Foto: Julie Himmelstoss

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Ihre Wurzeln, ihre Herkunft, ihre Hautfarbe: Die „Afro Jugend München“ tanzt, macht Fotoshootings und diskutiert über Rassismus

Sie reckt ihre rechte Faust in die Höhe. Lise-Christine Kobla Mendama, 19, genannt Lizzy, steht im Juni dieses Jahres auf dem Münchner Königsplatz. 25 000 Menschen haben sich hier versammelt. Sie sind dem Aufruf zu einer Demonstration unter dem Motto „Silent Protest – Nein zu Rassismus“ gefolgt. Lizzy ist nicht Teil dieser Menge. Sie steht auf der Bühne. Am Mikrofon. „Keiner, der schwarz geboren ist, kann was dafür. Aber auch niemand, der privilegiert geboren ist, kann was dafür. Das ist nicht das Problem. Das Problem sind die Menschen, die ihre Privilegien nicht nutzen, um Menschen, die unterdrückt werden, zu helfen“, sagt sie mit fester Stimme. Die Menge applaudiert.

Lizzy wirkt älter, als sie ist. Sie spricht selbstsicher und sprüht vor Energie und Tatendrang. Sie sagt selbst, ihr Terminkalender sei stets gefüllt: Lizzy ist Model, Sängerin, Poetry-Slammerin, Influencerin und Aktivistin. Zudem studiert sie Ägyptologie an der LMU und arbeitet nebenbei als Finanzberaterin. Lizzy verfolgt ein Ziel: „Ich möchte eine erfolgreiche schwarze Frau sein, um in der Welt etwas zu verändern“, sagt sie.

Ein Miniatur-Afrika aus Gold. Es hängt an einer filigranen Kette um ihren Hals. Hin und wieder wandert ihre Hand an den kleinen Anhänger. So als würde sie sich versichern wollen, dass er noch da ist. „Die Kette bedeutet mir alles, weil ich Afrika immer bei meinem Herzen trage. Ich hatte sie eine Zeitlang verloren, da ging es mir echt schlecht“, sagt Lizzy. Sie ist Sprecherin und Mitinitiatorin bei „Afro Jugend München“, kurz AJM. Anfang Oktober sitzt sie zusammen mit zwei weiteren Mitgliedern, Akin Laja, 21 und Patricia Balzer, 23, in einem Café am Rotkreuzplatz und spricht über die Anfänge dieser Jugendinitiative, unvergessene Events, sowie das turbulente Jahr 2020. Die AJM – das sind junge Münchner von 13 bis einschließlich 25 Jahren, die sich unabhängig von ihrer Nationalität und Herkunft mit ihren afrikanischen Wurzeln verbunden fühlen. Der Jugendinitiative von und für junge Menschen geht es darum, Begegnungs- und Austauschort zu sein. Es geht darum, sich kreativ zusammenzutun und Events auf die Beine zu stellen: Fotoshootings, Modeschauen, Partys, Konzerte, Reisen oder Diskussionen. Die Aufmerksamkeit liegt dabei auch auf dem, was sie alle verbindet: ihre Wurzeln, ihre Herkunft, ihre Hautfarbe. Und deshalb geht es bei der Afro Jugend München unweigerlich auch um Erfahrungen mit Rassismus, um Toleranz, um „Black Lives Matter“.

Ein Blick auf die Instagramseite der AJM zeigt gut, für was die Jugendinitiative steht: Neben Fotos und Videos der Black-Lives-Matter-Demo, finden sich auch Tipps dafür, wo man in München die besten Afro-Friseure finden kann. Es ist ein diverser Inhalt, ein Mix aus Alltäglichem, gespickt mit den großen, bewegenden Thematiken.

Akin und Lizzy kennen sich bereits seit circa zehn Jahren. Den Anstoß zur AJM gab ein Treffen, das Akins Mutter organisierte. Sie regte 2013 eine Gesprächsrunde an, bei der die anwesenden Jugendlichen darüber reden sollten, wie Afrika in ihren Geschichts- und Erdkundebüchern dargestellt wird. „Ich fand es sofort schön, schwarze Jugendliche zu treffen, die mir einerseits ähnlich waren, aber ich andererseits auch durch den Multikulturalismus einiges Neues lernen konnte“, sagt Akin, der im fünften Semester Psychologie studiert. Von 2014 an trafen sich zwölf dieser Jugendlichen auf eigene Faust wieder und gründeten dann die „Afro Jugend München“.

„Als ich damals bei der AJM beigetreten bin, hatte ich gehofft, die Verbindung zu meinen afrikanischen Wurzeln wiederzufinden, die ich verloren hatte,“ sagt Patricia. Sie studiert BWL mit Fokus auf Medienmanagement und Marketing. Sie schreibt gerade ihre Bachelorarbeit. Ein Fotoshooting unter dem Motto „Black Women Empowerment“ sei ihr besonders im Gedächtnis geblieben. Auf einem der Fotos sitzen fünf junge Frauen hintereinander vor einem weißen Laken. Ihre Köpfe haben sie auf die Schultern der Frau vor sich gelegt. Es ist eine Pose der Nähe, Harmonie und Verbundenheit. Die Blicke aller Models sind in die Kamera gerichtet. Sie drücken Stärke und Stolz aus. „Das sind Projekte, die gut tun, die Power haben und die mich inspirieren“, sagt Patricia und lächelt. Neben solchen Foto-Events hat die AJM Anfang dieses Jahres beispielsweise einen Film gedreht, ein Ausschnitt davon ist auf Instagram zu sehen: In einer Diskussionsrunde sitzen sechs junge Mitglieder der AJM auf einer Bühne und sprechen über das Thema Identitätskrise. Der Moderator fragt Lizzy, was sie einem hier lebenden jungen Afrikaner raten würde, der sich nicht mit seinem Herkunftsland identifizieren kann. Lizzy antwortet sofort. „Ich finde es generell sehr schade, wenn Menschen sich nicht mit ihren Wurzeln identifizieren können. Ich würde der Person ans Herz legen, sich mit der Geschichte seines Herkunftslandes auseinanderzusetzen“, sagt sie. „Bei schwarzen Jugendlichen ist es ja zunächst mal nicht anders als bei weißen Jugendlichen auch: Sie haben keine Lust, sich mit Thematiken wie Politik oder Geschichte auseinanderzusetzen“, ergänzt Lizzy beim Gespräch im Café. „Aber es lohnt sich immer, man lernt so viel für sich selbst.“

Kunst, Kultur, Musik, Mode – alles in Verbindung zu ihren afrikanischen Wurzeln. Das sind Werte, die den Mitgliedern der AJM selbst am Herzen liegen und die sie an andere weitergeben möchten. Mit ihren Events und Projekten möchten sie auch das vorherrschende Bild von Afrika ändern: „Das Bild von Afrika ist ja meist kein gutes: Armut, Krankheiten und so weiter. Ich habe auch nie einen Lehrer etwas Gutes über Afrika sagen hören“, sagt Lizzy. Für Ende November dieses Jahres wäre ein Fashionevent geplant gewesen, bei dem die Mitglieder der AJM afrikanische Mode, Designer, Kunst und Tanz präsentieren wollten. Aufgrund der aktuellen Situation musste diese Veranstaltung leider abgesagt werden.

Die Kommunikation erfolgt bei der AJM vor allem über eine Whatsapp-Gruppe, die inzwischen circa 70 Mitglieder zählt. Diese Gruppe, so sagt es Lizzy, fungiere als eine Art Plattform oder „Safe Space“ – also ein sicherer Ort, in der Pläne angeregt und sich ausgetauscht werden kann. Beispielsweise auch über Erfahrungen mit Diskriminierung in Form von Ausgrenzung und Rassismus in München. Auch Lizzy hatte eine solche Erfahrung. Auf einer Pressekonferenz im Münchner Rathaus im Spätsommer sprach sie darüber.

Eine Handvoll Freunde sind zur Unterstützung gekommen. Auch Akin ist da. Auf ihrem Smartphone liest sich Lizzy immer wieder die Worte durch, die sie wenig später auf der Pressekonferenz vortragen wird. Sie wird dort über ihre Erfahrungen vor ein paar Monaten sprechen. Lizzy erhebt zusammen mit anderen Jugendlichen den Vorwurf gegen die Münchener Polizei, „Racial Profiling“ zu praktizieren. Dieser Begriff steht für die gezielte Ausweiskontrolle durch die Polizei aufgrund der Hautfarbe oder des Aussehens eines Menschen. Der Vorfall ereignete sich dieses Jahr, drei Tage, bevor George Floyd in Minneapolis aufgrund von Polizeigewalt starb. Lizzy erzählt, sie habe am 22. Mai nach der Umarmung eines Freundes im Englischen Garten ihren Ausweis zeigen müssen – ihr weißer Bekannter nicht. Polizeisprecher Werner Kraus äußerte sich dahingehend in den Medien wie folgt: „Bei der Münchner Polizei gibt es definitiv kein Racial Profiling.“

Lizzys Rede an jenem Septembertag ist bewegend und hoffnungsvoll: „Ich bin eine motivierte schwarze Frau, die gehört werden möchte“, sagt sie. Lizzy fordert präventive Maßnahmen bei der Polizei hinsichtlich „Racial Profiling“. Zum Schluss sagt sie: „Ich bin für ein friedliches Miteinander in Deutschland, das auch unsere Heimat ist.“

Es geht ihnen um Identität. Auch bei ihren Kulturveranstaltungen. Im Februar dieses Jahres organisierte die AJM eine Talentshow in der Prygoshin Bar in München. Aus zwei Wochen Planung und einem Budget in Höhe von 300 Euro entstand ein abwechslungsreicher Abend, inklusive Poetry-Slams, Tanz, Gesang, einer Fashionshow und einem Buffet mit afrikanischen Speisen. Videos von dem Event zeigen einen gut gefüllten Backroom der Bar, man sieht ein buntes Publikum. Die jungen Menschen tanzen, singen mit. Auch Akins Mutter war vor Ort. „Sie war überwältigt, hat geweint und war sehr stolz auf uns“, sagt Akin. Auch der junge Münchner Rapper mit dem Künstlernamen Kyojin Supreme, 22, der auch Mitglied bei der Münchner Tanzcrew „Munich Got Sauce“ ist, hatte an diesem Abend seinen ersten Rap-Auftritt. An die Veranstaltung erinnert er sich gut: „Es war schön zu sehen, was andere junge Afro-Deutsche auf die Beine stellen. Am schönsten ist es zu sehen, wie junge Afro-Deutsche danach streben, sich individuell zu etablieren, ob in der Bildung, in den unterschiedlichen Talenten, die sie haben, oder in ihren Interessen. Denn ich denke, dass wir so als eine Gemeinschaft unsere Ressourcen zusammentun und Fortschritte machen können.“

Lizzy sieht es ähnlich. Sie blickt positiv auf das vergangene Jahr zurück: „Ich bin überwältigt davon, was für eine Auswirkung die Black-Lives-Matter-Welle auf die Menschen hatte. Wenn du die richtigen Leute um dich hast, dann kann etwas Großes daraus werden. Gerade machen es so viele schwarze Menschen in München vor, dass man viel zusammen erreichen kann.“

Von Amelie Völker