven Programm lasse ich meine Woche entspannt beim Frischluftkino, im eine Welt Haus in der Schwanthalerstr. 80 ausklingen. Hier erwartet mich am Freitagabend um 21.30 Uhr der Film: Good Morning Karachi, ein Drama über eine junge pakistanische Frau auf der Suche nach Selbstbestimmung und Freiheit in der Modewelt. Genau das perfekte Abschlussprogramm nach einer Woche voller Musik und Kultur. Von hier aus laufe ich dann wahrscheinlich gemütlich nach Hause, falle in mein Bett und träume von den Zeiten, in denen Feiern wieder ohne Beschränkungen möglich sein wird.