Die Jugend besitzt kein politisches Interesse, sondern widmet sich mit Hingabe einem Lifestyle, der von Paradoxien strotzt. Jan Struckmeier, 22, gibt dem Hipster die Schuld. Dem Stereo-Typ hat er jetzt auch ein Theaterstück gewidmet.
Das Licht erreicht die Uni-Terrasse durch Baumspitzen und wirft lange Schatten. Sonntagabend, zwei Kästen Bier stehen bereit. Auf grünen Bänken sitzen zehn Studenten mit Sonnenbrillen, Miniboxen, Knabberzeugs. Mitwirkende eines Theaterstücks, die nach der Probe nicht gleich nach Hause wollen.
Jan Struckmeier, 22, Theaterwissenschaftsstudent und Regisseur des Stücks, hat sie zusammengetrommelt. Er hat auch das Augustiner spendiert. Jan trägt ein schwarzes Hemd und dreht sich eine Zigarette nach der anderen.
Über das Theaterstück will er gerade nicht reden, lieber über das Scheitern. Und über Hipster. Struckmeier denkt viel über Zeitgeist und seine Generation nach und gerät daher zwangsläufig immer wieder auf jene Symbolfigur, die wie keine andere die derzeitige Jugendkultur umschreibt und mit der doch niemand etwas zu tun haben will. „Bin ich ein Hipster?“, fragt Struckmeier in die Runde. „Du bist ein Neo-Hipster“, entgegnet einer aus dem Team.
„Das Hipstertum ist wohl oder übel ein Paradox“, sagt Struckmeier und kratzt sich an seinem roten Bart. „Wenn man sagt, man sei ein Hipster, ist man keiner. So wird der Weg, zu sich zu stehen, blockiert. Diese Generation ist an der Frage ihres Selbst zum Scheitern verurteilt.“ Wenn Struckmeier erzählt, was ihm durch den Kopf geht, möchte man meinen, dass wir gefangen sind, in diesem Hipstertum.
Es ist Anlass für Struckmeiers Theaterstück geworden, das er im Juli auf der Studiobühne der Ludwig-Maximilians-Universität aufführt: „Die Pest2o14“. Was, bitte, hat Albert Camus’ „Die Pest“ mit dem Hipster und unserer Generation zu tun?
Struckmeier findet, dass die Illusionslosigkeit des Stücks auch heute einen Nerv trifft. „Was können wir groß verändern heutzutage. Wir haben doch schon alles“, sagt er. „Jedoch hat der Mensch den Wunsch nach Revolution und Umsturz inne – und somit ist unsere Generation in einer Zwickmühle.“ Das mangelnde Aufbegehren, ja, sogar Desinteresse an Politik würden wir mit dem Exzess kompensieren. „Durch das Fortdauern dieses Lifestyles manövrieren wir uns zunehmend in ein Gefühl der Leere.“
Damit, findet Struckmeier, läuft seine Generation Gefahr, die Augen zu verschließen und einen großen Fehler zu machen. „Diese Angst möchte ich in meinem Stück zeigen“, sagt er. Es sei keine konkrete, sondern eine indirekte Angst, die er habe.
Aber wer ist dieser sagenhaft unbeliebte Hipster, der Struckmeier so fesselt, dass er ihm ein Theaterstück widmet? Man liest und spricht so viel über ihn: Der Hipster sei im Mainstream angekommen; in seinen Entstehungszentren New York und London wurde schon wieder sein Tod erklärt. Dennoch sieht man ihn noch massenhaft herumlaufen.
Was zeichnet ihn neben Jutebeutel, der gerade vom kleinen Rucksack abgelöst wird, und Röhrenjeans wirklich aus? „Wer von Hipstern spricht, meint damit meistens polemisch eine urbane Stilfigur und unterstellt diesen Leuten, sie seien auf der Suche nach unverwechselbarer Identität, aber vergeblich“, sagt Moritz Ege. Er ist Ethnologe an der LMU München und beschäftigt sich in seiner Forschung mit Jugend- und Subkulturen. Der Begriff Hipster kommt aus den Dreißigerjahren, als „being hip“ noch gleichzusetzen war mit „Bescheid wissen“. Damals war es also noch ein Ehrentitel. Auch Moritz Ege bedauert, dass sich das Hipstertum heute nicht mehr mag und stattdessen voller „Selbsthass“ ist. „Man kann schon sagen, dass klare Statements und charismatische Ideen von subkulturellen Szenen wenig sichtbar sind“, sagt Ege. „Damit fehlt auch gesellschaftliche Sprengkraft.“
Vielleicht ist durch das Vermischen sämtlicher Subkulturen, Musik- sowie Modestile – Hauptsache dem Mainstream drei Schritte voraus – ein roter Faden einer Jugendkultur verloren gegangen. Doch gewinnen wir stattdessen nicht grenzenlosen Individualismus dazu? Für Struckmeier wird das zum Zwang. „Die Hipster-Generation ist scheinbar frei, lebt in einer sogenannten postideologischen Zeit und kann, nein, muss sich verwirklichen“, sagt Struckmeier.
Selbstverwirklichung, sie ist auch für Jan Struckmeier wichtig. Deshalb steigt er gern auf Bühnen, wie etwa im Münchner Farbenladen vor ein paar Wochen. Es war eine Lesung angekündigt. Struckmeier las nicht, er tanzte. Aus den Boxen schallten dazu Sprachaufnahmen. Struckmeier erklärte, er sei in einer Sprachkrise. „Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht“, schallte aus den Lautsprechern zur Musik von Ratatat, Wildcat. „Oje, oje, o weh“. Sein Mund blieb geschlossen, dafür bekam das Publikum umso mehr Körpersprache serviert. Struckmeier bewegte sich zu seinen dadaistischen Kommentaren wie ein Yogameister gemischt mit Gorilla-Moves und Imitationen antiker Statuen.
Struckmeier dreht sich auf der Sonnenterrasse wieder eine Zigarette und erzählt, wie er seine Generationskritik in der Pest zum Ausdruck bringen möchte. Es werden nicht 20 Leute mit Jutebeuteln über die Bühne laufen. Stattdessen soll das Stück lustig werden und sich dem Mittel einer tetrishaften Collage bedienen. Die Schauspieler werden viel improvisieren und cool sein, als Karikaturen auftreten, in zeitlosen, schalen „schwarzen, weißen, grauen und blauen Kostümen“, sagt die Bühnenbildnerin Mengfan Wang. Letztlich, so Struckmeier, ist die Pest 2014 zum Scheitern verurteilt.
Mehr wollen sie nicht verraten. Nur so viel: Es ist Struckmeiers erstes eigenes Stück, eine „Herzensangelegenheit“, für die er seine Bachelorarbeit aufgeschoben hat. Er hat freilich ein wenig Angst zu missfallen. „Es ist immer eine Gratwanderung, die ich hoffe, in meinem Stück zu überstehen“, sagt Struckmeier. „Aber als Teil der Hipster-Generation kann ich mich nicht aus ihr lösen.“ Vielleicht spiegelt das Stück auch einfach nur eine Sehnsucht nach einer neuen Jugendkultur.
Die Kästen Bier sind fast leer, die Sonne nahezu verschwunden. Struckmeier sagt noch, dass es am Ende der Aufführung eine Podiumsdiskussion geben wird. An den ersten beiden Abenden sind allerdings auch die Halbfinalspiele der WM. Ob er in der Zeit jemanden für seine Ansichten begeistern kann, ist für ihn selbst fraglich. „Ich werde es auf jeden Fall anbieten, denn Theater tut weh und muss sein.“
Die Pest wird am 8., 9. und 10. Juli auf der Studiobühne der LMU (Ludwigstraße 25, 80539 München) um jeweils 20 Uhr aufgeführt. Mehr Infos unter www.diepest2o14.wordpress.com
Caroline von Eichhorn
Foto: Ann-Sophie Wanninger