Kunststudent Jonas Höschl fotografierte 2016 in einem Camp an der griechisch-mazedonischen Grenze Geflüchtete. Daraus ist eine Kunstinstallation entstanden, die beim Betrachter ein beklemmendes Gefühl hinterlässt.
Von Amelie Völker
Die zehn Porträts erinnern an Fahndungsfotos. Die Menschen auf den Aufnahmen sind Flüchtlinge. Fotografiert von Kunststudent Jonas Höschl, 25, bei seinen Aufenthalten im Camp Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze. 2016 ist er spontan dorthin hingefahren, um zu helfen. Und um Fotos zu machen. Entstanden ist eine Kunstinstallation mit dem Titel „Europe is lost“. Sie hinterlässt ein beklemmendes Gefühl. Auf einem Foto ist ein Mann zu sehen, dessen Gesicht komplett vermummt ist, ein anderer trägt eine dunkle Sonnenbrille und raucht. Dadurch möchte Jonas das Klischee des Flüchtlings als potenziellen Terroristen bedienen und dieses Klischee dadurch verurteilen.
Jonas Höschl geht es um den wiederkehrenden Nationalismus in Europa
„Es war mir wichtig, durch die Raumsituation der Installation eine drückende und bedrohliche Stimmung aufzubauen“, sagt der junge Fotograf. Doch warum sollen Porträts von Flüchtlingen bedrohlich wirken? „Zu Beginn soll der Eindruck entstehen, es handele sich hier um eine rechtspolitische Arbeit“, sagt Jonas. „Ich habe diese Fotos in ein Medium übersetzt, das allein durch seine Geschichte bereits propagandistisch aufgeladen ist.“ Gemeint ist hier die Gestaltung der Plakate, die an den Fahndungsfotos angelehnt sind. Jonas geht es um den wiederkehrenden Nationalismus in Europa. Ich möchte „den Deutschen den Spiegel vorhalten, dass sie sich vor sich selbst erschrecken und lieber noch einmal zwei, drei Schritte zurückgehen und versuchen, Dinge neu zu denken“, sagt er. Der Betrachter soll sich die Frage stellen: Ist Europa verloren? Und wenn ja: Wegen der Menschen oder wegen der vorherrschenden Verhältnisse und Strukturen? Und diese Fragen sollen, wie die Atmosphäre der Ausstellung selbst, bedrohlich wirken. „Europe is lost“ war vergangenes Jahr für den „Karl & Faber-Preis“ der Stiftung Kunstakademie München nominiert und wurde in den dortigen Räumlichkeiten ausgestellt.
Jonas studiert freie Kunst und Bildhauerei an der Kunstakademie München, sowie Fotografie und Grafikdesign in Nürnberg. Er denkt multimedial, seine Kunst ist fast immer medienübergreifend. Zu sehen sind mal Holzschnitte und Radierungen, mal Siebdrucke oder Fotografien. Mal behandelt er das Thema „Glück“, shootet nackte Selbstporträts oder Aufnahmen einer Rapcrew für das Cover der aktuellen Ausgabe des Magazins Das Wetter. Der junge Kunststudent mit den tätowierten Unterarmen hat, so scheint es zu sein, seinen eigenen Kunstbegriff gefunden: „Ich suche mir für meine Arbeiten aktuelle, gesellschaftsrelevante Themen aus, wie die sogenannte Flüchtlingskrise“, sagt er. In seinen Arbeiten befragt er dann Abhängigkeiten und Missstände dieser Themen. Aber muss Kunst stets politisch sein? Jonas stellt eine Gegenfrage: „Wie unpolitisch kann die Kunst sein? Unpolitisch sein heißt, politisch zu sein, ohne es zu merken! Das hat Rosa Luxemburg festgestellt. Und ich denke, dieser Satz hat bis heute nicht an Bedeutung verloren.“ Oft zitiert Jonas in seinen Antworten bekannte Menschen. Autoren, Revolutionärinnen, Politiker.
Schon bevor Jonas anfing, Kunst zu studieren, beschäftigte sich er sich eingehend mit politischen Strukturen. „Die Welt, in der wir leben, ist eine politische und so hat all unser Tun – sei es in der Kunst oder privat – auch einen politischen Impact“, sagt er. Jonas spricht konzentriert und bedacht. Doch 2016 handelt er gegensätzlich. Spontan, beinahe überstürzt fährt er nach Griechenland. Das Leid in den Flüchtlingscamps, das täglich in den Medien zu verfolgen war, konnte er nicht mehr untätig ertragen. Jonas wirkt bescheiden, wenn er von seinem Engagement erzählt. „Ich möchte mich gar nicht so in den Vordergrund spielen“, sagt er. „Da gibt es andere Leute, die da wichtigere Arbeit machen und gemacht haben. Und ich möchte, dass der Fokus mehr auf den Betroffenen bleibt.“
Jonas schloss sich dem Solidaritätskonvoi „Ain’t no border high enough“ an – ein damaliger Hilfskonvoi, der Hilfsgüter sammelte und in Flüchtlingscamps brachte. In verschiedenen Camps half Jonas unter anderem bei „No border kitchen“, ein selbstorganisiertes und unabhängiges Hilfsprojekt auf Lesbos, das dort Essen verteilt, sich aber auch für die Rechte der „Refugees“ einsetzt. Jonas benutzt im Gespräch ausschließlich das englische Wort für Flüchtling. Fragt man ihn nach dem Grund, verweist er auf die negative Färbung des Wortes Flüchtling. „Ich versuche das Wort zu vermeiden“, sagt er.
In seiner Diplomarbeit beschäftigt er sich kritisch mit dem Begriff Heimat
Flüchtling als Tabuwort? Auch der sächsische Flüchtlingsrat rät auf seiner Homepage vom Gebrauch des Wortes Flüchtling ab: „Hinter der Versachlichung, die durch das Suffix „-ling“ entsteht, verschwinden persönliche Hintergründe von Personen, Bildungs- und Berufsgeschichten, persönliche Interessen und politische Meinungen. Daher ist es angebrachter, von geflüchteten oder geflohenen Menschen zu sprechen“, heißt es dort.
Die beiden „eindrücklichsten“ Camps seien für Jonas das Moria Camp und Idomeni gewesen. Zurück in Deutschland verarbeitet er seine Erfahrungen und Fotografien in Kunst, um auf die dortigen Missstände aufmerksam zu machen, aber auch um gewisse politische Richtungen Europas zu kritisieren.
Zu den Menschen, die Jonas während seiner Aufenthalte in den Camps kennenlernte, hat er auf Grund der Entfernung nur noch spärlich Kontakt. Doch er verfolgt aufmerksam, was sich dort tut. Zurzeit sind das vor allem wieder negative Meldungen: Auf Grund der Coronakrise sind die Menschen in den Camps mehr als anderswo gefährdet, was an den unzureichenden hygienischen Bedingungen, einer kaum vorhandenen medizinischen Versorgung und fehlender Aufklärung liegt. Außerdem macht die Situation es für internationale Helfer und Hilfsorganisationen noch schwieriger, zu den Camps zu gelangen und den Menschen weiterhin zu helfen.
Überstürzt hinfahren und ein weiteres Mal anpacken, kann Jonas diesmal also kaum. Aber seine Installation „Europe is lost“ will er weiterhin ausstellen, sobald das wieder möglich ist. Und in seiner Diplomarbeit an der Akademie beschäftigt sich Jonas momentan mit einer kritischen Beleuchtung der Begriffe Heimat und Entwurzelung.