Regina Richter lernt für ihr Jura-Staatsexamen. Sie sitzt im Rollstuhl und muss bei den Behörden jede Hilfe einfordern. Oft fehlt das Geld für den Wocheneinkauf.
Heute ist ihr freier Tag. Eigentlich. Denn so richtig Zeit, um durchzuatmen, hat Regina Richter, 29, auch an diesem Montag Ende November nicht. Schon den ganzen Tag habe sie mit Behördlichem zu tun, sagt sie. Das gehöre zu ihrem Leben dazu. „Um alles zu schaffen, müsste mein Tag 48 Stunden haben“, sagt sie. Jedes Öffnen des Briefkastens bringt neue Sorgen mit sich. Eine zusätzliche Belastung für Regina, die schon seit ihrer Geburt mit ihrem Handicap lebt. Einer Tetraspastik und Skoliose, alle vier Extremitäten von Regina sind gelähmt, außerdem ist auch ihre Wirbelsäule verkrümmt. Für Regina bedeutet das ein Leben im Rollstuhl und die Notwendigkeit einer Assistenz, die ihr täglich 24 Stunden zur Seite steht.
Sie wollte schon immer all das schaffen, was Menschen ohne Handicap auch möglich ist. Früher haben sie dabei vor allem ihre Eltern unterstützt, heute das „Münchner Pflege Team“. Sie begleiten Regina zum Beispiel auch an die Uni. Hier geht für die junge Frau ihr großer Traum vom Jurastudium in Erfüllung. „Ich wollte schon immer etwas machen, das mit Behörden oder dem Gesetz zu tun hat. Wahrscheinlich auch wegen meiner eigenen Erfahrungen“, sagt Regina. Nach dem Realschulabschluss auf einer Regelschule und ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau, folgte ihr Abitur und 2017 ihr Studium.
Was sie durch all das begleitet habe, seien immer wieder aufkommende Streitigkeiten um staatliche Unterstützung. Regina spricht von einem „unverhältnismäßigen Unrecht gegenüber Menschen mit Handicap“, schon von klein auf sei die Zusammenarbeit mit Kostenträgern und Behörden immer wieder zum Kampf geworden. Was Regina aber vor allem stört, ist das Gefühl, nicht wirklich beachtet zu werden. Es komme ihr so vor, als würde vor allem auf behördlicher Ebene wenig persönlich auf sie eingegangen werden, sondern oft nur nach Aktenlage entschieden.
Wenn Regina davon spricht, redet sie schnell aber überlegt. Macht kaum eine Pause. Es scheint so zu sein, als wolle sie sicher gehen, wirklich richtig verstanden zu werden. Zum Beispiel sei sie dankbar, überhaupt in einem Staat wie Deutschland zu leben und Unterstützung zu erfahren. Trotzdem gebe es eben noch viel Handlungsbedarf. „Wenn die Politik von Inklusion spricht, dann klingt das immer toll, aber in der Realität passiert da noch viel zu wenig“, sagt sie.
An der LMU München sei sie eine der wenigen Studierenden mit Handicap, in ihrem Studiengang kenne sie nur eine weitere Studentin, die vor einigen Jahren ebenfalls ihr Jurastudium im Rollstuhl absolviert hat. Um an einer Acht-Uhr-Vorlesung teilzunehmen, muss Regina schon um 5 Uhr aufstehen. Erst durch Corona wurde ihr Studium endlich digitaler und dadurch inklusiver. An anderer Stelle legt die Corona-Pandemie Reginas Leben weitgehend lahm, behördliche Abläufe würden jetzt noch mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Zeit, die letztlich dazu führt, dass Regina finanzielle Unterstützung fehlt. So würden die Behörden zum Beispiel noch immer darüber streiten, wer für Reginas Grundsicherung aus dem Jahr 2018 aufkommen muss. Die Studentin muss weiter abwarten. In solchen Fällen springen ihre Familie oder das Pflegeteam ein, um für Miete und Lebensunterhalt zu sorgen, auch wenn sie das eigentlich nicht müssten. „In der aktuellen Situation habe ich den Kopf nicht frei, um mich voll auf mein Studium zu konzentrieren“, sagt Regina.
Neben ihrem zeitintensiven Jurastudium belastet sie in den vergangenen Monaten vor allem ihre Wohnsituation. Für ihr Studium zog Regina 2017 in ein Studierenden-Wohnheim in München. Als sie dort nicht mehr wohnen konnte, musste eine neue Bleibe her. Neben der Grundsicherung und Unterstützung für Miete, bezieht Regina Bafög, anders könne sie sich ihr Studium nicht leisten. Im August 2020 unterschreibt Regina dann endlich den Mietvertrag für ihre erste eigene Wohnung am Rand von München. Doch Zeit um sich darüber zu freuen, hat Regina nicht wirklich. Obwohl sie alles mit ihrem Kostenträger frühzeitig abgesprochen und die Dokumente fristgerecht an die Behörden geschickt habe, blieben die Zahlungen erst einmal aus. Ein andauerndes Hin und Her. Stattdessen wurde danach geprüft, ob die Unterbringung in einer stationären Einrichtung nicht günstiger und besser geeignet für sie wäre.
Für Regina kommt das auf keinen Fall in Frage. Sie möchte weiter für ihre Selbstbestimmtheit kämpfen. „Ich würde alles dafür geben, gesund zu sein, dann hätte ich auch nicht den Aufwand, Anträge auszufüllen oder wäre nicht auf staatliche Gelder angewiesen“, sagt Regina „aber ich kann das nun mal nicht beeinflussen. Mein Ziel ist es trotzdem, mein Leben selbst finanziell zu bestreiten. Dafür studiere ich auch.“ Der einzige Weg irgendwann unabhängig von staatlicher Unterstützung zu sein, sei für Regina eine gewisse Eigenständigkeit. Doch gerade die werde ihr zum Verhängnis. Zumindest fühlt es sich für Regina so an. „Ich habe das Gefühl, dass dadurch, dass ich relativ eigenständig bin und den Willen habe, mein Studium durchzuziehen, ich aus dem Raster falle, das unsere Gesellschaft und der Staat für Menschen mit Handicap vorgeben“, sagt sie. Nach aktueller Rechtslage muss Regina als Schwerstbehinderte ein Leben auf Sozialhilfeniveau führen. Ein Problem, das von Menschen mit Behinderung zunehmend thematisiert wird, denn eigentlich müsste es ja im Sinne der Chancengleichheit einen Ausgleich für das Handicap geben.
Nach ihrem Studium kann sich Regina vorstellen ihren Schwerpunkt im Medizinrecht zu finden, auf jeden Fall aber möchte sie sich für Menschen mit Handicap einsetzen, ihnen rechtlich beistehen und sich für mehr Inklusion auf gesetzlicher Ebene stark machen. Erst einmal muss Regina jetzt aber ihr Staatsexamen schaffen. Dass ihr schon für die nötigsten Dinge wie den Wocheneinkauf oder die monatliche Miete Geld fehlt, belastet die Studentin sehr. Gerne würde sie sich auch mal etwas leisten können. Vor allem aber wünscht sie sich, endlich ihre Existenzängste vergessen und sich voll auf ihr Jurastudium konzentrieren zu können.
Von Laura Wiedemann